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Um 6:59 Uhr betrat ich das Großraumbüro, in dem bereits die übliche Geschäftigkeit herrschte. Gekonnt wich ich einem jungen Agent – der aussah, als ob er gerade mal 18 Jahre alt wäre – aus, der einen Berg Akten in den Händen hielt. Er konnte gerade genug über die Ordner linsen, um nicht gegen eine Wand zu laufen – nur mich hätte er beinahe übersehen. Heute hatte ich bereits Übung darin, mit jemandem zusammenzustoßen, jedoch konnte ich auf ein zweites Mal gut verzichten, vor allem, da ich Gibbs seinen Kaffee bringen wollte, ohne einen Tropfen zu verschütten. Er hatte ein unheimliches Gespür dafür, wenn etwas mit seinem Lieblingsgetränk nicht stimmte. Ich konnte nur hoffen, dass es ihm nichts ausmachte, dass der Kaffee ein wenig ausgekühlt war.
Die Agent stammelte eine Entschuldigung, ging weiter und als ich ihm nachsah, bekam ich gerade noch mit, wie er gegen eine Wand stieß, in dem Versuch, um die Ecke zu biegen. Grinsend schüttelte ich den Kopf, trat zu meinem Schreitisch, stellte die beiden Becher ab und ließ meinen Rucksack auf den Boden fallen. „Ich bin beeindruckt, Tony", sagte Ziva und verfolgte, wie ich meine Jacke auszog und über den Stuhl hängte. „Nachdem du die letzten paar Mal zu spät erschienen bist, hätte ich nie damit gerechnet, dass du heute pünktlich zur Arbeit kommen würdest. Hat dich deine Freundin rausgeschmissen?" Ich wollte gerade nach Jethros Kaffee greifen, hielt aber in der Bewegung inne. Obwohl ich die letzten Wochen kein einziges Mal etwas von einer Frau erzählt hatte, schien sie davon auszugehen, dass ich wieder liiert war. Ein weiterer Beweis dafür, dass Gibbs und ich unsere Rollen mehr als überzeugend spielten, aber trotzdem entschied ich mich kurzer Hand, sie nicht in ihrem falschen Glauben zu lassen. „Ich bin zurzeit Single, Ziva", erwiderte ich und grinste, als sie überrascht ihre Augenbrauen hob. „Falls du es vergessen hast, meine letzte Freundin hat sich als verrückte Waffenschmugglerin entpuppt, die versucht hat, mich umzubringen. Ich habe mir gedacht, ich suche mir meine nächste Partnerin ein wenig sorgfältiger aus." Die Worte kamen sehr schwer über meine Lippen, da sie nicht einmal annähernd der Wahrheit entsprachen. Aber ich würde ihr sicher nicht auf die Nase binden, dass ich überhaupt kein Interesse mehr an Frauen hatte, sondern mich zu Männern hingezogen fühlte – im Speziellen zu einem Mann.
Ich schnappte mir den Kaffeebecher und blickte zu Gibbs, der konzentriert in einer Akte las, wobei er seinen Kopf so weit wie möglich weg hielt, um die Buchstaben scharf zu sehen. Ich lächelte leicht und eine Welle der Zärtlichkeit überschwemmte mich, obwohl er auf mich den Eindruck machte, wütend zu sein. Seine Stirn war gerunzelt und er hatte seinen Mund ärgerlich verzogen. Ich wusste nur zu genau woran es lag und das war auch der Grund, weshalb ich mich heute Morgen entschieden hatte, in dem Einkaufszentrum einen Zwischenstopp einzulegen. Der Lieblingscoffeeshop meines Bosses war für eine Woche geschlossen, da die Inhaber der Ansicht waren, renovieren zu müssen. Und da ich wusste, wie sich Koffeinentzug auf seine Laune auswirkte, wollte ich seiner schlechten Stimmung vorbeugen. Sicher, er hätte sich beim Automaten im Foyer Kaffee kaufen können, nur schmeckte dieser mehr nach Wasser, wie ich aus Erfahrung wusste. Außerdem hegte ich die Hoffnung, dass er mir verzeihen würde, dass ich die letzten beiden Tage zu spät erschienen war, wobei es nie meine Schuld gewesen war. Ich hatte versucht ihm zu erklären, dass der Morgenverkehr mörderisch gewesen war. Jethro hatte jedoch nur gemeint, ich solle rechtzeitig losfahren und hatte mir 10 Minuten später einen großen Stapel Akten auf den Tisch geknallt, den ich immer noch nicht vollständig abgearbeitet hatte. Da hatte ich mir wirklich zum ersten Mal gewünscht, er würde mich bevorzugen, aber als er eine Viertel Stunde später McGee zusammengestaucht hatte, der zu lange gebraucht hatte, um ihm einen anständigen Kaffee zu besorgen, war ich wieder versöhnt gewesen. Vor allem als der Kopf meines jungen Kollegen gleich darauf ebenfalls hinter einem Stapel Akten verschwunden war, der noch größer als meiner gewesen war… Nur hätte ich mich nicht zu einem hämischen Grinsen hinreißen lassen sollen, was mir einen mörderischen Blick und noch mehr Akten eingebracht hatte. Ziva hatte mir schließlich von der Renovierung erzählt und da ich einen weiteren Tag Schreibtischarbeit nicht überleben würde, hatte ich extra einen kleinen Umweg über das Einkaufszentrum genommen, wo es diesen kleinen Shop gab, der äußerst köstlichen Kaffee produzierte.

