- Text Size +
20 Minuten später betrat ich wieder das Wohnzimmer – geduscht und in frischer Kleidung. Ich hatte mich gründlich geschrubbt und jetzt, da endlich das Blut von meiner Haut verschwunden war, fühlte ich mich gleich viel besser, beinahe wie neu geboren. Allerdings hatte ich nach einem Blick in den Badezimmerspiegel festgestellt, dass ich in den nächsten Tagen mit einer äußerst hübschen Prellung auf meiner Wange herumlaufen würde. Sie schillerte in einem intensiven Blau und schmerzte, wenn ich nur das Gesicht verzog. Die Haut war an der Stelle geschwollen, aber das war wahrscheinlich das kleinste Problem. Meine Nase tat zwar immer noch weh, aber nicht mehr so schlimm wie noch vor der Dusche. Gibbs' Tätigkeit als Arzt hatte anscheinend Wunder gewirkt und die Kühle des Tuches hatte mir Linderung verschafft. Ich wusste, ich würde deswegen nicht um eine Untersuchung von Ducky herumkommen, auch wenn ich mich strikt weigern würde – aber einen Versuch war es auf jeden Fall wert.
Nach dem ersten Schritt in mein Wohnzimmer blieb ich abrupt stehen und nahm das Bild, welches sich mir bot, förmlich in mich auf. Jethro stand bei der Couch und drehte mir halb den Rücken zu. Er trug seine Jeans, die er sich aus dem Schlafzimmer geholt hatte und sein weißes T-Shirt, von dem ich wusste, dass es bei der Terrassentür gelegen hatte. Seine Haare waren noch immer leicht zerzaust und das silberne Armband, welches er nie ablegte, glitzerte im Schein der Deckenlampe. Ich sah zu, wie er sich bückte, mein Hemd, das er mir ungeduldig ausgezogen hatte, aufhob und anfing, es zusammenzulegen. Auf mich machte er plötzlich den Eindruck, als ob er noch nie etwas anderes getan hätte und mit großer Verblüffung stellte ich fest, dass er perfekt in mein Wohnzimmer passte. Er schien sich in dieser Umgebung wohl zu fühlen, das sah ich an seiner entspannten Körperhaltung.
Bei dem Gedanken, dass Gibbs das kleine Chaos beseitigte, welches wir hinterlassen hatten, wurde mir ganz warm ums Herz. Auf meinen Lippen bildete sich ein kleines Lächeln und für einen kurzen Moment vergaß ich, dass in meiner Küche ein Toter lag, in dessen Rücken ein langes Messer steckte. Ich hatte nur Augen für den Mann, der mein Boss war, mein Liebhaber und mein Freund. Hier in diesem Raum hatte sich heute etwas in unserem Leben geändert, in einem Leben, das wir in Zukunft gemeinsam verbringen würden. Noch immer konnte ich es nicht ganz fassen, dass Jethro mich liebte, denn ich hatte immer angenommen, für ihn wäre sein Boot das Wichtigste. Jetzt hatte es allerdings den Anschein, als ob er es nicht einmal ansatzweise vermissen würde und dass er sich lieber bei mir aufhielt als in seinem Keller. Ich hatte sogar das Gefühl, dass er innerhalb der wenigen Stunden, die wir gemeinsam in meinem Bett verbracht hatten, eine Wandlung durchgemacht hatte. Er war nicht mehr schlecht gelaunt, seine blauen Augen sprühten keine gefährlichen Funken mehr und er sprach meinen Namen mit einer Zärtlichkeit aus, die mir einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. Gibbs zeigte mir offen, was er fühlte und versteckte seine Gefühle nicht mehr hinter einer griesgrämigen Miene, wie er es so oft getan hatte. Dieser neue Charakterzug an ihm machte ihn sogar noch männlicher.
Mein Lächeln wurde noch breiter, als ich beobachtete, wie er mein Hemd an seine Nase hob, daran schnupperte und kurz die Augen schloss. Er schien gar nicht zu bemerken, dass er nicht mehr alleine war und das gab mir die seltene Gelegenheit, ihn Dinge tun zu sehen, die er normalerweise unterließ. Ich hätte jetzt stundenlang so dastehen können, nur damit beschäftigt, ihn zu mustern, wie er an meinem Kleidungsstück roch.
