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Die Türen des Aufzuges öffneten sich und ich betrat die kleine Kabine, um gleich darauf den Knopf für die Forensik zu drücken. Ich lehnte mich gegen die Wand, so wie ich es vor einer Viertel Stunde bereits einmal getan hatte und schloss für einen kurzen Moment die Augen. In meiner Hand hielt ich den Beweismittelbeutel mit dem Handy, das auf mich wieder einmal den Eindruck machte, dass es mehr wog als es tatsächlich tat und meinen Arm nach unten zog. Müdigkeit breitete sich in meinem Körper aus und ich widerstand dem Drang, mich auf den Boden gleiten zu lassen und einfach zu schlafen, zu vergessen, dass hinter mir Gangster her waren. Eine Sekunde später jedoch straffte ich meine Muskeln, öffnete meine Augen und richtete mich zu meiner vollen Größe auf. Nein, ich durfte mich nicht unterkriegen lassen, egal ob ich auf einer Abschussliste stand oder nicht. Das war ja so, als ob ich bereits aufgegeben hätte und als ob ich mich damit abgefunden hätte, dass ich womöglich diesen Tag nicht überleben würde.
Ich ließ meinen Blick durch die kleine Kabine schweifen, versicherte mich, dass es nicht irgendwo doch eine Kamera gab, die mich beobachtete und verpasste mir selbst mit der freien Hand eine Kopfnuss, die Gibbs alle Ehre gemacht hätte. Der kurze Schmerz holte mich effektiv in die Wirklichkeit zurück und vertrieb die deprimierenden Gedanken aus meinem Gehirn. Ein Anthony DiNozzo ließ sich nicht hängen. Ich hatte die Lungenpest, einen Undercovereinsatz mit Ziva und vor allem einen ganzen Tag mit meiner jungen Kollegin in einem verschlossenen Container überlebt, da würde ich das hier auch noch schaffen. Und jetzt hatte ich zusätzlich Jethro, der nicht zulassen würde, dass mir etwas passierte - nicht dass er es früher geschehen hätte lassen. Aber diesmal war es anders, alles war anders. Ich wusste, mein gesamtes Leben hatte sich mit der gestrigen Liebeserklärung geändert und ich hatte von nun an einen Partner, dessen schlechte Launen bereits legendär waren. Aber das war nur einer der Charakterzüge, die ich an Gibbs so liebte.
Ein freudiges Lächeln bildete sich auf meinen Lippen und ich spürte regelrecht, wie der alte Tony wieder seinen Platz einnahm und nicht der leicht deprimierte, wie noch vor ein paar Sekunden. Schluss mit dem Trübsinn und immer positiv in die Zukunft blicken. Mein Vorgesetzter beim Morddezernat in Baltimore hatte mir bereits am ersten Tag eingebläut, dass sich Verbrechen nie auszahlten und auch in diesem Fall würde das zutreffen. Die Kerle, die das Handy unbedingt haben wollten, würden ihr blaues Wunder erleben. Mit einem Mal wog das kleine Gerät in meiner Hand fast nichts mehr und mir wurde klar, dass ich die deprimierte Phase hinter mir hatte. Selbst das Gefühl, dass heute noch etwas passieren würde, konnte das Lächeln auf meinen Lippen nicht vertreiben und als sich die Türen des Fahrstuhls mit dem mir allzu bekannten leisen Pling öffneten, verließ ich die Kabine mit großen Schritten und betrat kurz darauf die Forensik, wo wieder einmal so laute Musik lief, dass ich die Befürchtung hatte, meine Trommelfelle würden jeden Augenblick platzen. Ich blieb abrupt stehen und beobachtete Abby, die vor ihrem Computer stand, im Takt des Songs mit dem Kopf wippte, wobei ihre Rattenschwänze wilde Tänze aufführten und mit ihrem rechten Fuß auf den Boden klopfte. Eine Sekunde später trat sie von dem Tisch zurück, wirbelte herum und eilte zu einem ihrer Babies, wobei