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Auf den Straßen herrschte akute Aquaplaninggefahr, was Jethro jedoch nicht davon abhielt, in seinem üblichen Tempo zu fahren. Mit seinem üblichen Bleifuß bewaffnet raste er durch Washington, unserem Ziel entgegen – einer kurzen Gasse in einer Gegend, die ein Mensch mit einem normal funktionierenden Verstand nicht betreten würde. Soweit wir wussten, war das Opfer nicht identifiziert und man hatte uns nur deshalb gerufen, weil sich eine Tätowierung mit den Worten Semper Fi auf dem rechten Bizeps befand.
Gibbs bremste abrupt, da vor ihm ein Wagen nach links abbog. Ich wurde hart in den Gurt gepresst und von hinten kam ein erschrockener Aufschrei. McGee war anscheinend mal wieder von einem Ausrüstungsgegenstand getroffen worden. Ziva hingegen verzog nicht einmal einen Muskel und sah weiterhin durch die Windschutzscheibe, die voller Wasser war. Der Scheibenwischer brachten es nicht fertig, gegen den Regen anzukommen und gepaart mit der hohen Geschwindigkeit hatte ich an diesem Morgen viel mehr Angst als sonst, dass wir gegen einen Baum krachen würden. Aber da ich wusste, dass ein Protest, egal in welcher Form, sinnlos war, hielt ich meinen Mund und dachte über die neue Situation nach, in der ich steckte. Jetzt wusste ich zwar, was ich wirklich für Gibbs empfand, aber ich hatte keinen Schimmer, was ich machen sollte. Sollte ich ihm sagen, dass ich ihn liebte oder sollte ich schweigen? Aber eine Sekunde später wurde mir bewusst, dass das die schlechteste Lösung wäre. Ich konnte doch nicht Tag für Tag mit dem Mann zusammenarbeiten, der mir mehr als alles andere bedeutete und so tun, als ob nichts wäre. Andererseits, was war, wenn Jethro auf meine Liebeserklärung mit Abweisung reagierte? Ich hatte ja keine Ahnung, wie es in seinem Inneren aussah. Vielleicht waren seine Gefühle mir gegenüber in den letzten Wochen abgekühlt. Aber hätte er sich dann heute überhaupt für den Kaffee bedankt? Und dann war da dieser Ausdruck in seinen Augen gewesen, den ich vorher noch nie bei ihm gesehen hatte. Bestand etwa die Möglichkeit, dass er genauso viel für mich empfand oder hatte ich mir seinen Blick vielleicht nur eingebildet?
Ich seufzte leise, als mir klar wurde, dass mit der Erkenntnis, dass ich meinen Boss liebte, nichts einfacher geworden war, sondern eher komplizierter. Momentan konnten wir normal miteinander umgehen, aber würde sich das nicht ändern, wenn ich ihm die Wahrheit sagte? Und was war mit Regel Nummer 12? Würde sie Gibbs wegen mir brechen? ‚Nun, das hat er doch bereits einmal getan, oder?' schoss es mir durch den Kopf und unsere gemeinsame Nacht kam mir in den Sinn – eine Nacht, die ich nur zu gerne wiederholen würde. ‚Ob Jethro wohl oft daran denkt?' fragte ich mich selbst, aber ich hatte keine Möglichkeit mehr, mir eine Antwort zu geben, da er erneut abrupt abbremste, aber diesmal nicht, weil ein Wagen vor ihm hielt, sondern weil wir am Tatort angekommen waren.
Vor uns war die schmale Gasse mit gelbem Flatterband abgesperrt worden, das nass glänzte. Die sich drehenden Blaulichter der Einsatzfahrzeuge warfen groteske Figuren an die heruntergekommenen Hauswände, deren schmutziger Verputz von dem Regen feucht war. Etwa ein halbes Dutzend Polizisten, die ihre Mützen mit Plastik vor dem vielen Wasser von oben schützten, liefen vor dem Absperrband umher, um die wenigen Schaulustigen fern zu halten.
