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Die Uhr zeigte kurz nach Mittag, als McGee und ich die Ausfahrt des Highways, die uns nach Norfolk bringen würde, erreichten. Die Fahrt hatte sich zäh wie ein Kaugummi dahingezogen, der Verkehr war ungewöhnlich dicht gewesen und ich hätte am liebsten mehr als einmal meine Nerven irgendwo entsorgt, damit sie nicht mehr strapaziert werden konnten. Die Stille, die im Wagen herrschte, wurde nur durch die leise Musik aus dem Radio und dem gleichmäßigen Summen der Reifen auf dem Asphalt unterbrochen.
Seit wir Washington verlassen hatten, hatten weder Tim noch ich ein Wort gewechselt, da wir beide nicht wirklich wussten, worüber wir reden sollten. So hingen wir die ganze Zeit unseren Gedanken nach und lauschten den verschiedenen Songs, die aus den kleinen Lautsprechern tönten. Es war nicht so, dass unser Schweigen unangenehm wäre, aber ich hätte durchaus ein paar Worte bevorzugt, aber nicht einmal irgendein Thema, mit dem ich meinen jungen Kollegen aufziehen hätte können, fiel mir ein.
Seit ich die Pathologie verlassen hatte, war mir jeglicher Sinn für Humor abhanden gekommen. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit Gibbs einen Teil meiner selbst zurückgelassen hatte – ein Teil, der ihm Gesellschaft leistete, während ihm Ducky eine Geschichte nach der anderen erzählte. Bei diesem Gedanken musste ich unwillkürlich lächeln und ich entspannte mich ein wenig, der Griff um das Lenkrad wurde lockerer. McGee schien zu spüren, dass sich etwas verändert hatte, da er mir einen kurzen Seitenblick zuwarf – die erste, wirkliche Bewegung in der letzten Stunde.
Als ich vorhin die Tiefgarage erreicht hatte, hatte er sofort meinen leichten, desolaten Zustand bemerkt, obwohl ich im Waschraum der Toilette versucht hatte, mich ein wenig zu erfrischen. Aber selbst Wasser hatte nicht geholfen, meine roten und ein wenig geschwollenen Augen zu kaschieren, weshalb Tim bei meiner Ankunft beim Auto ohne Zweifel realisiert hatte, dass ich geweint hatte, hatte aber kein Wort darüber verloren. Stattdessen hatte er mir kommentarlos den Schlüssel für den Dienstwagen überreicht und war auf der Beifahrerseite eingestiegen. Seitdem hatte er aus dem Seitenfenster gestarrt und hatte sich nur bewegt, wenn er sich eine bequemere Position gesucht hatte.

Ich war ihm wirklich dankbar, dass er mich nicht angesprochen sondern mich meinen Gedanken überlassen hatte, während ich automatisch das Fahrzeug Richtung Norfolk gelenkt hatte, mir nur hin und wieder des dichten Verkehrs bewusst gewesen. Natürlich hätte ich wie Jethro, wenn er am Steuer gesessen hatte, alle langsameren Wagen überholen können, aber irgendwie hatte ich ein wenig Angst vor dem Gespräch mit dem Zeugen, einfach aus der Befürchtung heraus, dass meine Theorie nicht zutreffen würde. Wer wusste schon, was uns erwarten würde? Vielleicht war Kyle Zeke ein Mann, der bereits schlecht sah oder ein wenig senil war, immerhin schien er ein Einzelgänger zu sein und solche Personen mochten öfters verrückte Sachen, um auf sich aufmerksam zu machen. ‚Aber deswegen gleich jemanden ermorden?' fragte ich mich selbst und runzelte die Stirn, während ich den Blinker setzte und den Highway verließ.
„Ist alles in Ordnung, Tony?" unterbrach McGee schließlich unser Schweigen und drehte sich vollends um, um mich anzublicken. Obwohl ich mich auf die Straße konzentrierte, entging mir nicht, dass er mich sorgenvoll musterte – ein Ausdruck, den ich bei ihm nicht oft sah. Verschwunden war seine Teilnahmslosigkeit, die er während der Fahrt an den Tag gelegt hatte und es schien, dass er, da ich mich endlich ein wenig entspannt hatte, selbst ruhiger wurde und die Spannung etwas aus seinen Körper wich.