„Alles in Ordnung, Tony?" riss mich Ziva aus meinen Gedanken und erst jetzt bemerkte ich, dass ich noch immer vor meinem Schreibtisch stand, Gibbs' Kaffeebecher in der Hand hielt und wahrscheinlich einen mehr als dämlichen Eindruck erweckte. Die junge Frau musterte mich kritisch und ihrer Miene konnte ich entnehmen, dass sie mich für nicht ganz zurechnungsfähig hielt. Ich setzte einen möglichst gleichgültigen Gesichtsausdruck auf und antwortete: „Sicher. Mir geht es prima." Sie hob zweifelnd eine Augenbraue und schien zu überlegen, ob sie nachbohren sollte, schüttelte aber schließlich den Kopf und schwieg. Ohne dass sie es ahnte, war ich ihr mehr als dankbar dafür, denn ich hätte sie nur anlügen müssen, hätte sie darauf bestanden zu erfahren, weshalb ich geistig abwesend vor meinem Schreibtisch stand. Wer konnte schon sagen, wie sie reagieren würde, wenn sie die Wahrheit erfuhr. Wahrscheinlich würde Ziva mich ungläubig anstarren, zu lachen anfangen, weil sie es für einen Scherz hielt und wenn sie realisiert hatte, dass ich es durchaus ernst meinte, würde sie mich schließlich damit aufziehen – natürlich nur, wenn der Boss nicht in der Nähe war.
Um ihr nicht noch einen weiteren Grund zu geben, auf mir herumzuhacken, ließ ich sie einfach sitzen, wohl wissend, dass sie mir mit erhobener Augenbraue nachblickte. Als ich mich jedoch kurz umdrehte, vergrub sie sich ganz schnell in einer Akte und setzte eine unbewegte Miene auf, die nicht einmal einem Psychiater verriet, was sie dachte.
McGee hingegen hob interessiert den Kopf, als ich zielstrebig zu Gibbs ging. Sein Stapel war seit gestern weniger geworden und da er keine Anstalten machte, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, beschloss ich, ihm ein paar meiner Akten unterzuschieben – natürlich ohne dass er etwas davon mitbekam. Ich unterdrückte ein Grinsen, ignorierte meinen Kollegen, der mein Gespräch mit Ziva sicher gebannt verfolgt hatte, auch wenn er sich die Mühe gab, nicht so auszusehen und trat vor Jethro, der noch immer konzentriert in der Akte las, die auf seinem Tisch lag. Seine Stirn war weiterhin ärgerlich gerunzelt, so als ob ihm die Informationen vor ihm nicht gefallen würden. Er hatte seine Lippen verzogen und schien mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein. Ich wusste, er war über irgendetwas wütend, was in mir den Wunsch auslöste, ihn aufzuheitern, egal wie. Mit dem Bewusstsein, seinen Zorn eventuell auf mich zu ziehen, sagte ich fröhlich: „Morgen, Boss." Als er meine Stimme vernahm, hob er prompt den Kopf. Seine blauen Augen fanden ohne zu zögern meine und alleine das genügte, um meinen Puls in die Höhe zu jagen – ich vergaß sogar, weshalb ich überhaupt zu ihm gekommen war. Die Kälte des Wetters wurde innerhalb von Sekunden aus meinem Körper vertrieben und angenehme Wärme breitete sich in meinem Inneren aus. Jethro musterte mich, registrierte meine nassen Haare, blieb kurz an meinen Lippen hängen und wandte seine Aufmerksamkeit schließlich dem Gegenstand in meiner Hand zu. Sein Gesichtsausdruck änderte sich von ärgerlich auf erfreut, wobei ich mich unwillkürlich fragte, ob das an mir oder am Kaffee lag, von dem er heute Morgen sicher noch zu wenig zu sich genommen hatte. Ich tippte eher auf das Letztere, wobei ich jedoch hoffte, er würde sich auch über meinen Anblick freuen wie über Koffein.
