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Ich erstarrte vor Schreck zur Salzsäule und hätte beinahe das Glas fallen gelassen, wenn ich aus einem Reflex heraus nicht zugegriffen hätte. Das Licht der Deckenlampe wurde von dem Metall der Pistole reflektiert und ließ sie noch gefährlicher erscheinen. Die Hand, die sie hielt, steckte in einem schwarzen Handschuh und war vollkommen ruhig. Lange Finger hatten den Griff umschlungen und der Zeigefinger lag drohend um den Abzug. Der Mann, der mich mit der Waffe bedrohte, war im wahrsten Sinne des Wortes ein Riese. Ich war schon nicht klein und trotzdem überragte er mich um ein gutes Stück. Er hatte einen mächtigen Brustkorb und die dicken Muskeln, die sich unter dem langärmeligen schwarzen T-Shirt abzeichneten, ließen darauf schließen, dass er seine Freizeit ausschließlich in einem Fitnessstudio verbrachte. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass er mich mit bloßen Händen zerquetschen konnte.
Von dem Gesicht meines Gegenübers war nicht viel zu sehen, da er eine Skimaske trug. Seine Augen waren beinahe schwarz und musterten mich eiskalt von oben bis unten. In ihnen lag ein mörderischer Glanz, der mich mehr erschreckte als die Waffe in seiner Hand. Auf seinen dünnen Lippen, die beinahe blutleer waren, lag ein verkniffener Ausdruck, der ihn noch gefährlicher erscheinen ließ. Seine Beine waren von einer ebenfalls schwarzen Hose verhüllt und seine Füße steckten in festen Stiefeln, die einem bei einem harten Tritt sicher das Schienbein brechen konnten.
Unwillkürlich bildete sich in meinem Hals ein Kloß und in meinem Nacken stellten sich sämtliche Härchen auf. Obwohl er den Anschein erweckte, wirkte der Mann vor mir nicht wie ein Einbrecher. Ihn umgab eine Aura des Bösen, die die Lufttemperatur in der Küche um einige Grad sinken ließ. Auf meinem gesamten Körper bildete sich eine Gänsehaut und mir wurde eiskalt. Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Zittern.
Der Koloss vor mir machte noch immer keine Anstalten, etwas zu sagen, sondern starrte mich einfach an, so als ob er mich hypnotisieren wollte. Drückende Stille breitete sich in dem Raum aus, nur das Prasseln des Regens war zu hören. Und auf einmal erinnerte ich mich wieder an das Gefühl, beobachtet zu werden. Vor Stunden hatten sich bei mir, genauso wie jetzt, die Nackenhaare gesträubt, aber ich hatte meinen Instinkt ignoriert. Zu sehr war ich darauf fixiert gewesen, Gibbs meine Liebe zu gestehen. Gibbs! Mein Herz setzte für einen Schlag aus, als ich ihn an dachte und mein Magen verkrampfte sich vor Angst – Angst nicht um mein Leben, sondern um seines. Unwillkürlich ließ ich meinen Blick zu der Decke wandern, in der Hoffnung, ihn wohlbehalten in meinem Bett vorzufinden. Schlief er noch immer tief und fest oder war er bereits von dem Mann ausgeschaltet worden? Unbeschreibliche Furcht durchströmte mich bei diesem Gedanken und ich hatte das Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können. ‚Nein', schoss es mir durch den Kopf. ‚Jethro geht es gut. Außerdem hättest du sonst einen Schuss gehört.' Gleich darauf kam mir in den Sinn, dass er ihm vielleicht das Genick gebrochen hatte. ‚Hör auf!' schimpfte ich mich selbst. ‚Gibbs lässt sich nicht so leicht überwältigen. Schon vergessen? Er war bei den Marines.' Aber dennoch blieb Angst in meinem Inneren zurück, auch wenn ich versuchte, sie zurückzudrängen. Mit Mühe konzentrierte ich mich wieder auf mein Gegenüber, das einen Schritt nach vorne machte und mich von oben herab verächtlich musterte.
