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Mit dem verführerischen Duft frisch gemahlenen Kaffees in der Nase, verließ ich den kleinen Coffeeshop, der sich in einem Einkaufszentrum etwas außerhalb von Washington befand. Es war ein großes Areal, das sich über eine Ebene erstreckte. Genau in der Mitte des Gebäudes gab es einen runden Platz, der von einem Springbrunnen dominiert wurde, um den herum zahlreiche Bänke gruppiert worden waren, damit sich die Einkäufer erholen konnten - oder die Ehemänner, die darauf warteten, dass ihre Frauen endlich bereit waren, wieder nach Hause zu fahren. An diesem frühen Morgen waren sie jedoch nur teilweise besetzt, vorwiegend von Jugendlichen, die auf ihre Freunde warteten, um sich ein üppiges Frühstück vor dem Unterricht zu gönnen.
Von dem Platz zweigten sternförmig fünf Gänge ab, wo hintereinander – wie bei einer Perlenkette – ein Geschäft nach dem anderen angeordnet war. An diesem Ort konnte man alles erwerben, was das Herz begehrte. Der Boden des Einkaufszentrums war durchgehend mit beigefarbenen Fliesen ausgelegt, die in dem Licht der Lampen glitzerten. Normalerweise fiel durch das Glasdach genügend Licht, aber heute war es eher düster und beklemmend. Über Washington hing eine dicke graue Wolkendecke, aus der es unablässig regnete und einen unbarmherzig durchnässte, wenn man das Pech hatte, in der Eile den Regenschirm vergessen zu haben – so wie ich. Alleine der kurze Weg vom Parkplatz zum Eingang hatte gereicht, um festzustellen, dass ich mir heute Morgen umsonst die Haare gewaschen hatte. Wenigstens war meine schwarze Jacke Wasserabweisend, sodass mein Lieblingshemd trocken geblieben war. Wie ich dieses Wetter hasste. Schon seit Tagen regnete es hin und wieder, aber dieser Morgen setzte allem die Krone auf. Auf der Fahrt von meinem Haus hierher war im Radio von nichts anderem die Rede gewesen, als davon, dass die Feuerwehr bereits Straßen wegen lokaler Überflutungen sperren hatte müssen. Und es sollte noch mindestens bis morgen Früh so weiter regnen. Da konnte ich nur hoffe, dass wir heute keinen neuen Fall bekommen würden, denn da wäre die Spurensuche im Freien kein Zuckerschlecken, sofern sie nicht bereits von dem Wasser fortgespült worden waren.
Langsam ging ich Richtung Ausgang, in meinen Händen zwei Becher Kaffee haltend, wobei jedoch meiner mit einem Schuss Haselnusssirup und Zucker entkräftet worden war. Es war für mich nach wie vor ein Rätsel, wie Gibbs seinen Kaffee extra stark trinken konnte. Alleine der Geruch reichte, um bei mir Bluthochdruck auszulösen und er schaffte mehrere Becher davon, ohne tot umzufallen. Ein kleines Lächeln huschte bei dem Gedanken an meinem Boss über meine Lippen und mein Herz machte einen freudigen Hüpfer, so wie jedes Mal, wenn ich an ihn dachte. Dabei hatte ich geglaubt, durch die zwei Wochen, die er nicht im Dienst gewesen war, würden sich meine Gefühle verflüchtigen, aber genau das Gegenteil war passiert – sie waren immer stärker geworden. Ohne es mir äußerlich anmerken zu lassen - und zugegeben hatte ich es schon gar nicht - hatte ich ihn vermisst und mich öfters gefragt, was er wohl den ganzen Tag über machte. Ich hatte mir Jethro vorgestellt, wie er mit nur einem gesunden Arm an seinem Boot bastelte und dabei vor sich hinfluchte, da er nicht schnell vorwärts kam. So eine Schussverletzung konnte ganz schön behindernd sein, vor allem wenn man Rechtshänder war und genau in diese Schulter von einer Kugel getroffen worden war. Mittlerweile hatte ich eingesehen, dass es nicht meine Schuld gewesen war, aber dennoch quälten mich manchmal immer noch Gewissensbisse. Vielleicht hatte ich Gibbs gerade deswegen am Tag seiner Entlassung aus dem Krankenhaus angeboten, ihn ein wenig zu unterstützen, aber er hatte mein Angebot abgelehnt, womit ich innerlich bereits gerechnet hatte. Dennoch hatte ich versucht, ihn zu überzeugen, was mir lediglich eine Kopfnuss eingebracht hatte. Aber er hatte sich wenigstens von mir nach Hause fahren lassen, wo er uns einen Kaffee zubereitet hatte – überraschend schnell, obwohl er nur seinen linken Arm gebrauchen konnte. Das viele Koffein hätte mich beinahe umgehauen und als ich mir Zucker in meine Tasse geschüttet hatte, hatte mir dies einen belustigten Blick seinerseits eingebracht. Während wir alleine in Jethros Küche gewesen waren, hatten wir über alles geredet, nur nicht über das, was zwischen uns vorgefallen war. Es war so, als ob wir mit unserem Gespräch ein stillschweigendes Abkommen getroffen hätten, aber wenigstens waren wir normal miteinander umgegangen, ohne dass ich gleich das Bedürfnis verspürt hatte, die Flucht zu ergreifen. Nicht einmal mir selbst gestand ich ein, dass ich seine Nähe genoss und so hatten wir uns voneinander verabschiedet, ohne dass etwas Nennenswertes geschehen wäre.
