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Irgendwo in Washington
45 Minuten später


Gibbs wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit sie ihn alleine gelassen hatten. Es hätten nur ein paar Minuten oder auch bereits Stunden sein können. Zeit war für ihn plötzlich ein relativer Begriff, etwas, das sich unendlich in die Länge zog. Und noch nie war er so unruhig gewesen. Hätte er die Möglichkeit gehabt, würde er in diesem Raum auf und ab laufen, wahrscheinlich so lang, bis seine Schritte Kerben in dem Betonboden hinterlassen hätten. Aber er war weiter dazu verdammt, hier herumzuhängen, ohne eine Chance zu haben, sich aus seiner misslichen Lage zu befreien. Das Seil grub sich mittlerweile mehr als unangenehm in seine Haut, die an dieser Stelle schmerzhaft brannte. Obwohl er nichts sehen konnte, war er sich sicher, dass sie bereits rot und aufgeschürft war und es fehlte nicht viel, da würde er zu bluten beginnen. Seine Finger hatten angefangen zu kribbeln und er wusste, es würde nicht mehr lange dauern, bis er das Gefühl in ihnen verlor.
Seine Schultergelenke spürte Jethro seit mehreren Minuten nicht mehr, außer er bewegte sich und ein stechender Schmerz schoss ihm bis in den letzen Winkel seines Gehirns. Die Kälte in dem Raum ließ ihn in regelmäßigen Abständen erzittern und auf seinen bloßen Armen hatte sich unwiderruflich eine Gänsehaut gebildet. Nicht einmal die Tricks, die er bei den Marines gelernt hatte und die einem helfen sollten, sich warm zu halten, halfen ihm in dieser Situation. Wie auch? Er konnte ja nicht einmal ein wenig herumlaufen, um seine Muskeln dazu zu bringen, Wärme zu produzieren.
Aber noch viel schlimmer als diese Kälte war die Stille, die ihn umgab. Das Tropfen von Wasser auf den Boden machte ihn halb verrückt, auch wenn es ein netter Zeitvertreib war zu zählen, wie viele Tropfen aufschlugen. Die Rohre gurgelten ab und zu, gefolgt von einem ächzen, dass man meinen könnte, sie würden jeden Moment abbrechen und mit einem lauten Krachen nach unten fallen. Und dann waren da noch die leisen Geräusche von kleinen Pfoten, die über den Boden huschten. Sie kamen ihm hin und wieder ziemlich nahe, berührten ihn aber nicht, so als ob die kleinen Nager spüren würden, dass sie der Chefermittler ohne zu zögern mit einem seiner Füße zerquetschen würde. Wenigstens hätte er somit etwas gehabt, an dem er seine Wut auslassen konnte. Frustration war ein Gefühl, das er eigentlich nicht kannte, das ihn aber, je länger er hier gefangen war, immer mehr überkam und er das Bedürfnis hatte, einen lauten Schrei auszustoßen. Aber jedes Mal schluckte er jedes noch so kleine Geräusch hinunter, das seiner Kehle zu entkommen drohte. Er würde diesen Verbrechern nicht zeigen, was sie ihm eigentlich damit antaten, dass sie ihm die Augen verbunden und ihn zur Untätigkeit verdonnert hatten.
Aber diese Gefühle waren im Gegensatz zu der Angst, die Gibbs seit geraumer Zeit quälte, relativ harmlos. Er war sich bewusst, dass er sich Gedanken darüber machen sollte, wie er hier lebend rauskommen könnte, aber dennoch machte er sich mehr Sorgen um Tony als um sich selbst. Immerhin würde dieser höchstwahrscheinlich diesen Ort nur mehr als Toter verlassen. Derjenige, der hinter dem Ganzen steckte, würde weder ihn noch seinen Freund verschonen, dafür stand für ihn viel zu viel auf dem Spiel - das hatte Jethro erkannt, als er herausgefunden hatte, wer der Drahtzieher war. Zwar war er nach außen hin weiter ruhig geblieben, aber dennoch beschlich ihn das ungute Gefühl, dass es der andere durchaus mitbekommen hatte, dass seine Identität nicht länger geheim war. Im Prinzip hätten sie ihm die Augenbinde gleich abnehmen können, aber er war weiterhin dazu verdammt, hier blind herumzuhängen.
