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Gibbs' und Fornells Besprechung in ihrem persönlichen Konferenzraum dauerte ungewöhnlich lange. Normalerweise verließen sie innerhalb von ein paar Minuten wieder den Fahrstuhl, aber diesmal schien es wohl leichte Probleme zu geben – nicht dass ich mir Sorgen machen würde, dass sie sich eventuell die Köpfe abrissen. Dafür mochten sie sich viel zu gerne.
Allerdings war es mehr als offensichtlich, dass die Agents, die vor den Aufzugstüren warteten, in naher Zukunft einen Mord begehen würden. Ihre Ungeduld konnte ich sogar von meinem Platz aus erkennen, aber auf die Idee, dass sie die Treppe benutzen konnten, kamen sie wohl nicht, so nach dem Motto: Sport ist Mord. Dabei würde es zwei oder drei von ihnen überhaupt nicht schaden, ein paar Kalorieren zu verbrennen. Bei diesem Wort meldete sich mein Magen unverhohlen zu Wort. Das laute Knurren erreichte sogar Zivas Ohren, obwohl um uns herum Telefone klingelten. Nicht genug, schienen es die FBI Agenten ebenfalls mitbekommen zu haben. DeLay, der sich auf der brusthohen hölzernen Mauer neben dem Schreibtisch meiner Kollegin mit den Ellenbogen aufgestützt hatte, sah mich belustigt mit einer erhobenen Augenbraue an und das Grinsen, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete, enthüllte zwei Reihen weiße Zähne. Seit Gibbs und Fornell im Fahrstuhl verschwunden waren, hatte er ein paar Fragen darüber gestellt, wie der Arbeitsablauf beim NCIS so aussah und man könnte den Eindruck haben, er wolle die Bundesbehörde wechseln. In den vergangenen Minuten hatte er mich ständig angesehen. Ich hatte seine Blicke förmlich auf mir gespürt, obwohl ich mich auf die Akte vor mir konzentriert hatte. Das Gefühl, dass er mehr über das Handy wusste, war vollkommen verschwunden und bestätigte mir damit, dass meine Nerven seit dem Einbruch letzte Nacht einfach ein wenig überstrapaziert waren. Noch dazu hatte sich herausgestellt, dass DeLay Magnum mochte, nachdem er Ziva gefragt hatte, ob sie den roten Ferrari auch so super fand. Diese hatte nur mit den Schultern gezuckt und mich damit zum Grinsen gebracht. Wäre der Mann nicht vom FBI, hätte ich mit ihm sofort eine Diskussion über meine Lieblingsserie angefangen, aber so hatte ich meinen Mund gehalten und Akten bearbeitet. Ich traute ihm nach wie vor nicht.
Sacks hatte sich mit verschränkten Armen an die Mauer neben dem breiten Fenster gelehnt und ließ mich nicht aus den Augen. Seit seiner Frage, ob ich ihm gedroht hatte, hatte er kein Wort mehr gesagt, aber ich konnte richtig fühlen, wie schwer ihm das fiel. Ihm schien genauso wie mir klar zu sein, dass wir wohl anfangen könnten, uns gegenseitig zu verprügeln. Das gäbe eine wunderbare Schlagzeile in der Zeitung: Zwei Bundesagenten schlagen sich mitten in einem Großraumbüro.
Aber jetzt, wo er sich mein Magen lautstark zu Wort gemeldet hatte, schaffte er es nicht mehr, gelangweilt an der Wand stehen zu bleiben. Er stieß sich ab und stützte sich wie sein Kollege auf der brusthohen Mauer mit den Ellenbogen ab – allerdings neben meinem Schreibtisch. Ich hätte sogar schwören können, seinen Atem in meinem Nacken zu spüren.