Während den zwei Wochen, in denen Gibbs im Krankenstand gewesen war, hatte mir Direktor Sheppard die vorübergehende Leitung des Teams übertragen, was ich weidlich ausgenutzt hatte, um meine Kollegen herumzuscheuchen. Es war ein gutes Gefühl gewesen, für ein paar Tage der Boss zu sein, obwohl ich mir der großen Verantwortung mehr als bewusst gewesen war und ein klein wenig Versagensangst hatte mich ständig begleitet. Jedoch hatte ich das mit meiner üblichen Art vor den anderen verbergen können. Aber bereits nach dem ersten Tag war mir klar geworden, dass mit dem Chefermittler ein wichtiges Teammitglied fehlte. Es gab keinen, der mich anbrüllte, mir Kopfnüsse verpasste oder sonst die Leviten las – und ich hatte ihn die ganze Zeit über schrecklich vermisst, vor allem seine Blicke aus den blauen Augen, seinen schroffen Ton in der Stimme, seine mürrische Art, sein Unwissen, wenn es um Technik ging. Aber am allermeisten vermisste ich seine Berührungen, die Küsse, die wir geteilt hatten und die zärtlichen Wörter, die er mir ins Ohr geflüstert hatte, als wir uns geliebt hatten. Ich hatte wirklich geglaubt, zwei Wochen ohne ihn würden die Erinnerungen ein wenig verblassen lassen, aber das war nie geschehen – im Gegenteil. Jedes Mal, wenn ich zu Jethros leerem Schreibtisch geblickt hatte, hatte ich ihn vor mir gesehen und seine Liebkosungen gespürt, so als ob es erst gestern gewesen wäre. Äußerlich war ich stets ruhig geblieben, hatte mir nicht anmerken lassen, was in mir vorging und meine Gefühle überspielt – nur Ducky hatte mich durchschaut. Ihm war klar, dass ich Gibbs vermisste und mir den Rat gegeben, ihn zu besuchen, was ich jedoch nicht geschafft hatte. Obwohl wir uns ausgesprochen hatten, war dennoch ein wenig Angst in mir, dass wir uns erneut auseinander leben könnten und so spielte ich Tag für Tag den anderen den fröhlichen Tony vor.
Die Fälle, die uns in der Zwischenzeit ins Haus geflattert waren, hatten mich kurzzeitig von meinem Gefühlchaos abgelenkt und obwohl wir ein Teammitglied weniger waren, schafften wir es dennoch, die Verbrecher ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Zu dritt hatten wir viel mehr Arbeit gehabt, aber wir hatten es trotzdem geschafft – mit zahlreichen Überstunden.
Ich war schließlich nicht der Einzige, der am Montag vor einer Woche erleichtert gewesen war, als Gibbs vor sieben Uhr an seinem Schreibtisch gesessen und ungeduldig auf unser Auftauchen gewartet hatte. Sein Anblick hatte mir ein breites Lächeln auf die Lippen gezaubert, mein Herz hatte wild zu klopfen angefangen und ich hatte den Eindruck gehabt, mein Puls würde nie wieder in den normalen Bereich zurückkehren. Jedoch hatte mich ein Klaps auf den Hinterkopf – ich war 10 Minuten zu spät erschienen, da ein Unfall eine Kreuzung zum Teil blockiert hatte – in die Realität zurückgeholt. Ich hatte mich so sehr darüber gefreut, dass er endlich wieder arbeiten würde, dass ich ihm nicht einmal wegen dem Schlag böse sein konnte.
Die Schlinge, die seinen Arm ruhig gestellt hatte, war verschwunden, aber es war ihm ein wenig anzumerken, dass ihm die Schussverletzung immer noch schmerzte. Wenn er dachte, niemand würde ihn beobachten, rieb er sich über die Stelle und ließ vorsichtig seine Schultern kreisen. Noch am selben Tag hatte er eine lautstarke Auseinandersetzung mit Direktor Sheppard gehabt, die unbedingt gewollt hatte, dass er noch länger im Krankenstand blieb und sich vollkommen auskurierte. Aber Jethro war nun mal stur - selbst Drohungen, ihn zu feuern hatten nicht gefruchtet - und eine Stunde später waren wir zu einem Mordfall gerufen worden. Bereits wie er im Krankenhaus gesagt hatte, behandelte er mich wie immer, verpasste mir Kopfnüsse, wenn ich einen blöden Spruch von mir gab oder drohte mir mit Aktenarbeit, wenn ich am Morgen ein paar Minuten zu spät kam. Man hätte den Eindruck haben können, dass zwischen uns nie etwas gelaufen wäre, aber wenn wir einmal alleine waren, verschwand seine schroffe Art mir gegenüber ein wenig. So hatten wir letzten Donnerstag gemeinsam eine Nacht lang im Wagen ausgeharrt und dabei die Wohnung eines Verdächtigen observiert. Zuerst hatte ich Bedenken gehabt – unbegründet, wie sich herausgestellt hatte. Gibbs hatte sogar Pizza – und natürlich jede Menge Kaffee - mitgebracht, da ich bei solchen Aktionen immer nach weinigen Stunden Hunger bekam. Dass er an meinen Magen gedacht hatte, hatte mich auf eine seltsame Art gerührt.
