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Es war kurz vor halb vier, als Ziva und McGee endlich damit fertig waren, mein gesamtes Haus nach Spuren zu durchsuchen. In dieser Zeit hatte Gibbs drei Tassen Kaffee – den ich für ihn extra stark gemacht hatte - getrunken, während ich nur eine geschafft und den Rest nicht angerührt hatte, aus Angst, innerhalb der nächsten Stunde an einem Herzinfarkt zu sterben. In dem Gebräu war so viel Koffein enthalten gewesen, dass man damit gut und gerne eine ganze Kompanie Marines aus dem Tiefschlaf aufwecken hätte können. Obwohl ich es mit etlichen Löffeln Zucker entschärft hatte, war ich jetzt putzmunter und konnte mir nicht vorstellen, auch nur ein Auge zu schließen. War ich vor dem Einbruch noch hundemüde gewesen, so fühlte ich mich jetzt, als ob ich Bäume ausreißen könnte.
Jethro und ich hatten innerhalb von 15 Minuten meine Küche wieder auf Vordermann gebracht. Das Blut war vom Boden verschwunden, genauso wie die Glasscherben und die Fliesen glänzten nun wie neu. Auch wenn nichts mehr daran erinnerte, was in diesem Raum vor ein paar Stunden geschehen war, hatte sich das Ereignis in meinem Gehirn eingebrannt. Allerdings machte es mir nicht mehr so viel aus, mich hier aufzuhalten und mittlerweile war mir bewusst geworden, dass ich nicht anders hätte reagieren können. Wie McGee so schön gesagt hatte, hatte ich verdammtes Glück gehabt, dass nicht ich derjenige war, der bei Ducky in der Pathologie gelandet war. Meine gute Laune war wieder zurückgekehrt und während meine Kollegen mein Haus auf Spuren durchsucht hatten, hatte ich mich faul auf die Couch gelegt - zugegeben, erst nachdem Gibbs es mir unverhohlen befohlen hatte. Ich hatte vor gehabt, bei der Suche zu helfen, aber er hatte es mir schlichtweg verboten und gemeint, ich solle mich ausruhen. Zuerst hatte ich mich geweigert und mich trotzig wie ein kleines Kind dagegen gewehrt, hatte aber schließlich doch nachgegeben, als ich gemerkt hatte, dass an seiner Schläfe gefährlich eine Ader gepocht hatte. Und da ich nicht wollte, dass wir gleich in den ersten Stunden unserer Beziehung einen Streit hatten, hatte ich mich brav hingesetzt, die Füße auf den Tisch gelegt und ferngesehen. Jethro hatte zufrieden genickt, mir liebevoll die Haare zerzaust – die anderen waren nicht im Wohnzimmer gewesen – und hatte dann Ziva und McGee geholfen. Hin und wieder hatte er nach mir gesehen und überprüft, ob ich brav sitzen geblieben war und da ich wusste, wie unausstehlich er sein konnte, wenn man einem seiner Befehle nicht Folge leistete, war ich faul auf der Couch sitzen geblieben und hatte mir die Wiederholung eines Spielfilmes vom Vorabend angesehen.
Jetzt, mehr als zwei Stunden später, waren meine Kollegen endlich dabei, ihre Sachen einzupacken. Da die beiden ebenfalls von dem Kaffee getrunken hatten, wirkten sie ein wenig aufgekratzt und überhaupt nicht müde. Anscheinend würde ich nicht der Einzige sein, der heute Nacht kein Auge schließen würde.
„Keine Einbruchsspuren", sagte McGee und zog den Reißverschluss seiner Jacke zu. „Bei keinem Fenster, die Eingangstür ist auch unbeschädigt und im Keller war ebenso nichts zu finden. Wenn ihr mich fragt, muss es ein Profi gewesen sein." Ich schaltete den Fernseher stumm und sah zu meinen Kollegen, die sich für den Aufbruch fertig machten. „Es gibt keine einzige Spur?" fragte ich verblüfft nach und runzelte die Stirn. Ziva schüttelte ihren Kopf, nahm ihren Rucksack, hielt aber in ihrer Bewegung inne. Ich konnte förmlich erkennen, wie es hinter ihrer Stirn klick machte. „Nun, es gibt da schon eine Möglichkeit, wie er hier eingedrungen sein könnte." Bei diesen Worten hob selbst Gibbs den Kopf und sah die Agentin neugierig an. „Und wie?" wollte ich wissen und stand auf. „Hast du deine Haustür überhaupt abgeschlossen, als du schlafen gegangen bist?" „Na ja…" begann ich, brach aber ab und blickte zu Jethro, der eine Augenbraue hob. Ich dachte an den Abend zurück. Ich hatte die Tür zugemacht, aber nicht abgesperrt. Und nachher war ich viel zu beschäftigt gewesen, um auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. „Das habe ich wohl vergessen", nuschelte ich leicht verlegen und ließ mich wieder auf das Sofa fallen. Ein einziges Mal vergaß ich, die Tür zuzusperren und das nutzte gleich ein Einbrecher aus. Allerdings wurde mir im selben Moment bewusst, dass er sonst irgendeinen anderen Weg gefunden hätte, bei mir einzudringen.