„Wo ist es?" fragte er mit einer kratzigen, tiefen Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken jagte. Verwirrt runzelte ich die Stirn, da ich ihm nicht ganz folgen konnte. Wovon sprach dieser Typ eigentlich? Hatte er sich vielleicht in dem Haus geirrt? Sollte ich ihm eventuell klar machen, dass ich Bundesagent war? Oder würde er mich dann gleich erschießen? Um diese Entscheidung hinauszuzögern, stellte ich eine Gegenfrage: „Wo ist was?" Verärgert verzog er seinen Mund, wodurch seine Lippen noch dünner wurden. Sein gesamter Körper versteifte sich, so als ob er die Geduld verlieren würde. „Das verdammte Handy", sagte er etwas lauter als zuvor. „Wo ist das verdammte Handy?" Diese Worte verwirrten mich noch mehr. Von welchem Handy redete er überhaupt? Ich hatte nur mein eigenes, wodurch sich mein Verdacht bestätigte, dass er sich wohl wirklich ihm Haus geirrt hatte. „Hören Sie", begann ich deshalb und hob beschwichtigend meine Hände. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie da sprechen. Ich habe nur mein eigenes Handy und ich denke nicht, dass es Ihnen irgendetwas nützen wird. Falls…" „Hör auf so viel zu quatschen, Bulle!" herrschte er mich an und mein Verdacht, dass er sich womöglich getäuscht hatte, ging den Bach hinunter. Anscheinend wusste er genau, wen er vor sich hatte. „Ich bin Bundesagent", erwiderte ich trotzig und umfasste das Glas in meiner rechten Hand fester. Mir war eine Idee gekommen.
Er kniff seine Augen zusammen und entsicherte seine Waffe. Überdeutlich war das Geräusch in der Küche zu hören und ich schluckte unwillkürlich. „Ich weiß, was du bist", meinte er und trat noch einen Schritt auf mich zu. „Und wenn du mir nicht sofort verrätst, wo das Handy ist, dann verpasse ich dir eine Kugel. Oder ist es dir lieber, wenn ich mich zuerst um deinen Freund kümmere?" Erleichterung durchströmte mich, als er das sagte, denn wenigstens wusste ich jetzt, dass Gibbs noch lebte und unbeschadet im Bett lag. Vielleicht bekam er ja mit, dass wir ungebetenen Besuch hatten und dann wollte ich nicht in der Haut des Mannes vor mir stecken.
Neue Zuversicht ergriff von mir Besitz und ich hob noch ein Stückchen meine Arme, allerdings nicht deswegen, um ihm zu zeigen, dass ich mich nicht wehren wollte. „Lass meinen Freund in Ruhe", erwiderte ich gespielt ängstlich und spannte meine Muskeln an. „Das liegt an dir, Bulle. Also, wo ist das Handy?" „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich Bundesagent bin!" schrie ich, hob blitzschnell meine rechte Hand und schleuderte ihm mit aller Kraft das Glas an den Kopf, wo es zersplitterte. Die Scherben landeten auf dem Boden und der Gangster griff sich reflexartig dorthin, wo er getroffen worden war. Er stöhnte schmerzhaft und schien kurz zu vergessen, weshalb er hier war.
„GIBBS!!!" schrie ich so laut ich konnte, in der Hoffnung, ich würde ihn damit aufwecken. Allerdings war ich durch meinen Ruf für den Bruchteil einer Sekunde abgelenkt und die nutzte der Einbrecher sofort aus. Bevor ich auch nur einen Schritt machen konnte, holte er aus und schlug zu – blöderweise mit der Hand, in der er die Waffe hielt. Der Lauf traf mich an der linken Wange und schrammte über meine Nase, aus der sofort Blut schoss. Vor meinen Augen blitzten kleine bunte Sterne auf und ich taumelte auf die Seite. Stechender Schmerz breitete sich von der Stelle aus, an der ich getroffen worden war und unwillkürlich griff ich mir an meine Nase. Ich schüttelte benommen meinen Kopf und als ich meine Hand wegnahm, war sie blutverschmiert.
„JETHRO!!!" schrie ich erneut, in der Erwartung, dass er mir endlich helfen würde. Kurz darauf brachte ich nur noch ein Krächzen hervor, da mich der Angreifer mit seiner freien Hand am Hals packte, mich gegen die Anrichte drückte und mir den Atem abschnürte. Ich öffnete meinen Mund, um Luft zu holen, aber der einzige Erfolg war, dass sich darin ein ekliger metallischer Geschmack ausbreitete. In dem Versuch, den Griff zu lockern, umfasste ich mit beiden Händen das Handgelenk des Mannes, aber er hielt mich eisern fest. „Sag mir sofort, wo das verdammte Handy ist", fauchte er und drückte noch eine Spur fester zu. Das Einzige, was ich ihm als Antwort gab, war ein Krächzen. Verzweifelt versuchte ich weiter zu atmen, jedoch erfolglos. Mein Gehirn schrie nach Sauerstoff und vor meinen Augen begannen erneut die bunten Sternchen zu tanzen.
