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Das kleine Gerät in meiner Hand schien Tonnen zu wiegen, obwohl es in Wirklichkeit nicht schwer war, aber es war dessen Bedeutung, welche das Gewicht um ein Vielfaches verstärkte. Das graue Gehäuse glänzte matt in dem Licht der Deckenlampe und hatte auf den ersten Blick keinen einzigen Kratzer. Es sah wie neu aus und da es unverkennbar modern war, hatte es sicher eine Menge Geld gekostet. Aber das waren Dinge, die mich in diesem Moment nicht interessierten. Viel wichtiger war, wie kam das Handy in meine Jackentasche und vor allem, was war daran so wichtig, dass es Personen gab, die es unbedingt wieder haben wollten? Von außen wirkte es unscheinbar, ja beinahe harmlos. Aber wer wusste schon, was wir finden würden, wenn wir hinter diese Fassade blickten. Jedenfalls stand fest, dass ich es wieder einmal geschafft hatte in Schwierigkeiten zu geraten. Irgendwie hatte ich das große Talent, Probleme wie ein Magnet anzuziehen. Vor etwa 1 1/2 Jahren war da der Undercoverauftrag gewesen, bei dem ich an einen Kunsträuber gekettet aus einem Gefangenentransporter geflohen war. Damals hatte keiner damit gerechnet, dass er ein gefährlicher Mörder gewesen war und zu meinem Pech hatten Gibbs und Kate das GPS Signal und somit auch mich verloren. Ich hatte diesen Mann – von dem ich angenommen hatte, er wäre ein harmloser Kunstdieb – irgendwie gemocht, hatte ihn aber dann, um mein eigenes Leben zu retten, erschießen müssen. Nur knapp hatte ich verhindern können, dass er mir die Kehle aufschlitzte, wie er es vorher bei so manchen Leuten gemacht hatte.
Aber das war noch harmlos im Vergleich zu der Lungenpest gewesen, die ich mir eingefangen hatte. Noch heute überkam mich ein eisiger Schauer, wenn ich an das Fieber, an die Schmerzen und an den heftigen Husten dachte. Ich hatte wirklich gedacht, ich würde das Zeitliche segnen und dass das blaue Licht in diesem Quarantäneraum das Letzte wäre, was ich sehen würde. Aber dann war Gibbs gekommen und hatte mir gesagt, ich würde nicht sterben und ich hatte ihm geglaubt. Ja, ich hatte ihm geglaubt und weiter gegen diese Pestbakterien gekämpft, die mich von innen heraus auffraßen.
Dann der Undercoverauftrag mit Ziva, bei dem ich zusammengeschlagen worden war und wo ich mein Leben riskiert hatte, um das ihrige zu retten. Auch an diesem Tag war ich kurz davor gewesen, mein Leben zu verlieren, hätte ich es nicht gewagt, den Stuhl, an den ich gefesselt gewesen war, als Waffe zu benutzen. Noch heute konnte ich die Wut spüren, die ich auf meinen Peiniger gehabt hatte, eine Wut, die ich an ihm ausgelassen hatte. Wer wusste schon, wie weit ich gegangen wäre, wären nicht meine Kollegen in das Hotelzimmer gestürmt.
Kurz darauf bin ich im Gefängnis gelandet, nur weil ein kleiner Laborassistent und dessen Komplize gemeint hatten, sich an mir rächen zu müssen, da sie meinetwegen aus ihrem Job entlassen worden waren. Diese Einsamkeit in der kleinen Zelle war schlimm gewesen und ich hatte ziemlich viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Aber ich hatte gewusst, dass mich meine Freunde rausholen würden, dass Abby so lange die Beweismittel durchging, bis sie auf einen Hinweis stoßen würde, der meine Unschuld bewies – und sie hatte es geschafft, hatte mich aus dem Gefängnis geholt. Und nur einige Wochen später war ich gemeinsam mit Ziva in einem Container voller Geld eingesperrt worden, wo wir beide beinahe zu Schweizer Käse verarbeitet worden wären.