„Dann solltest du in Zukunft wohl besser aufpassen, Tony", meinte Gibbs, der nur allzu gut wusste, weshalb ich die Türe nicht versperrt hatte. Im Prinzip waren wir beide schuld daran, was er aber nie zugeben würde. „Ich weiß", murmelte ich und sah ihn entschuldigend an, obwohl ich keine Ahnung hatte, weshalb ich das tat. „Vielleicht solltest du dir einen Wachhund zulegen", schlug McGee vor und hängte sich seinen Rucksack um. „Oder eine Alarmanlage", fügte Ziva hinzu und grinste. Ich zuckte nur die Schultern, da ich gerade überhaupt keine Lust verspürte, darüber nachzudenken. Ein wenig enttäuscht darüber, dass ich mir mit ihr kein Wortgefecht liefern würde, verabschiedete sie sich von mir und ging zur Tür, dicht gefolgt von McGee und Gibbs, der sie dort hin brachte. Ich hörte Worte wie „pünktlich um sieben" und „nicht zu spät kommen". Kurz darauf war das Geräusch der zufallenden Tür zu hören und Jethro kam eine Sekunde später zu mir ins Wohnzimmer zurück.
„Ich kann es nicht fassen, dass ich einfach vergessen habe, zuzusperren", sagte ich und fuhr mir durch die Haare. „Dadurch habe ich es ihm nur leichter gemacht." Er setzte sich zu mir aufs Sofa und drehte sich so, dass er mich direkt anblicken konnte. „Hör auf, dir Selbstvorwürfe zu machen, Tony. Er wäre so oder so hier herein gekommen. Und so weit ich mich erinnere, hattest du etwas anderes zu tun, als dir Gedanken über eine abgesperrte Tür zu machen." Ich legte meinen Kopf leicht schief und grinste. „Stimmt. Im Prinzip bist du genauso schuld wie ich." Gibbs kniff kurz seine Augen zusammen und ich hatte schon die Befürchtung, er würde mir eine Kopfnuss verpassen, aber er behielt seine Hände brav bei sich. Stattdessen seufzte er leise und verschränkte seine Finger mit denen meiner rechten Hand. „Ich schätze, das kann ich nicht einmal abstreiten", meinte er und ich grinste noch breiter. „Also gibst du zu, dass ich Recht habe?" bohrte ich nach, unfähig, meinen Mund zu halten. Er brummte etwas Unverständliches, so wie er es immer tat, wenn er nicht wusste, was er sagen sollte – was äußerst selten vorkam. Und dass ausgerechnet ich es geschafft hatte, erfüllte mich mit Stolz.
„Lass uns schlafen gehen", meinte er stattdessen, um vom Thema abzulenken. „Ich habe so das Gefühl, dass heute noch ein harter Tag werden wird. Außerdem beginnt der Dienst in 3 ½ Stunden." Jetzt war es an mir, leise zu seufzen. „Können wir nicht ausnahmsweise später anfangen?" Gibbs schüttelte den Kopf, womit ich bereits gerechnet hatte. „Nein, auch wenn der Gedanke daran mehr als verlockend ist. Ich will so schnell wie möglich wissen, was es mit diesem Handy auf sich hat und ich bin mir sicher, dass dieser Mann nicht alleine hinter der Sache steckt. Und ich will diese Verbrecher schnappen, die hinter meinem Freund her sind." Bei den letzten Worten vollführte mein Herz einen großen Hüpfer. Ich hob unwillkürlich meine freie Hand und legte sie ihm auf die Wange. „Was?" fragte er irritiert. „Ich liebe es, wenn du mich als deinen Freund bezeichnest", antwortete ich ihm und rückte näher an ihn heran. Jethro lächelte liebevoll. „Na, das bist du doch auch." Gleich darauf überbrückte er die letzte Distanz zwischen uns und küsste mich zärtlich. Es lag keine Leidenschaft darin, sondern nur die Gefühle, die er für mich hegte. Für mich war es immer wieder ein Wunder, dass dieser Mann, der so oft schlecht gelaunt und wütend dreinblickend durch die Gegend lief, so unendlich sanft sein konnte. Und mir war nur zu bewusst, dass ich es war, der in ihm diese Seite zum Vorschein gebracht hatte, von der ich geglaubt hatte, sie würde nicht existieren. Ich verzog meine Lippen zu einem Lächeln, weshalb Gibbs sich schlussendlich von mir löste. „Was ist?" fragte er. Ich schüttelte den Kopf, zog ihn an mich und umarmte ihn fest. „Ich bin einfach nur froh, dass du bei mir bist", flüsterte ich ihm ins Ohr. Ich schloss meine Augen und genoss seine Nähe, seine körperliche Wärme.