„Es ist alles bestens, Bambino", antwortete ich, absichtlich seinen Spitznamen verwendend, um ihm damit zu zeigen, dass ich seinen Versuch, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, nicht abwimmeln würde. Er fummelte nervös am Gurt herum, ehe er sich dazu entschloss, seinen Mut zusammenzukratzen und zu fragen, was ihm anscheinend bereits die ganze Zeit im Kopf herumgespukt war. „Als du gesagt hast, du müsstest noch etwas erledigen, da bist du in die Pathologie hinuntergefahren, oder?" Unwillkürlich verlangsamte ich das Tempo und widerstand nur knapp dem Drang, meine Augen zu schließen, obwohl ich damit gerechnet hatte, dass dieses Thema zur Sprache kommen würde. Immerhin wusste McGee, dass sich Gibbs bereits in Duckys Obhut befand und dank meines vorherigen Zustandes musste man kein Hellseher sein, um herauszufinden, wohin ich verschwunden war, zumal ich länger als fünf Minuten gebraucht hatte.
„Ja, ich war in der Pathologie", gab ich zu, anstatt es abzustreiten. Tim wollte mir nur helfen und er würde sich bestimmt nicht darüber lustig machen, dass ich geweint hatte, immerhin hatte er dies auch getan, als er erfahren hatte, dass Gibbs ums Leben gekommen war. Ich hatte sogar das Gefühl, dass mich sein Tod McGee näher gebracht hatte. Zwischen uns herrschte schon lange eine tiefe Freundschaft, vor allem seit ich und Jethro ein Paar waren – und das Band hatte sich nun verfestigt. Für mich würde er zwar immer Bambino bleiben, aber er hatte sich unübersehbar von einem schüchternen Agenten in einen selbstbewussten Mann verwandelt und es war diese Tatsache, weshalb ich ihn respektierte, auch wenn ich es ihm nur selten zeigte.

„Und, hast du… hast du ihn gesehen? Ich meine Gibbs, hast du…?" McGee brach ab und blickte nach vorne, so als ob er Angst hätte, eine Grenze überschritten zu haben. Ich hingegen schüttelte einfach den Kopf und beschleunigte, ehe ich zu einem Sonntagsfahrer werden konnte. „Nein, ich habe ihn nicht gesehen, Bambino", antwortete ich schließlich und starrte weiter nach vorne, da ich nicht wollte, dass er mitbekam, wie mich ein kurzer, heftiger Schmerz durchzuckte, weshalb ich meine Hände ums Lenkrad krampfte. Die Knöchel traten weiß hervor und ich presste kurz meine Kiefer zusammen, ehe ich fortfuhr: „Ich habe es nicht über mich gebracht. Ich will ihn so im Gedächtnis behalten, wie er vorher gewesen ist und nicht… du weißt schon."
Obwohl ich ihn nicht anblickte, spürte ich förmlich, wie Tim nickte, was mir gleich darauf bestätigt wurde, als er sagte: „Ich verstehe dich gut, Tony. Mir ist es damals mit Kate auch nicht anders ergangen. Ich hatte Angst, sie mit dem Loch in der Stirn zu sehen." Daran konnte ich mich noch sehr gut erinnern und wie McGee schlussendlich den Mut gefunden hatte, sich seinen Ängsten zu stellen. Er hatte unsere ehemalige Kollegin kurz aus ihrem engen, kalten Gefängnis befreit, um sich von ihr von Angesicht zu Angesicht zu verabschieden. Dies würde ich wahrscheinlich bei Jethro nicht schaffen, genauso wenig wie ich glaubte, dass ich in den nächsten Tagen noch einmal in die Pathologie gehen würde.
