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Im selben Moment, in dem der Schuss erklang, erhielt ich einen harten Stoß, durch den ich auf den Boden geschleudert wurde. Ich hatte nicht einmal Zeit, den Sturz mit meinen Händen abzufangen und so landete ich brutal auf meiner rechten Schulter. Für zwei Sekunden wusste ich nicht, wo oben und unten war und erst der elektrisierende Schmerz, der meinen gesamten Körper durchfuhr, riss mich aus dem desolaten Zustand. Ich presste meine Lippen aufeinander, um keinen Schrei auszustoßen und blieb benommen liegen. Vor meinen Augen tanzten kleine bunte Sterne und die Umgebung drehte sich leicht. In meinen Ohren rauschte laut das Blut und ich fragte mich, weshalb ich plötzlich auf der Erde lag, ohne mir die Kugel eingefangen zu haben, die für mich bestimmt gewesen war. Der graue Betonboden hörte auf zu schwanken und so riskierte ich es, mich aufzurichten, wobei jedoch mein rechter Arm sofort unter meinem Gewicht einknickte. Meine Schulter pochte schmerzhaft und ich wusste, ich hatte sie mir bestenfalls böse geprellt. Ich richtete mich vorsichtig auf und hob den Kopf. Mein erster Blick fiel auf Melinda, die mitten im Raum stand, die Waffe erhoben und den Eindruck erweckte, nicht genau zu wissen, was sie machen sollte. Sie starrte nicht mich an, sondern einen Punkt links von mir. Erst jetzt vernahm ich das laute Keuchen neben mir und auf einmal wurde mir glasklar, weshalb ich lebend - und nicht tödlich verwundet - auf dem Boden lag. Angst schnürte mir die Kehle zu und ich musste mich richtiggehend dazu zwingen, in die Richtung des Geräusches zu sehen. Mein Herz schlug wie wild in meiner Brust, als ich mich komplett aufsetzte und zu Gibbs blickte, der auf der Stelle lag, an der ich vor nicht einmal einer halben Minute gestanden hatte. Blut tränkte sein Hemd an der rechten Schulter, die er mit seiner linken Hand umklammerte. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, aber er machte keine Anstalten, einen Schrei auszustoßen oder auch nur ein leises Stöhnen von sich zu geben. Auf seiner Stirn hatten sich Schweißtropfen gebildet, die langsam seine Schläfen hinunter rannen. Ich konnte meine Augen nicht mehr von meinen Boss losreißen, der mir das Leben gerettet und an meiner Stelle die Kugel eingefangen hatte. Er musste es irgendwie geschafft haben, sich von seinem Bewacher zu befreien und hatte mich aus der Schussbahn befördert. Erleichtert stellte ich fest, dass er nicht tödlich getroffen worden war, aber das Geschoss hatte seine Schulter durchschlagen, da sich unter seinem Körper eine Blutlache ausbreitete. Mir wurde bewusst, wenn er nicht bald Hilfe bekommen würde, dann würde er hier verbluten. Aber so lange ich noch am Leben war, würde ich das nicht zulassen.
„Gibbs", brachte ich schließlich hervor und kniete mich hin, wobei ich jedoch sofort in der Bewegung inne hielt, als Melinda ihre Waffe erneut auf mich richtete. Sie schien sich von ihrem Schock erholt zu haben. „Mir geht es gut, Tony", antwortete er keuchend, aber seine leise Stimme strafte ihn Lügen. „Er scheint dich ja sehr zu mögen, wenn er es riskiert, an deiner Stelle zu sterben", meinte die junge Frau ungerührt. „Noch ist er nicht tot." Sie schüttelte den Kopf und hob die Pistole, sodass ich direkt in die Mündung blickte. „Jetzt mach endlich", sagte Marvin hinter mir, was mich daran erinnerte, dass wir nicht alleine waren. Die beiden Männer machten keine Anstalten, einzugreifen, da sie anscheinend der Ansicht waren, wir würden uns sowieso nicht mehr wehren können.
„Jetzt wird dich dein Boss kein zweites Mal retten können." Melinda lächelte mich gehässig an. Ich sah zu Jethro, der noch immer auf dem Boden lag. Seine linke Hand war mittlerweile blutverschmiert und sein Hemd klebte an seinem Körper. Wenn ich hier und jetzt sterben sollte, dann sollte nicht meine Mörderin das Letzte sein, was ich sah, sondern jemand, den ich mehr als nur einen Freund mochte. Gibbs bedeutete mir sehr viel, aber selbst in dieser Situation konnte ich meine Gefühle noch nicht einordnen und es stimmte mich traurig, dass ich es wohl auch in Zukunft nicht machen konnte. Mein Boss erwiderte meinen Blick und in seinen Augen konnte ich Schmerz und Angst erkennen, aber diese Angst galt nicht ihm selbst, sondern mir. Mein Herz verkrampfte sich und ich wartete bereits auf den tödlichen Knall, der jedoch ausblieb und auch nie ertönen sollte.
„Leg die Waffe weg, Miststück, oder du wirst diejenige sein, die eine Kugel zwischen die Augen bekommt!" schrie Ziva von der Tür aus. Ihr Ton ließ keinen Widerspruch zu. Melinda starrte zu meiner Kollegin und schließlich zu mir. „Es ist vorbei", sagte ich. „Tu am Besten was sie sagt, sonst wird sie ihre Drohung wahr machen." „Schieß endlich!" rief Marvin und als er zu seiner Schwester stürmen wollte, um ihr die Waffe aus der Hand zu reißen und es selbst zu erledigen, traf ihn eine Kugel im Oberschenkel und ließ ihn laut schreiend zu Boden gehen. Melinda war so abgelenkt, dass sie nicht einmal richtig mitbekam, wie mindestens ein halbes Dutzend Agenten in den Raum stürmten und sie und den anderen Mann überwältigen. Aber das bekam ich nur aus den Augenwinkeln mit, denn meine Konzentration galt Gibbs. Ich kroch zu ihm hinüber, entfernte seine Hand von der Wunde und drückte meine kräftig darauf, in der Hoffnung, so die Blutung ein wenig zu stillen. „Nicht so fest", presste er hervor und verzog sein Gesicht. Seine Stimme war gewohnt schroff und unendliche Erleichterung durchfuhr mich, als mir bewusst wurde, dass es endlich vorbei war. „Du musst durchhalten", sagte ich. „Die Kugel hat mich in der Schulter erwischt und nicht in der Brust. Es braucht mehr als das, um mich umzubringen." Gegen meinen Willen bildete sich ein Lächeln auf meinen Lippen, aber dennoch blieb eine kleine Spur Angst. „Wieso hast du das getan?" fragte ich und bekam nur am Rande mit, wie sich Marvin heftig gegen seine Verhaftung wehrte. „Ich wollte nicht schon wieder einen neuen Agenten einarbeiten", antwortete er, aber etwas in seinen Augen sagte mir, dass er nicht die ganze Wahrheit sagte. Als ich bereits ansetzte, um ihn darauf anzusprechen, kniete sich McGee neben mir nieder. „Ein Krankenwagen ist bereits unterwegs", meinte er, zog sich seine NCIS Jacke aus und presste sie auf die Wunde, sodass ich meine Hände, die bereits voller Blut waren, wegnehmen konnte. Nur knapp widerstand ich der Versuchung, sie an meiner Hose abzuwischen. „Wo wart ihr so lange, Bambino?" fragte ich eine Spur vorwurfsvoll. Er sah mich an und erwiderte: „Hast du eine Ahnung, was für ein Labyrinth das ist? Wenn wir nicht auf den einen Typen gestoßen wären und ihn nicht dazu gebracht hätten, uns zu verraten, wo ihr seid, würdest du jetzt ein Loch in deinem Kopf haben." „Entschuldige." Das eine Wort kam mir erstaunlicherweise leicht über die Lippen und Tim war genauso überrascht wie ich. „Schon in Ordnung."