Wir hatten über alles und jeden geredet und ich hatte ihn sogar ab und zu zum Lachen gebracht. Je näher der Morgen gerückt war, desto mehr hatte die Luft zwischen uns geknistert und hätte der Verdächtige – der schlussendlich doch unschuldig gewesen war – nicht seine Wohnung verlassen, hätten wir wahrscheinlich etwas getan, dass wir beide hinterher vielleicht bereut hätten. Und so hatten wir uns zurückgehalten – so schwer es uns auch fiel - obwohl das Verlangen nach Berührung auf beiden Seiten vorhanden war. Immerhin könnte es ja wieder passieren, dass wir danach gehemmt miteinander umgingen und sich unsere privaten Probleme auf die Arbeit auswirken könnten. Und so kam es, dass wir es über eine Woche ausgehalten hatten, ohne die Beherrschung zu verlieren.

Ein heftiger Rempler riss mich aus meinen Gedanken über Gibbs und beinahe hätte ich die beiden Kaffeebecher fallen gelassen. Nur mit Mühe behielt ich sie in meinen Händen und als ich mich umdrehte, um den Störenfried auszumachen, erhaschte ich nur noch einen Blick auf den Rücken eines großen Mannes mit dunklen kurzen Haaren. Er war von oben bis unten durchnässt und schien es mehr als eilig zu haben. „Hey!" rief ich ihm hinterher, aber er reagierte nicht. Kopfschüttelnd sah ich ihm hinterher, entschied aber, dass es sinnlos wäre, ihm zu folgen. Er schien nicht einmal bemerkt zu haben, dass er mich gerammt hatte und dass ziemlich hart. Aber ich war heute guter Laune, obwohl ich bereits vor sechs Uhr aufgewacht war, und so ließ ich den Fremden ziehen. Ich rückte den Deckel von Gibbs' Becher zurecht und ging weiter Richtung Ausgang. Mein Blick blieb auf dem Schaufenster eines Juweliers hängen und so bemerkte ich die drei Männer nicht, die an mir vorbeistürmten. Ich konzentrierte mich auf die Ohrringe, die in der Auslage ausgestellt waren. Die meisten waren mehr als protzig und mit einem Stirnrunzeln fragte ich mich, wer sich so etwas kaufte. Als ich zwei Tage nachdem Gibbs angeschossen worden war, den Ring des Toten Waffenschmugglers entfernt und mir selbst einen gekauft – einen einfachen silbernen. Obwohl ich dem Verkäufer meinen Wunsch mehr als präzise geäußert hatte, war er mit einer ganzen Palette wieder aus dem Hinterzimmer aufgetaucht und hatte tatsächlich versucht, mir die teuersten Sachen anzudrehen. Im Nachhinein musste ich zugeben, dass mir ein paar der Ohrringe durchaus gefallen haben, aber da Jethro gemeint hatte, mir würde der silberne stehen, hatte ich schlussendlich auch wieder so einen genommen. Und es war die richtige Entscheidung gewesen. Ein Grinsen huschte über mein Gesicht, als ich an die verblüfften Gesichter von Ziva und McGee dachte, als ich am Dienstag morgen – den Montag hatte uns Direktor Sheppard netterweise freigegeben – ins Büro gekommen war. Nicht einmal eine Minute später war Tim um 20 Dollar ärmer gewesen, da er mit der jungen Frau gewettet hatte, dass ich den Schmuck entfernen würde.
Ich riss mich von der Auslage des Juweliers los und gleich darauf trat ich in den strömenden Regen hinaus. Mit eiligen Schritten lief ich zu meinem Wagen, wurde aber trotzdem durchnässt. Ich schüttelte wie ein Hund meinen Kopf, um die Wassertropfen zum größten Teil aus meinen Haaren zu bekommen – im Endeffekt ein sinnloses Unterfangen - und setzte mich hinter das Steuer. Zufrieden stellte ich fest, dass ich heute mal pünktlich erscheinen würde. Ich stellte die Kaffeebecher in die dafür vorgesehenen Halterungen und startete den Motor, um zum NCIS Hauptquartier zu fahren – ohne zu ahnen, dass in meiner Jackentasche ein kleines Handy steckte, hinter dem bald skrupellose Killer her sein würden.

Fortsetzung folgt...
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