Ich schwieg, da ich wusste, dass es nicht erforderlich war, etwas von mir zu geben und konzentrierte mich wieder etwas mehr auf die Umgebung. Wir waren in einer ländlichen Gegend angekommen, ein paar Meilen vom Marinestützpunkt in Norfolk entfernt. Die Sonne schien als blasser Ball vom Himmel und die blätterlosen Bäume warfen groteske Schatten auf die Straße, was ein wenig irritierend war. Der Verkehr war im Gegensatz auf dem Highway um einiges weniger und als wir uns dem Wohnort von Kyle Zeke näherten, hörte er ganz auf.
Auf kleinen, aber gepflegten Grundstücken, standen einstöckige Häuser mit sauber verputzten Fassaden und Blumen vor den Fenstern. Nirgendwo war etwas verwittert oder lag Müll herum, es war die perfekte Umgebung, um Kinder groß zu ziehen oder sich ein restliches, schönes Leben zu machen.
Ich stellte den Wagen vor einem hellgelben Haus ab, dessen Vorderseite von einer Veranda umgeben wurde, die vor kurzem neu gestrichen worden war. Ein großer Schaukelstuhl mit einem dicken Polster stand darauf und lud einen förmlich dazu ein, Platz zu nehmen und die Seele baumeln zu lassen. Das Tor der Garage war offen und gewährte einen hervorragenden Blick auf einen älteren BMW mit glänzendem, schwarzem Lack. Mr. Zeke schien sehr darauf bedacht, alles gepflegt zu halten. Selbst auf dem Rasen war kein Unkraut zu finden.
Ich zog den Zündschlüssel ab, aber ehe ich aussteigen konnte, legte mir McGee eine Hand auf meinen rechten Unterarm. Auf seinem Gesicht war ein ernster Ausdruck erschienen und erneut erkannte ich, wie erwachsen er geworden war. „Tony, wegen gestern", begann er und fuhr sich zögerlich durch seine Haare. Ich wusste sofort, worauf er hinauswollte und dass ihm dieses Thema schon lange beschäftigte, weswegen er ein wenig nervös wirkte. „Ich wollte dich nicht so anschreien, es war nicht richtig und schon gar nicht in dieser Situation", sagte er endlich, was ihm auf dem Herzen lag. Ich legte eine Hand auf seine und signalisierte ihm damit, dass ich ihm nicht böse war.
„Du musst dich nicht entschuldigen, McGee", erwiderte ich leise und sah ihm fest in die Augen. „Du hast nur deinen Gefühlen freien Lauf gelassen und ich habe auch nicht richtig reagiert. Ich wollte das Offensichtliche einfach nicht akzeptieren und habe einen Schuldigen gesucht. Dich trifft am wenigsten eine Schuld." „Aber ich hätte daran denken sollen, wie du dich in diesem Moment gefühlt hast. Immerhin bist du Gibbs von allen am nächsten gestanden. Ich wüsste nicht, was ich machen würde, wenn ich einen Menschen verlieren würde, den ich so liebe wie du unseren Boss. Meiner Meinung nach hältst du dich großartig."
Unwillkürlich lächelte ich leicht und statt vor diesem Gespräch zu flüchten, blieb ich sitzen. „So großartig halte ich mich ja gar nicht", gab ich zu und grinste breiter, als Tim verwirrt die Stirn runzelte. „Glaub mir, für die nächsten Monate habe ich von Alkohol genug." Ich zählte im Stillen bis drei – kaum war ich bei zwei angelangt, breitete sich Verständnis auf seinem Gesicht aus. „Oh", meinte er dazu nur. „Deshalb hast du heute Morgen so… nun ja… blass ausgesehen." „Eine halbe Flasche Bourbon würde selbst dich umhauen, Bambino." „Eine halbe Flasche?!" Seine Stimme war eine Oktave höher geworden. „Ja, aber das bleibt unser Geheimnis. Also solltest du lernen, wie ein Grab zu schweigen. Sonst bist du nicht lange mein Senior Field Agent." Mit diesen Worten ließ ich ihn sitzen und stieg aus, wo mir kalte Luft entgegenschlug. Ich hatte Tim mehr als überrascht und mir wurde erst jetzt richtig bewusst, was es bedeutete, meinen jahrelangen „Titel" abzugeben. Aber gleich darauf konzentrierte ich mich auf die Bewegung des Vorhanges, der das Fenster neben der Tür verdeckte – unsere Ankunft war nicht unbemerkt geblieben.