Ich wandte mich wieder Gibbs zu. „Kannst du aufstehen?" wollte ich wissen. „Wie bereits erwähnt, die Kugel hat meine Schulter erwischt und nicht einen anderen Körperteil." Er richtete sich auf, aber bereits diese Bewegung trieb ihm alle Farbe aus seinem Gesicht. Tapfer biss er die Zähne aufeinander und ließ sich von mir und McGee helfen, bis er aufrecht stand. Melinda wurde gerade aus dem Raum geführt und sie warf mir noch einen letzten Blick zu, den ich jedoch eiskalt erwiderte. Noch immer brodelte in mir das Gefühl, ausgenutzt worden zu sein und ich wusste, es würde eine Weile dauern, bis ich es loswerden würde. „Ich habe schon immer gewusst, dass dich deine Frauengeschichten einmal in Schwierigkeiten bringen werden", sagte Ziva und ihre Mundwinkel zuckten verräterisch. „Wirklich witzig, Officer David", erwiderte ich und stützte Gibbs, der mehr als unsicher auf den Beinen war. Seine körperliche Nähe erfüllte mich diesmal nicht mit Unbehagen, sondern es fühlte sich so an, als ob sein Körper genau für meine Hände geschaffen wäre. Während ich mit McGees Hilfe Jethro aus dem Raum führte, dachte ich über die Worte meiner Kollegin nach. Ich wusste, sie hatte Recht und es war ein Wunder, dass ich überhaupt noch lebte. Mein Instinkt verriet mir, dass ich wohl in naher Zukunft keine Freundin mehr haben würde, denn wie hatte es Melinda so schön ausgedrückt? Anscheinend stand ich neuerdings auf Männer.


Washington D.C.
Bethesda
Samstag, 21. Mai
04:45 Uhr


Seit fast vier Stunden saß ich nun im Warteraum des Bethesda und wartete darauf, dass ein Arzt zu uns kommen würde, um uns über Gibbs' Zustand aufzuklären. Ich war mit ihm mit dem Krankenwagen mitgefahren und war demnach auch der Erste an diesem Ort gewesen, den ich nie freiwillig aufsuchte. Das letzte Mal als ich im Bethesda gewesen war, hatte ich mir die Lungenpest eingefangen gehabt und noch heute rann es mir kalt über den Rücken, wenn ich daran dachte. Damals war ich nur knapp dem Tod entronnen, aber ich war in meinem Überlebenskampf nicht alleine gewesen. Kate war die meiste Zeit bei mir geblieben, obwohl ich sie ständig mit diversen Filmen genervt hatte. Sie hatte mich gefragt, ob ich Angst hätte und ich hatte lässig nein geantwortet. Aber in meinem Inneren hatte es ganz anders ausgesehen und ich hatte wirklich gedacht, mein letztes Stündchen hätte geschlagen. Als Gibbs dann zu mir gekommen war und mir gesagt hatte, ich würde nicht sterben, hatte ich auf einmal gewusst, dass alles gut werden würde. Ich hatte gespürt, dass er sich Sorgen um mich gemacht hatte und jetzt war ich es, der sich Sorgen um ihn machte und nicht nur deswegen, weil er mein Boss war. Jethro hatte mir das Leben gerettet und sein eigenes dabei riskiert. Ich wollte gar nicht daran denken, wenn ihn die Kugel weiter links getroffen hätte. Dann würden wir jetzt nicht hier auf diesen äußerst ungemütlichen Plastiksesseln sitzen und warten. Alleine der Gedanke, dass er wegen mir gestorben wäre, war unerträglich, genauso wie der Gedanke, mein gesamtes Leben ohne ihn verbringen zu müssen.
Frustriert hob ich meinen Kopf und blickte mich in dem Warteraum um. Die Wände waren in einem nüchternen weiß gestrichen und ein paar Bilder mit verschiedenen Motiven versuchten ein bisschen Farbe in die Umgebung zu bringen. Die linke Seite wurde von einem großen Fenster eingenommen und ermöglichte mir einen Blick in die Nacht hinaus, die bald vorüber sein würde. An der Mauer waren die braunen Plastiksessel angeschraubt und in den Ecken standen Grünpflanzen, die ein wenig trostlos wirkten, genauso wie das gesamte Krankenhaus.
Geistesabwesend rieb ich mir meine geprellte Schulter, die vor Stunden von einem Arzt untersucht worden war, dessen Haare genauso weiß waren, wie sein Kittel. Er hatte gemeint, ich hätte verdammt viel Glück gehabt, dass ich mir nichts gebrochen hätte und mich mit dem Hinweis, das Gelenk nicht allzu viel zu belasten, wieder entlassen. Während ich behandelt worden war, war Gibbs bereits in den OP gebracht worden und Ziva hatte Jen, Ducky und Abby verständigt, die innerhalb von 20 Minuten im Bethesda angekommen waren. Wie zu erwarten, hatte mich die Forensikerin mit Fragen bestürmt und so hatte ich ihr und auch den anderen erzählt, was alles passiert war, als die Verbindung unterbrochen worden war. Seitdem jedoch hatten wir fast nichts mehr miteinander gesprochen und jeder hatte sich seine eigenen Gedanken gemacht.