Gibbs' Gedanken schweiften erneut zu Tony ab, der sicher bereits auf dem Weg hierher war. Gary hatte ihm erzählt, dass er ihn mit dem Handy des Chefermittlers angerufen hatte, um ihm zu sagen, dass er hierher kommen sollte, alleine und unbewaffnet. Anschließend hatte er sich darüber ausgelassen, dass sich Anthony Sorgen um ihn machte und hatte deswegen auch noch angefangen zu lachen. Jethro hatte das einfach über sich ergehen lassen, zu sehr war er damit beschäftigt gewesen, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Sein Herz war ein einziger schmerzhafter Klumpen und er wünschte sich, sein Freund würde nicht auf die Forderungen dieser Verbrecher eingehen und sein eigenes Leben retten, indem er einfach im Hauptquartier blieb, wo er halbwegs in Sicherheit war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihn einfach mitten im Großraumbüro erschießen würden, außer sie verspürten den Wunsch, einen Fahrschein ins Jenseits zu bekommen, was er sich nicht vorstellen konnte. Aber so wie er Tony kannte, würde er nicht tatenlos zusehen und ihn einfach seinem Schicksal überlassen. Es war das erste Mal, dass er sich wünschte, DiNozzo wäre etwas skrupelloser, aber er setzte sich immer für die Menschen ein, egal welche Konsequenzen es für ihn haben würde. Und Gibbs wusste, dass er für Anthony mehr war, als nur irgendein Mensch, der Hilfe benötigte. Deshalb würde er sich auch in die Höhle des Löwen begeben, in der Hoffnung, ihn zu retten – nur um wahrscheinlich selbst den Tod zu finden.
In Jethros Kehle stieg ein Knurren auf, als er daran dachte, wie Tony eine Kugel treffen und ihn aus dem Leben reißen würde, wie seine vor Leben strahlenden grünen Augen trüb werden und reglos an die Decke starren würden. „Damit werdet ihr nicht durchkommen", flüsterte er und zerrte an dem Seil. Die Angst verlieh ihm neue Kräfte und er spürte nicht einmal mehr die Schmerzen in seinen Schultergelenken, als er versuchte, sich zu befreien. Die körperliche Qual war nur ein Bruchteil dessen, was sein Herz zusammenkrampfen ließ und ihm sein logisches Denken nahm. Der Teufel sollte ihn holen, wenn er einfach so zulassen würde, dass Tony etwas passierte. Irgendwie würde er es schon schaffen, sich zu befreien und sei es, dass er sich dafür etwas ausrenken oder brechen musste. Was spielten die physischen Schmerzen schon für eine Rolle? Sie würden irgendwann vergehen, wieder heilen, wohingegen die psychischen bleiben würden, solange bis…
Gibbs hielt inne, als Schritte erklangen und sich seinem Gefängnis näherten. Der Schwerfälligkeit nach war es Gary und nicht sein Boss, von dem die meiste Gefahr ausging. Auch wenn er äußerlich nicht so aussah, so war er skrupellos und konnte sich perfekt überall einschleichen, konnte sich überall Zutritt verschaffen. Es wunderte ihn auch nicht mehr, dass sie so schnell herausgefunden hatten, dass Tony das Handy hatte und wo er wohnte. Genauso wenig überraschte es ihn, dass der Sicherheitsdienst von dem Einkaufszentrum das Überwachungsband so ohne weiteres hergegeben hatte.