„Bambino!" rief ich, sodass meine Stimme viel zu laut in der Luft widerhallte. „Willst du dort drinnen übernachten?!" Ich sah, wie er leicht zusammenzuckte und ganz schnell ausstieg, um mich nicht länger warten zu lassen. Kaum hatten wir die Veranda betreten, öffnete sich die Haustür und ein Mann um die 50 stand auf der Schwelle. Seine dunkelbraunen Haare, die an den Schläfen leicht ergraut waren, waren verstrubbelt und er machte den Eindruck, vor einer Minute aus dem Bett aufgestanden zu sein. Die braunen Augen, um die tiefe Falten eingegraben waren, musterten uns misstrauisch, aber intensiv. Kyle Zeke war kleiner als wir, aber seine stählernen Muskeln, die sich unter dem Flanellhemd abzeichneten, waren nicht zu übersehen. Sein Gesicht hatte eine eckige Form und er erweckte den Eindruck eines Boxers, der seine überschüssige Energie an anderen Personen ausließ.
„Ich kaufe nichts", bellte er uns unfreundlich entgegen und ich wäre beinahe zurückgestolpert, als ich seinen nach Knoblauch stinkenden Atem roch. Seine Stimme war heiser und zeugte von einem jahrelangen Zigarettenkonsum.
„Und wir verkaufen nichts", sagte ich, während ich meinen Dienstausweis aus meiner Hosentasche holte und ihn dem Mann unter die Nase hielt. „Special Agents DiNozzo und McGee. Können wir kurz mit Ihnen reden?" Kyle musterte den Ausweis, verglich das kleine Bild mit meinem Gesicht und gab uns schließlich mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass wir eintreten sollten.
„Geht es um den Agenten, der gestern vor meinen Augen gegen einen Baum geprallt ist? So wie der gerast ist, hat es mich nicht sonderlich gewundert." Er schloss die Tür, die uns in ein etwas altmodisches Wohnzimmer gebracht hatte. Aber die Einrichtung war mir egal, da ich Mühe hatte, meine Faust nicht in das Gesicht Zekes zu schlagen. Er hatte über Jethros Unfall gesprochen, als sei es ein schlechter Film gewesen und seine Stimme hatte einen herrischen Ton angenommen – ich konnte diesen aufgeblasenen Kerl jetzt schon nicht ausstehen.
McGee, der meine angespannte Körperhaltung bemerkte, warf mir einen warnenden Blick zu, so als ob er Angst hätte, ich würde etwas Dummes anstellen.
Ohne uns etwas zu trinken anzubieten, setzte sich Kyle auf einen alten Ohrenbackensessel, während McGee und ich auf dem abgewetzten, grauen Sofa Platz nahmen. In dem Raum war es unangenehm heiß, die Heizung musste auf die höchste Stufe eingestellt sein und zusätzlich waren sämtliche Fenster geschlossen, weshalb ich mich meiner Jacke entledigte, wobei die Augen des Mannes auf meiner Waffe, die an meiner Hüfte befestigt war, hängen blieben.
Ungeachtet dessen, dass das Haus äußerlich sauber war, war das Innere leicht schäbig und abweisend. Keine Pflanzen lockerten die Atmosphäre auf, der einzige Ziergegenstand war ein überlebensgroßes Poster einer splitterfasernackten Blondine, die sich auf einem weißen Sandstrand räkelte. Kyle Zeke schien sehr von Frauen mit üppigen Rundungen angetan zu sein, da auf dem zerkratzten Holztisch sich Ausgaben des Playboy und GSM stapelten. Noch vor acht Monaten hätte ich meinen Blick von den Zeitschriften wenden können, aber die Zeiten, wo ich fast sabbernd und mit einem breiten Grinsen dagesessen und Seite um Seite durchgeblättert hatte, waren definitiv vorbei. Und Gibbs hatte mir mehr als einmal gezeigt, dass ein männlicher Körper viel aufregender sein konnte und ich liebte es weiterhin, seinen zu erforschen, obwohl ich jeden Winkel kannte. Aber bevor ich mich in Erinnerungen verlieren konnte, zwang ich mich in die Gegenwart zurück.

