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Washington D.C.
Donnerstag, 16. Juni
06:05 Uhr


Eine sanfte Berührung an meiner Schulter riss mich aus einem tiefen und traumlosen Schlaf. Es war so, als ob ich langsam durch einen schwarzen Tunnel an die Oberfläche tauchte und somit wieder in die Realität zurückfand. Obwohl meine Augen weiterhin geschlossen waren, wusste ich genau, dass es bereits Morgen war, auch wenn ich keine Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht spürte, so wie es normalerweise der Fall war, wenn ich in meinem Bett lag. Allerdings hatte ich diesmal keinen Polster unter meinem Kopf und die Decke, die um meinen Körper gewickelt war, war viel weicher als diejenige, die ich sonst immer verwendete. Etwas verwirrt versuchte ich mich zu erinnern, was passiert war, aber mein Gehirn hatte auf einmal Löcher wie ein Schweizer Käse und meine Gedanken waren zäh wie Gummi, der sich unendlich in die Länge ziehen konnte.
Ich fühlte mich wie erschlagen, meine linke Wange pochte leicht schmerzhaft und ich schaffte es nicht einmal, auch nur ein Lid zu öffnen. Meine Gliedmassen waren seltsam schwer und ich hatte Mühe, nicht erneut in die verlockenden Tiefen des Schlafes zu entgleiten – was aber nicht hieß, dass ich aufstehen wollte, im Gegenteil. Ich zog die Decke fester um mich und spürte regelrecht, wie ich wegdämmerte, als mich erneut etwas sanft an der Schulter berührte, um mich kurz darauf leicht zu schütteln. Ärgerlich über die erneute Belästigung, schlug ich genervt nach dem Störenfried und murmelte vor mich hin: „Nur noch fünf Minuten." Ich drehte mich auf den Rücken, wobei mir Kaffeeduft in die Nase stieg. Komisch, ich konnte mich gar nicht daran erinnern, welchen gemacht zu haben, außer ich war unter die Schlafwandler gegangen. Das Geräusch einer Tasse, die auf einen Tisch abgestellt wurde und ein leiser Seufzer drangen an meine Ohren und erst jetzt registrierte ich so richtig, dass ich nicht alleine war. Aber ich hatte keine Möglichkeit länger darüber nachzudenken – eine Sekunde später legten sich weiche Lippen auf meine und jagten mir einen wohligen Schauer über den Rücken. In meine Nase stieg ein mir mehr als vertrautes Aroma und mit einem Schlag waren die Erinnerungen des letzten Tages wieder da. Das scheußliche Wetter, die Leiche eines Marines, ein mehr als aufdringlicher Detective und Gibbs, der vor Eifersucht gekocht hatte – Gibbs, dem ich meine Liebe gestanden und mit dem ich eine unglaublich leidenschaftliche Nacht verbracht hatte, der Einbrecher, den ich mitten in meiner Küche erstochen hatte und der mir beinahe meine Nase gebrochen hätte. Vor meinem inneren Augen sah ich noch einmal die Geschehnisse der letzten Stunden und das Letzte woran ich mich bewusst erinnerte, war Jethro, in dessen Armen ich schließlich eingeschlafen war und der mich jetzt wach küsste.
Seine Zunge strich über meine Lippen und tauchte schließlich in meinen Mund, als ich ihn öffnete, um ihn einzulassen. Gleichzeitig befreite ich meine Arme aus der Decke und schlang sie um seinen Nacken, um ihn zu mir herunterzuziehen. Vergessen war die Müdigkeit, die noch immer in meinem Körper steckte und ich genoss die Berührungen, die er mir schenkte. Obwohl meine Lunge langsam nach Sauerstoff verlangte, ließ ich meinen Freund nicht los, sondern intensivierte den Kuss noch mehr. Erst als ich kurz davor war zu ersticken, lockerte ich meinen Griff und Gibbs löste seine Lippen von meinen. Sein keuchender Atem strich warm über meine Haut und brachte mich zum Grinsen. Langsam öffnete ich doch noch meine Augen und blickte in ein Blau so tief wie ein See, das voller Verlangen leicht verschleiert war. „So könntest du mich jedes Mal aufwecken", sagte ich atemlos und versuchte meinen Verstand, der anscheinend gerade Urlaub machte, wieder zu aktivieren. „Es war die einzige Möglichkeit dich wach zu kriegen", erwiderte er mit leicht heiserer Stimme. „Ich dachte schon, ich müsste einen Eimer eiskaltes Wasser holen." Ich riss meine Augen komplett auf und sah ihn entsetzt an. „Das ist ein Scherz, oder?" „Ich mache nie Scherze." „Wie wahr", meinte ich und zog sicherheitshalber meinen Kopf ein, aber er gab mir keinen Klaps, wie ich es erwartet hatte, sondern zog seine Mundwinkel nach oben und schenkte mir ein amüsiertes Lächeln. „Ich werde dich schon nicht schlagen, Tony", sagte er und seine Stimme klang belustigt. „Es macht keinen Spaß, wenn du es erwartest und außerdem erreiche ich momentan deinen Hinterkopf nicht." „Was für ein Glück", entgegnete ich eine Spur zynisch und brachte ihn damit noch breiter zum Grinsen. Kurz darauf gab er mir einen sanften Kuss, bevor er sich komplett von mir löste und sich zurücklehnte. Erst jetzt bemerkte ich so richtig, dass er neben der Couch kniete, obwohl der Boden sicher nicht gerade bequem war.