sie so in ihrem Element war, dass sie mich gar nicht sah, obwohl ich gut sichtbar mitten im Raum stand. Ihre schlanken Finger drückten ein paar Knöpfe, ihre Lippen bewegten sich lautlos und sichtlich zufrieden nickend drehte sie sich wieder um und zuckte zusammen, als sie bemerkte, dass sie nicht mehr alleine war. Aber innerhalb einer Sekunde verzogen sich ihre schwarz gefärbten Lippen zu einem breiten Lächeln und ehe ich reagieren konnte, stürmte sie auf mich zu und umarmte mich heftig, sodass ich einen Schritt zurücktaumelte, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Ihr schlanker Körper presste sich derart fest gegen meinen, dass ich von Glück sagen konnte, dass mich mein kleiner Streit mit Ziva und der kurze Kampf in meinem Inneren von meiner Erregung - die Gibbs' Kuss hinterlassen hatte - befreit hatten. Worte, die ich aber aufgrund der lauten Musik nicht verstehen konnte kamen aus ihrem Mund, und ihre Arme drückten mir langsam aber sicher die Luft ab. Da ich nicht sicher war, ob sie mich noch in diesem Jahr wieder loslassen wollte, wand ich mich ein wenig in ihrer engen Umarmung und tippte ihr mit dem Zeigefinger meiner freien Hand auf den Rücken. Endlich schien Abby zu realisieren, dass sie dabei war, mich zu erwürgen und ließ mich los. Sie hielt mich auf Armeslänge weit weg und sagte irgendetwas, was ich aber nicht verstand. Ich deutete auf meine Ohren und schüttelte den Kopf. Wie ein Wirbelwind drehte sie sich um und lief zu ihrer Stereoanlage, die sie mit einem Knopfdruck zum Verstummen brachte. Als sich wohlige Ruhe in der Forensik ausbreitete, atmete ich erleichtert auf, allerdings hatte ich die vage Befürchtung, dass ich die grausige Melodie einige Zeit lang nicht mehr aus meinem Gehirn bringen würde.
Abby kam wieder auf mich zu, verzichtete aber diesmal auf eine Umarmung. „Wie geht es dir, Tony?" sprudelte sie los und musterte mich eingehend von oben bis unten. „Sind noch alle Knochen heil? Die Prellung auf deiner Wange hat eine wirklich beeindruckende Farbe. Tut sie sehr weh? Stell dir vor, McGee hat mich heute noch vor sechs Uhr aus dem Bett geklingelt und mir gleich erzählt, was passiert ist. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass jemand so blöd war und bei dir eingebrochen ist. Aber ich wusste schon immer, dass du hervorragend auf dich aufpassen kannst, nicht umsonst liegt dieser Jemand nun tot in der Pathologie. Mein erster Weg hat mich gleich zu Ducky geführt und ich habe mir den Typen angesehen. Ich kann dir sagen, du hast mächtiges Glück gehabt, bei so einem Koloss. Kaum zu glauben, dass…" „Abbs", unterbrach ich sie schließlich, da ihr Redefluss anscheinend auch in den nächsten Minuten nicht enden würde. Sie verzog entschuldigend ihren Mund, als ihr klar wurde, dass sie mich gerade in Grund und Boden geredet hatte. „Ja, mir geht es gut", antwortete ich auf ihre erste Frage. „Und meine Knochen sind noch alle heil." Die junge Frau kam noch näher auf mich zu und strich vorsichtig mit einem Finger über die Prellung. „Tut das weh?" wollte sie wissen. „Nicht besonders", sagte ich wahrheitsgemäß und sah zu, wie ihre Augen weiter abwärts wanderten und an meinem Hals hängen blieben. Sie schürzte leicht ihre Lippen und beugte sich ganz nahe zu mir. „Hmmm…" machte sie und ich fragte mich, was sie auf einmal hatte. So weit ich wusste, hatte ich am Hals keine Verletzungen, obwohl mich der Einbrecher gewürgt hatte. Hatte er vielleicht doch irgendwelche Male hinterlassen?