„Hunger, Agent DiNozzo?" fragte er prompt und grinste mich beinahe spöttisch an. „Verdient ihr hier beim NCIS nicht genug, dass ihr euch nichts zu Essen kaufen könnt?" Um meine Fassung bemüht, presste ich meine Kiefer fest aufeinander und versuchte ihn zu ignorieren. „Also, wenn ich hier herauskomme, dann werde ich mir erst einmal einen großen Burger gönnen. Ist zwar nicht gesund, aber hilft hervorragend gegen Hunger." Wütend schlug ich die Akte zu, krallte meine Finger um den Bleistift und wünschte mir, dass es sein Hals wäre. „Was ist eigentlich Ihr Problem, Sacks?" fuhr ich ihn an, mir allzu bewusst, dass meine Stimme viel zu laut war. Überrascht von meinem kleinen Ausbruch, hob er eine Augenbraue. Ich wusste, dass in meiner Nähe keiner mehr arbeitete. Selbst McGees Blicke konnte ich auf meinem Rücken spüren. „Wenn Sie unbedingt jemanden nerven wollen, suchen Sie sich einen Ihrer Kollegen, aber lassen Sie mich in Ruhe! Ansonsten sorge ich gleich dafür, dass Sie in den nächsten Wochen Ihr Essen nur noch durch einen Strohhalm zu sich nehmen können!"
Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und in ihnen glomm richtige Mordlust auf, aber mir war das egal. Ich hatte heute definitiv keinen Nerv für irgendwelche Scherze, schon gar nicht, wenn sie von so einem aufgeblasenen Kerl kamen. „War das schon wieder eine Drohung, Agent DiNozzo?" fragte er mit gepresster Stimme und beugte sich vor, sodass nicht mehr viel Raum zwischen uns war. „Allerdings, Agent Slacks." Ich sprach seinen Namen bewusst falsch aus und mich hätte es nicht gewundert, wenn er mich beim Kragen meines Hemdes gepackt und zu sich herangezogen hätte.
„Ich könnte Sie wegen Bedrohung eines Bundesagenten verhaften, das ist Ihnen schon klar, oder?" Die Worte hatten unüberhörbar einen spöttischen Unterton angenommen, weshalb ich den Bleistift auf den Tisch knallte, aufsprang und mein Gesicht ganz nahe an seines brachte. „Dann tun Sie es doch! Ansonsten ziehen Sie Leine und lassen mich endlich in Ruhe!" Wir fixierten uns mit den Augen, keiner war bereit, als erstes wegzusehen.
„DiNozzo!" Die laute Stimme von Gibbs ließ mich zusammenzucken und Sacks und ich drehten synchron die Köpfe. Fornell und mein Freund standen nebeneinander neben DeLay, wobei sich die FBI Agenten köstlich zu amüsieren schienen. „Kann man dich nicht einmal alleine lassen, ohne dass du gleich wieder Mist baust?! Und jetzt setz dich auf deinen Stuhl oder ich werde nachhelfen!" Verzweifelt suchte ich nach einem Anzeichen dafür, dass er nicht wütend auf mich war. Ich schluckte, als mir bewusst wurde, dass er es durchaus ernst meinte und so ließ ich mich grummelnd auf den Sessel fallen. Hatte sich denn plötzlich jeder gegen mich verschworen? Ich warf Gibbs einen verletzten Blick zu, der ihn leicht zusammenzucken ließ und schnappte mir eine weitere Akte, allerdings ohne sie aufzuschlagen, da Fornell das Wort ergriff.
„Agent Sacks, Agent DeLay, suchen Sie alles zusammen, was Sie über Jeremy McDonald herausgefunden haben und bringen Sie es anschließend hierher. Falls Gibbs noch weitere Hilfe benötigt, werden wir Sie ihm geben. Und jetzt lassen Sie uns zurückfahren und machen Sie sich an die Arbeit." Tobias sah mich kurz an, nickte leicht und drehte sich um, um zum Fahrstuhl zurückzugehen. Verwundert darüber, dass das FBI ohne weiteres kooperieren würde, klappte mir ein wenig der Mund auf und ich hob überrascht meine Augenbrauen. Wie hatte Jethro das nur hinbekommen? Ziva und ich tauschten einen kurzen ratlosen Blick, der in einem Schulterzucken ihrerseits endete.