In meiner Verzweiflung löste ich eine Hand von dem Gelenk des Einbrechers und griff hinter mich, um einen Gegenstand zu ertasten, mit dem ich mich verteidigen konnte. Als ich schon dachte, ohnmächtig zu werden, stießen meine Finger auf ein Hindernis – etwas Hölzernes. Ich wusste, was es war und ließ meine Hand nach oben wandern, wo sie einen harten Griff umschloss. Meine gesamte verbliebene Kraft zusammennehmend, zog ich das Messer aus dem Block heraus und rammte es meinem Gegenüber in einer einzigen fließenden Bewegung in den Rücken.

Gibbs wachte aus einem ungewohnt tiefen Schlaf auf und er fühlte sich außergewöhnlich entspannt, obwohl sein Körper noch immer müde war. Die Erinnerung an die letzten Stunden zauberte ihm ein Lächeln auf die Lippen und für einen kurzen Moment spürte er noch einmal Tonys geschickte Finger, die ihm beinahe den Verstand geraubt hatten. Zuerst war er wirklich wütend geworden, weil dieser einfach die Führung haben wollte, aber als er dann von seiner Zunge immer wieder gereizt worden war, hatte er einfach nicht mehr anders gekonnt, als ihm die Kontrolle zu überlassen – und es hatte sich überraschend gut angefühlt. Zum ersten Mal in seinem Leben bereute er es nicht, jemand anderem die Zügel in die Hand gegeben zu haben. Und die Erfahrung, die er dadurch gewonnen hatte, war unbezahlbar. Sein junger Freund hatte es geschafft, ihn alleine mit seiner Zunge und seinen Lippen derart zu liebkosen, dass er jetzt noch die Hitze in seinem Körper spürte, die ihn erfasst hatte. Selbst bei ihrer ersten gemeinsamen Nacht in dem Hotelzimmer hatte ihn nicht so eine Leidenschaft ergriffen, wie es diesmal der Fall gewesen war – aber an diesem Abend war es auch komplett anders gewesen. Diesmal musste er sich nicht über mögliche Konsequenzen den Kopf zerbrechen oder darüber nachdenken, wie sie jetzt miteinander umgehen sollten. Es gab keine Verlegenheit mehr zwischen ihnen, sondern pure Harmonie und Liebe – eine Liebe, die er nie für möglich gehalten hatte. Selbst als er verheiratet gewesen war, hatte er sich nicht so glücklich gefühlt und tief in seinem Inneren spürte er genau, dass die Beziehung mit Tony etwas Dauerhaftes war. Er fühlte sich zu dem Mann hingezogen, wie er sich noch zu keiner anderen Person hingezogen gefühlt hatte und alleine wenn er an den Namen seines Freundes dachte, machte sein Herz einen Hüpfer, der ihm vollkommen neu, aber nicht unangenehm war.
Jethro war froh, dass er es endlich gewagt hatte, über seine Gefühle zu sprechen, was ihm überraschend leicht gefallen war. Als Anthony ihm gesagt hatte, dass er ihn liebte, war plötzlich alles einfach gewesen und die Worte waren ihm ganz leicht über die Lippen gekommen.
Als ihn sein Kollege zuvor im Büro gefragt hatte, ob er ein Bier mit ihm trinken wollte, hatte er unwillkürlich Angst bekommen. Irgendwie hatte er geglaubt, er würde unter ihre Beziehung, die zu dieser Zeit noch nicht einmal angefangen hatte, einen Schlussstrich ziehen. Er hatte sich selbst dafür verflucht, dass er Tony ständig herumgescheucht und heute Morgen so angeschrieen hatte. Gibbs hatte sich bereits zahlreiche Entschuldigungen dafür zu Recht gelegt, dass er ihn angebrüllt hatte. Er wollte ihn nicht verlieren, aber seine Angst hatte sich schließlich als unbegründet herausgestellt. Die Blase des Glücks, die in seinem Inneren angeschwollen war, als er erfahren hatte, weshalb er wirklich bei seinem Kollegen im Wohnzimmer saß, war jetzt, Stunden später, noch immer vorhanden und schien auch nie wieder verschwinden zu wollen.