Jetzt war es fast Morgen und es war ruhig in dem Warteraum. Die Stille wurde nur durch das Atmen meiner Kollegen durchbrochen und hin und wieder klingelte in der Ferne ein Telefon. Ich fuhr mir mit einer Hand über die Augen, versuchte die Müdigkeit zu vertreiben und lächelte bei dem Anblick, der sich mir bot. Abby hatte ihren Kopf auf McGees Schulter gelegt und schlief selig, genauso wie Tim. Ziva war ebenfalls in das Reich der Träume entflohen. Ducky war munter und las in einer von den medizinischen Zeitschriften, die zahlreich auf einem der kleinen Tische lagen. Direktor Sheppard hingegen stand bei dem großen Fenster und sah bereits seit mehreren Minuten in die Nacht hinaus. Die Sorge, die in dem Raum herrschte, war beinahe greifbar und drückte stark auf mein Gemüt. ‚Wieso brauchen die nur so lange?' fragte ich mich sicher zum hundertsten Mal und blickte in den Gang, der zur Schwesternstation führte. Es war kein Arzt in Sicht und so ließ ich mich wieder zurücksinken. Ich dachte an Gibbs, an unsere gemeinsame Nacht und an unseren Streit. Das Wissen, dass er vielleicht gestorben wäre, bevor die Situation zwischen uns geklärt war, machte mich traurig. Ich hätte mir wahrscheinlich mein gesamtes Leben lang Vorwürfe gemacht, dass ich nicht mehr die Möglichkeit gehabt hätte, mich wegen meiner Worte zu entschuldigen, die ich ihm an den Kopf geworfen hatte. Mittlerweile taten sie mir leid und es machte mich wütend, dass erst eine lebensbedrohliche Situation mir die Augen geöffnet hatte. Auch wenn Jethro meine Entschuldigung annehmen würde, würde es ein steiniger Weg werden, den wir vor uns hatten. Nur, wie es mit uns weitergehen sollte, das wusste ich nicht. Ich für meinen Teil konnte sicher nicht so tun, als ob zwischen uns nie etwas geschehen wäre und wenn ich es mir recht überlegte, wollte ich das auch nicht. Zu schön waren die Erinnerungen an die Stunden, die wir gemeinsam in dem äußerst gemütlichen Hotelbett verbracht hatten und ich hoffte ein wenig, dass wir dieses Erlebnis irgendwann einmal wiederholen würden.
Eine Bewegung von links riss mich aus meinen Gedanken und ich sah, wie Ducky die Zeitschrift auf den Tisch zurücklegte und gespannt in den Gang blickte. Erst jetzt hörte ich die leisen Schritte, die sich uns näherten und deshalb stand ich auf. Ein Mann Mitte 40 kam auf uns zu, dessen schwarze Haare an den Schläfen leicht ergraut waren. Er trug das für einen Chirurgen typische grüne Gewand und selbst aus dieser Entfernung strahlte er eine professionelle Ruhe aus. Jen drehte sich ebenfalls um und gespannt verfolgten wir jeden Schritt, den er machte.
„Agent DiNozzo?" fragte er. „Das bin ich", antwortete ich und reichte ihm meine Hand. „Ich bin Doktor Brennen und habe Agent Gibbs operiert." „Wie geht es ihm?" fragte Direktor Sheppard sofort und ihre aufgeregte Stimme weckte Ziva, McGee sowie Abby, die sich etwas verwirrt umsah, aber dann realisierte, wo sie sich befand. „Den Umständen entsprechend. Er hat viel Blut verloren, was wir jedoch durch ein paar Konserven behoben haben. Die Operation ist erfolgreich verlaufen und Agent Gibbs ist bereits aus der Narkose erwacht. Wir haben ihn auf ein Einzelzimmer gebracht und ich würde sagen, dass er in drei Tagen wieder nach Hause kann." Unendliche Erleichterung durchflutete mich und erst jetzt bemerkte ich, dass ich die Luft angehalten hatte, und sie nun langsam entweichen ließ. „Können wir zu ihm?" wollte Abby wissen und richtete sich ihre Rattenschwänze, die durch den Schlaf ein wenig verrutscht waren. Doktor Brennen überlegte ein paar Sekunden, schließlich nickte er. „Aber nur ein paar Minuten. Agent Gibbs braucht noch absolute Ruhe. Er liegt in Zimmer 311." „Danke." Die Forensikerin drückte dem Arzt sanft die Hand und als sie sich gemeinsam mit den anderen auf den Weg machte, blieb ich an Ort und Stelle stehen. Ich ließ mich auf einen der Plastiksessel nieder und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Die Anspannung der letzten Stunden fiel von mir ab und Müdigkeit breitete sich aus. Am liebsten würde ich mich hier und jetzt einfach zusammenrollen und schlafen.
„Tony?" Ich sah auf und blickte zu Ducky, der vor mir stand. „Willst du denn nicht mit?" Ich schüttelte den Kopf. „Du hast den Arzt doch gehört. Gibbs braucht Ruhe und es wird sicher reichen, wenn ihm die anderen einen Besuch abstatten." Die Wahrheit jedoch war, dass ich Jethro noch nicht unter die Augen treten wollte, auch wenn ich froh darüber war, dass er wieder gesund werden würde. Zu groß war die Angst, dass meine Kollegen herausfinden würden, was zwischen uns geschehen war.
Der Pathologe ließ sich neben mir auf einen Stuhl nieder und musterte mich durch seine Brille hindurch. Es war das erste Mal, dass ich in seiner Gegenwart nervös wurde, zumal ich wusste, dass ihm nie etwas entging. „Was ist los?" fragte er sanft. „Weshalb willst du wirklich nicht zu Gibbs?" Er hatte mich durchschaut, das war mir sofort klar. Ich zog es vor, auf meine leicht zitternden Hände zu starren und schwieg. Mein Verstand sagte mir, dass ich mich ihm anvertrauen sollte, aber ich brachte keine Worte über meine Lippen. „Der Einsatz hat euch beide ganz schön durcheinander gebracht, nicht wahr? Abigail hat mir von eurem Kuss in dem Club erzählt und ich habe bereits da geahnt, dass das nicht ohne Folgen bleiben würde." Ducky sprach leise, aber dennoch verstand ich ihn hervorragend. Seine Stimme klang nicht vorwurfsvoll, sondern gutmütig, so als ob er mit einem Kind sprechen würde. Ich blickte auf und ihm direkt in die Augen. „Ich wünschte, es wäre nur der Kuss, Ducky", erwiderte ich und war selbst von meinen Worten überrascht, da ich eigentlich gar nichts sagen hatte wollen. Aber etwas an dem älteren Mann ließ den Schutzschild in meinem Gehirn bersten. Er schwieg und wartete, bis ich bereit war, mich ihm anzuvertrauen. „Du hast Recht, zwischen mir und Gibbs hat sich etwas verändert. Und ich fürchte, es wird nie wieder so wie früher werden. Zu viel ist geschehen." Zuerst spiegelte sich Verwirrung auf Duckys Gesicht, machte aber schließlich Verständnis Platz. „Damit meinst du nicht den Kuss, oder?" Ich schüttelte den Kopf und blickte erneut auf meine Hände. Sollte ich ihm wirklich alles erzählen? Ich überlegte hin und her, aber die Entscheidung wurde mir abgenommen. „Ihr habt miteinander geschlafen, nicht wahr?" Es war eher eine Feststellung als eine Frage und ich hob abrupt meinen Kopf. In seinen Augen lag nichts weiter als Neugier und Gutmütigkeit und nicht Ekel oder Vorwurf, womit ich ursprünglich gerechnet hatte. Vielleicht kannte ich den Pathologen doch nicht so gut, wie ich angenommen hatte. „Es ist einfach passiert, Ducky", erwiderte ich leise, aus Angst, jemand könnte unserem Gespräch lauschen, obwohl weit und breit niemand zu sehen war. „Wir waren beide betrunken und wir hatten einen Streit. Das eine führte zum anderen und schließlich sind wir im Bett gelandet." Ich fuhr mir durch meine Haare und seltsamerweise fühlte ich mich jetzt besser, da ich jemanden hatte, dem ich mich anvertrauen konnte. „Ist wirklich der Alkohol schuld daran?" wollte er wissen und neigte leicht seinen Kopf. „Wart ihr wirklich so sehr betrunken, dass ihr nicht mehr gewusst habt, was ihr tut?" Und erneut hatte er mich durchschaut. „Ich schätze, das war nur ein Vorwand", gab ich zu und lächelte leicht. „Wir hätten jederzeit aufhören können." „Aber das habt ihr nicht." „Nein. Ich weiß auch nicht, wieso. Wir konnten einfach nicht die Finger voneinander lassen."