Ein paar Sekunden war ich noch Abbys Blicken ausgesetzt, bis sie einen Schritt zurücktrat und ihren Kopf leicht schief legte. In ihre grünen Augen war ein amüsiertes Funkeln getreten. „Sag mal, Tony", begann sie und grinste breit. „Diesen Knutschfleck hattest du gestern noch nicht, oder? Du scheinst ja eine wilde Nacht gehabt zu haben, ganz abgesehen davon, dass du jemanden erstochen hast." „Was?" fragte ich irritiert und griff mir unwillkürlich an meinen Hals. Meine Reaktion entlockte ihr ein noch breiteres Grinsen und sie wippte leicht vor und zurück – anscheinend wartete sie auf eine Erklärung. Ich schluckte und versuchte meinen plötzlich wie ausgedörrten Mund zu befeuchten. Ohne auf die junge Frau zu achten, stürmte ich zu ihrem Schreibtisch, legte das Handy darauf ab, nahm stattdessen eine der CDs, die herumlagen und drehte sie so, dass ich mich in der spiegelnden Fläche betrachten konnte. Ich kniff meine Augen zusammen und untersuchte meinen Hals, versuchte das zu sehen, was meine Freundin anscheinend gefunden hatte. Und tatsächlich: Ein paar Millimeter oberhalb des Hemdkragens war ein Knutschfleck zu erkennen, der sich leicht von meiner Haut abhob. Heute Morgen hatte ich ihn gar nicht entdeckt, als ich mich im Bad im Spiegel betrachtet hatte, wobei ich aber mehr auf die Prellung geachtet hatte und nicht auf meinen Hals. Aber anscheinend war er nicht so leicht zu finden, sonst hätte Ziva bereits einen Spruch von sich gegeben oder Gibbs hätte ihn ebenfalls erwähnt. Allerdings war ich mir nicht ganz so sicher, immerhin war seine Sehkraft nicht mehr die Beste. Bei dem Gedanken an meinen Freund verzog ich meine Lippen zu einem liebevollen Lächeln und strich zärtlich über den Knutschfleck – ein deutliches Zeichen unserer leidenschaftlichen Nacht. Mich wunderte es überhaupt nicht, dass er mich auf diese Weise „gebrandmarkt" hatte, immerhin hatte er immer wieder an der Haut an meinem Hals geknabbert und mir dadurch einen Schauer der Erregung nach dem anderen über den Rücken gejagt.
„Erde an Tony", sagte Abby hinter mir und legte mir eine Hand auf meine Schulter. Durch diese unerwartete Berührung zuckte ich zusammen und mir glitt die CD aus den Fingern. Mit einer wahren Akrobatiknummer schaffte ich es, sie aufzufangen, bevor sie zu Boden fiel und womöglich zerkratzt worden wäre. Nicht, dass dadurch wichtige Daten oder grausame Songs ihrer Lieblingsband verloren gingen. „Tschuldigung", erwiderte ich, legte die dünne Scheibe vorsichtig auf den Schreibtisch ab und drehte mich zu der jungen Goth um, wobei ich hoffte, dass sie nicht merkte, dass sich meine Wangen plötzlich warm anfühlten. „Ich war ganz in Gedanken." „Ja, das habe ich mitbekommen", erwiderte sie und erneut wurde ich von ihren Augen förmlich geröntgt. „Und, war sie gut?" wollte sie gleich darauf wissen, schob einen Papierstapel zur Seite und setzte sich neben ihre Tastatur auf den Tisch. „Was?" Im ersten Moment wusste ich gar nicht, wovon sie sprach, bis mir dämmerte, dass sie ja keine Ahnung hatte, dass ich mit Gibbs zusammen war und nicht mit irgendeiner Frau. Und ich wusste, sie würde nicht locker lassen, bis sie die gewünschten Informationen hatte. Am liebsten würde ich ihr gleich sagen, dass ich den Knutschfleck von Jethro hatte, aber ich hatte ihm versprochen, mit niemanden über unsere Beziehung zu reden – außer mit Ducky – und jetzt verfluchte ich mich dafür, dass ich ihm diesen Wunsch gewährt hatte.