Wie ich dieses Wetter hasste, aber mir blieb nichts anderes übrig, als auszusteigen, was ich gleich darauf auch tat – und landete prompt in eine tiefe Pfütze. „Na klasse", fluchte ich, als der untere Teil meiner Jeans durchnässt wurde und zog mir mein Basecap tiefer in die Stirn, in der Hoffnung, mich so ein wenig vor dem strömenden Regen zu schützen, jedoch vergeblich. Nach fünf Sekunden, die ich brauchte, um meine Ausrüstung aus dem Truck zu holen, war ich komplett durchnässt. „Ich bezweifle, dass wir überhaupt irgendwelche Spuren finden", sagte McGee, kletterte umständlich aus dem Fahrzeug und eilte uns nach, da wir bereits auf dem Weg zum Absperrband waren. Ein besonders junger Uniformierter studierte ein wenig zu lange Gibbs' Ausweis und erst als ihn ein todbringender Blick traf, ließ er uns passieren, wobei er es schaffte, dass seine Mütze auf den Boden fiel. Mit hochrotem Gesicht sah er uns nach.
„Ich glaube, ich muss McGee Recht geben", meinte Ziva und sah auf den Toten hinunter, der mit dem Rücken auf dem nassen Boden lag, mit einem äußerst hässlichen Loch in der Stirn. An der Hauswand klebte Blut, was von der Austrittwunde stammte, ansonsten lief die rote Flüssigkeit in Schlieren in Richtung des nächsten Kanaldeckels. „Es wäre ein Wunder, wenn wir hier brauchbare Spuren finden würden", fügte sie hinzu.
Ich betrachtete hingegen den Toten, dessen weit aufgerissene Augen in den grauen Himmel blickten. Er war noch relativ jung, mit kräftigen Muskeln, die sich unter dem nassen T-Shirt, das einmal weiß gewesen war, abzeichneten. Seine Haare hatten den typischen Schnitt der Marines und man konnte deutlich die Tätowierung auf dem rechten Oberarm sehen. Die Haut wirkte fahl in dem düsteren Licht des Morgens.
„Kein netter Anblick, nicht wahr?" fragte jemand hinter uns. „Und Sie sind?" wollte Gibbs wissen, als wir uns umgedreht hatten. Keinen Meter entfernt stand ein hochgewachsener Mann Anfang 30, der die Hände in den Taschen seines schwarzen Mantels stecken hatte. Seine dichten blonden Haare waren klatschnass, aber dennoch lässig zerzaust. Hellblaue Augen musterten uns neugierig und er präsentierte ein perfektes Zahnpastalächeln, als er seine vollen Lippen zu einem breiten Lächeln verzog. In beiden Ohrläppchen steckten kleine diamantene Stecker, die sicher ziemlich teuer gewesen waren. Er machte auf mich den Eindruck eines Surfers, der in der falschen Stadt gelandet war.
„Ich bin Detective Edwards", antwortete er auf Gibbs' Frage, sah jedoch mich dabei an, wodurch ich mich plötzlich unwohl fühlte. Das Lächeln des Mannes wurde noch breiter und es hatte den Anschein, als ob er sich kurz über seine Lippen lecken würde, aber ich schob diesen Eindruck schließlich auf das Zwielicht, das in dieser Gasse herrschte.
„Nun, Detective", erwiderte Jethro, dem es gar nicht passte, dass ihn jemand nicht anblickte, wenn er mit ihm sprach, „wir übernehmen ab hier. Ich hoffe, Sie haben nichts angefasst?" Der Polizist hob eine Augenbraue und verdrehte theatralisch seine Augen gen Himmel. „Bitte, ich bin ja kein Anfänger." „Aber Sie hätten wenigstens den Tatort vor dem Regen schützen können." Ärger trat in die Stimme des Chefermittlers. „Verraten Sie mir auch, wie ich das hätte machen sollen?" fragte Edwards sofort. Er ließ sich einfach nicht unterkriegen. Ich freute mich bereits auf eine handfeste Auseinandersetzung der beiden, aber im selben Moment hörten wir Ducky schimpfen, der gemeinsam mit seinem Assistenten das Absperrband passierte. „Also wirklich, Mister Palmer. Das nächste Mal fahre ich. Wo waren Sie nur mit Ihren Gedanken, als ich Ihnen gesagt habe, Sie sollen links abbiegen? Nein, stattdessen fahren Sie nach rechts." „Tut mir leid, Doktor, aber…" „Ah, Jethro", sagte dieser, als er uns erreicht hatte und erstickte somit den Versuch Jimmys, sich zu verteidigen, bereits im Keim. „Was haben wir denn heute? Ich kann dir sagen, bei diesem Wetter macht es keinen Spaß, sich im Freien aufzuhalten. Der ganze Regen erinnert mich an einen Sommer in England. Lass mich überlegen, ich glaube, das war im Jahr 1976. Damals war…" „Ducky!" unterbrach ihn Gibbs sofort, bevor dieser mit seiner endlosen Gesichte überhaupt beginnen konnte. Der Pathologe seufzte leise und stellte seine schwarze Tasche auf dem Boden ab. Bevor er das Leberthermometer herausholte, wischte er die Brille mit einem Tuch trocken – jedoch hielt das nicht lange. Ein paar Sekunden später waren die Gläser erneut mit Tropfen übersät.