Ducky nickte verständnisvoll und fragte: „Und, wie fühlst du dich jetzt?" „Verwirrt", antwortete ich ehrlich. „Ich weiß nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll und deshalb haben Gibbs und ich erneut gestritten. Ich habe ihm vorgeworfen, dass er den Boss raushängen lässt, wenn ihm etwas nicht gefällt und obwohl ich weiß, dass er mein Vorgesetzter ist, verletzt es mich, dass er mich weiter wie einen Untergebenen behandelt." Ich lächelte traurig. „Jetzt verstehe ich mehr denn je, weshalb es Regel Nummer 12 gibt."
Der Pathologe schwieg ein paar Sekunden, in denen ich erneut meine Hände betrachtete, die aufgehört hatten, zu zittern. Es fühlte sich gut an, sich endlich alles von der Seele reden zu können, zumal ich wusste, dass Ducky es für sich behalten würde. „Liebst du ihn, Tony?" Das war die Frage, die ich mir in den letzten Stunden bereits selbst gestellt hatte, sogar unzählige Male, und die ich nicht beantworten konnte. „Ich weiß es nicht", erwiderte ich und sah Ducky in die Augen. „Aber ich habe Gefühle für Gibbs. Nur weiß ich noch nicht, in welche Schublade ich sie stecken soll. Das alles ist so schrecklich kompliziert. Ich meine, ich bin mein gesamtes Leben lang mit Frauen ausgegangen und dann ändert ein Undercovereinsatz alles. Das ist doch verrückt, oder?" „Keineswegs." Ducky lächelte und legte mir sanft eine Hand auf meinen linken Unterarm. „Hast du dir schon einmal überlegt, weshalb deine Beziehungen nie lange gehalten haben? Und Jethro war dreimal verheiratet. Vielleicht seid ihr beide einfach nicht für Frauen bestimmt." Seine Worte waren leise gesprochen, aber dennoch hallten sie laut in meinen Ohren wider. „Sondern füreinander", fügte er hinzu, was mein Herz schneller schlagen ließ. Ich spürte, dass es die reine Wahrheit war, aber dennoch fand ich es lächerlich. Gibbs und ich als ein Paar? Das konnte doch nur schief gehen, obwohl ich zugeben musste, die Vorstellung war mehr als verlockend.
„Was soll ich denn jetzt machen, Ducky?" „Rede mit Jethro. Sag ihm, was du fühlst." Ich schnaubte und schüttelte den Kopf. „Ich weiß doch nicht einmal selbst, was ich fühle. Und Gibbs ist ein Meister, wenn es darum geht, nicht zu zeigen, was in seinem Inneren vorgeht." „Aber anders werdet ihr wohl keine Lösung finden. Und es wäre doch schade, wenn einer von euch deswegen das Team verlassen würde." Der Pathologe hatte wieder einmal Recht. Wenn wir die Situation nicht bald klären würden, dann würde in naher Zukunft ein Schaden entstehen, der wohl nicht mehr gut zu machen wäre. Und ich für meinen Teil wollte das Team nicht verlassen, es war für mich wie ein zweites zu Hause. Obwohl es mir schwer fiel, fällte ich eine Entscheidung.
„Ich schätze, es ist Zeit, dass ich Gibbs einen Besuch abstatte." Ducky lächelte mich an, drückte aufmunternd meinen Unterarm und ließ mich los. „Ihr werdet das sicher schaffen", sagte er. „Aber es wird nicht einfach werden." „Das ist mir bewusst", erwiderte ich und stand auf. Ich bewegte meine Schultergelenke, um die Verspannung zu lösen, hielt aber inne, als mich ein scharfer Schmerz durchfuhr. „Alles in Ordnung?" Ich nickte und verließ den Warteraum, drehte mich aber noch einmal um. „Danke, Ducky." „Gern geschehen." Er griff erneut nach einem Magazin und so ging ich langsam den Gang entlang, bis ich vor Zimmer 311 hielt. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich war ungewohnt nervös. Ich wischte meine feuchten Handflächen an meiner Hose ab, holte tief Luft und hob schließlich den Arm, um zögernd an die Tür zu klopfen.

Das Geräusch war sicher laut genug, um im Inneren des Zimmers gehört zu werden, nur hatte ich das Gefühl, es würde nur dumpf an meine Ohren dringen, da mein Blut in eben jenen dröhnend rauschte. Mein Herz schlug wild in meiner Brust und ich musste mich richtiggehend zwingen, nach dem Knauf zu greifen. Ohne eine Antwort abzuwarten – und bevor mich der Mut verlassen konnte – öffnete ich die Tür und betrat das Krankenzimmer, welches lediglich gedämpft erhellt wurde. Die Wände waren weiß gestrichen und von zwei Bildern mit abstrakten Motiven verziert. Unter dem Fenster, welches sich gegenüber der Tür befand, stand ein großer Holztisch mit zwei Stühlen. Ansonsten gab es noch eine weitere Tür, die jedoch geschlossen war und zum Bad führte.
Ich interessierte mich nicht sonderlich für die spärliche Einrichtung, sondern konzentrierte mich auf Gibbs, der in dem Bett aufrecht saß, was ihm durch das erhobene Kopfteil der Matratze ermöglicht wurde. Zur zusätzlichen Stütze befand sich in seinem Rücken ein großes Kissen. Er trug eines dieser grässlichen Krankenhaushemden - die einem irgendwie das Aussehen eines zum Tode Geweihten verliehen – und man konnte ein kleines Stück des weißen Verbandes erkennen, der die Schusswunde bedeckte. Um das Gelenk ruhig zu stellen, lag sein rechter Arm in einer Schlinge, die ihm sicher bereits jetzt gewaltig auf den Keks ging. Obwohl Jethro noch relativ blass war, war wieder ein wenig Farbe in sein Gesicht zurückgekehrt, aber trotzdem sah er ungewohnt kränklich aus. In seinen Augen, die mir entgegenblickten, lag ein erschöpfter Ausdruck, den ich von ihm nicht kannte. Dennoch durchfuhr mich ein Glücksgefühl, ihn so zu sehen – lebendig und nicht tot. Mir war bewusst, dass das Ganze auch ganz anders ausgehen hätte können und er nun bei Ducky in der Pathologie liegen könnte. Bei diesem Gedanken stellten sich mir sämtliche Härchen auf und ich drängte ihn mühsam zurück. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich zu überlegen, was hätte sein können. Es reichte schon, dass Gibbs wegen mir angeschossen worden war, weswegen mich bereits viel zu viele Schuldgefühle quälten. Eigentlich sollte ich derjenige sein, der in diesem Zimmer lag und nicht er.