McGee hatte bereits seinen kleinen Notizblock hervorgeholt und saß mit gezücktem Kugelschreiber neben mir, wartete nur darauf sich aufzuschreiben, was uns Mr. Zeke erzählen würde. Dieser hatte es sich mittlerweile gemütlich gemacht, was bedeutete, er hatte seine Beine von sich gestreckt, aber die Hose ein wenig nach oben gezogen, sodass ein Teil seiner dicht beharrten Unterschenkel sichtbar war. Er musterte uns gelangweilt, nur um sich gleich darauf Dreck unter den Fingernägeln zu pulen.
„Mr. Zeke", begann ich und versuchte mir die Abneigung ihm gegenüber nicht anmerken zu lassen, „können Sie uns sagen, was sich gestern Morgen genau ereignet hat?" Er sah sich kurz seine Nägel an, bevor er seine Konzentration uns zuwandte. „Das habe ich doch bereits dieser anderen Agentin erzählt. Wie war doch gleich ihr Name?" „Cassidy", half ihm McGee automatisch weiter. „Richtig, also die war wirklich heiß. Kaum zu glauben, dass es in eurem Verein solche Augenweiden gibt." Ich konnte froh sein, dass ich nichts in Händen hielt, da ich es sonst zerquetscht hätte. Es war offensichtlich, dass dieser Typ Gesetzeshüter nicht ausstehen konnte und jetzt verstand ich auch, weshalb er vorhin so abfällig über Gibbs' Unfall geredet hatte und Paula als Lustobjekt betrachtete.
Am liebsten würde ich von hier verschwinden, aber ich musste wissen, was er gesehen hatte, also zwang ich mich, ruhig zu bleiben.

„Mr. Zeke", wagte ich einen erneuten Versucht und blieb betont freundlich, auch wenn ich ihm liebend gerne sein dämliches Grinsen aus dem Gesicht wischen würde. „Mir ist bewusst, dass sie alles bereits Agent Cassidy erzählt haben, aber es ist unerlässlich, dass Sie es noch einmal wiederholen. Ich… wir müssen wissen, was wirklich passiert ist." „Was soll schon passiert sein?" fragte er eine Spur gehässig und kratzte sich erneut Dreck unter den Nägeln hervor. „Dieser Kerl hat mich einfach überholt und das bei diesen schlimmen Straßenverhältnissen. Er hat die Kontrolle über seinen Wagen verloren und ist gegen einen Baum geprallt. Selber schuld, würde ich sagen." Kaum hatte er die letzten Worte von sich gegeben, schien er sofort zu merken, dass sie falsch gewesen waren, da er seine Muskeln anspannte. Mich überkam eine unglaubliche Wut, Wut darüber, dass er es wagte, so über meinen Freund zu reden.
„Dieser Kerl hat einen Namen", zischte ich und beugte mich weit nach vorne und fixierte meinen Gegenüber mit einem stechenden Blick. „Sein Name ist Jethro Gibbs und an Ihrer Stelle würde aufpassen, was Sie hier sagen." Ich wurde immer lauter, unfähig die Wut länger zu unterdrücken. „Und er hatte zwar einen schrecklichen Fahrstil, aber seit ich ihn kenne, hat er noch nie einen Unfall gebaut! Jethro hat an dieser Sache sicher keine Schuld! Nicht er!" „Tony", sagte McGee und legte mir eine Hand auf meinen Oberschenkel, als ich aufstehen wollte. In meinen Augen brannte es verräterisch, aber ich schob es auf den Zorn, der mich durchflutete.