„Ziva: Fotos und McGee: Spurensuche. Vielleicht findest du ja etwas", befahl Jethro knapp und wandte sich zu mir um. „Tony, Laser und Skizzen." Ich hob eine Augenbraue. „Wie soll ich bei diesem Regen eine Skizze zeichnen? Das Papier würde doch sofort nass werden." Sofort kam er einen Schritt auf mich zu und sah mich mit einem funkelnden Blick an. „Andererseits finde ich sicher eine Möglichkeit." „Davon gehe ich aus", meinte er mit einem kleinen Lächeln und trat neben Ducky, der mittlerweile die Lebertemperatur des Toten maß.
„Ist er immer so?" fragte Edwards, holte einen Streifen Kaugummi aus seiner Manteltasche und steckte ihn sich in den Mund. „Meistens ist er noch schlechter gelaunt", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen und sah mich um, in der Hoffnung, einen Platz zu finden, der ein wenig vor dem Regen geschützt war – jedoch vergeblich. „Und ich habe immer geglaubt, ich hätte einen griesgrämigen Vorgesetzten." Er machte eine Blase, ließ sie zerplatzen und kaute eifrig weiter. „Übrigens, netter Ohrring", sagte er wie beiläufig und kam einen Schritt näher, sodass ich einen schwachen Hauch seines Aftershaves riechen konnte. Er war mir viel zu nahe, aber trotzdem wich ich nicht zurück, da ich nicht wollte, dass er mitbekam, dass ich mich unwohl fühlte. „Äh… danke", brachte ich hervor, obwohl ein Kloß meinen Hals blockierte. Edwards lächelte mich an und wenn mich nicht alles täuschte, blitzte Verlangen in seinen Augen auf. Und auf einmal wurde mir klar, weshalb er ständig mich im Visier gehabt hatte, auch wenn er mit Gibbs gesprochen hatte. ‚Na klasse', dachte ich. ‚Das ist genau das, was ich noch gebrauchen kann: ein schwuler Detective.'
„DiNozzo!" Der laute Schrei ließ mich herumfahren und ich blickte zu Gibbs, der neben Ducky stand und mich wütend anfunkelte. Es war das erste Mal, seit er wieder im Dienst war, dass er mich derart anbrüllte und unwillkürlich zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Es hatte mir noch nie etwas ausgemacht, dass er mich derart behandelte, aber jetzt fühlte ich mich mehr als elend. Sein Ärger mir gegenüber verletzte mich.
„Wir sind nicht hier, um zu tratschen oder habe ich da etwas nicht mitbekommen? Wenn die Skizze in 15 Minuten nicht fertig ist, dann werde ich so viele Akten auftreiben, dass du bis zum Monatsende beschäftigt bist!" Der Kloß in meinem Hals wurde noch größer und Zorn stieg in mir auf, aber ich hielt mich zurück. Anstatt meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, stellte ich den Rucksack auf den Boden und holte Block und Bleistift heraus. „Und was machen Sie überhaupt noch hier?!" rief er dem Detective zu. „Das ist jetzt unser Tatort!" Der junge Mann hob abwehrend die Hände und meinte: „Bin schon weg. Wie halten Sie es nur mit ihm aus?" fragte er leise an mich gewandt. Als Antwort zuckte ich meine Schultern und stellte mir gleichzeitig dieselbe Frage. ‚Weil du ihn liebst, deshalb', antwortete ich mir sogleich selbst.
„Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder", sagte er und verpasste mir einen freundschaftlichen Klaps auf meinen linken Oberarm. „Ich würde mich jedenfalls freuen." Mit diesem Worten drehte er sich um und verließ die schmale Gasse. Ich atmete erleichtert auf, da ich den Polizisten endlich los war, und fing mit der Skizze an, wobei ich versuchte, das Papier ein wenig mit meinem Körper vor dem Regen zu schützen – aber ich war nicht sehr erfolgreich dabei.