Die Schritte kamen immer näher und übertönten mittlerweile das leise Tappen der Pfoten der Nager, die Jethros einzige Gesellschaft gewesen waren. Automatisch drehte er seinen Kopf in die Richtung, aus der der Mann kam und versuchte ruhig zu atmen und nicht seiner Wut freien Lauf zu lassen. Er hatte noch sehr gut in Erinnerung, was geschehen war, als er Gary zu heftig angeschnauzt hatte. Das stetige leichte Pochen in seiner linken Wange war Beweis genug dafür.
„Sie haben hier ein kleines Rattenproblem", sagte Gibbs mit einem Hauch Sarkasmus, als die Schritte verstummt waren. „Vielleicht sollten Sie einmal einen Kammerjäger anrufen." Für ein paar Sekunden war es ruhig, bis schallendes Gelächter erklang, das von den Wänden um ein Vielfaches verstärkt wurde. „Haben Sie etwas gegen Ratten, Agent Gibbs?" fragte Gary amüsiert und kam näher. „Nein, außer sie sind riesengroß, bewegen sich wie ein Elefant und haben einen Mundgeruch, der den stärksten Bären umhauen würde." Gleich darauf biss er sich auf die Unterlippe und verwünschte sich selbst. Verdammt, er sollte aufhören in Tonys Angewohnt, was dämliche Sprüche betraf, zu verfallen. Andererseits konnte er in dieser Situation nicht einfach still sein, auch wenn es sinnvoller gewesen wäre. Aber er wollte Gary zeigen, dass er sich nicht unterkriegen ließ und wenn er sich deswegen wie Anthony verhielt, sollte es ihm nur Recht sein. Wenn dieser erst einmal hier war, würden sich diese Typen noch daran gewöhnen müssen, was es bedeutete, sich dumme Sprüche anzuhören, denn dass Tony seinen Mund nicht halten würde, war so sicher wie die Tatsache, dass jeden Morgen die Sonne aufging.
Die eisige Stille, die nach Gibbs' Worten in dem Raum herrschte, breitete sich immer mehr aus und er zwang sich, seinen Kopf ruhig zu halten und ihn nicht hin und her zu drehen, in der Hoffnung, ein leises Geräusch zu vernehmen. In weiser Voraussicht presste er seine Kiefer fest zusammen und das zu Recht, wie sich gleich darauf herausstellen sollte. Ein harter Schlag traf ihn im Gesicht und ließ für ein paar Sekunden Sternchen vor seinen Augen aufblitzen. Auch wenn Jethro das Gefühl hatte, sein linker Wangenknochen würde nur mehr aus einer breiigen Masse bestehen, so kam kein Laut über seine Lippen. Aber der Schmerz hatte auch etwas Gutes: sein Kopf wurde dadurch klar und er fing wieder an, wie ein Bundesagent zu denken und nicht wie jemand, der sich nur von seinen Gefühlen leiten ließ. Die Angst, die er um Tony hatte, war zwar immer noch präsent, aber er hatte sie unter Kontrolle.
Gibbs atmete ruhig weiter und hob seinen Kopf ein wenig an, bis er das Gefühl hatte, seinem Gegenüber genau ins Gesicht zu sehen. „Sie sind ja ein richtiger Scherzkeks", sagte Gary amüsiert, aber nichts desto trotz mit einem eisigen Ton in der Stimme. „Das hätte ich von Ihnen nicht erwartet." „Ich stecke eben voller Überraschungen." „Dennoch sollten Sie lieber lernen, Ihren Mund zu halten." „Das wird wohl nicht möglich sein. Dafür rede ich viel zu gerne." Was für einen Unsinn gab er da überhaupt von sich? Er und viel reden? Verdammt, er sollte wirklich aufhören, sich wie Tony zu verhalten und sich wieder wie der Chefermittler benehmen, der er war.
Zu seiner Überraschung ging Gary nicht auf seine Bemerkung ein, sondern fing an, ihn zu umrunden. Gibbs widerstand dem Drang, seinen Kopf zu drehen, seinen Schritten zu folgen, stattdessen starrte er weiterhin geradeaus, auch wenn er durch das Tuch hindurch nichts sehen konnte.