Zufrieden mit sich und der Welt, streckte er seine Hand aus und wollte sie auf Tony legen, aber er griff ins Leere. Verwundert öffnete Gibbs seine Augen. Das Schlafzimmer wurde von der Lampe auf dem Nachttisch gedämpft erhellt und zum ersten Mal nahm er die hellen Möbel des Raumes, die strategisch platziert worden waren, wahr. Allerdings konzentrierte er sich sofort wieder auf die Seite des Bettes, die leer war. Deutlich konnte er den Abdruck von DiNozzos Kopf auf dem Polster erkennen und als er seine Hand auf die Matratze legte, stellte er fest, dass die Stelle noch warm war. Also war der junge Mann noch nicht lange weg, aber er wusste, er würde bald wieder zurückkommen. Es gab ja nicht viele Möglichkeiten, wo er sein konnte. Wahrscheinlich war er auf der Toilette oder unten, um sich etwas zu trinken zu holen – oder etwas zu essen.
Die paar Minuten würde er auch alleine aushalten – hoffte er jedenfalls. Jethro rückte etwas näher an die Stelle, wo Tony gewesen war, holte tief Luft und sog den schwachen Duft, den dieser hinterlassen hatte, ein. Auch wenn er noch immer müde war, wollte er im Moment nicht mehr schlafen. Wenn er es sich recht überlegte, wollte er jetzt etwas anderes tun. Bei dem Gedanken daran, wie er bald wieder durch die wuscheligen Haare seines Freundes fahren würde, wurde ihm ganz warm und das Lächeln auf seinen Lippen wurde noch breiter. Eine Sekunde später jedoch verschwand es aus seinem Gesicht, als er das Geräusch zersplitternden Glases hörte. Abrupt setzte er sich auf und sein Herz fing schneller an zu schlagen. „GIBBS!!!" Der Schrei nach ihm jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken. Es war unverkennbar Tony und in seiner Stimme war Panik zu hören. Angst breitete sich in seinem Inneren aus und verdrängte die Glücksblase. Er wusste sofort, dass etwas nicht stimmte und er sprang förmlich aus seinem Bett. Hatte sich sein Freund etwa geschnitten, als er das Glas hatte fallen lassen und war jetzt am verbluten? Nun war es an ihm, dass er Panik verspürte. Von unten drangen ein gedämpftes Geräusch und ein leiser Schmerzenschrei, der jedoch laut in seinem Kopf widerhallte, an seine Ohren.
„JETHRO!!!" Erneut rief Tony nach ihm und ihm stellten sich sämtliche Nackenhaare auf. Nein, er war sicher nicht am verbluten, das verriet ihm sein Instinkt, der ihn jahrelang nicht im Stich gelassen hatte. Da stimmte etwas anderes nicht und plötzlich hatte er das Gefühl, dass sie nicht mehr alleine in dem Haus waren. Hatte er vielleicht einen Einbrecher überrascht? „Wieso gerade heute?" fragte er leise und schnappte sich seine Boxershorts vom Boden, in die er schnell hineinschlüpfte. Schließlich nahm er sich seine Waffe, die neben seiner Hose lag, und entsicherte sie. Leise aber schnell ging er auf den Gang hinaus und zur Treppe, die er hinunterschlich. Im Wohnzimmer brannte ebenfalls Licht und enthüllte das kleine Chaos, das sie hinterlassen hatten.
Die Tür, die in die Küche führte, war nur angelehnt und dahinter konnte er ein leises Krächzen hören, gefolgt von einem überraschten Aufschrei, der sicher nicht von Tony stammte, das erkannte er an der Stimme. Seine Befürchtung, dass sie nicht alleine waren, hatte sich also bestätigt. Die Angst um seinen Freund wurde noch stärker und ohne zu überlegen, trat er mit einem Fuß gegen die Tür, die aufschwang und mit einem Krachen gegen die Wand schlug. Mit schussbereiter Waffe stürmte er in die Küche, blieb aber abrupt stehen, als er die Szene, die sich ihm bot, sah. Ein paar Schritte vor ihm stand Anthony, die linke Wange geschwollen und blau verfärbt. Seine Nase blutete heftig und die rote Flüssigkeit rann ihm über Mund, Kinn und war teilweise auf seine nackte Brust getropft. Seine Hände waren ebenfalls voller Blut und zu seinen Füßen lag der leblose Körper eines komplett in Schwarz gekleideten großen Mannes, in dessen Rücken unübersehbar ein Messer steckte. Unbeschreiblich erleichtert darüber, dass sein Freund – der wie hypnotisiert auf seine blutigen Hände starrte – noch lebte, eilte er auf ihn zu, um ihn fest zu umarmen.

Fortsetzung folgt...
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