Während meine Hand automatisch Strich für Strich zeichnete, waren meine Gedanken bei Jethro. Wieso musste er mich derart anbrüllen? Ich wusste, dass er mich nicht bevorzugte, egal was zwischen uns gewesen war, aber trotzdem hatte ich das Gefühl, sein Geschrei hatte diesmal nichts damit zu tun. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, er wäre auf den Detective eifersüchtig. Abrupt hielt ich inne, hob meinen Kopf und sah zu Gibbs, der sich mit Ducky unterhielt, ohne dass ich die Worte verstehen konnte. War es wirklich möglich, dass er mich nur deswegen angeschrieen hatte, um mich von Edwards abzulenken? Hatte er vielleicht Angst, er würde mich an einen anderen Mann verlieren? Ein kleines Lächeln umspielte bei diesem Gedanken meine Lippen und verdrängte ein wenig den Schmerz in meinem Inneren. Die Idee von einem eifersüchtigen Jethro gefiel mir durchaus und etwas besser gelaunt als noch vor Minuten machte ich mich erneut an die Arbeit.

Gibbs blickte dem Detective nach und mit jedem Schritt den sich dieser entfernte, verschwand seine Wut immer mehr, aber dennoch brodelte sie in seinem Inneren weiter, so als ob sie darauf warten würde, wieder an die Oberfläche zu kommen. Nicht einmal der kühle Regen schien es zu schaffen, seinen Ärger komplett zu vernichten. Wie er dieses Wetter hasste. Das Wasser ruinierte die gesamten Beweise, die der Täter eventuell am Tatort hinterlassen hatte und zusätzlich lief man Gefahr, sich eine ordentliche Grippe einzufangen. Das alleine war schon Grund genug, schlechte Laune zu haben und dann bildete sich auch noch so ein aufgeblasener Detective ein, Tony anbaggern zu müssen. Als Jethro an die lüsternen Blicke des Mannes dachte, die er selbst aus dieser Entfernung bemerkt hatte, drehte sich ihm der Magen um und DiNozzo hatte nicht einmal Anstalten gemacht, diesem Kerl zu entkommen. Nein, er war seelenruhig stehen geblieben und hatte seine Nähe ertragen. Wer wusste schon, welche Worte zwischen den beiden gefallen wären, hätte er nicht beschlossen, einzugreifen.
Erneut flammte die Wut in ihm auf, obwohl der Polizist bereits vom Tatort verschwunden war und nichts weiter als einen fahlen Nachgeschmack auf Gibbs' Zunge hinterlassen hatte. Unwillkürlich ballte er seine Hände zu Fäusten und presste seine Kiefer so fest aufeinander, bis sie schmerzten. Gleich darauf fragte er sich, weshalb er sich überhaupt über diesen Detective so aufregte. Es war ja nichts passiert und die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihn wieder sehen würden, war genauso gering wie die Möglichkeit, dass er in absehbarer Zeit Ex-Frau Nummer vier kennen lernen würde.
Gibbs entspannte sich ein wenig und blickte zu Tony, der versuchte, mit seinem Körper den Block vor dem Regen zu schützen, während er gleichzeitig die Skizze anfertigte. Seine Finger mit dem Bleistift huschten flink über das Papier und ohne dass er etwas dagegen tun konnte verfolgte Jethro wie gebannt jede einzelne Bewegung. Beinahe wünschte er sich, er wäre der Stift, der von diesen langen Fingern gehalten wurde.
„War das denn nötig?" riss ihn Ducky aus seinen Gedanken und trat neben seinen Freund, der noch immer zu DiNozzo blickte, der sich auf seine Aufgabe konzentrierte und die Umgebung gar nicht wahrzunehmen schien. Regen tropfte von dem Schirm seiner Mütze, die seine Augen zum Teil verdeckten – Augen, in denen vor ein paar Minuten ein Schmerz aufgeglommen war, als er seine Stimme so sehr gegen ihn erhoben hatte. Bei dieser Erinnerung krampfte sich Gibbs' Herz zusammen und zum ersten Mal in seiner langjährigen Karriere als NCIS Agent wollte er sich entschuldigen. Dass er dabei eine seiner eigenen Regeln brechen würde, war ihm egal. Er konnte es einfach nicht ertragen, wenn Tony sauer auf ihn war. ‚Was ist nur los mit mir?' fragte er sich selbst und Verwirrung überlagerte die Wut, die noch immer ein wenig in ihm köchelte. Bis jetzt war es ihm immer egal gewesen, wenn er seinen Agent angeschrieen hatte, aber in diesem Moment tat es ihm leid.
