Es war kurz nach Mittag, als Gibbs das Hauptquartier verließ, um sich seinen wohlverdienten Kaffee zu besorgen – und Essen für Tony. Er hatte ihn so flehend angesehen, dass er nicht anders hatte können, als zu sagen, dass er ihm etwas mitnehmen würde. Außerdem würde es auch eine kleine Entschädigung dafür sein, dass er ihn vorher so angebrüllt hatte. Der kurze Schmerz in seinen Augen hatte ihm wahrscheinlich mehr wehgetan als Anthony selbst, aber in diesem Moment war er wirklich wütend darüber gewesen, dass sich Agent Sacks und sein Freund wie im Kindergarten aufführten – nicht, dass er das nicht schon gewöhnt wäre.
Kopfschüttelnd steckte er seine Hände in die Jackentaschen und atmete die wohltuende kühle Luft ein. Der Regen hatte komplett aufgehört und selbst die Wolken schienen weniger geworden zu sein, aber noch hatte es die Sonne nicht geschafft, sich durchzusetzen. Das bessere Wetter passte auch zu seiner Laune. Irgendwie schien sich alles zum Guten zu wenden. Sie würden die benötigen Informationen über Jeremy McDonald bekommen, ohne dass er etwas dafür tun musste. Dass Fornell wusste, wie seine Gefühle für Tony waren, störte ihn mittlerweile nicht mehr und er wusste, dass dieser seinen Mund halten und kein Wort darüber verlieren würde. Schließlich wollte er ja seinen Kopf noch ein wenig länger behalten.
Aber eine Sache vermieste ihm doch ein wenig seine gute Laune – die Tatsache, dass sein Lieblingscoffeeshop noch immer geschlossen hatte und erst wieder nächsten Montag öffnen würde. Jetzt musste er sich für die verbleibenden Tage ein anderes Geschäft suchen, mit dem Wissen, dass es nirgendwo so guten Kaffee geben würde. Der Dealer, der noch am ehesten sein Grundnahrungsmittel so zubereitete wie er es am liebsten mochte, lag vier Blocks weiter entfernt als der andere. Allerdings störte ihn das nicht sonderlich. Ein kleiner Spaziergang würde ihm sicher nicht schaden und die kühle Luft würde ihm gut tun, um wieder einen freien Kopf zu bekommen.
Ohne lange zu überlegen, bog Jethro in eine ruhige Seitenstraße, die eine Abkürzung war, ein. Hier war kein einziges Auto geparkt und die Häuser waren größtenteils unbewohnt, aber dennoch gepflegt. Die Fenster waren sauber und die Wände vor kurzem gestrichen worden, allerdings würde es sicher nicht lange dauern, bis sie wieder mit Graffitis vollgeschmiert sein würden.
Mit großen Schritten strebte Gibbs dem Ende der menschenleeren Straße zu und er hätte schwören können, den Kaffeeduft bereits zu riechen. Und er wusste, dass ganz in der Nähe ein neues chinesisches Restaurant eröffnet hatte, das laut McGee köstliches Essen hatte. Einfach perfekt, um den Magen seines Freundes zu beruhigen. Er konnte ja schlecht zulassen, dass er verhungerte, während er Akten bearbeitete. Ein liebevolles Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, als er an Tony dachte, wie er an seinem Schreibtisch saß und ein Gähnen unterdrückte. Er war unübersehbar müde, was ihn aber unglaublich attraktiv machte. Wie hatte er in den letzten Jahren übersehen können, dass dieser Mann so sexy war, egal was er machte?
Jethro war so in seine Gedanken vertieft, dass er den aufheulenden Motor eines Wagens hinter ihm beinahe nicht gehört hätte. Von dem Geräusch aus seinen Gedanken gerissen, ging er auf die Seite, um nicht überfahren zu werden, blieb stehen und drehte sich um – nur um gleich darauf zu erstarren. Sein Herz fing an schneller zu schlagen, als er den schwarzen Ford erkannte, der ihm und Tony heute Morgen gefolgt war. Obwohl es sicher tausende solcher Fahrzeuge gab, wusste er sofort, dass es das Auto war, das ihnen an der Stoßstange geklebt war. Die getönten Scheiben spiegelten die Häuser wider und machten es ihm unmöglich zu erkennen, wer hinter dem Steuer saß. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde wurde Gibbs klar, das er mächtig in Schwierigkeiten steckte – nicht umsonst war dieser Ford plötzlich hinter ihm aufgetaucht. Ein Zufall konnte das nicht sein.