„Wie spät ist es?" wollte ich wissen und setzte mich langsam auf, wobei ich sicherheitshalber Gibbs' Hand im Auge behielt – nicht, dass er es sich doch noch anders überlegte und mir eine Kopfnuss verpasste. „Zehn nach sechs", antwortete er, was ich mit einem lauten Gähnen quittierte. Ich fuhr mir durch mein Gesicht, um die Müdigkeit loszuwerden, was aber nicht wirklich funktionierte. „So früh?" murmelte ich leicht gequält, worauf er eine Braue in die Höhe zog. „Sieh es positiv. Du wirst heute einmal nicht zu spät kommen." „Was heißt einmal nicht zu spät kommen? Gestern war ich ja pünktlich um sieben im Hauptquartier." „Und was war am Montag und Dienstag?" „Da war der Morgenverkehr ungewöhnlich dicht." Jethro schüttelte nur den Kopf und ich beobachtete ihn, wie er nach hinten griff und zielsicher die Tasse mit seinen Fingern umschloss, die er vorher auf dem Tisch abgestellt hatte. „Deine Ausreden waren auch schon einmal besser", entgegnete er und reichte mir den Kaffee, der noch herrlich warm war. Aber trotzdem beäugte ich ihn misstrauisch. Ich wusste nicht, ob ich so bald am Morgen eine derart hohe Dosis Koffein vertragen würde.
„Ich weiß es zu schätzen, dass du mir einen Kaffee gemacht hast, aber ich ziehe es vor, noch nicht an einem Herzinfarkt zu sterben." Gibbs sah mich mit leicht schief gelegtem Kopf an und meinte: „Probier erst einmal und dann wirst du ja feststellen, ob du an einem Herzinfarkt sterben wirst oder nicht." Verwirrt runzelte ich die Stirn und starrte die dunkelbraune Flüssigkeit an, bevor ich vorsichtig einen kleinen Schluck nahm. Überrascht blickte ich auf und zu meinem Freund, der lächelte. „Du hast ihn extra für mich nicht so stark gemacht?" fragte ich verblüfft und probierte noch einmal, um mich zu überzeugen, dass ich mich nicht geirrt hatte – und tatsächlich, der Kaffee war so wie ich ihn am liebsten mochte. „Ich kann ja nicht zulassen, dass du hier vor meinen Augen zusammenklappst", antwortete er und stand vom Boden auf, wobei seine Kniegelenke leise knackten. Es war noch immer seltsam, dass er sich plötzlich so viele Gedanken über mein Wohlergehen machte, aber es fühlte sich wunderbar an, einen Menschen zu haben, der einen umsorgte - und noch dazu Gibbs. Er war wie verwandelt, so als ob es den oft schlecht gelaunten Chefermittler nie gegeben hätte.
„Wie hast du es eigentlich geschafft, meine Kaffeemaschine zu bedienen?" fragte ich, darauf anspielend, dass er vor nicht allzu langer Zeit seine Probleme damit gehabt hatte. „Ich habe dir ein wenig zugesehen", erwiderte er und zog sich sein Jackett an, das über einer Sessellehne gehangen hatte. Erst jetzt bemerkte ich, dass er wieder sein Poloshirt trug, das Ziva gefunden hatte. Ob sie heute wohl merken würde, dass es dasselbe war? Oder würde sie es für einen Zufall halten? Allerdings war ich mir nicht so sicher, ob sie an Zufälle glaubte.