„Wollen Sie etwa andeuten, ich wäre schuld?!" Jetzt war es an Zeke, laut zu werden und auf seinen Wangen erschienen hektische, rote Flecken. Er hatte sein Interesse an seinen Fingernägeln verloren und machte auf einmal den Eindruck eines gefährlichen Raubtieres. „Sie kommen einfach hierher und unterstellen mir, ich hätte die Verantwortung dafür, was geschehen ist! Was kann ich denn dafür, wenn dieser Gibbs Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht kennt! Fehlt nur noch, dass Sie dem Baum, der das Pech hat, ausgerechnet dort neben der Straße zu stehen, die Schuld geben! Ich weiß, was ich gesehen habe und ich lasse mir nicht von irgendwelchen Bundesagenten etwas in die Schuhe schieben!" Kyles Atem hatte sich beschleunigt und er hatte seine Hände zu Fäusten geballt, sodass sich seine Knöchel weiß durch die Haut abzeichneten.
McGee verstärkte seinen Griff um meinen Oberschenkel und wollte damit offensichtlich verhindern, dass ich dem anderen den Hals umdrehte. „Wir wollen keinem etwas in die Schuhe schieben", meinte Tim und legte einen beruhigenden Ton in seine Stimme. „Sagen Sie das Ihrem Kollegen hier! Er scheint das nicht so zu sehen", spie uns Zeke entgegen und ein paar Speicheltröpfchen lösten sich aus seinem Mund. Jetzt wirkte er mehr denn je wie ein Raubtier mit Tollwut. Seine Wangen waren röter geworden und mich hätte es nicht gewundert, wenn er plötzlich einen Herzinfarkt erleiden würde.
Meine Wut schwelte weiterhin unter der Oberfläche, aber ich erkannte, dass ich so nicht weiterkam und sich Kyle sperrte, irgendetwas zu erzählen. Je lauter ich werden würde, desto Verschlossener würde mein Gegenüber werden. Auch wenn er ein aufgeblasener Kerl war, ich musste mein Temperament ein wenig zügeln.

„Haben Sie schon einmal einen geliebten Menschen verloren?" fragte ich leise, wobei ich die Antwort bereits kannte und sah Kyle dabei fest in die Augen, versuchte mit meiner erzwungenen Ruhe, zu ihm durchzudringen. Er musterte mich eingehend, schätze ab, ob ich ihn manipulieren wollte. McGee neben mir hielt kurz die Luft an und sein Griff lockerte sich ein wenig, weshalb ich ein Stückchen von ihm wegrückte, sodass seine Hand von meinem Oberschenkel rutschte.
Das Schweigen dehnte sich aus, wurde nur durch die Geräusche des Hauses unterbrochen. Die Sekunden verstrichen, bis sich Zeke schließlich entspannte und sich in den Stuhl zurücklehnte. „Ja, habe ich", erwiderte er genauso leise wie ich und ein trauriger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, der die Wut überlagerte. Sein Atem wurde wieder regelmäßiger und die roten Flecken verwandelten sich ein helles Rosa. „Meine Frau ist vor Jahren bei einem Kletterunfall gestorben. Wir haben uns seit der Highschool gekannt. Sie war mein Ein und Alles." „Dann können Sie sich vorstellen, wie ich mich jetzt fühle. Jethro war mein Ein und Alles, er war mein Leben, ich wollte mit ihm alt werden. Ich muss einfach wissen, was genau geschehen ist." Ich blinzelte heftig und versuchte die Enge in meiner Brust zu ignorieren. Eigentlich hatte ich Kyle nichts von meiner Beziehung mit Gibbs erzählen wollen, aber es war die einzige Möglichkeit, ihn zur Kooperation zu bewegen. Dieser sah mich stumm an, verarbeitete das eben gehörte, als ihm auf einmal ein Licht aufging. Seine Lippen formten sich zu einem stummen „Oh" und er realisierte endlich, welche Bedeutung Jethro für mich gehabt hatte – und immer haben würde.