„Deine neue Freundin", fuhr Abby fort. „War sie gut? Wie ist sie so? Doch nicht wieder so ein Blondchen wie deine Letzte, die sich schließlich als Waffenschmugglerin herausgestellt hat." Ich schüttelte den Kopf und mir lagen die Worte: graue Haare bereits auf der Zunge, aber ich schluckte sie hinunter.
„Überhaupt kein Blondchen", antwortete ich, was auch der Wahrheit entsprach. Ich räusperte mich und hoffte, dass ich ihre Neugier mit meinem nächsten Satz befriedigen würde, denn sonst könnte es passieren, dass ich mich glatt in Widersprüche verwickeln würde. „Und die Nacht war mehr als leidenschaftlich. Aber leider endete sie ja durch einen bedauerlichen Zwischenfall." Bewusst brachte ich wieder den Einbrecher ins Spiel, aber Abby ließ sich nicht hinters Licht führen. „McGee hat mir gar nicht gesagt, dass eine Frau bei dir war." „Ähm… sie war auch gar nicht da." Ich steckte meine Hände in meine Hosentaschen, um zu verhindern, dass ich anfing, sie nervös zu kneten. „Könnten wir jetzt wieder…" versuchte ich sie von dem Frage-Antwort Spiel abzubringen, aber sie tippte sich mit einem Finger nur an die Lippen und schien mich gar nicht gehört zu haben. Ihr Gesicht hellte sich eine Sekunde später auf und sie strahlte mich an. „Also ein One-Night Stand? Da kann die Gute von Glück reden, dass sie nicht länger geblieben, sondern wieder nach Hause gefahren ist." Ich spürte, wie die Röte in meine Wangen zurückkehrte und verwünschte Gibbs ein wenig, dass er mich hier herunter geschickt und mich somit Abby ausgesetzt hatte. „Ehrlich gesagt, war es…" begann ich, unfähig auch nur einen ganzen Satz von mir zu geben. Wieso konnte ich ihr nicht einfach die Wahrheit sagen? Aber ich wollte nicht riskieren, dass dann Jethro auf mich sauer sein würde. Obwohl, wenn ich es mir recht überlegte, könnte die Versöhnung durchaus leidenschaftlich werden. Zuerst einen handfesten Streit und anschließend heißer Sex. Alleine bei dem Gedanken wurde mir schwummrig und gegen meinen Willen bildete sich auf meinen Lippen ein Grinsen.
Die junge Frau sah mich neugierig an und ich öffnete bereits meinen Mund, um ihr tatsächlich die Wahrheit zu sagen, ihr zu gestehen, dass es Gibbs gewesen war, der mir den Knutschfleck verpasst hatte, aber ich kam nicht dazu. Denn plötzlich stieß sie einen triumphierenden Schrei aus, sprang vom Tisch und einen Bruchteil einer Sekunde später kam ich erneut in den Genuss einer Umarmung. „Ich hatte ja keine Ahnung, Tony!" rief sie begeistert in mein linkes Ohr und drückte mich ganz fest. „Ach ja?" fragte ich vorsichtig, nicht sicher, worauf sie hinaus wollte. Hatte sie vielleicht etwas gemerkt?