„Jethro?" Ducky berührte ihn am Arm, da er ihm immer noch keine Antwort gegeben hatte. Dieser sah mit erhobener Augenbraue zu ihm, holte tief Luft und erwiderte auf die vorherige Frage, die er beinahe wieder vergessen hatte: „Was war nötig?" Der Ältere schüttelte seinen Kopf, sodass ein paar Regentropfen von dem Hut in alle Richtungen davon spritzten. Obwohl Gibbs vorgab nicht zu wissen, von was er sprach, war ihm sofort klar, dass dies nur ein Versuch war, sich vor einer Antwort zu drücken. Normalerweise würde er es akzeptieren, da dies ein Zeichen war, dass sein Freund nicht darüber reden wollte, aber diesmal bohrte er weiter, mit der Gefahr verbunden, seinen Kopf zu verlieren.
„Du weißt genau was ich meine. Warum hast du Tony derart angebrüllt? Und komm mir nicht mit der Ausrede, dass er nicht sofort deinem Befehl nachgekommen ist", fügte er hinzu, als Gibbs bereits zum Protest ansetzen wollte. Obwohl ihm überhaupt nicht danach war, bildete sich ein kleines Lächeln auf dessen Lippen. Ducky kannte ihn anscheinend ziemlich gut. „Ich kann es mir auch nicht genau erklären, weshalb ich plötzlich die Fassung verloren habe", sagte er, wobei es nur halb der Wahrheit entsprach. Ein Teil von ihm wusste bereits, was mit ihm los war, nur wollte er es sich nicht eingestehen. Dem Pathologen hingegen war sofort klar, was wirklich in seinem Freund vorging und innerlich schüttelte er seinen Kopf. Wieso konnte er sich seine Gefühle nicht einfach eingestehen? Sogar ein Blinder mit Krückstock sah doch, dass Gibbs mehr für Tony empfand. Es war zum Verzweifeln beobachten zu müssen, wie die beiden umeinander herumschlichen und keiner wagte den ersten Schritt zu machen. Nun, dann müsste er halt seinem Freund ein wenig auf die Sprünge helfen.
„Auf mich hat es den Anschein, als ob du eifersüchtig wärst", meinte Ducky und hatte das seltene Vergnügen mitbekommen zu dürfen, wie Jethro die Gesichtszüge entgleisten – jedoch nur für eine Sekunde, dann hatte er sich wieder im Griff. „Ich bin doch nicht eifersüchtig. Und schon gar nicht auf diesen Detective", stritt Gibbs ab, wobei er, ohne es zu merken, das Wort Detective hämisch betonte. Kurz darauf blickte er erneut zu Tony, der noch immer mit der Skizze beschäftigt war. Seine Jacke glänzte feucht und mittlerweile hatten sich einige Tropfen auf sein Gesicht verirrt. Er runzelte konzentriert die Stirn und der Bleistift flitzte über das Papier, das bereits ein wenig nass war. Und plötzlich durchströmte ihn ein unglaublich warmes Gefühl. Sein Herz begann ungewohnt schnell zu schlagen und er hatte auf einmal das Bedürfnis, seinen jungen Kollegen aus diesem Wetter herauszubringen. Ja, er wollte ihn sogar davor beschützen, dass er womöglich krank wurde. Zusätzlich stieg in ihm eine unglaubliche Begierde auf und er wollte Tony Zärtlichkeiten schenken – Zärtlichkeiten, die er bis jetzt mit keiner anderen Person geteilt hatte, nicht einmal mit einer seiner drei Ex-Frauen. Vor einem Monat noch war die einzige Berührung, die er DiNozzo zu Teil werden lassen wollte, eine kräftige Kopfnuss gewesen, aber jetzt sehnte er sich danach, seine Hände in seinen Haaren zu vergraben, während er seinen Mund begierig auf dessen Lippen presste.
Ducky, dem die Veränderung nicht entgangen war, lächelte wissend. „Nicht eifersüchtig, hmm?" bohrte er nach. Gibbs seufzte leise. „Ich denke, am liebsten hätte ich diesen Detective mit bloßen Händen erwürgt. Alleine der Gedanke, dass er Tony derart angesehen hat, macht mich rasend vor Wut." Ungläubig darüber, dass er soeben dabei war, seine Gefühle zu offenbaren, schüttelte er den Kopf. Normalerweise ließ er niemanden wissen, wie es in seinem Inneren aussah, aber der Pathologe hatte so eine Wirkung auf ihn, dass ihm gar nichts anderes übrig blieb, als sich alles von der Seele zu reden.