Gibbs verzog seinen Mund zu einem kleinen Lächeln und griff ohne zu fragen nach dem Becher, bevor ich ihn auf den Tisch stellen konnte. Dabei berührten sich eher unabsichtlich unsere Finger und wir hielten beide prompt in der Bewegung inne. Unsere Augen fanden sich erneut und auf einmal schien die Zeit still zu stehen. Jethro sah mich mit einem Ausdruck an, den ich noch nie vorher bei ihm wahrgenommen hatte, der mir jedoch wildes Herzklopfen verursachte. Mein Hals wurde staubtrocken und die Welt um mich herum verschwamm vollkommen. Ich vergaß, dass wir uns in einem Großraumbüro befanden, dass in unserer Nähe ständig ein Telefon klingelte und mir war sogar egal, dass uns Ziva und McGee beobachten konnten. In dieser kurzen Zeitspanne – denn es waren nicht mehr als drei Sekunden - in der wir uns anblickten und Körperkontakt hatten, veränderte sich plötzlich etwas zwischen uns. Die Luft war auf einmal voller Spannung und knisterte förmlich. Mein Verstand klinkte sich aus und noch nie dagewesene Gefühle überschwemmten mich. Mein Puls schoss erneut in die Höhe und ich war unfähig, meinen Blick von ihm zu lösen. In diesen drei Sekunden, die unsere Berührung insgesamt dauerte, überkam mich blitzartig die Erkenntnis – eine Erkenntnis, die mein Herz bereits seit Wochen wusste, die mein Verstand aber erst jetzt realisierte. Unglauben breitete sich in mir aus, als mir bewusst wurde, dass ich mich tatsächlich in Leroy Jethro Gibbs verliebt hatte.

Ich konnte mich nicht bewegen, es schien als ob mit der Zeit auch meine Nerven und Muskeln erstarrt waren. Unsere Finger berührten sich immer noch, gewärmt von dem Kaffee, der sich in dem Becher befand. Ein unsichtbares festes Band schien zu verhindern, dass wir unseren Blick lösen konnten und in einem hinteren Winkel meines Gehirns wusste ich, dass Ziva und McGee genau verfolgen konnten, was da vor sich ging – nur war mir das momentan mehr als egal. Wichtig war nur die neugewonnene Erkenntnis, von der ich nicht wusste, ob ich mich darüber freuen oder erschrecken sollte. Das Gefühlschaos, das mich seit unserem Undercovereinsatz gequält hatte, war innerhalb einer Sekunde entwirrt und es fühlte sich richtig gut an. Mein gesamter Körper war mit einem angenehmen Kribbeln überzogen und mein Herz schlug schneller als sonst in meiner Brust. Die ganze Situation kam mir ein wenig wie ein Traum vor, wobei ich mir nicht sicher war, ob ich lieber in meinem Bett aufwachen wollte, um den Tag erneut zu beginnen, oder ob die Zeit einfach weiter vorwärts laufen sollte.
Ein lautes Klingeln ließ mich schließlich ungewohnt heftig zusammenzucken und wie von einer Tarantel gestochen ließ ich den Kaffeebecher los, der auf den Tisch gefallen wäre, hätte ihn Gibbs nicht ebenfalls festgehalten. Dieser blinzelte kurz, schien sich neu orientieren zu müssen. Verwirrt sah er sich um und bemerkte erst nach einer Sekunde, dass es das Telefon war, das uns beide wieder in die Realität zurückgeholt hatte. Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, als mir einfiel, dass ich Jethro noch nie so durch den Wind gesehen hatte.