„Du bist verliebt", fuhr sie genauso laut fort, ließ mich los und strahlte mich an. „Wieso bin ich nicht schon viel früher darauf gekommen? Ich schwöre dir, in den letzten Tagen hattest du ständig ein Funkeln in den Augen und warst öfters mit den Gedanken ganz wo anders. Und heute dieser Knutschfleck und obwohl du erst vor ein paar Stunden einen Mann erstochen hast, siehst du richtig glücklich aus. Ich fasse es nicht. Anthony DiNozzo ist tatsächlich verliebt." Mit offenem Mund starrte ich Abby an, ein wenig ungläubig darüber, dass mir so deutlich anzusehen war, dass es mich richtig erwischt hatte. Und ich wusste, es würde nichts bringen, wenn ich es jetzt abstreiten würde und so zuckte ich ein wenig hilflos mit den Schultern. „Ich bekenne mich für schuldig", sagte ich und grinste verlegen. „Das ist ja klasse!" rief Abby und klatschte begeistert in die Hände. „Wie heißt sie? Wo kommt sie her? Welche Haarfarbe hat sie? Habt ihr schon ein Datum für die Hochzeit? Was…?" Und schon wieder prasselten Fragen wie Hagelkörner auf mich ein, wobei ich nicht einmal richtig mitbekam, dass sie mich nach einer Hochzeit fragte. Jetzt war die junge Frau wieder in ihrem Element und schien gar nicht zu merken, dass ihr nicht mehr so richtig zuhörte.
Das Klingeln meines Handys erlöste mich schließlich nach ein paar Sekunden und ich zog es ganz schnell aus meiner Hosentasche und stellte verwundert fest, dass es McGee war. Der Forensikerin war das störende Geräusch ebenfalls nicht entgangen und hielt in ihrem Monolog inne.
„Was gibt es?" meldete ich mich, lehnte mich mit der Hüfte gegen einen Tisch und fuhr mir erleichtert durch meine Haare. „Wo steckst du?" kam mir Tims Stimme entgegen. „Bei Abby, das weißt du doch." „Ähm… ja. Also, Gibbs lässt fragen, wieso du so lange brauchst, ein Handy ins Labor hinunter zu bringen und lässt ausrichten, wenn du deinen Hintern nicht in zwei Minuten hier herauf verfrachtet hast, kannst du dir einen neuen Job suchen." Ich schloss die Augen und fragte mich unwillkürlich, ob Jethro wirklich sauer war, das ich so lange brauchte, oder ob er nur den Schein wahren wollte. „Bin schon unterwegs", erwiderte ich, klappte mein Telefon zu und verstaute es wieder in meiner Hosentasche. „Der Boss ruft", sagte ich zu Abby, wobei ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich froh war, ihrer Fragerei zu entkommen. Ich nahm den Beweismittelbeutel mit dem Handy und gab ihn ihr. Erst jetzt schien sie zu bemerken, dass ich ihr Arbeit gebracht hatte. „Das ist der Grund, weshalb in der Nacht jemand bei mir eingebrochen ist. Ich habe es heute Morgen in meiner Jackentasche gefunden. Kannst du herausfinden, was daran so wichtig ist?"
Abby betrachtete das kleine Gerät stirnrunzelnd – wieder ganz die Forensikerin. Aber ich wusste, sie würde nicht vergessen, dass ich verliebt war und mich bei der nächsten Gelegenheit erneut ausfragen. Bis es so weit war hoffte ich, dass der Fall vorbei war und Gibbs und ich uns nicht mehr versteckten.
„Wenn etwas auf dem Handy ist, werde ich es finden. Und jetzt zisch ab, Tony. Der Big Boss wartet nicht gerne." Ich konnte ihre Enttäuschung spüren, dass sie nun warten musste, bis sie mehr Informationen über meine „Freundin" erfuhr. In diesem Moment sah sie wie ein unschuldiges Schulmädchen aus, deshalb seufzte ich leise und meinte: „Blaue Augen, so tief wie ein See und weiche Lippen, die einen ins Paradies schicken." Meine Worte waren nicht gelogen, denn das traf alles auf Jethro zu. Abbys Miene hellte sich auf, was mich zum Lächeln brachte. „Bis später", verabschiedete ich mich, verließ ihre geheiligten Hallen und eilte zum Fahrstuhl. Ich hatte noch 53 Sekunden und es wäre doch gelacht, wenn ich das nicht schaffen würde.