„Wenn dir mein Hemd so gut gefällt, dann kann ich es dir auch schenken", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen und sah mit einem breiten Grinsen zu, wie sich Jethro versteifte, ihm besagter Gegenstand fast aus der Hand fiel und er sich blitzschnell zu mir umdrehte. Wenn mich nicht alles täuschte, wirkte er peinlich berührt und er wich für eine Sekunde meinem Blick aus, bevor er sich doch dazu entschloss, mich direkt anzusehen. „Ich habe gar nicht bemerkt, dass du bereits mit dem Duschen fertig bist", meinte er, nachdem er sich geräuspert hatte und legte mein Hemd auf die Couch. „Das ist mir nicht entgangen", erwiderte ich noch immer grinsend und ging auf ihn zu. „Seit wann stehst du schon hinter mir?" „Lange genug, um mitzubekommen, dass du wie selbstverständlich mein Wohnzimmer aufräumst und dabei ausreichend Zeit findest, verträumt an meinem Hemd zu schnuppern." „Ich bin nicht verträumt", gab er etwas schroff von sich und verschränkte demonstrativ die Arme vor seiner Brust - ein Anblick, der mein Blut unvermittelt in Wallung versetzte. Ich schluckte mühsam und versuchte die Erregung zu ignorieren, die in mir aufstieg. Jetzt war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt dafür, über ihn herzufallen. Deshalb steckte ich meine Hände in die Hosentaschen, um gar nicht erst in Versuchung zu geraten. „Hör auf, mich so anzusehen, wenn du nicht willst, dass du in ein paar Sekunden flach auf dem Rücken liegst." Gibbs hob eine Augenbraue und ließ seine Arme sinken. Es zuckte verräterisch um seine Mundwinkel und in seinem Blick trat eine Begierde, die mich ganz kribbelig machte.
Ich seufzte leise, verbannte die Ameisen, die über meinen Körper strömten, wieder in ihr Gefängnis und setzte mich auf das Sofa. „Ich muss mit dir reden", sagte ich ernst und bedeutete ihm, sich neben mich zu setzen. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde verschwand das Verlangen aus seinen Augen und sein Gesichtsausdruck wurde besorgt. „Was ist los, Tony?" fragte er und ließ sich schließlich neben mir nieder. „Geht es dir nicht gut? Hat deine Nase wieder angefangen zu bluten? Oder…?" Ich schüttelte den Kopf und legte beruhigend eine Hand auf seinen Unterarm. „Nein, es ist alles in Ordnung. Ich fühle mich super, jetzt wo ich das ganze Blut losgeworden bin. Es geht um etwas anderes." Erleichterung verdrängte die Sorge aus Jethros Miene und er musterte mich neugierig. Ich holte noch einmal tief Luft und sprach endlich die Worte aus, die mir seit dem Tod des Mannes nicht mehr aus dem Kopf gingen. „Ich glaube, der Typ ist nicht zufällig bei mir eingebrochen." Mein Boss riss verblüfft seine Augen auf und rückte unwillkürlich näher an mich heran. „Soll das etwa heißen, er hat sich dich als Opfer ausgesucht?" Ich nickte und fuhr fort: „Genau. Zuerst habe ich gedacht, er hat sich im Haus geirrt und ist bei dem Falschen eingedrungen. Aber er hat genau gewusst, dass ich Bundesagent bin. Das hat er mir sozusagen auf die Nase gebunden. Was ich jedoch nicht verstehe, ist, dass er nach einem Handy gesucht hat. Ich habe keine Ahnung, was er damit gemeint hat, zumal ich gesagt habe, dass ich nur mein Eigenes besitze. Aber er hat das einfach ignoriert und weiter befohlen, ihm ein Handy zu geben. Und bevor ich näheres herausfinden konnte, kam es zu dem Kampf." Verwirrt runzelte Gibbs seine Stirn und ein paar Sekunden herrschte Schweigen, in dem er über meine Worte nachdachte. „Und du bist dir sicher, dass er nicht dein Handy haben wollte?" fragte er schließlich nach. „Ganz sicher. Sonst hätte er sich ja meines nehmen können, als ich gemeint habe, ich würde nur dieses besitzen. Was glaubst du, hat das zu bedeuten?" Er seufzte leise und antwortete: „Ich habe keine Ahnung, Tony. Anscheinend hat jemand angenommen, dass du etwas hast, was ihm gehört. Vielleicht hat er sich wirklich nur getäuscht." „Aber woher hat er dann gewusst, dass ich Bundesagent bin? Das kann kein Zufall sein. Außerdem habe ich das Gefühl, da steckt mehr dahinter." Frustriert fuhr ich mir durch meine Haare und ließ mich gegen die Rückenlehne sinken. Ich konnte es einfach nicht ausstehen, wenn ich nicht wusste, was vor sich ging und schon gar nicht, wenn es mich selbst betraf. Obwohl der Einbrecher nun tot in meiner Küche lag, glaubte ich nicht, dass die Sache damit ausgestanden war. Mein Instinkt verriet mir, dass ich in etwas hineingezogen worden war, das ich überhaupt nicht verstand.