„Ihr Freund hat noch eine viertel Stunde, bevor die Frist abläuft", sagte der Mann schließlich, ohne jedoch seine Wanderung zu unterbrechen. „Ich bin gespannt, ob er hier auftauchen wird, in dem Bestreben Sie zu retten." Das letzte Wort hatte er höhnisch ausgesprochen, gefolgt von einem leisen Kichern, das so widerwärtig war, dass sich Jethros Nackenhärchen aufstellten, aber er hielt an seinem Vorsatz fest, sich nicht aus der Reserve locken zu lassen. „Ich bin schon auf das Gesicht von DiNozzo gespannt, wenn er realisiert, dass er trotz all seinen Bemühungen keine Chance hat, Sie lebend hier rauszuschaffen. Es wird mir eine Freude sein, ihn leiden zu sehen. Er wird noch merken, dass es nicht sinnvoll gewesen ist, Jerry umzubringen." „Es war Notwehr!" schrie Gibbs, unfähig seine Wut zurückzuhalten. „Und Ihr Kumpel wird deshalb auch nicht wieder lebendig, wenn Sie Tony töten!" „Nein, aber Rache fühlt sich auch gut an", erwiderte Gary ruhig, so als ob ihn nichts aus der Fassung bringen könnte. Für ein paar Sekunden waren nur die Schritte zu hören, als er weiterhin seine Runden um den Chefermittler drehte, bis er plötzlich vor ihm stehen blieb und ihm seinen fauligen Atem ins Gesicht blies. „Vielleicht werde ich mich aber auch noch vorher mit ihm amüsieren", sagte der Mann schließlich und in seiner Stimme konnte man das Grinsen förmlich hören. Gibbs rann es eiskalt über seinen Rücken hinunter und er wünschte sich, er könnte etwas dagegen tun, um sich die Worte des anderen nicht anhören zu müssen. Ihm drehte sich der Magen um, als dieser weitersprach und ihn an seinem Plan, was er alles mit Tony vorhatte, teilhaben ließ. Sein Atem beschleunigte sich und unwillkürlich krampfte er seine Finger um das Seil.
„Obwohl ich eigentlich nicht auf Männer stehe, könnte ich dieses Mal durchaus eine Ausnahme machen. Ich gehe jede Wette ein, dass DiNozzos Haare weich sind und seine Haut herrlich warm ist. Dieser muskulöse Rücken fühlt sich sicher wunderbar an, wenn man mit den Händen darüber fährt. Es hat ziemlich spaßig ausgesehen, was ihr beide gestern Abend da gemacht habt." Jethros Eingeweide verkrampften sich und seine Stimme klang rau vor unterdrückter Wut, als er fragte: „Was soll das heißen?" Aber innerlich kannte er die Antwort bereits, wusste worauf Gary hinaus wollte. Er hatte das Gefühl, jemand habe einen Kübel eisiges Wasser über seinem Kopf ausgeleert, als ihm bewusst wurde, dass jeder, der sich in dem Garten aufgehalten hätte, einen wunderbaren Blick in Tonys Wohnzimmer hätte werfen können. Der Mann vor ihm war nicht nur ein Mörder, sondern anscheinend auch noch ein Voyeur.
„Das soll heißen", fuhr der andere fort und begann erneut, hin und her zu gehen. „Dass es vielleicht sinnvoller gewesen wäre, die Vorhänge zuzumachen, bevor ihr euch so innig miteinander beschäftigt habt. Da hätte euch ja jeder beobachten können. Aber so habe ich mir wenigstens die Karte für das Kino gespart. Eure kleine Show war sehr unterhaltsam. Schade, dass ihr euch entschlossen habt, hinaufzugehen. Das Finale hätte ich gerne gesehen." Links, rechts, rechts, links, vorne, hinten. Garys Schritte schienen plötzlich von überall herzukommen. Obwohl er blind war, hatte Gibbs das Gefühl, alles würde sich um ihn drehen und er müsste sich jeden Augenblick übergeben. Dieser Typ vor ihm war krank – krank und verrückt. Er holte sich seinen Spaß, indem er andere Menschen dabei beobachtete, wie sie sich liebten. Jethro öffnete seinen Mund und holte tief Luft, zwang seinen revoltierenden Magen, dort zu bleiben, wo er hingehörte.