„Tony", riss mich Abby aus meinen Gedanken und mir wurde bewusst, dass ich noch immer bei der Tür stand, die ich ganz schnell schloss. Meine drei Kollegen und Direktor Sheppard hatten sich um Jethros Bett versammelt und blickten mir nun allesamt entgegen. Ich kam mir unwillkürlich vor, als ob mich ein besonders heller Scheinwerfer anstrahlen würde. „Ich habe mich schon gefragt, wo du bleibst." „Tut mir leid", erwiderte ich und trat näher an die kleine Versammlung heran. „Ducky hat mich mit einer seiner Geschichten aufgehalten." Gibbs hob prompt eine Augenbraue, da er meine Lüge durchschaut hatte. Sein Gesichtsaudruck verriet mir, dass er wusste, dass ich mit dem Pathologen gesprochen hatte – aber die anderen schienen mir meine Ausrede abzukaufen. „Und wo ist Ducky?" fragte McGee und sah zur Tür, in der Erwartung, sie würde jede Sekunde aufgehen. „Er wollte noch einen Artikel in einer dieser Medizinzeitschriften zu Ende lesen. Außerdem meinte er, es wäre besser, wenn er erst vorbei schauen würde, wenn hier etwas Ruhe eingekehrt ist", erwiderte ich so überzeugend wie möglich, wobei mir das Zucken um Gibbs' Mundwinkel nicht entging. Ihm war wohl mehr als bewusst, dass ich nicht die Wahrheit sagte, aber er machte keine Anstalten, die anderen aufzuklären. Ich fühlte mich ein wenig unbehaglich unter seinem durchdringenden Blick und so zog ich es vor, die weiße Bettdecke zu mustern, die sicher viel zu warm für diese Jahreszeit war. Aber mein Boss hatte keinen einzigen Schweißtropfen auf der Stirn, schließlich schaffte er es sogar bei über 30 Grad im Schatten einen heißen Kaffee zu trinken, ohne dass er vor Hitze zerging.
„Doktor Mallard hat Recht", sagte Jenny und diese Worte ließen mich abrupt aufsehen. „Du brauchst jetzt unbedingt deine Ruhe, Jethro." „Mir geht es gut", meinte er mit ungewohnt kratziger Stimme und ich fragte mich, weshalb er nicht nach der Wasserflasche griff, die auf dem kleinen Nachtkästchen neben seinem Bett stand. Die Antwort gab ich mir gleich selbst: weil Wasser kein Koffein enthielt. Um mir ein Grinsen zu verkneifen, biss ich mir auf die Unterlippe und wartete auf eine Auseinandersetzung der beiden. „Du wurdest angeschossen", fuhr die Direktorin in einem scharfen Ton fort. „Der Arzt hat dich für mindestens zwei Wochen krankgeschrieben und selbst dann solltest du noch warten, bis du wieder im Außendienst arbeitest." Der Chefermittler brummte etwas, das nach „lächerlich" klang und eine Welle der Zuneigung stieg in mir auf. Er war hart im Nehmen und alleine der Gedanke, dass er mehr als einen Tag nur an seinem Schreibtisch verbringen sollte, war absurd. Ich wusste, egal wie sehr Jen dagegen wäre, wenn Jethro den Verband los war, würde er wieder aktiv auf Verbrecherjagd gehen.
„Von wegen lächerlich", sagte sie und fügte hinzu: „Wir werden dich jetzt alleine lassen, damit du wieder zu Kräften kommst. Versuch etwas zu schlafen." Sie drückte ihm die unverletzte Schulter – eine sehr vertraut wirkende Geste – und in mir stieg prompt Eifersucht auf. Eifersucht auf eine Frau, die höhergestellt war als Gibbs. Ich schluckte das Gefühl hinunter und als sich meine Kollegen von ihm verabschiedeten, blieb ich auf meinem Platz stehen und rührte mich nicht, auch nicht, als sie zur Tür gingen. „Kommst du, Tony?" fragte Ziva und drehte sich noch einmal zu mir um. „Gleich. Ich will noch kurz mit Gibbs sprechen." Sie zuckte die Schultern und Jen setzte bereits zur Widerrede an, als die junge Frau einfach die Tür schloss und somit ihren Protest im Keim erstickte, wofür ich ihr mehr als dankbar war.
Schweigen breitete sich in dem kleinen Raum aus und um irgendetwas zu tun, holte ich mir einen der beiden Stühle, stellte ihn neben das Bett und ließ mich darauf nieder. Bewusst hatte ich mich mit dem Rücken zum Fenster gesetzt, da ich wusste, ich würde sonst nur in die Nacht hinaussehen, anstatt zu meinem Boss. Nervosität befiel mich und ich knetete meine Hände. Ich fühlte mich ein wenig wie ein unartiger Junge, der wegen einem bösen Streich zum Direktor zitiert worden war. Mein Herz begann viel zu schnell zu schlagen und ich unterdrückte den Impuls, nach der Wasserflasche zu greifen, um meinen Hals zu befeuchten. Ich wusste, das Gespräch, welches ich gleich mit Gibbs führen würde, würde über unser beider Zukunft entscheiden – und darüber, wie wir miteinander umgehen würden.
„Du hast mit Ducky gesprochen?" riss er mich aus meinen Gedanken. Ich blickte auf und ihm direkt in die blauen Augen. „Er hat eher mit mir gesprochen", antwortete ich und rutsche auf der harten Sitzfläche umher, um eine angenehmere Position zu finden. „Wie viel weiß er?" „Alles." Es war besser, ihm die Wahrheit zu sagen, denn spätestens wenn der Pathologe ihn besuchen würde, würde er es sowieso erfahren. „Aber ich kann nicht wirklich etwas dafür. Irgendwie hat er gemerkt, dass zwischen uns etwas gelaufen ist." Ich hatte keine Ahnung, weshalb ich mich verteidigte, aber ich hatte das Gefühl, Gibbs würde es mir übel nehmen, dass ich mit jemandem über unsere gemeinsame Nacht geredet hatte. „Tja, Duck entgeht eben nichts", meinte er und lächelte leicht. „Es hätte mich eher gewundert, wenn er nichts bemerkt hätte." Überrascht hob ich meine Augenbrauen und zugleich war ich erleichtert, dass er mir nicht den Kopf abreißen würde. Das wäre bei nur einem funktionsfähigen Arm zwar mehr als schwer gewesen, aber Gibbs wäre nicht Gibbs, wenn er nicht eine Möglichkeit gefunden hätte, dieses kleine Problem zu umgehen.