„Hey." Gibbs umfasste mein Gesicht mit beiden Händen und drehte es so, dass ich ihn ansehen musste. Seine Augen musterten mich intensiv und unwillkürlich fühlte ich mich beschützt. „Ich bin mir sicher, für die ganze Sache gibt es eine logische Erklärung. Glaub mir, wir werden herausfinden, was es mit diesem mysteriösen Handy auf sich hat. Und egal was noch passieren wird, wir werden das zusammen durchstehen. Außerdem sind da noch Ziva, McGee, Abby und nicht zu vergessen, Ducky." Jethros Zuversicht, dass alles gut werden würde, übertrug sich auf mich und schließlich nickte ich. „Du hast Recht", sagte ich. „Ich sollte den Teufel nicht gleich an die Wand malen." Sanft löste ich seine Hände von meinem Gesicht, beugte mich vor und drückte meine Lippen auf seine. Unser Kuss wurde mit jeder Sekunde leidenschaftlicher und wir suchten die körperliche Nähe des jeweils anderen. Gibbs fuhr mit seinen Fingern durch meine Haare, zerzauste sie und als ich gerade dabei war, die Geschehnisse der letzten halben Stunde zu vergessen, löste er sich aus unserer Umarmung. Er sah mich liebevoll an, aber ich wusste sofort, dass es einen Grund gab, weshalb er den Kuss unterbrochen hatte, zumal er leicht an seiner Unterlippe herumkaute – ein mehr als ungewöhnlicher Anblick.
„Anscheinend bin ich nicht der Einzige, der etwas auf dem Herzen hat", meinte ich deshalb. „Also, was ist los?" Er nahm meine Hände in seine, sah sich kurz in dem Wohnzimmer um, bevor er mir in die Augen blickte. „Das was ich jetzt gleich sage, wird dir sicher nicht gefallen, Tony." Seine Stimme hatte einen ernsten Ton angenommen und mich überkam leichte Angst. Mein Herz krampfte sich zusammen und obwohl ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, erkannte Jethro sofort, was in mir vorging. Beruhigend drückte er meine Hände und fuhr fort, bevor ich voreilige Schlüsse ziehen konnte. „Wie du ja weißt, habe ich vorhin Ducky angerufen und gleich darauf Ziva und McGee. Vielleicht hat der Einbrecher ja ein paar Spuren hinterlassen, die uns weiterhelfen könnten, etwas Licht in die ganze Sache zu bringen. Jedenfalls kommen die drei gemeinsam hierher und es ist so, dass…" Er brach ab und suchte nach den richtigen Worten, aber ich ahnte bereits, worauf er hinauswollte. Allerdings wusste ich nicht, ob ich deswegen erleichtert oder wütend sein sollte.
„Ducky weiß ja, was wir füreinander empfinden", fuhr Gibbs fort und seine Stimme wurde mit jedem Wort fester. „Aber Ziva und McGee haben keine Ahnung. Wenn es nach mir ginge, würden sie es sofort erfahren, wenn sie durch die Tür kommen. Von mir aus kann es die gesamte Menschheit wissen, dass ich dich liebe, Tony." Seine Worte berührten mich auf eine seltsame Art und Weise und obwohl ich es gerne hätte, konnte ich einfach nicht böse auf ihn sein. Die Tatsache, dass er unsere Beziehung in die Welt hinausposaunen wollte, erfüllte mich mit purer Freude und Glück und verhinderte, dass sich in meinem Inneren Schmerz ausbreitete.
„Aber du willst den beiden verschweigen, dass wir ein Paar sind, nicht wahr?" fragte ich leise, drückte aber verständnisvoll seine Hände. „Ja. Jedenfalls bis diese Sache ausgestanden ist. Sie sollen sich darauf konzentrieren, Spuren zu finden und nicht ständig uns beide ansehen. Und ich bin mir sicher, dass das passieren wird, wenn die beiden erfahren, dass wir zusammen sind." Bei dieser Vorstellung fing ich unwillkürlich zu grinsen an. Vor meinen Augen entstand eine Szene, in der sich Ziva und McGee bei mir im Wohnzimmer befanden und mich und Gibbs entgeistert anstarrten, kurz nachdem wir sie über unsere Beziehung aufgeklärt hatten. Ich konnte die offenen Münder der beiden förmlich vor mir sehen.
„Ziva würde es wahrscheinlich für einen schlechten Scherz halten, dass ich jetzt auf Männer stehe. Oder besser gesagt, auf einen Mann. Und McGee würde anfangs seine Schuhe mustern und dann unverständliches Zeugs stammeln. Tja, und Abby würde es sicher krass finden und mich in dem Versuch, mir zu gratulieren, halb zerquetschen. Ich nehme an, dass wir es ihr auch noch nicht sagen, oder?" Jethro nickte und ich konnte die Erleichterung auf seinem Gesicht ablesen. „Du bist mir also nicht böse?" fragte er eine kleine Spur unsicher. „Nein", antwortete ich ihm und rückte näher an ihn heran. „Du hast Recht. Wir sollten uns alle darauf konzentrieren herauszufinden, was es mit diesem Handy auf sich hat. Und wenn alle anderen über unsere Beziehung diskutieren, ist das sicher nicht hilfreich. Also bleibt es noch eine kleine Weile unser Geheimnis." „Danke, Tony", sagte er und legte eine Hand auf meine rechte Wange. „Danke dafür, dass du mich verstehst." Und bevor ich etwas darauf erwidern konnte, küsste er mich zärtlich.

Fortsetzung folgt...
You must login (register) to review.