„Ich auch", erwiderte Jethro genauso leise, fuhr mit seinen Fingern sachte über meinen Rücken, womit er mir eine Gänsehaut verursachte. Ich erschauerte und er presste mich kurz ganz fest an sich, bevor er mich losließ. „Und jetzt lass uns endlich schlafen gehen." Er wollte schon aufstehen, als ich seinen Unterarm umfasste und ihn wieder zurückzog. „Ich weiß genau, dass ich kein Auge zumachen werde. Der Kaffee hatte so viel Koffein, dass ich wohl bis morgen Abend putzmunter sein werde. Können wir nicht einfach hier herunten bleiben und noch ein wenig fernsehen?" Verblüfft hob er eine Braue, ließ sich aber wieder auf das Sofa nieder. „Du willst fernsehen?" fragte er nach, nicht sicher, ob er mich richtig verstanden hatte. „Das hast du doch die letzten Stunden gemacht." „Ja, aber nur, weil du nicht wolltest, dass ich euch bei der Spurensuche helfe." Gibbs musterte mich prüfend, suchte Anzeichen nach Müdigkeit, aber als er keine fand, fügte er sich in sein Schicksal. „Na schön, aber kein Magnum." „Was magst du denn nicht an Magnum?" wollte ich wissen, schnappte mir die Fernbedienung und stellte den Ton wieder an. „Hast du dir einmal diesen Ferrari angesehen, den er fährt? Einfach traumhaft und dann Hawaii. Ich bitte dich, selbst dir müssten diese langen Sandstrände gefallen und…" „Tony", unterbrach er mich. „Schon gut, ich halte ja die Klappe", kam ich ihm zuvor, da ich genau wusste, was er sagen wollte.
Zufrieden nickte er, rückte nahe an mich heran, legte seinen linken Arm um meine Schultern und lehnte sich gemütlich zurück. Ich entledigte mich meiner Schuhe, rückte ein wenig herum, bis ich eine bequeme Position gefunden hatte und zog meine Füße an meinen Körper. Anschließend ließ ich meinen Kopf auf Gibbs' linke Schulter sinken. „Und, was sehen wir uns an?" fragte er und beobachtete, wie ich durch die verschiedenen Kanäle zappte, bis ich bei „Speed" landete. „Das hier", meinte ich, legte die Fernbedienung auf die Seite und kuschelte mich noch enger an ihn. Dass wir beide einmal so gemeinsam vor dem Fernseher sitzen würden, hätte ich nie für möglich gehalten, alleine deswegen, da ich wusste, dass Jethro nur einen in seinem Keller stehen hatte und sich beim Boot bauen berieseln ließ. Auf mich hatte er bisher nicht den Eindruck gemacht, als ob man mit ihm einen gemütlichen Abend verbringen konnte, aber das musste ich jetzt revidieren.
„Was ist das?" wollte er wissen und sah mich von der Seite her fragend an. „Lass dich einfach überraschen." „Ich hasse Überraschungen", brummte er, bohrte aber erstaunlicherweise nicht nach. Schweigend verfolgten wir, wie Sandra Bullock und Keanu Reeves in einem Bus mit mehr als 50 Meilen pro Stunde durch L.A. rasten. Da ich den Film bereits mehrere Male gesehen hatte, wusste ich auch, dass die ersten Szenen in einem Fahrstuhl spielten, was mich irgendwie an heute Vormittag erinnerte, auch wenn die eine Sache mit der anderen überhaupt nichts zu tun hatte. Aber dennoch wuchs in mir eine Neugierde, die unbedingt befriedigt werden musste.