Er nahm den Hörer ab, trank, bevor er sich meldete, einen großen Schluck Kaffee und brummte: „Gibbs." – wieder ganz der übellaunige Chefermittler. Ich trat einen Schritt zurück, um ein wenig Distanz zwischen uns zu schaffen, doch die erhoffte Wirkung blieb aus – im Gegenteil, je länger ich ihn ansah, desto stärker sehnte ich mich danach, ihn zu berühren. Das Kribbeln auf meiner Haut wurde intensiver und ich glaubte bereits, mich irgendwo in einen Ameisenhaufen gesetzt zu haben. Ich bekam nicht einmal mit, dass Ziva und McGee neugierig zu uns herüberblickten und die knappen Worte, die Jethro mit dem Anrufer wechselte, verfolgten. Er runzelte ungehalten seine Stirn – was ihn ungemein attraktiv machte, wie ich fand – knurrte etwas Unverständliches und sah zum Fenster hinaus, an dem Regentropfen hinunter rannen. Kurz darauf knallte er den Hörer wieder zurück und öffnete die oberste Schublade seines Schreibtisches, um die Waffe herauszuholen. „Wir haben einen neuen Fall", sagte er und schnappte sich seine Jacke, die über seinem Stuhl hing. Während meine Kollegen sich zum Aufbruch fertig machten, stand ich noch immer am selben Fleck, starrte ungläubig meinen Boss an und versuchte die Worte Ich liebe Gibbs zum Verstummen zu bringen, die unablässig in meinem Gehirn widerhallten. Ich war in meinem gesamten Leben noch nie richtig verliebt gewesen und ich hatte immer geglaubt, nie zu wissen, wie sich richtige Liebe anfühlen würde, aber jetzt wusste ich es und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wollte ich dieses Gefühl für ewig behalten.
Ein kleiner Gegenstand traf mich an der Brust und fiel leise klirrend zu Boden, was jedoch ausreichte, um mich in die Wirklichkeit zurückzuholen. Ich blinzelte und erst jetzt bemerkte ich, dass mich meine Kollegen ein wenig seltsam anblickten. Zivas Mundwinkel zuckten verräterisch, McGee versuchte ein unsichtbares Staubkorn von seiner Hose zu wischen und Jethro hob eine Augenbraue, bevor er einen weiteren Schluck Kaffee trank. Ich sah zu Boden, wo vor meinen Füßen die Schlüssel lagen, die ich nur zu gut kannte. Anscheinend war ich so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich nicht einmal mitbekommen hatte, wie sie mir der Chefermittler zugeworfen hatte. Unwillkürlich schoss mir das Blut ins Gesicht und ich bückte mich ganz schnell, um sie aufzuheben. „Das heißt wohl, ich soll den Truck auftanken", sagte ich mit leicht belegter Stimme, als ich wieder aufrecht stand. „Ausnahmsweise hast du Recht", erwiderte Gibbs. „Na los, wir treffen uns in fünf Minuten unten." Wie auf Kommando liefen Ziva und McGee zum Fahrstuhl, während ich zu meinem Tisch ging, um meine Sachen zu holen. Noch immer war ich von meinen Gefühlen überwältigt und meine Hände zitterten ein wenig, als ich die Schublade aufzog.
„Tony?" Ich hob so schnell meinen Kopf, dass meine Halswirbel leise knackten. Vor mir stand Jethro und musterte mich intensiv aus seinen blauen Augen. Die Wut, die er auf den Anrufer gehabt hatte, war verschwunden und war erneut diesem undefinierbaren Ausdruck gewichen, mit dem er mich bereits vor einigen Minuten angesehen hatte. Ich räusperte mich, um meinen Hals frei zu bekommen und fragte: „Ja?" ‚Hat er etwas gemerkt?' schoss es mir durch den Kopf. ‚Weiß er, was ich für ihn empfinde? Oder will er mir nur die Leviten lesen, weil ich noch immer hier bin, anstatt den Truck aufzutanken?' Ich stellte mir bereits zahlreiche Szenarien vor, aber mit den nächsten Worten hätte ich nie gerechnet.
„Danke für den Kaffee", sagte er leise, so als ob er Angst hätte, dass ihn jemand belauschen könnte. Ich sah ihn überrascht an, bevor sich auf meinen Lippen ein Grinsen bildete. Er erwiderte ohne zu zögern mein Lächeln, was mich mit unglaublicher Wärme erfüllte. „Gern geschehen", meinte ich schließlich, noch immer davon überwältigt, dass er sich soeben bei mir bedankt hatte. ‚Ich weiß doch, wie unausstehlich du bist, wenn du kein Koffein bekommst', fügte ich in Gedanken hinzu. „Und jetzt tank endlich den Truck auf." „Bin schon unterwegs, Boss", erwiderte ich prompt, schnappte mir meinen Becher, den Rucksack und die Schlüssel und eilte zum Fahrstuhl, um in die Garage hinunter zu fahren. So bekam ich auch nicht mit, wie mir Gibbs sehnsuchtsvoll nachblickte, seinen Kaffee austrank und murmelte: „Ach, Tony."

Fortsetzung folgt...
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