Ich lehnte mich zurück, trank genüsslich meinen Kaffee und blickte durch die Terrassentür ins Freie. Die Sonne war bereits aufgegangen, allerdings wurde sie von dichten grauen Wolken verdeckt, die ein düsteres Zwielicht verströmten. Allerdings hatte es zu regnen aufgehört und dicke Wassertropfen fielen in regelmäßigen Abständen von den Blättern der Bäume, die in meinem Garten standen. Irgendwie hatte der Morgen etwas Bedrohliches an sich, so als ob er mich warnen würde, dass in ein paar Stunden etwas passieren würde. Die Vermutung von Gibbs, dass der Typ, der jetzt bei Ducky in der Pathologie lag, nicht alleine hinter der Sache steckte, fiel mir wieder ein. Unwillkürlich umfasste ich die Tasse fester und ein eisiger Schauer jagte mir über den Rücken. Die Gefahr war noch nicht vorüber, das sagte mir mein Instinkt. Nur, was sollte ich machen, wenn erneut so ein Schlägertyp auftauchte und nach dem ominösen Handy verlangte? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mir die Gangster – wer auch immer diese sein mochten – glauben würden, dass ich keine Ahnung hatte, worum es überhaupt ging. Das hatte ich bereits heute Nacht am eigenen Leib erfahren müssen und ich hatte so das Gefühl, dass das nächste Treffen mit diesen Verbrechern nicht so einfach werden würde. Ich konnte mir vorstellen, dass sie mehr als wütend waren, dass einer von ihnen tot war – gestorben durch meine Hand. Vielleicht waren sie auch ganz froh, ihn losgeworden zu sein, aber eine innere Stimme flüsterte mir ins Ohr, dass dem nicht so sei, dass dies nur eine Wunschvorstellung meinerseits war.
„Alles in Ordnung?" riss mich Gibbs aus meinen Grübeleien. Er stand vor mir und musterte mich besorgt. „Sicher", antwortete ich ihm mit unbeschwerter Stimme, aber er kaufte es mir keine Sekunde lang ab. „Und wieso umklammerst du dann die Tasse so, als ob du sie am liebsten zerbrechen würdest?" Ich blickte auf besagten Gegenstand und merkte erst jetzt, dass meine Knöchel weiß hervortraten, da ich so fest zudrückte. Sofort lockerte ich meinen Griff und sah zu Jethro, der sich neben mich setzte. „Was ist los?" wollte er wissen und legte mir beruhigend seine rechte Hand auf meinen linken Unterarm. Ich wusste, es war zwecklos zu lügen, weil er es sowieso aus einer Meile Entfernung riechen würde.
„Ich habe das Gefühl, dass noch heute etwas geschehen wird", sagte ich deshalb und umklammerte die mittlerweile leere Tasse erneut fester. „Ich bin mir sicher, der- oder diejenigen, die hinter dem Einbruch stecken, werden es wieder versuchen. Nur werde ich ihnen wohl nicht geben können, was sie verlangen. Außerdem werden die sicher nicht begeistert sein, wenn sie erfahren, dass einer von ihnen tot ist." Die unausgesprochenen Worte, die hinter dem letzten Satz steckten, schwebten unsichtbar im Raum. Gibbs wusste sofort, weshalb ich mir Sorgen machte und drückte meinen Unterarm. „Wir werden das zusammen durchstehen", erwiderte er bestimmt und sah mir tief in die Augen. „Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert, Tony. Und wenn noch einmal solche Einbrecher auftauchen, dann bekommen sie es mit mir zu tun." Seine Worte zauberten mir ein Lächeln auf meine Lippen und das beklemmende Gefühl ließ nach – alleine schon deswegen, weil er es selbst in die Hand nehmen würde, um mich zu beschützen.
„So gefällst du mir schon viel besser", meinte Jethro, auf mein Lächeln anspielend. „Und denk immer daran, das Glas ist halb voll und nicht halb leer." „Du hast Recht", sagte ich mit fester Stimme und stellte die Tasse auf den Tisch. In dieser kurzen Zeitspanne war er noch näher an mich herangerückt und legte seine rechte Hand auf meinen Hinterkopf. „Ich weiß", entgegnete er, zog meinen Kopf zu sich heran und küsste mich kurz – aber äußerst leidenschaftlich. Als er mich wieder los ließ, musste ich mich zuerst einmal orientieren, da mir plötzlich schwindelig war.