„Es tut mir leid", entschuldigte er sich und ich wusste, dass er es genauso meinte, seine Miene drückte ehrliches Mitleid aus und seine herrische Art mir gegenüber verschwand von einer Sekunde zur anderen. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass… es ist nur so, dass ich es mit Gesetzeshütern jeglicher Art nicht so sehr habe." Er verstummte und spielte mit seinen Fingerspitzen herum, ließ den Dreck unter seinen Nägeln aber diesmal in Ruhe. Ich schien ihn ein wenig aus dem Konzept gebracht zu haben, zumal er sicher nicht damit gerechnet hatte, dass zwei Bundesagenten eine Beziehung miteinander hatten. In den letzten sieben Monaten war es mir öfters passiert, dass ich auf ungläubige Gesichter gestoßen war, vor allem bei meinen Freunden aus dem College. Diese waren ziemlich erstaunt gewesen, als sie erfahren hatten, dass mein Lebenspartner ein Mann war, zumal ich ja den Ruf eines Schürzenjägers inne gehabt hatte. Aber mittlerweile hatten auch sie akzeptiert, dass ich dem weiblichen Geschlecht den Rücken zugekehrt hatte, auch wenn sie hin und wieder Witze darüber rissen.

„Okay, was wollen Sie wissen?" fragte Kyle schließlich und bei diesen Worten entspannte ich mich ein wenig. Ich lehnte mich zurück und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass sich McGee bereitmachte, sich Notizen zu machen. Mit einer kurzen Bewegung und einem leisen Geräusch brachte er die Mine des Schreibers zum Vorschein und verschränkte seine Beine, wobei der lange, braune Mantel, den er noch immer trug, raschelte. Es wunderte mich, dass ihm nicht warm war, obwohl die Heizung voll aufgedreht war und deswegen der Knoblauchgeruch, den ich vorhin aus Zekes Mund wahrgenommen hatte, ziemlich unangenehm war.
„Alles, woran Sie sich erinnern können", antwortete ich und lehnte mich zurück. „Jedes Detail könnte wichtig sein." Er sah mich misstrauisch an, zog die dichten Augenbrauen zusammen, aber ging auf meine Aussage nicht ein. Stattdessen nickte er und fuhr sich kurz durch seine Haare, ehe er anfing zu reden: „Es ist nicht viel, woran ich mich erinnere oder besser gesagt, es ist alles so schnell passiert. Ich war auf dem Weg nach Hause und ich habe das Tempo an die schwierigen Straßenverhältnisse angepasst, da es die gesamte Nacht hindurch geschneit hat und der Asphalt dementsprechend rutschig gewesen war. Ich weiß nicht genau wann, aber es war auf jeden Fall noch dunkel, als mich jemand mit hoher Geschwindigkeit überholt hat. Ein paar Sekunden später fing der Wagen an zu schleudern und geriet außer Kontrolle. Das Krachen, mit dem er gegen einen Baum geprallt war, habe ich selbst meterweit entfernt hören können. Glauben Sie mir, ich wollte Ihrem Freund noch helfen, aber als ich ausgestiegen bin, hat das Auto bereits Feuer gefangen und es war unmöglich, nahe an ihn heranzukommen." So wie er das Geschehene erzählte, hatte ich beinahe das Gefühl, er hätte es auswendig gelernt. Die Worte kamen schnell und ohne Emotionen über seine Lippen. Vor allem am Ende wich Kyle meinem Blick aus und heftete ihn stattdessen auf die Magazine auf dem Tisch, der zwischen uns stand.
Dennoch gab es keinen Grund, daran zu zweifeln, was passiert war, vor allem, da wir keine offensichtliche Verbindung zwischen ihm und Gibbs gefunden hatten. Zeke war nie von ihm verhaftet worden oder einer seiner Freunde oder Angehörigen. So weit wir wussten, hatte er noch nie etwas mit dem Marine Court zu tun gehabt, aber dennoch hatte ich den Eindruck, das etwas nicht stimmte. Wenn es so war, hoffte ich, dass Abby es beweisen konnte, dass sie irgendwelche verräterischen Spuren an Jethros Wagen fand, die verrieten, dass der Mann vor mir log.