Erneut breitete sich Schweigen aus und die Stille war mehr als drückend, aber ich wollte sie nicht unterbrechen. Ich wusste einfach nicht, wie ich anfangen sollte. Mein Gehirn fühlte sich auf einmal wie leergefegt an und mir wollten nicht die richtigen Worte einfallen. Außerdem hatte ich Angst, dass wir erneut streiten würden und somit die Kluft zwischen uns noch größer werden würde.
Ich sah zu Gibbs, in der Hoffnung, er würde das Gespräch beginnen, aber er blickte leicht geistesabwesend auf den ausgeschalteten Fernseher, der an der gegenüberliegenden Wand angebracht war. ‚Was er wohl gerade denkt?' fragte ich mich und rieb mir die geprellte Schulter, die ein wenig zu schmerzen angefangen hatte. Auf seinem Gesicht zeigte sich keine Gefühlsregung und wahrscheinlich konnte nicht einmal jemand der, telepathische Fähigkeiten besaß, herausfinden, was gerade in seinem Gehirn vorging. Auf einmal hatte ich Zweifel, dass wir heute auf einen grünen Zweig kommen würden, zumal ich die Befürchtung hegte, er würde mit mir nicht über seine wahren Gefühle reden – wenn er überhaupt welche für mich hatte. Was war, wenn ich für ihn nur weiter ein Freund sein würde, ungeachtet dessen, was wir letzte Nacht miteinander erlebt hatten? Das machte mir am meisten Angst, aber egal wie weh es tun würde, ich musste wissen, wie er zu mir stand, welche Gefühle er hatte. Mit Unwissen würde ich noch schwerer zu Recht kommen als mit der reinen Wahrheit.
Ich fuhr mir durch die Haare und obwohl ich nicht wirklich wusste, was ich sagen sollte, öffnete ich meinen Mund und lediglich vier Wörter kamen über meine Lippen: „Es tut mir leid." Gibbs riss seinen Blick vom ausgeschalteten Fernseher los und drehte seinen Kopf so schnell in meine Richtung, dass ich die Befürchtung hatte, er würde sich seine Halswirbel verrenken. Er hob seine Augenbrauen und musterte mich eindringlich, sodass ich erneut anfing auf dem unbequemen Stuhl herumzurutschen. Ich wartete gespannt auf eine Erwiderung, wobei ich damit rechnete, dass er mit einer seiner Regeln anfangen und sagen würde, man solle sich nie entschuldigen, da dies ein Zeichen der Schwäche sei. „Was tut dir leid, Tony?" fragte er jedoch ruhig, womit er mich mehr als überraschte und ich ein paar Sekunden brauchte, um mich daran zu erinnern, was ich überhaupt gesagt hatte. Ich räusperte mich. „Einfach alles", antwortete ich und hielt tapfer seinem Blick stand. „Unser Streit, die Worte, die ich dir an den Kopf geworfen habe und dass du meinetwegen angeschossen wurdest." Unwillkürlich beugte ich mich vor, legte meine Unterarme auf meine Oberschenkel und fuhr fort, bevor mich der Mut verlassen konnte. „Weswegen hast du das getan? Weshalb hast du mich aus der Schusslinie gestoßen und dadurch riskiert, selbst zu sterben? Und komm mir nicht wieder damit, dass du keinen neuen Agenten einarbeiten willst. Wir wissen beide, dass das eine Ausrede ist." Jethro schwieg und schien zu überlegen, was er sagen sollte. Ich wartete gespannt auf seine Antwort und hoffte, nein ich musste seine wahren Beweggründe erfahren. Und ich würde so weit nachhaken, bis er sich mir anvertrauen würde und wenn es die restliche Nacht und den darauf folgenden Tag dauern würde.
„Du willst die Wahrheit wissen?" fragte er nach ein paar Sekunden, die mir jedoch wie eine Ewigkeit vorgekommen waren. Ich nickte und daraufhin beugte er sich zu mir herunter, um sein Gesicht, welches er schmerzhaft verzog, möglichst nahe an meines zu bringen – dennoch änderte er seine Position nicht. In seine blauen Augen war das altbekannte Funkeln zurückkehrt und hatte die Erschöpfung verdrängt. Ich schluckte unwillkürlich und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mich unbehaglich zu fühlen begann. „Die Wahrheit ist, dass ich es nicht ertragen hätte können, dich zu verlieren." Die Worte schwebten im Zimmer und ließen mich nicht mehr los. Ich blickte Gibbs mit offenem Mund an, als ich realisierte, dass er mir mit nur einem Satz erzählt hatte, wie es in seinem Inneren aussah - er war dabei, mir seine Gefühle zu offenbaren. Mich durchströmte ein herrlich warmes Gefühl, als mir bewusst wurde, dass ich ihm anscheinend mehr bedeutete als einer seiner Agenten oder ein gewöhnlicher Freund.
Jethro lehnte sich wieder zurück und schien selbst überrascht zu sein, dass er plötzlich mit offenen Karten spielte, aber es tat unheimlich gut zu wissen, dass er mir nichts verheimlichen würde – denn dies würde er bestimmt nicht tun, nicht nachdem er gewagt hatte, den ersten Schritt zu machen.
„Weißt du, wie viele Schuldgefühle ich deswegen habe, dass du an meiner Stelle angeschossen wurdest? Diese Kugel war für mich bestimmt und meinst du etwa, ich würde es schaffen, ohne dich weiterzuleben? Vor allem mit dem Wissen, dass du für mich gestorben wärst?" Ich blickte auf meine Hände, um seinen blauen Augen zu entkommen, in denen ich jedes Mal versinken könnte. Mein Atem ging schneller als gewohnt und ich musste mich zwingen, weiter ruhig sitzen zu bleiben und nicht daran zu denken, dass ich das starke Bedürfnis verspürte, auf und ab zu laufen.