„Und jetzt lass uns ins Hauptquartier fahren", fügte er ein wenig atemlos hinzu und stand auf. Ich warf die Decke endgültig zur Seite und erhob mich ebenfalls, wobei ich jedoch ein wenig wackelig auf den Beinen war. Meine Knie fühlten sich weich wie Butter an - alleine durch den kurzen Kuss, den wir geteilt hatten. Es erstaunte mich noch immer, was für eine Wirkung Jethro auf mich hatte – in seinen Händen war ich einfach wie Wachs.
„Ich putze mir nur schnell die Zähne und hole meine Waffe", sagte ich, während ich ihm aus dem Wohnzimmer in den Vorraum folgte. „In Ordnung, aber…" „Ich weiß, ich beeile mich", vervollständigte ich den Satz und eilte die Treppe hinauf. Der erste Weg führte mich ins Bad, wo ich mich gründlich im Spiegel betrachtete. Die Prellung an meiner Wange hob sich wunderbar von meiner Haut ab und war noch immer leicht geschwollen. Meine Haare standen in alle Richtungen ab und mein Hemd, in dem ich geschlafen hatte, war zerknittert. „Du hast auch schon einmal besser ausgesehen", murmelte ich und putzte meine Zähne in Rekordzeit, da ich wusste, dass man Gibbs nie lange warten lassen sollte. Mit ein wenig Wasser brachte ich schließlich meine Haare in Form und eilte weiter ins Schlafzimmer, wo ich mir ein frisches Hemd aus dem Schrank holte, das Alte auszog und in das Neue schlüpfte. Anschließend bückte ich mich, hob meine Waffe, die auf dem Boden neben meiner Hose lag, auf, befestigte das Holster an meinem Gürtel und eilte wieder nach unten, wobei ich mir unterwegs erst das Hemd zuknöpfte.
„Bin schon da", sagte ich zu Jethro, der mit seinen Augen jede Bewegung meiner Finger verfolgte. Zum ersten Mal konnte man seine Gedanken von seinem Gesicht ablesen und unwillkürlich bildete sich auf meinen Lippen ein verführerisches Lächeln, was ihn zu heftigem schlucken animierte. „Was?" fragte ich unschuldig und ging an ihm vorbei, um die Schranktür zu öffnen. Hinter mir erklang ein Räuspern und ich grinste noch breiter. „Nichts", erwiderte er mit hörbar belegter Stimme und ich wusste, wenn wir nicht in 30 Minuten im Hauptquartier sein müssten, würde das Hemd bereits wieder auf dem Boden liegen. Bei dem Gedanken daran, dass Gibbs hier und jetzt über mich herfallen wollte, überkam mich ein Schauer der Erregung, den ich aber so gut es ging ignorierte. Entschlossen, mich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, nahm ich unsere beiden Jacken und gab meinem Freund die seine, die er sich sofort anzog, obwohl ihm ins Gesicht geschrieben stand, dass ihm gerade etwas ganz anderes vorschwebte. Ich schlüpfte in meine, zog sie zu Recht und griff mit beiden Händen in die Taschen, in der Hoffnung, meine Autoschlüssel darin zu finden. Aber stattdessen umschlossen meine Finger etwas ganz anderes, etwas Glattes mit abgerundeten Kanten, das die Größe eines… Ich stockte in meinen Gedanken und mein Herz setzte einen Schlag aus, um dann doppelt so schnell weiterzuschlagen. Mein Hals wurde plötzlich staubtrocken und ich umklammerte fest den Gegenstand in meiner linken Jackentasche. Mein Atem beschleunigte sich, als mir bewusst wurde, was ich da in der Hand hielt. „Mein Gott", flüsterte ich, da ich jetzt mit Sicherheit wusste, dass sich der Einbrecher von heute Nacht nicht im Haus geirrt hatte. In diesem Moment umfasste ich die Bestätigung dafür, dass ich knietief in Schwierigkeiten steckte.
„Tony?" Gibbs kam auf mich zu und sah mich mit gerunzelter Stirn an. „Was ist los?" Wie in Trance hob ich meinen Kopf, blickte in die blauen Augen, die ich so sehr mochte und zog langsam meine Hand aus der Jackentasche. Ich öffnete die Faust, die ich gebildet hatte und zum Vorschein kam ein kleines, flaches und modernes Handy, das ich zuvor noch nie gesehen hatte, aber von dem ich wusste, dass es Leute gab, die, um es in ihren Besitz zu bekommen, über Leichen gehen würden.

Fortsetzung folgt...
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