Der Undercoverauftrag vor über drei Wochen wäre beinahe ebenfalls ins Auge gegangen, wenn sich Gibbs nicht schützend vor mich geworfen und mir somit das Leben gerettet hätte. Und jetzt diese Sache mit dem Handy, das auf meiner Handfläche lag. Wie hypnotisiert starrte ich das kleine Gerät an und am liebsten würde ich es irgendwo entsorgen, um es nicht mehr sehen zu müssen, aber ein Teil von mir wollte der Ursache auf den Grund gehen – wollte herausfinden, weshalb es der Mann heute Nacht riskiert hatte, bei mir einzubrechen, obwohl er genau gewusst hatte, dass ich Bundesagent bin.
„Ich glaube, ich habe gerade die Wurzel allen Übels gefunden", sagte ich und versuchte möglichst locker zu klingen, was mir aber nicht so Recht gelang. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme leicht zitterte, weswegen ich mir am liebsten selbst eine Kopfnuss verpasst hätte. Das unangenehme Gefühl von vorhin, dass heute noch etwas passieren würde, wurde stärker und mein Magen knotete sich schmerzhaft zusammen. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter, riss endlich meinen Blick von dem Handy los und sah zu Gibbs, der knapp einen Meter von mir entfernt stand. Noch vor einer Minute waren ihm seine Gedanken förmlich ins Gesicht geschrieben gewesen, aber jetzt hatte er wieder seine übliche undurchschaubare Miene aufgesetzt. Ich konnte richtig vor mir sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete, wie er versuchte herauszufinden, woher das Handy kam und weshalb es in meiner Jackentasche gelandet war. Fragen, die auch ich hatte, die aber nicht beantwortet werden konnten, wenn wir weiterhin nur in dem Vorraum meines Hauses herumstanden.
„Die Wurzel allen Übels trifft es ganz genau", sagte Jethro schließlich und blickte mir in die Augen. In dem Blau seiner eigenen lag ein sorgenvolles Funkeln und ich wusste, dass er genauso wie ich die Hoffnung gehabt hatte, dass sich der Einbrecher nur im Haus geirrt hatte – eine Hoffnung, die sich innerhalb von Sekunden in Luft aufgelöst hatte.
Gibbs holte sich ein Paar Latexhandschuhe aus seiner Jackentasche und kam auf mich zu. „Die Frage ist jetzt, wie das Handy in deinen Besitz gelangt ist", meinte er und zog sich die Handschuhe über. „Ich habe keine Ahnung", entgegnete ich und blickte erneut auf das kleine Gerät, welches so unscheinbar wirkte. „Ich habe meine Jacke seit gestern Morgen ständig in meiner Nähe gehabt. Entweder ist sie über dem Stuhl im Büro gehangen oder ich habe sie getragen. Außer heute Nacht, da war sie im Schrank. Aber ich schätze, da war das Handy bereits in der Tasche und…" Ich hielt inne, als mir plötzlich ein Gedanke kam. Von einer Sekunde auf die andere war ich wieder in dem Einkaufszentrum, in dem ich gestern den Kaffee gekauft hatte. Noch einmal sah ich vor mir, wie ich das kleine Geschäft verlassen hatte, Richtig Ausgang gegangen war und mich auf halbem Weg jemand hart gerammt hatte. Diese unfreiwillige Begegnung hatte nicht lange gedauert, aber sie hatte ausgereicht, um mir ein kleines Handy unbemerkt in die Tasche zu stecken. Auf einmal war ich mir sicher, dass der Mann, der in mich hineingerannt war, etwas damit zu tun hatte, dass er verantwortlich dafür war, dass ich jetzt in Schwierigkeiten steckte. Und ich hatte ihn nicht aufgehalten, hatte ihn einfach weitergehen lassen, weil ich so schnell wie möglich ins NCIS Hauptquartier fahren wollte, um nicht zu spät zu kommen.