„Gibbs?" unterbrach ich deshalb unser Schweigen. „Hmm?" war alles, was er von sich gab. „Ähm, ich hätte da eine Frage." Ich hob meinen Kopf von seiner Schulter, um ihn direkt ansehen zu können. „Um was geht es?" Ich räusperte mich, um meinen Hals freizubekommen. „Also, heute kurz vor Mittag, als du mit Detective Edwards…" Bei der Erwähnung des Namens spannte er seine Muskeln an und mich hätte es nicht gewundert, wenn er geknurrt hätte. Er kniff seine Augen zu Schlitzen zusammen, in denen ein gefährliches Funkeln getreten war. Aber dennoch fuhr ich fort. „Du bist ja mit ihm im Fahrstuhl verschwunden und jetzt frage ich mich, was du zu ihm gesagt hast." „Wie kommst du darauf, dass ich mit diesem Kerl ein Gespräch geführt habe?" „Nun, vor dem Aufzug hat sich eine kleine Menschenmenge gebildet und als du wieder ins Büro gekommen bist, hattest du eine selbstzufriedene Miene, obwohl du ein paar Minuten vorher wütend gewesen bist. Also, was hast du zu ihm gesagt?" Jethro seufzte und richtete sich ein wenig auf. Ihm war anscheinend klar geworden, dass ich nicht locker lassen würde. „Du willst wirklich wissen, was ich zu diesem Detective gesagt habe?" Ich nickte und blickte ihn neugierig an. „Ich habe ihm nahe gelegt, dass er seine Finger von dir lassen soll, da du bereits vergeben und somit für ihn tabu bist." Verblüfft klappte mir der Mund auf und im ersten Moment fehlten mir die Worte. Ich wusste, dass Gibbs mir die Wahrheit erzählt hatte, weshalb ich umso erstaunter war. „Ähm, und… und wen hast du als meinen Freund genannt?" fragte ich mit leicht kratziger Stimme. Innerlich wusste ich bereits, wie seine Antwort lauten würde, weshalb mein Herz vor Freude anfing schneller zu schlagen. „Mich", gab er ohne Umschweife zu. Ich grinste breit und setzte mich auf. „Und ich kann mir vorstellen, dass Edwards darüber nicht sehr glücklich gewesen ist. Womit hast du ihm denn gedroht, falls er mich noch einmal belästigen sollte?" Jethro lächelte schief und in seine Augen trat ein amüsiertes Funkeln. „Ich habe ihm gesagt, dass er dann sein Testament verfassen kann." Unbändige Freude durchflutete mich und am liebsten hätte ich ihn jetzt umarmt, aber ich blieb brav an Ort und Stelle sitzen. „Jetzt verstehe ich auch, weshalb du so selbstzufrieden warst." Ich hielt kurz inne, dann fügte ich hinzu: „Gib es zu, du warst eifersüchtig." Er schüttelte den Kopf, machte den Mund auf, um mir zu widersprechen, aber stattdessen zuckte er mit den Schultern. „Am liebsten hätte ich ihm den Kopf abgerissen, als er sich am Tatort so an dich heran geschmissen hat. Deshalb habe ich dich auch so angebrüllt." Für eine Sekunde blickte er schuldbewusst zu Boden, aber er hatte sich ganz schnell wieder unter Kontrolle. Ich hingegen fühlte mich einfach großartig. Zu wissen, dass Gibbs wirklich eifersüchtig gewesen war, ließ mich den Schmerz, den ich gestern Morgen vorübergehend verspürt hatte, vergessen. „Ach, Jethro", hauchte ich und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. Er presste mich an sich und küsste mich so, als ob es das letzte Mal wäre. „Wow", keuchte ich atemlos, als wir uns wieder lösten. „Das ist nicht einmal der richtige Ausdruck dafür", erwiderte er, legte seinen Arm wieder um meine Schultern und zog mich an sich. Zufrieden kuschelte ich mich an ihn und verfolgte, wie Keanu Reeves die Passagiere aus dem Bus rettete. Harmonisches Schweigen breitete sich zwischen uns aus und die Stimmen aus dem Fernseher hatten eine beruhigende Wirkung auf mich. Unwillkürlich fing ich zu gähnen an und obwohl ich jede Menge Koffein in meinem Blut hatte, wurden meine Lider bleischwer. Die Szene im Fernseher nahm verschwommene Formen an und die Worte drangen nur mehr gedämpft an meine Ohren. In dem Bewusstsein, dass mich Jethro heute nicht alleine lassen würde, schlief ich schließlich in seinen Armen ein.