51 Sekunden später, nachdem ich für meinen Geschmack viel zu lange auf den Fahrstuhl hatte warten müssen, verließ ich die kleine Kabine, eilte zu meinem Schreibtisch und ließ mich auf meinen Stuhl fallen. Ziva telefonierte noch immer und McGee hatte seinen Kopf in einer Akte vergraben. Bei diesem Wort setzte ich mich kerzengerade auf und starrte auf den hohen Stoß direkt vor mir, der, bevor ich in das Labor hinuntergefahren bin, noch nicht da gewesen war. Unwillkürlich entfuhr mir ein Stöhnen und ich sah zu Gibbs, der einen Becher Kaffee in der Hand hielt, genüsslich einen Schluck trank und mir ruhig entgegen blickte. Seine Miene war wie eh und je verschlossen und wüsste ich nicht, dass er noch vor 15 Minuten Ich liebe dich zu mir gesagt hatte – wenn auch lautlos – würde ich sofort glauben, dass sich zwischen uns nichts verändert hatte. Aber hinter der Maske des Chefermittlers steckte ein ganz anderer Mann und das wussten wir beide. Dennoch spielte ich das Spiel mit, obwohl es mir lieber wäre, er würde mich hier und jetzt vor allen küssen.
„Das ist nicht dein Ernst", sagte ich und kam in den Genuss eines funkelnden Blickes und einer erhobenen Augenbraue. „Was habe ich jetzt schon wieder angestellt, dass ich Akten abarbeiten muss?" „Gar nichts", antwortete er, nahm einen weiteren Schluck, stand auf und kam zu mir herüber. „Aber es ist ein Zeitvertreib, bis Abby herausgefunden hat, was es mit dem Handy auf sich hat. Außerdem hält es dich davon ab, eines deiner sinnlosen Computerspiele zu starten." „Und was ist mit dem anderen Fall?" „Den hat jetzt ein anderes Team übernommen. Ich habe mit Direktor Sheppard gesprochen und ihr gesagt, dass es sinnvoller ist, wenn wir uns ganz darauf konzentrieren, herauszufinden, wer bei dir eingebrochen ist." „Aber der andere Fall wäre sicher ein besserer Zeitvertreib als langweilige Akten", erwiderte ich und setzte bewusst meinen Dackelblick auf, da ich wusste, dass dieser ihn innerhalb von Sekunden weich wie Butter werden ließ. Jethro schluckte sichtlich und krallte seine Finger um den Kaffeebecher, der gefährlich zusammengedrückt wurde. Seine griesgrämige Miene begann zu bröckeln und ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Allerdings ließ mich kurz darauf ein lautes Krachen zusammenzucken und ich wusste, dass meine Chance, mich vor den Akten zu drücken, dahin war.
Ich blickte zu Ziva, die den Telefonhörer mit Wucht auf die Station geknallt hatte und Verwünschungen gegen eine unsichtbare Person ausstieß. „So ein Idiot! Nur weil ich eine Frau bin, heißt das noch lange nicht, dass ich gleich mit ihm Essen gehe. Pah, da bittet man nett um ein Überwachungsband und er fragt mich gleich nach meiner Telefonnummer. Kaum zu fassen." „Ganz meiner Meinung", sagte ich grinsend, welches mir aber sofort gefror, als mir Gibbs einen mörderischen Blick zuwarf. „Tschuldigung, Boss", murmelte ich und schnappte mir eine der Akten. Gott, wie ich diese Dinger hasste.