Dieser hatte sich wieder gefasst, seine Schultern gestrafft und blickte mich mit funkelnden, braunen Augen an. „Mr. Zeke", unterbrach McGee das Schweigen und ich hatte beinahe vergessen, dass er anwesend war. „Von wo sind Sie gekommen, als der Unfall passiert war?" Dieser runzelte die Stirn, ehe er antwortete: „Von einem Freund. Wir veranstalten jeden Samstag einen Filmabend und wie jedes Mal hat es bis in die Morgenstunden gedauert. Und nein, ich habe keinen Alkohol getrunken. Ich habe deswegen sogar einen entsprechenden Test gemacht und der ist negativ ausgefallen. Hören Sie, es tut mir leid, was mit Ihrem Freund passiert ist", wandte er sich an mich und betonte dabei das Wort Freund besonders. Unwillkürlich fragte ich mich, ob er etwas gegen Beziehungen zwischen Männern hatte, aber wenn es so war, versteckte er es hervorragend hinter einer undurchschaubaren Miene. „Aber das Ganze hat sich wirklich so abgespielt, wie ich es Ihnen erzählt habe. Allerdings habe ich das Gefühl, Sie glauben nicht wirklich daran, habe ich Recht?" Ich schüttelte den Kopf und stand auf. Mir war bewusst, dass wir aus diesem Mann nichts mehr herausbekommen würden. Egal womit ich es versuchen würde, er würde bei seiner Geschichte bleiben, aber wenn etwas daran faul war, würde ich das herausfinden und dann gnade ihm Gott.
„Ich weiß selbst nicht, woran ich glauben soll", erwiderte ich und schnappte meine Jacke, um sie anzuziehen. Das lieblos eingerichtete Wohnzimmer kam mir noch düsterer vor und ich versuchte, die Flecken auf dem beigen Teppich zu ignorieren, die nicht gerade appetitlich aussahen. Die Wände schienen mich einzuengen und ich wollte einfach von hier verschwinden. Ich gab McGee mit einem kurzen Kopfrucken ein Zeichen, dass wir hier fertig waren, weshalb er seinen kleinen Notizblock und Kugelschreiber in einer der Manteltaschen verstaute und ebenfalls aufstand. Kyle hingegen machte keine Anstalten, unserem Beispiel zu folgen. Er war wieder in sein altes Verhaltensmuster zurückgefallen und schien erleichtert zu sein, uns loszuwerden.
„Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, egal was, rufen Sie mich an", sagte ich und legte eine Visitenkarte auf einen Playboy, auf dessen Cover eine Brünette mit den Maßen von Pamela Anderson abgebildet war. Zeke zeigte kein Zeichen davon, ob er überhaupt bemerkt hatte, dass ich ihm eine Karte dagelassen hatte und ich hatte den Eindruck, dass sie wahrscheinlich in den Mülleimer wandern würde. Instinktiv spürte ich, dass es nicht das letzte Mal war, dass ich diesen Mann sehen würde, aber darüber würde ich mir Gedanken machen, wenn es so weit war.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ ich gemeinsam mit McGee das Haus und atmete befreit die kalte Luft ein, als wir die Stufen der Veranda hinuntergingen. „Irgendetwas stört mich an ihm", meinte Tim und stieg auf der Beifahrerseite ein, während ich wieder hinter dem Lenkrad Platz nahm. „Und dabei meine ich nicht seinen Atem, der eine Horde Vampire verjagt hätte." Ich startete den Motor und warf noch einen letzten Blick auf das äußerlich saubere Haus. Mir entging keineswegs die Bewegung des Vorhanges, der das Fenster neben der Tür verdeckte und ich wusste, Kyle Zeke beobachtete unsere Abfahrt, würde uns nicht aus den Augen lassen, ehe wir von seinem Grundstück verschwunden waren.
„Ich gebe dir Recht, Bambino. Aber falls er nicht ehrlich war, werden wir es früher oder später herausfinden. Wir müssen zuerst einmal abwarten, was Abby findet." Ich trat auf das Gaspedal und brachte dadurch rasch Distanz zwischen uns und dem Mann, der Gibbs zum letzten Mal lebend gesehen hatte. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich jedoch noch nicht, dass ich erst am Freitag den Grund für das abweisende Verhalten von Kyle Zeke erfahren sollte – einen Grund, mit dem ich nie im Leben gerechnet hätte.

Fortsetzung folgt...
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