Gibbs saß auf dem Sofa und verfolgte gespannt den Film, den Tony ausgesucht hatte. In diesem Moment fühlte er sich ungewohnt wohl. Seinen Arm hatte er um seinen Freund gelegt, dessen Kopf an seiner Schulter ruhte und alleine dessen körperliche Nähe schaffte es, ihn zu entspannen. Normalerweise war das nur der Fall, wenn er an seinem Boot baute, während im Hintergrund der Farm Report lief und ihn berieselte. Noch vor kurzem hatte er geglaubt, dies sei die einzige Tätigkeit, bei der er seine Arbeit vergessen konnte, bei der er nicht an Leichen oder Mörder dachte. Aber gestern Abend und auch jetzt, wurde er eines besseren belehrt. Anthony hatte ihm gezeigt, dass es durchaus Methoden gab, um abzuschalten, sei es durch pure Leidenschaft oder durch einfaches Fernsehen. Das letzte Mal, dass er sich einen Spielfilm angesehen hatte, war schon lange her, was vielleicht auch daran lag, dass er viel lieber an seinem Boot baute. Aber vor ein paar Stunden hatte er etwas gefunden, das ihn viel mehr befriedigte - oder besser gesagt, jemanden. Trotz des Zwischenfalls, der zu einem Toten geführt hatte, fühlte er sich unbeschwert und glücklich. Seit langer Zeit war ihm wieder danach, mit einem breiten Grinsen durch die Gegend zu laufen und das Image als Bad Boy über Bord zu werfen. Jethro war bewusst, dass er dadurch seinen Ruf zerstören würde, aber was machte man nicht alles für den Mann, den man über alles liebte. Und zu wissen, dass diese Liebe erwidert wurde, war ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Tony hatte auf ihn, wie er selbst vor kurzem gesagt hatte, einen unbestreitbar positiven Einfluss. Und ihm war bewusst, dass sich das auch in Zukunft in seinem Job bemerkbar machen würde. Sicher, er war immer noch der Boss und gab die Befehle, aber er würde es wohl nur schwer schaffen, von nun an seinen Freund wie die anderen herumzuscheuchen. Er musste wohl lernen, Berufliches von Privatem zu trennen, und dass würde nicht immer leicht sein – ein weiterer Grund für Regel Nummer 12. Allerdings galt diese Regel für sie beide nicht mehr. Gibbs hätte es nicht für möglich gehalten, jemals dagegen zu verstoßen, schon gar nicht wegen Tony. Aber ein einziger Auftrag hatte alles geändert und nun war er nicht nur mehr sein bester Agent, sondern sein Freund, sein Vertrauter und sein Liebhaber. Innerhalb eines Monats war sein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt worden und alles nur, weil Jen gewollt hatte, dass er undercover ging. Er freute sich jetzt schon auf ihren Gesichtsausdruck, wenn er ihr – gemeinsam mit Anthony – sagen würde, dass sie ein Paar waren. Im Prinzip hatte er es ihr zu verdanken, dass er jetzt in diesem Wohnzimmer saß, sich einen Spielfilm ansah und DiNozzo fest im Arm hielt.
Ein glückliches Lächeln bildete sich auf den Lippen des Chefermittlers und er wandte seine Aufmerksamkeit von dem Fernseher ab, wo gerade der Showdown im U-Bahn Tunnel begonnen hatte. Er blickte zu seinem Freund hinunter, dessen Augen geschlossen waren. Der Mund war leicht geöffnet, sein warmer Atem strich über seinen Hals und verursachte ihm angenehme Schauder. Sein Brustkorb hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen und Gibbs wusste sofort, dass Tony selig schlief, obwohl dieser gemeint hatte, putzmunter zu sein. Eine unglaubliche Zärtlichkeit stieg in ihm auf und er fuhr vorsichtig mit einer Hand durch die verstrubbelten braunen Haare, die sich so weich anfühlten. In diesem Moment wurde ihm zum ersten Mal bewusst, was es bedeutete, richtig verliebt zu sein. Noch nie hatte er das Bedürfnis verspürt, jemand anderem genauso viel zu geben, wie der andere ihm schenkte. Er wollte ihn auf einmal vor allem beschützen, machte sich Sorgen und schaffte es sogar, auf einen Mann eifersüchtig zu sein, von dem er wusste, dass er nie eine Chance bei Tony gehabt hätte. Die Liebe brachte schon merkwürdige Seiten in ihm zum Vorschein – Seiten, von deren Existenz er nicht einmal selbst gewusst hatte.