„Was meinen Sie?" drang Garys Stimme wie durch Watte an seine Ohren. „Sie kennen Agent DiNozzo besser als ich. Mag er es lieber auf die harte Tour oder eher sanft? Hat er lieber die Führung oder lässt er sich dominieren? Aber egal was er bevorzugt, so oder so werde ich ihn dazu bringen, wie Butter in meinen Händen zu sein. Er wird mich anflehen, ihn zu erlösen, ihn zu…" „Halten Sie die Klappe!" Noch nie hatte es jemand geschafft, Gibbs aus der Fassung zu bringen, aber sein Gegenüber schaffte es mühelos, schaffte es mit ein paar Worten, die grausame Bilder vor seinen Augen entstehen ließen. Alleine der Gedanke, dass sich jemand an Tony vergreifen würde, machte ihn rasend, auch wenn er momentan nicht in der Lage war, sich Ausraster zu leisten. Aber alleine durch das Wissen, dass Gary vorhatte, Anthony zu zwingen, mit ihm zu schlafen, kam die unglaubliche Angst, die in seinem Körper verborgen war, an die Oberfläche und ließ ihn an dem Seil zerren, solange, bis er spürte, wie warmes Blut an seinen Unterarmen hinab rann, aber das war ihm egal. Bilder von seinem Freund, der in einer Ecke kauerte, nachdem er vergewaltigt worden war, formten sich in seinem Gehirn und ließen ihn nicht mehr los. „Sie Schwein!" schrie er und versuchte mit dem Fuß auszuholen, um den anderen zu treffen, aber kaltes Metall, das sich gegen seinen Hals presste, ließ ihn wieder zur Besinnung kommen. „Noch ein Wort und ich erschieße Sie auf der Stelle, anstatt vor den Augen Ihres Freundes", zischte sein Gegenüber boshaft und drückte den Lauf der Waffe schmerzhaft gegen seine Haut.
„Lass das, Gary", erklang nach ein paar Sekunden eine Stimme von links und sorgte dafür, dass dieser die Waffe wegnahm. „Du hast nachher noch genug Zeit, um zu spielen." Gibbs drehte seinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam und fragte sich, wie lange der Mann schon dort gestanden hatte, wie viel er mitbekommen hatte. Er selbst hatte ja nicht einmal gemerkt, dass noch jemand anwesend war, so sehr war er damit beschäftigt gewesen, nicht den Verstand zu verlieren, bei den Worten, die seine Ohren erreicht hatten und die noch immer in seinem Kopf widerhallten.
„Für Sie ist das also alles nur ein Spiel?" fragte Jethro und wunderte sich über seine beherrschte Stimme. „Das gesamte Leben ist doch nur ein großes Spiel", erwiderte dieser und betrat den Raum. „Wenn das so ist, dann ist es ein Spiel, das Sie verlieren werden." „Sie sind ein unverbesserlicher Optimist, Agent Gibbs. Gary", wandte er sich an seinen Handlanger. „Geh nach oben. Unser Gast wird sicher in den nächsten Minuten eintreffen. Nimm ihn in Empfang und bring ihn hier herunter, aber lebendig, wenn es geht. Nachher kannst du dich noch gebührend um ihn kümmern." „Verstanden, Boss", erwiderte der andere unterwürfig und verschwand aus dem Raum, wobei seine schwerfälligen Schritte laut von den Wänden zurückgeworfen wurden.