„Es war meine Entscheidung, Tony", sagte Gibbs und obwohl ich es nicht wollte, veranlasste mich der sanfte Ton in seiner Stimme dazu, aufzusehen. „Und deswegen brauchst du dir nicht die Schuld geben. Wenn einer die Schuld daran hat, dass ich angeschossen wurde, dann ist es deine verrückte Freundin Melinda." „Ex-Freundin", erwiderte ich prompt, was ihm ein kleines Lächeln entlockte. „Ich glaube, in Zukunft wirst du dir zweimal überlegen, mit welcher Frau du ausgehst." Jethro hatte es sicher nicht beabsichtigt, aber seine Worte verletzten mich. Wie konnte er nur annehmen, dass ich jetzt, nachdem wir miteinander geschlafen hatten, noch an dem weiblichen Geschlecht interessiert war? Ich schüttelte frustriert den Kopf, fuhr mir durch meine Haare und sagte eher zu der weißen Bettdecke als zu ihm: „Ich hatte noch nie so wenig Interesse an Frauen wie jetzt." Mit Mühe zwang ich mich ihn direkt anzusehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich erkannte, bei welcher Stelle unser Gespräch angekommen war – die Stelle, vor der ich mich am meisten gefürchtet hatte. „Weißt du, in einem Punkt hat Melinda Recht gehabt." Ich holte tief Luft und bevor mich der Rest Mut, den ich zusammengekratzt hatte, verlassen konnte, fügte ich schnell hinzu: „Ich stehe neuerdings auf Männer." Gibbs musterte mich schweigend und ich hatte das Gefühl, er würde in mein Innerstes sehen. „Verrückt, nicht wahr?" fuhr ich fort, da er keine Anstalten machte, etwas zu erwidern und ich war ihm deswegen sogar ein wenig dankbar. So hatte ich die Chance, endlich alles loszuwerden, bevor ich mich dafür entscheiden konnte, mich wie eine Auster zu verschließen. „Ich bin mein gesamtes Leben mit Frauen ausgegangen, hatte unzählige Freundinnen und ich hätte es nie für möglich gehalten, dass es jemals anders sein könnte. Aber du hast es geschafft, mich zu bekehren und momentan weiß ich nicht, ob ich dir dafür dankbar sein oder ob ich dich deswegen erschießen soll." Mir war mehr als bewusst, dass ich dabei war, wegen meiner nicht sehr klugen Wortwahl den Bogen zu überspannen, aber darüber konnte ich mir auch später Sorgen machen. Ich ignorierte Gibbs' bösen Blick und sprach ungehindert weiter, bevor er mich unterbrechen konnte. „Jedoch weiß ich Eines mit Sicherheit. Mir hat unsere gemeinsame Nacht ziemlich viel bedeutet, auch wenn du es anscheinend nicht so siehst." Gleich darauf hätte ich mir selbst eine saftige Kopfnuss verpassen können, als ich den verletzten Ausdruck in seinen Augen, der mir durch Mark und Bein ging, bemerkte.
„Glaubst du das wirklich?" fragte er kühl und binnen einer Sekunde hatte sich die Atmosphäre komplett verändert. Mich hätte es nicht gewundert, wenn sich plötzlich vor meinem Mund eine kalte Atemwolke gebildet hätte, so frostig kam es mir plötzlich in dem Zimmer vor. „Ich wollte…" begann ich, wurde aber sofort von einem funkelnden Blick unterbrochen, der es beinahe geschafft hätte, mein Herz zum Stehen bleiben zu bringen.
„Du kennst mich anscheinend doch schlechter, als ich angenommen habe, Tony", sagte Jethro genauso kühl wie vor ein paar Sekunden. „Glaubst du wirklich, diese Nacht ist einfach spurlos an mir vorüber gegangen? Glaubst du wirklich, die Stunden, die wir gemeinsam verbracht haben, haben mir nichts bedeutet? Ich habe dir sogar verziehen, dass du mir einen Knutschfleck verpasst hast und als du gesagt hast, es würde zwischen uns kein nächstes Mal geben, hätte ich eigentlich erleichtert sein müssen, aber das war ich nicht. Und weißt du auch weshalb? Weil ich mir innerlich gewünscht habe, dass es erneut so weit kommen würde, dass wir eine Nacht miteinander verbringen." Der letzte Satz hallte laut in meinen Ohren wider und ich starrte beschämt zu Boden. Ich konnte es nicht fassen, dass Gibbs so offen mit mir redete und seine Worte hatten es geschafft, dass ich mich jetzt mehr als mies fühlte. Seit unserem Streit vor einigen Stunden hatte ich angenommen, er würde in mir nur einen Untergebenen sehen, aber das stimmte nicht. Wie hatte ich mich nur so täuschen können? Ich blickte zu meinem Boss, dessen blaue Augen mich weiterhin kalt anfunkelten, wodurch ich mich noch schlechter fühlte. Mir wäre es lieber gewesen, wenn er mich angebrüllt hätte, aber die Worte waren so ruhig über seine Lippen gekommen, dass es mir beinahe Angst einjagte.
„Es tut mir leid", flüsterte ich fast unhörbar. „Entschuldige dich niemals, Tony. Das ist ein Zeichen der Schwäche." Seine Stimme klang zwar noch immer frostig, hatte aber zu meiner Erleichterung etwas an Wärme dazu gewonnen. „Ich weiß. Aber ich entschuldige mich trotzdem. Weil es richtig ist und weil ich es möchte." Gibbs seufzte, schüttelte leicht den Kopf und zu meiner größten Überraschung lächelte er leicht. „Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du ziemlich stur bist?" „Ja. Du, vor einer Sekunde. Und du brauchst dich deshalb nicht zu beschweren, denn dein Kopf ist härter als Granit." Ich grinste und mit einem Mal war die frostige Atmosphäre verschwunden. Das Zimmer wirkte plötzlich viel freundlicher, obwohl sich an der spärlichen Einrichtung nichts geändert hatte und ohne dass wir darüber gesprochen hatten, wusste ich, dass wir bald auf einen grünen Zweig kommen würden, was unsere gemeinsame Zukunft betraf. „Wir sind schon ein seltsames Gespann, oder?" fragte ich und lehnte mich zurück. Ich war zum ersten Mal seit der Einsatz begonnen hatte wirklich entspannt. Gibbs ließ ein Brummen hören, was ich als Zustimmung wertete. Ungeachtet dessen, dass wir jetzt lockerer miteinander umgingen, waren wir noch nicht fertig und das wussten wir beide.
„Wie geht es jetzt weiter?" wagte ich den Anfang, da ich die Befürchtung hatte, wir würden sonst nie darüber sprechen. Jethro zuckte mit den Schultern, was ihn sogleich schmerzhaft zusammenzucken ließ. „Ich weiß es nicht", gab er zu, wobei seine Stimme leicht gepresst klang, aber ich nahm an, dass das von der Wunde herrührte und nicht davon, dass er einmal keine Lösung wusste. „Nun, ich für meinen Teil kann nicht so tun, als ob zwischen uns nie etwas gelaufen wäre", sagte ich und hoffte, nicht schon wieder die falsche Wortwahl getroffen zu haben. „Das verlange ich auch gar nicht." Jethro blickte mich mit einem Lächeln an, so als ob er ein störrisches Kind vor sich hätte. „Aber ich würde es gut heißen, wenn wir es für uns behalten. Und dir muss klar sein, dass ich dich jetzt deswegen nicht bevorzugen werde. Ich bin immerhin dein Vorgesetzter." Ich seufzte und diesmal verletzten mich seine Worte nicht, da ich innerlich bereits damit gerechnet hatte. „Das weiß ich, aber ich hatte schon gedacht, ich würde jetzt weniger Kopfnüsse bekommen." „Ja, das hättest du wohl gerne", sagte er, lachte laut auf und sah mich mit dem liebevollen Blick an, der mich immer wieder aufs Neue verwunderte und der es jedes Mal schaffte, mir einen angenehmen Schauer über den Rücken zu jagen.