Ein letztes Mal fuhr er durch die verwuschelten Haare, dann nahm er vorsichtig seinen Arm von Anthonys Schultern und rutschte zur Seite – immer darauf bedacht, den anderen nicht zu wecken. Langsam ließ er ihn auf das Sofa nieder, da er fand, dass die Polster sicher bequemer als seine Schulter waren. Sein Freund regte sich ein wenig, als sein Kopf schließlich auf der weichen Fläche zu liegen kam, wachte aber nicht auf. Damit zufrieden, stand Gibbs auf und nahm die Decke, die über der Lehne der Couch gehangen hatte, breitete sie über dem Schlafenden aus und betrachtete ihn versonnen. Seine Gesichtszüge waren entspannt und es war beinahe ungewohnt, ihn so still zu erleben. Die Prellung, die seine Wange zierte, machte ihn komischerweise noch attraktiver und als Gibbs daran dachte, wie er zu dieser Verletzung gekommen war, ballte er unwillkürlich seine Hände zu Fäusten. Erneut kroch die Angst, die er verspürt hatte, als er gedacht hatte, Tony zu verlieren, in ihm hoch und schnürte ihm den Atem ab. Deshalb durchquerte er den Raum, ging zur Terrassentür und öffnete sie. Erleichtert sog er die kühle Nachtluft in seine Lungen, so lange, bis das Gefühl ersticken zu müssen, von ihm wich.
Der Regen hatte nachgelassen und war zu einem beständigen Nieseln geschrumpft. Allerdings war ein leichter Wind aufgekommen und wehte ihm das Nass ins Gesicht, aber dennoch verließ er seine Position nicht. Jethro ließ seinen Blick durch die nächtliche Finsternis schweifen und fragte sich, wo die Verbrecher steckten, die hinter Anthony her waren. Sein Instinkt verriet ihm, dass auf dem Handy, das der Mann gesucht hatte, etwas Wichtiges gespeichert sein musste, sonst hätte er es nicht riskiert, bei einem Bundesagenten einzubrechen. Die Frage war jedoch, wie kam jemand auf die Idee, dass sein Agent etwas davon wusste. Selbst dieser konnte sich keinen Reim darauf machen. Aber egal was es mit der ganzen Sache auf sich hatte, er würde Tony beschützen und sei es mit seinem eigenen Leben. Er würde nie zulassen, dass dieser leiden würde – egal in welcher Form.
Gibbs atmete noch einmal die kühle Nachtluft ein und schloss die Terrassentür wieder, bevor ihm komplett kalt werden konnte. Anschließend ging er wieder zu der Sitzgruppe zurück und ließ sich auf einen der beiden Sessel nieder, die nicht minder bequem waren als die Couch. Den Fernseher beachtete er gar nicht, ließ ihn aber eingeschaltet. Komplette Stille würde er jetzt nicht aushalten, also ließ er sich von den Stimmen aus den kleinen Lautsprecher berieseln.
Mit leicht schief gelegtem Kopf beobachtete er Tony, der im Schlaf seufzte, die Decke enger um seinen Körper zog und anfing, leise zu schnarchen. Ein Grinsen breitete sich auf Jethros Lippen aus, als er die schwachen Laute hörte. Auch wenn er es wohl nie laut zugeben würde, fand er seinen Freund in diesem Moment unglaublich sexy. Begehren stieg in ihm auf, aber er blieb auf dem Sessel sitzen. Zwar war er munter, aber er wusste, DiNozzo brauchte diesen Schlaf dringend – auch wenn es nur zwei Stunden waren, die ihm noch blieben, bevor er aufstehen musste.
Durch den starken Kaffee, den er getrunken hatte, regelrecht aufgeputscht, war er unfähig, auch nur ein Auge zu schließen, aber das machte ihm nichts aus – im Gegenteil. So bekam er die Möglichkeit, Anthony in Ruhe beobachten und in dem Fall, dass er einen Albtraum hätte, aufwecken zu können. Er würde nicht zulassen, dass er litt, nicht jetzt und schon gar nicht in Zukunft. Und während die Minuten unaufhörlich verstrichen, ließ Leroy Jethro Gibbs den Mann, den er über alles liebte, keine einzige Sekunde aus den Augen.

Fortsetzung folgt...
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