„Wieso habe ich nicht eher daran gedacht", sagte ich und in meiner Stimme konnte man deutlich die Vorwürfe hören, die ich mir machte. Gibbs, der gerade das Handy nehmen wollte, hielt inne und sah mich eine Spur verwirrt an. „An was hättest du denken sollen?" wollte er wissen und runzelte leicht die Stirn. „Gestern Morgen, als ich in dem Einkaufszentrum den Kaffee gekauft habe, hat mich auf dem Weg zum Ausgang ein Mann gerammt. Ich habe mir nichts dabei gedacht und geglaubt, er hätte mich nicht gesehen und dass er in Eile war. Deshalb habe ich das alles gleich wieder vergessen. Wenn ich aber auch nur ansatzweise geahnt hätte, dass mir dieser Kerl dieses brisante Handy zugesteckt hatte, hätte ich ihn sofort aufgehalten." Ich schüttelte den Kopf und verfluchte mich selbst. Wieso hatte ich gestern kein einziges Mal in meine Jackentaschen gegriffen? Wieso hatte ich das kleine Telefon nicht schon eher gefunden? Dann wäre es vielleicht gar nicht erst zu diesem Einbruch gekommen.
„Du konntest doch nicht wissen, dass dieser Mann absichtlich in dich hineingelaufen ist", erwiderte Jethro und legte mir beruhigend eine Hand auf meine Schulter. „Also hör auf, dich selbst dafür verantwortlich zu machen, was heute Nacht hier passiert ist. Immerhin wissen wir jetzt mehr als vorhin." „Nur, wie sind die Gangster auf meinen Namen gekommen?" fragte ich und beobachtete, wie er das Handy aus meiner Hand nahm und es von allen Seiten betrachtete. Auf einmal war ich erleichtert und mein Arm fühlte sich nicht mehr so an, als ob er gleich nach unten sacken würde. „Vielleicht waren sie ebenfalls in diesem Einkaufszentrum und haben mitbekommen, dass du jetzt das Telefon hast und nicht mehr der andere. Es könnte sein, dass sie dir gefolgt sind und möglicherweise haben sie über dein Autokennzeichen herausgefunden, wer du bist." „Ich habe auch wirklich das Talent, in Schwierigkeiten zu geraten", murmelte ich und ließ mich auf die vorletzte Stufe der Treppe sinken. „Da kann ich dir jetzt nicht widersprechen", meinte Gibbs und grinste, als ich ärgerlich das Gesicht verzog. „Du hättest wenigstens sagen können: nein, Tony, du hast nicht Recht. Ein paar aufmunternde Worte wären nicht schlecht." Ich setzte eine zerknirschte Miene auf, obwohl ich mich überhaupt nicht so fühlte, aber es schien zu helfen. Jethro nahm einen Beweismittelbeutel aus meinem Rucksack, steckte das Handy hinein und verstaute es in seiner Tasche, bevor er sich neben mich setzte. „Ich schätze, ich bin nicht gut darin, wenn es um aufmunternde Worte geht, aber würde es dir helfen, wenn ich dich umarme?" Ich unterdrückte ein Grinsen und nickte. Kurz darauf zog er mich an sich, schlang seine Arme fest um mich und drückte meinen Körper an seinen. Der kleine Schock, der mich überkommen hatte, als ich das Handy gefunden hatte, verschwand auf einmal und zurück blieb ein herrlich warmes Gefühl. Die Zukunft sah nicht mehr so schwarz aus, da ich wusste, dass mich Gibbs nicht alleine lassen würde, genauso wie meine anderen Freunde.
Ich sog den Duft meines Freundes ein und genoss einfach seine körperliche Wärme – allerdings wurde ich gleich darauf in die Realität zurückgeholt, in Form einer Kopfnuss. Überrascht stieß ich einen leisen Schrei aus, löste mich von ihm und rieb mir über die schmerzende Stelle. „Wofür war das denn?" fragte ich und bemerkte, dass es ihn amüsierte, da ich mich über den Klaps aufregte. „Dafür, dass du vorgegeben hast, am Boden zerstört zu sein, obwohl es dir in Wirklichkeit hervorragend geht." Seine Mundwinkel zuckten verräterisch und in seinen Augen funkelte es belustigt. „Amüsier dich nur auf meine Kosten", meinte ich und zog einen Schmollmund, von dem ich wusste, dass er ihm nicht widerstehen konnte, und auch diesmal war er nicht dagegen gefeit. Jethro seufzte leise, zog mich wieder an sich, aber diesmal nicht, um mich zu umarmen, sondern um mich leidenschaftlich zu küssen. Während seine Zunge einen kleinen Kampf mit meiner ausfocht, ließ er seine rechte Hand über meinen Oberkörper wandern, bis er das Ziel seiner Begierde erreicht hatte. Ich stöhnte unwillkürlich in seinen Mund hinein, als er begann, mich langsam zu streicheln, wodurch ich prompt hart wurde. Zufrieden damit löste er sich aus der Umarmung und lächelte leicht. „Das ist nicht fair", keuchte ich und versuchte wieder klar zu denken. Mir war ganz heiß und meine Hose fühlte sich seltsam eng an. Außerdem kam mir die Umgebung leicht verschwommen vor.