„Was ist nun mit dem Überwachungsband?" fragte er, trank seinen Kaffee aus und warf ihn gezielt in den Mülleimer neben meinem Schreibtisch. „Das bekommen wir nicht", antwortete sie und bei ihren Worten zuckte ich zusammen. Das war gar nicht gut und das wütende Gesicht, das Jethro auf einmal hatte, ließ mich unbewusst mit dem Stuhl ein paar Zentimeter zurückrollen. „Was soll das heißen, wir bekommen es nicht?!" schrie er und veranlasste McGee dazu, sich noch weiter in seiner Akte zu vergraben. Ziva hingegen zeigte kein Anzeichen von Angst. „Es ist so, dass das Band weg ist. Die Filme werden auch nicht auf einer Festplatte gespeichert, sodass man beliebig viele Kopien machen könnte. Der Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst hat gemeint, gestern sei jemand aufgetaucht und hätte nach dem Band gefragt. Aber da er gerade Pause hatte, hat er den Raum verlassen, ohne sich den Mann näher anzusehen. Ich habe ihn gefragt, ob ich mit seinem Kollegen sprechen könnte, der sich um den Besuch gekümmert hatte, aber der ist ab heute Morgen im Urlaub und zwar in Brasilien auf einem Abenteuerurlaub." „Abenteuerurlaub?" fragte Gibbs und an seiner Schläfe pochte gefährlich eine Ader. „Sag jetzt nicht, du weiß nicht, was ein Abenteuerurlaub ist, Boss?" wollte ich wissen und rollte sicherheitshalber noch weiter zurück, damit er mir keine Kopfnuss verpassen konnte. „Ich weiß was das ist, DiNozzo", erwiderte er schroff, atmete tief durch und fuhr etwas ruhiger fort: „Das heißt, wir können ihn nicht erreichen?" Ziva nickte und war sichtlich erleichtert, noch ihren Kopf zu haben. „Er ist in der Nacht abgeflogen und im brasilianischen Dschungel gibt es bekanntlich keinen Handyempfang."
„Ich stell mir das aufregend vor", sagte ich und stützte meinen Kopf auf meine Hände. „Kein Telefon, keine Verbrecher, sondern nur Mutter Natur und man muss selbst jagen, um etwas zu essen zu bekommen." „Und so etwas würde dir gefallen?" fragte Ziva und sah mich zweifelnd an. „Du weißt schon, dass du dort keine Burger mit Pommes, keine Pizza oder einen Schokoriegel bekommen kannst. Und auf deine Männermagazine musst du auch verzichten." „Und wenn ihr euch beide nicht sofort an die Arbeit macht, schicke ich euch persönlich auf einen Abenteuerurlaub", meinte Gibbs ärgerlich und ging zu seinem Platz. „Und zwar zum Nordpol", fügte er hinzu, nachdem er sich auf seinen Stuhl gesetzt hatte.
Ich wusste, dass er es durchaus Ernst meinte und so zog ich es vor, mich auf die Akte vor mir zu konzentrieren. Allerdings schaffte ich das gerade einmal für eine Minute, dann gab ich dem Drang nach und sah zu Jethro, der telefonierte, mir aber entgegenblickte, so als ob er gespürt hätte, dass ich meinen Kopf gehoben hatte. Ich verlor mich aufs Neue in seinen blauen Augen und wünschte, wir würden alleine sein und nicht in einem Großraumbüro, in dem es von Agents nur so wimmelte. Auf seinen Lippen lag ein kleines Lächeln, was eine angenehme Wärme in mir hervorrief und ich fuhr langsam mit meiner Zunge die Länge des Bleistiftes entlang, den ich in den Fingern hielt, wobei ich aber nicht an das Schreibwerkzeug dachte. Gibbs wusste genau, was ich damit signalisieren wollte und zog ein wenig am Kragen seines Poloshirts, so als ob er ihm die Luft abschnüren würde. Ich grinste, zuckte aber gleich darauf zusammen, als Ziva wütend auf ihren Computer einschlug, der wieder einmal nicht das tat was sie wollte. Ich riss meinen Blick von meinem Freund los, der anscheinend ganz vergessen hatte, dass er noch immer jemand am Telefon hatte und betrachtete erneut die Akte, sah aber nicht die Buchstaben vor mir, sondern Gibbs, der nackt auf einem Bett lag und auf mich wartete. Gedankenverloren begann ich ein Herz mitten auf den Bericht zu zeichnen und bekam somit nicht mit, wie mich Ziva stirnrunzelnd betrachtete und kurz darauf zwischen mir und Jethro hin und her blickte, so als ob sie spüren würde, dass da mehr war als bloße Freundschaft.

Fortsetzung folgt...
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