Sacks schien genauso verblüfft zu sein und er hatte seinen Ärger mir gegenüber vollkommen vergessen. DeLay nahm das alles gelassen, verabschiedete sich freundlich und folgte seinem Vorgesetzten, der bereits beim Aufzug wartete. „Wollen Sie hier Wurzeln schlagen?" fragte ich in den dunkelhäutigen FBI Agenten, der sich daraufhin wieder mir zuwandte. „Wir sehen uns noch, Agent DiNozzo." „Ist das eine Drohung, Agent Sacks?" Zu meiner größten Verblüffung verzog er seinen Mund zu einem Grinsen, schüttelte den Kopf und ging zu seinen beiden Kollegen.
„Und ich hatte schon gedacht, ihr würdet noch anfangen, euch hier zu schlagen", sagte McGee ein wenig enttäuscht, so als ob er sich bereits auf eine richtige Prügelei gefreut hätte. „Ich habe schon darauf gewartet, dass ihr euch die Köpfe einschlägt", fuhr Ziva fort und grinste spöttisch. „Hört auf, alle beide!" An Gibbs' Schläfe pochte gefährlich eine Ader und als er sich zu mir herunterbeugte, widerstand ich nur knapp dem Drang mit meinem Stuhl zurückzufahren. Er stützte seine Hände auf der Schreibtischplatte ab und brachte sein Gesicht so nahe an meines, dass ich seinen warmen Atem auf meiner Haut fühlen konnte. Unwillkürlich ließ ich meinen Blick zu seinen Lippen schweifen, konzentrierte mich aber gleich darauf auf seine Augen, die mich durchdringend ansahen. „Ich weiß, dass du Agent Sacks nicht leiden kannst, Tony", sagte er überraschend leise – ich hatte schon mit einem Donnerwetter gerechnet, oder mit einer Kopfnuss. „Ich kann es dir nicht einmal verdenken, da er dich ins Gefängnis geschickt hat. Aber du bist Bundesagent, also benimm dich auch so. Das FBI ist bereit, uns zu helfen und somit brauchen wir auch die Unterstützung von Agent Sacks, also reiß dich zusammen. Noch Fragen?" „Ähm…" meinte ich dazu, was ihm ein Lächeln entlockte. Gott, roch dieser Mann gut. Seine Nähe machte mich ganz schwummrig und wären wir nicht mitten in einem Großraumbüro, hätte ich ihn sofort zu mir gezogen, um ihn leidenschaftlich zu küssen.
„Keine Fragen", brachte ich schließlich hervor, was ihn zufrieden nicken ließ und er sich wieder aufrichtete. „Hatte ich auch nicht erwartet", erwiderte er, schenkte mir einen liebevollen Blick und ging schließlich zu seinem Schreibtisch. Ziva sah mich wissend mit erhobener Augenbraue an und ich wusste, sie begann schon wieder, sich Gedanken um mich und Jethro zu machen.
Ich schlug die Akte vor meiner Nase auf, als sich mein Magen schon wieder zu Wort meldete. Grummelnd rieb ich mir darüber und blickte zu Gibbs, der an seinem Platz saß und etwas in seinen Computer tippte. „Boss?!" rief ich, damit er mich auch ja verstand. Er hob seinen Kopf und bedeutete mir mit einem Nicken, dass er hörte. „Ich hätte doch noch eine Frage. Wenn du dir einen Kaffee holst, kannst du mir etwas zu Essen mitbringen? Sonst verhungere ich hier noch." Und da war es wieder, dieses kleine Lächeln, das ich an ihm so mochte. Er überlegte ein paar Sekunden, bevor er meinte: „Sicher. Kein Problem. Ich bringe nur noch kurz Direktor Sheppard auf den neusten Stand." Zufrieden mit seiner Antwort, konzentrierte ich mich wieder auf die Akte, aber gleich darauf hob ich noch einmal meinen Kopf, da ich spürte, wie mich Ziva ansah. „Was?" fragte ich genervt. „Nichts", erwiderte sie unschuldig, schenkte mir aber einen wissenden Blick. Ich konnte es ihr nicht einmal verdenken. Denn wann erklärte sich Gibbs schon einmal widerstandslos bereit, mir Essen mitzunehmen. Grinsend sah ich auf das Schriftstück vor mir. Gott, wie ich diesen Mann liebte.

Fortsetzung folgt...
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