„Nun, dann zieh nicht immer so einen Schmollmund. Du weißt genauso gut wie ich, dass ich dem nicht widerstehen kann", erwiderte Gibbs, fuhr mir durch die Haare und zerzauste sie. „Und jetzt lass uns ins Hauptquartier fahren. Es wird Zeit, dass sich Abby dieses Handy ansieht. Vielleicht findet sie ja heraus, weshalb es so wichtig ist." Er löste seine Hand aus meinen Haaren, umschlang die Finger meiner Rechten und zog mich mit auf die Füße. „Und in diesem Zustand soll ich jetzt das Haus verlassen?" fragte ich und zog mir ein wenig meine Jeans zu Recht, in der Hoffnung, dass sie nicht mehr so eng wäre – jedoch ohne Erfolg. Leise vor mich hin grummelnd gab ich es auf und schnappte mir meinen Rucksack. „Es wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben", kam sofort die amüsierte Antwort und ich schwor mir, nie wieder einen Schmollmund zu ziehen, wenn ich wusste, dass wir nicht sehr viel Zeit hatten.
Ich griff nach den Autoschlüsseln, die auf dem kleinen Tisch neben der Tür lagen, hielt aber inne, als ich Gibbs' Stimme vernahm. „Es wäre besser, wenn wir zusammen fahren. Wer weiß, ob nicht noch einer von diesen Verbrechern in der Nähe ist. Mir wäre es lieber, wenn ich dich die ganze Zeit im Auge habe." „Dir ist schon klar, dass du mich dann heute Abend wieder hier herfahren musst?" fragte ich und ließ die Schlüssel liegen wo sie waren. Ich wusste, es würde nichts bringen, jetzt zu diskutieren anzufangen, da ich von vornherein verlieren würde. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus und er nickte. „Sicher ist mir das klar. Aber ich wäre so oder so heute Abend mit dir nach Hause gefahren", fügte er nach einer Sekunde hinzu und holte seine Autoschlüssel aus seiner Jackentasche. „Und dann werden wir beenden was ich vor kurzem angefangen habe." Bei seinen Worten jagte mir ein Schauer der Erregung durch meinen Körper und trug nicht wirklich dazu bei, dass ich in halbwegs normalem Zustand das Haus verlassen konnte.
„Dann kann ich ja nur hoffen, dass der Tag schnell vorüber geht", sagte ich mit kratziger Stimme und öffnete die Tür. Kalte Luft strömte in den Vorraum und kühlte mein noch immer erhitztes Gesicht. Nieselregen fiel beständig aus den grauen tiefhängenden Wolken, die meine Nachbarschaft in ein unheimliches Licht tauchten. Gibbs folgte mir nach draußen und ich schloss sorgfältig die Tür ab. Während wir zu seinem Wagen gingen, überkam mich erneut das Gefühl, beobachtet zu werden, obwohl weit und breit niemand zu sehen war. Aber diesmal ignorierte ich meinen Instinkt nicht und hielt wachsam meine Augen offen. Auch als wir in dem Wagen saßen, ließ dieses Gefühl nicht nach und mit einer plötzlichen Gewissheit wusste ich, dass sich meine Hoffnung, dass dieser Tag schnell vorüber gehen würde, nicht erfüllen würde.

Fortsetzung folgt...
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