„Du liebst Tony doch, nicht wahr?" fragte Ducky, obwohl es eher eine Feststellung war. Gibbs hob abrupt seinen Kopf und blickte seinen Freund an. „Nein, ich…" begann er, brach aber von alleine wieder ab, da ihm von einer Sekunde zur anderen bewusst wurde, dass er es nicht abstreiten konnte, es nicht einmal wollte. Die letzten Wochen über hatte der das Wort mit L nicht in seine Gedanken gelassen, aus Angst, es würde alles verändern. Aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte sein Herz schon längst begriffen, dass er Tony sehr gern hatte. Jethro hielt in seinen Überlegungen inne und korrigierte im Stillen den letzten Teil des Satzes: dass er Tony liebte. Diese Erkenntnis trieb ihm ein breites Lächeln auf seine Lippen – ein Lächeln, was man bei ihm noch nie gesehen hatte – voller Wärme und Zärtlichkeit.
Gibbs drehte sich zu Ducky um, sah ihm fest in die Augen und sagte die Worte, vor denen er die ganze Zeit solche Angst gehabt hatte: „Ja, ich liebe ihn." Und auf einmal fühlte er sich erleichtert und eine Welle des Glücks überrollte ihn. Das Gewicht, welches ihm seit Wochen ständig auf seine Brust gedrückt hatte, war verschwunden und ließ ihn befreit aufatmen. Der Tag und vor allem dieser Ort des Verbrechens erschienen ihm gar nicht mehr so düster. Es war ihm, als ob ein einzelner Sonnenstrahl den Weg durch die dicke Wolkendecke gefunden hatte und ihn nun direkt anstrahlte. Wärme durchflutete seinen Körper und breitete sich bis zu seinen Zehen aus - vertrieb die Kälte des Morgens aus seinen Knochen.
Obwohl Jethros Gefühlschaos endlich entwirrt war und trotz der Freude, die er verspürte und die ihn mit Unglauben erfüllte – denn wann ergriff ihn schon einmal Freude? – wusste er, dass es dadurch nicht leichter werden würde. Wie sollte er sich jetzt Tony gegenüber verhalten? Sollte er über seinen eigenen Schatten springen und ihm sagen, was er empfand oder es für sich behalten? Nur würde er es sicher nicht schaffen, Tag für Tag mit dem Mann zusammenzuarbeiten, den er über alles liebte, ohne ihn berühren zu dürfen. Wenn er also nicht wollte, dass seine Liebe unerfüllt blieb, musste er wohl oder übel mit ihm reden. Aber was war, wenn er ihn zurückweisen sollte? Denn es war genau das, wovor er am meisten Angst hatte – und dabei hatte er so gut wie nie vor etwas Angst. Aber wenigstens war er sich endlich über seine Gefühle im Klaren, auch wenn er es immer noch nicht so recht glauben konnte, dass er sich tatsächlich in einen Mann verliebt hatte – immerhin war er drei mal verheiratet gewesen. Hätte ihm das jemand vor einem Monat erzählt, hätte er ihn wohl für verrückt erklärt – oder gleich erschossen.
Schritte, die immer näher kamen, rissen Gibbs schließlich aus seinen Gedanken und er kehrte wieder in die Realität zurück. Jimmy kam mit der Trage zurück – Ducky hatte ihn, bevor er angefangen hatte, mit dem Chefermittler zu sprechen, angewiesen sie zu holen – und das erinnerte Jethro daran, wo sie sich befanden und dass ein Toter darauf wartete, abtransportiert zu werden. Er wandte sich zu dem Pathologen um, der seinen Assistenten ebenfalls bemerkt hatte und sagte leise, aber mit fester Stimme: „Danke, Ducky." Dieser lächelte ihn weise an, nickte und erwiderte: „Gern geschehen." ‚Wird aber auch Zeit, dass du erkennst, wie viel dir Tony wirklich bedeutet', fügte er in Gedanken hinzu und betrachtete seinen Freund, in dessen Augen ein Funkeln lag, was ihm neu war. Und jetzt konnte er nur mehr hoffen, dass es sich die beiden nicht versauen und endlich zueinander finden würden.

Fortsetzung folgt...
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