Wieder ganz Bundesagent, reagierte er blitzschnell und griff nach der Waffe an seiner Hüfte, aber noch bevor er sie ziehen konnte, hörte er Schritte hinter sich. ‚Verdammt', schoss es ihm durch den Kopf, als ihm bewusst wurde, dass er dem anderen Ende der Straße den Rücken zugekehrt hatte. In einer einzigen Bewegung zog er seine Pistole und drehte sich um, um noch zu sehen, dass vor ihm ein bulliger Mann stand, bevor ihn dessen Faust hart am Unterkiefer traf und ihn zurücktaumeln ließ. Schmerz explodierte in seinem Kopf, aber er schüttelte ihn ab. Innerhalb einer Sekunde sah er wieder klar, aber das hatte seinem Gegner gereicht, ein kleines schwarzes Gerät zu ziehen, das er nur zu gut kannte – einen Elektroschocker. Sein Angreifer, dessen Gesicht hinter einer Skimaske verborgen war, grinste ihn hämisch an, was ihm aber wieder verging, als ihn Jethro frontal rammte und mit ihm gegen die gegenüberliegende Hausmauer prallte. Gleich darauf schlug er dem muskulösen Mann seine freie Faust in den Magen und Befriedigung erfüllte ihn, als der andere schmerzhaft aufkeuchte. Aber dieses Gefühl konnte er nicht lange auskosten, als ihn plötzlich ein harter Schlag zwischen die Schulterblätter traf und ihn zu Boden gehen ließ. Unwillkürlich schrie er auf und durch den Aufprall auf dem nassen Asphalt wurde ihm die Waffe aus der Hand geprellt. ‚Dein zweiter Fehler', schoss es ihm noch durch den Kopf. Er hatte den Fahrer des Fords vollkommen vergessen, als ihm bewusst geworden war, dass jemand hinter ihm war.
Den Schmerz in seiner Wirbelsäule ignorierend, wollte Gibbs aufspringen, als ihn ein harter Tritt in den Bauch traf, ihm die Luft aus den Lungen presste und somit diesen Versuch zu Nichte machte. Zwei Paar Hände packten ihn und drehten ihn mit Wucht auf den Rücken, was ihn ein weiteres Mal aufkeuchen ließ. Er wollte sich aufrichten, aber gleich darauf schloss sich eine große Hand um seinen Hals und drückte ihm die Luft ab. ‚Nein, nein, nein', schoss es ihm durch den Kopf und er versuchte verzweifelt, sich gegen den harten Griff zu wehren. ‚Du darfst sie nicht gewinnen lassen.' Aber Jethro war bewusst, dass er verloren hatte. Er hatte sich wie ein Anfänger überrumpeln lassen, nicht gemerkt, dass sich jemand in einem Hauseingang versteckt hatte. Die Umgebung begann vor seinen Augen zu verschwimmen, als die Luft immer knapper wurde. Über ihm tauchten zwei maskierte Gesichter auf. „Angenehme Träume, Agent Gibbs", sagte er Mann, dem er die Faust in den Magen gerammt hatte. Nur am Rande bekam er mit, wie der Angreifer das Wort Agent höhnisch betonte. Er spürte, wie ihm der Elektroschocker seitlich gegen seinen Körper gedrückt wurde. Eine Sekunde später durchfuhr ihn ein explosionsartiger Schmerz, gefolgt von undurchdringlicher Schwärze. Die Geräusche um ihn herum waren wie in Watte verpackt und er spürte fast gar nicht mehr, wie ihn ein zweiter Schock durchfuhr. Seine letzten Gedanken, bevor er in tiefe Bewusstlosigkeit fiel, galten Tony, dem Mann, den er über alles liebte.
Fortsetzung folgt...