„Das können Sie nicht zulassen", sagte Gibbs fast flehend. „Sie können doch nicht zulassen, dass er sich einfach an Tony vergreift. Von mir aus kann er mit mir machen was er will, nur er soll ihn in Ruhe lassen." „Es ist bedauerlich, dass dieser in diese Sache hineingezogen wurde. Glauben Sie mir, hätte Clive Erickson das Handy jemand anderem zugesteckt, würde dieser das alles durchmachen. Gary ist untröstlich über den Tod von Jerry und will seinen Schmerz ein wenig lindern. Das wird er auf seine Art und Weise machen und ich werde ihn nicht daran hindern."
Die gesamte Kraft wich aus Jethros Körper und er ließ seinen Kopf nach unten hängen. „Wieso?" fragte er leise. „Wieso machen Sie das alles?" „Macht", kam prompt die Antwort. „Und Geld. Ich habe mir geschworen, nie wieder arm zu sein. Und dafür würde ich alles machen." „Sogar einen Bundesagenten umbringen?" „Es bleibt mir nichts anderes übrig. Zuviel steht auf dem Spiel. Ich kann nicht riskieren, dass man auf dem Video doch etwas erkennt." „Wieso lassen Sie uns dann nicht einfach gehen, wenn Sie das Handy haben? Ich weiß doch nicht einmal, wer…" „Ich bitte Sie, Agent Gibbs. Wir beide wissen, wer vor Ihnen steht, also versuchen Sie nicht, sich herauszureden." „Dann können Sie mir doch genauso gut die Augenbinde abnehmen. Ich kann es nicht ausstehen, wenn ich nichts sehen kann." Unwillkürlich hielt Gibbs die Luft an. Wie er erwartet hatte, wusste der andere, dass ihm klar war, wer der Drahtzieher war. Für ein paar Sekunden war nichts zu hören, nur das regelmäßige Tropfen von Wasser und das Ächzen der Leitungen. Aber dann erklangen Schritte und gleich darauf spürte er, wie sich jemand an dem Tuch zu schaffen machte, den Knoten löste und es schließlich von seinem Kopf entfernte. Blinzelnd öffnete er seine Augen. Der Raum, in dem er sich befand, wurde nur durch eine Glühbirne hoch oben an der Decke erhellt, weshalb er nicht lange brauchte, um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Die Mauern seines Gefängnisses bestanden aus schmutziggrauem Beton und an einigen Stellen wuchs grünlich-weißer Schimmel. Eine fette Ratte scharrte in einer Ecke am Boden und zeigte ihm ihren langen kahlen Schwanz. Links von ihm war eine Tür, die offen stand und den Blick auf einen langen Gang freigab, der ebenfalls nur schwach beleuchtet war und weiter hinten einen Knick nach rechts machte. Auch dieser bestand aus Beton und hatte schon bessere Zeiten gesehen.
Gibbs jedoch interessierte der Flur nicht sonderlich, sondern er konzentrierte sich auf den Mann, der vor ihm stand und in der rechten Hand ein schwarzes Tuch hielt. Noch immer trug er den schicken Anzug, genauso wie die Krawatte, die fest um seinen Hals saß. Der Mantel war verschwunden, genauso wie der freundliche Ausdruck in den Augen. Seine Haare waren ordentlich frisiert und schienen gegen die klamme Kälte und Feuchtigkeit in diesem Keller immun zu sein. Auf seinen Lippen lag ein beinahe freundliches Lächeln und seine Stimme klang sanft, als er fragte: „Zufrieden, Agent Gibbs?" Jethro erwiderte den Blick des anderen und legte seine gesamte Verachtung in diesen. „Ich bin erst dann zufrieden, wenn Sie im Gefängnis sitzen", erwiderte er und beugte seinen Kopf ein wenig nach vorne, um den anderen noch mehr mit seinen Augen zu durchbohren, bevor er hinzufügte: „Agent DeLay."

Fortsetzung folgt...
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