„Ich will ehrlich zu dir sein, Jethro", meinte ich und mir war nicht wirklich bewusst, dass ich ihn zum ersten Mal mit seinem Vornamen anredete, wobei es ihm jedoch nicht entging. Ich beugte mich vor, holte tief Luft und fuhr fort: „In den letzten Tagen habe ich Gefühle für dich entwickelt, die tiefer als Freundschaft gehen, nur weiß ich noch nicht, wie ich sie interpretieren soll. Das Ganze ist ziemlich schnell gegangen und hat mich förmlich überrollt. Es ist für mich noch immer verwunderlich, dass ich mich mit einem Mann eingelassen habe." Ich hielt inne, überlegte kurz und korrigierte schließlich den letzten Teil des Satzes. „Falsch, nicht mit irgendeinem Mann, sondern mit dir, Jethro." Ohne nachzudenken griff ich nach seiner linken Hand, umschlang seine Finger mit meinen und blickte ihm in die Augen. „Aber ich brauche Zeit. Zeit, um mir über meine wahren Gefühle klar zu werden." Gibbs sah mich weiterhin an und ich wartete gespannt auf seine Reaktion. „Ich kann jetzt nicht unbedingt behaupten, dass mir gefällt, was du da gerade gesagt hast, aber ich akzeptiere deine Entscheidung." Er drückte meine Hand und erleichtert stellte ich fest, dass der liebevolle Ausdruck nicht verschwunden war. „Und ich weiß, dass es ein Fehler wäre, wenn wir es überstürzen würden. Es wäre schade, wenn es zwischen uns nicht klappen würde, zumal ich dich ziemlich gern habe – mehr als einen Freund, Tony." Seine Stimme war immer leiser geworden, dafür hatte sie einen sanften Ton angenommen, den ich von ihm gar nicht kannte, der es aber schaffte, den riesigen Brocken, der seit unserem Streit auf meinem Herzen lastete, endgültig zu vernichten.
Unendliche Erleichterung durchflutete mich und ich lächelte breit. „Danke", sagte ich nur. „Wofür?" „Dafür, dass du mich verstehst." Unsere Finger waren noch immer verschlungen und als ich Gibbs so ansah, wurde der Wunsch, ihn zu küssen fast übermächtig. Aber ich hielt mich zurück, da ich wusste, es würde alles zunichte machen, was wir soeben nur mit Mühe wieder repariert hatten. Uns beiden war klar, dass unsere alte Freundschaft wohl nie wieder in ihrer ursprünglichen Form zurückkehren würde, aber wir konnten wenigstens normal miteinander umgehen, ohne gleich verlegen zu werden und das war immerhin ein großer Fortschritt.
Ein Klopfen riss uns aus unserer Zweisamkeit und bevor wir unsere Finger ganz lösen konnten, ging bereits die Tür auf. Ducky steckte seinen Kopf in das Zimmer und blickte uns gespannt entgegen. „Ich wollte nur mal sehen, ob ihr euch die Köpfe eingeschlagen habt, nachdem so lange nichts zu hören war." „Hey, Duck", begrüßte Gibbs seinen Freund, der dies als Aufforderung verstand, den Raum betrat und die Tür hinter sich schloss. Er kam auf uns zu, lächelte und meinte: „Wie ich sehe, habt ihr euch ausgesprochen?" Der Pathologe deutete auf unsere miteinander verschlungenen Finger. Jethro hatte erneut zugedrückt, als er bemerkt hatte, wer uns besuchen kam. „Es ist alles geregelt", antwortete er. „Das freut mich. Es wäre echt schade gewesen, wenn ihr euch nicht mehr vertragen hättet." „Finde ich auch", erwiderte ich, löste vorsichtig meine Hand aus der von Gibbs, stand auf und warf einen Blick aus dem Fenster. Erstaunt stellte ich fest, dass die Sonne langsam über den Horizont wanderte. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass wir so lange miteinander geredet hatten. „Ich werde dich jetzt alleine lassen und unsere Sachen aus dem Hotel holen. Außerdem glaube ich, dass Ducky sicher ein wenig ungestört mit dir plaudern will." Ich grinste bei der Vorstellung, dass der Pathologe seinen Freund in Kürze mit einer seiner zahlreichen Geschichten nerven würde.
„Das hätte ich beinahe vergessen. Ziva hat dafür gesorgt, dass dieser äußerst schnelle Sportwagen hierher gebracht wurde", sagte Ducky und setzte sich auf den Stuhl, von dem ich mich kurz vorher erhoben hatte. Ich nickte als Zeichen des Verständnisses, ging zur Tür und öffnete sie, als mich Gibbs' Stimme inne halten ließ. „Tony?" „Ja?" Ich drehte mich zu ihm um. „Mir ist bewusst, dass der Einsatz jetzt vorbei ist und wir wieder in unser altes Leben zurückkehren." Ich hob fragend eine Augenbraue, da ich nicht wusste, worauf er hinauswollte. „Und ich finde, du solltest den Ohrring behalten. Er gefällt mir." Überrascht blickte ich ihn an. „Du meinst, er steht mir?" „Allerdings." Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, grinste ich breit und da ich nicht wirklich wusste, was ich darauf erwidern sollte, trat ich auf den Gang hinaus und schloss die Tür.
Das Krankenhaus erwachte langsam zum Leben und auf einmal kam es mir überhaupt nicht mehr trostlos vor. Ich lehnte mich an die Wand neben dem Zimmer und griff mir an das rechte Ohr. Eigentlich hatte ich vorgehabt, den Schmuck zu entfernen, aber wenn Jethro meinte, ich solle ihn behalten, dann würde ich das auch tun - wobei mir bewusst war, dass ich das nicht musste. Nur würde ich mir einen anderen Ring besorgen, zumal dieser einem Toten gehörte.
Ich stieß mich von der Wand ab, ging Richtung Ausgang und trat kurz darauf in den herrlich frischen Morgen hinaus. Tief sog ich die Luft in meine Lungen, drehte mich noch einmal um und betrachtete das Gebäude, in dem der Mann lag, der mein gesamtes Leben verändert hatte. Noch immer konnte ich unseren Händedruck spüren und ich war unbeschreiblich glücklich. Ich wusste, es würde noch eine Zeit lang dauern, bis sich Gibbs und ich zusammengerauft hatten. Trotzdem begann die kleine Knospe der Gefühle, die gestern noch geschlossen war, aufzublühen, um sich langsam in ihrer vollen Blüte zu entfalten.

Ende!!!!
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