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Washington D.C.
Dienstag, 28. Januar
06:50 Uhr


Es wunderte mich, dass ich nicht, da Jethro nicht mehr da war um mich aus dem Bett zu schmeißen, in meine alte Gewohnheit zu spät zu kommen zurückfiel. Immerhin war ich jetzt Teamleiter – wenn momentan auch nur vorübergehend – und es gab niemanden mehr, der mich rügte, wenn ich erst ein paar Minuten nach sieben Uhr im Büro erscheinen würde. Allerdings schätzte ich, würde ich den Posten als Boss nicht lange inne haben, wenn ich ständig verschlafen würde, vor allem da Direktor Shepard sicher darauf bestand, dass all ihre Agenten pünktlich waren.
Allerdings war ich überzeugt, dass sie nichts dagegen hätte, wenn ich in den nächsten paar Tagen oder vielleicht auch zwei Wochen kein gutes Vorbild für die anderen Teammitglieder wäre und einfach länger schlafen würde. Keiner würde es mir übel nehmen, nicht bei dem, was passiert war, aber die beste Methode, um mich von meinem ganzen Schmerz und der Trauer abzulenken war jede Menge Arbeit. Ich musste mich einfach mit etwas beschäftigen, denn nur herumsitzen würde mich verrückt machen – und es würde mich nicht davon abhalten, erneut in der Vergangenheit zu schwelgen, so wie letzte Nacht, wo mich der Traum nicht mehr losgelassen hatte. Die kalte Dusche hatte nicht wirklich geholfen und es hatte gut eine Stunde gedauert, bis ich meine Erektion los geworden war – ohne dass ich selbst Hand angelegt hätte.
Früher hatte ich nie Probleme damit gehabt, mir selbst Erleichterung zu verschaffen, aber diesmal war es anders gewesen. Es wäre mir wie ein Betrug vorgekommen – ein Betrug an Jethro, der es immer übernommen hatte, sich meiner Erregung anzunehmen und das jedes Mal mehr als gründlich. Aber jetzt wo er nicht mehr da war… Gott, ich vermisste ihn so schrecklich und dass nicht nur im Bett, es war einfach alles, selbst seine Beschwerden, wenn ich wieder einmal meine Kleidung einfach auf den Boden geworfen oder das Geschirr nicht in den Geschirrspüler geräumt hatte, nicht zu vergessen meine DVDs, die ich gerne herumliegen ließ.
Und am meisten hasste ich es, auf einmal wieder alleine zu schlafen. Seit vorgestern, wo mich Ducky mit meinem Rausch ins Bett gesteckt hatte, hatte ich keine Matratze mehr unter mir verspürt, auch letzte Nacht nicht. Ich wollte einfach nicht in dem großen Bett liegen und keinen warmen Körper an meinem spüren, weshalb ich die nächtlichen Stunden auf dem Sofa verbracht hatte. Ursprünglich hatte ich mich von meiner Erregung ablenken wollen, aber dann war ich einfach liegen geblieben, hatte mir eine Folge Magnum nach der anderen reingezogen, bis alles vor meinen Augen verschwommen und ich erneut in einen Schlaf gefallen war, obwohl ich genau das nicht gewollt hatte, aus Angst, ich würde wieder etwas von Gibbs träumen. Aber zu meiner größten Überraschung hatte ich ganze sechs Stunden fest durchgeschlafen, ohne dass sich mein Freund aus meinem Unterbewusstsein hervorgeschlichen hatte, um mir zu zeigen, wie es gewesen war und nie wieder sein würde.
Ich war erstaunlich ausgeruht aufgewacht, bis auf meinen leicht schmerzenden Rücken, da meine Couch kein Bett war, aber dieses kleine Problem hatte ich mit einer warmen Dusche in den Griff bekommen. Obwohl ich weiterhin mit dem Verlust zu kämpfen hatte, hatte ich sogar Appetit auf eine große Schüssel meiner Lieblingscornflakes gehabt, die ich mit unglaublich hoher Geschwindigkeit verdrückt hatte, wobei ich versucht hatte, nicht daran zu denken, dass die Küche ohne Gibbs so leer gewirkt, es kein Aroma seines Kaffees und keine Gute Morgen Küsse gegeben hatte. Irgendwie hatte ich mich nicht überwinden können, mir einen zu machen, weshalb ich auf dem Weg zum Hauptquartier beim Coffeeshop stehen geblieben war und mir einen Becher besorgt hatte.

Die übliche Geschäftigkeit erwartete mich, als ich den Fahrstuhl verließ und diesmal folgten mir nur halb so viele Blicke wie gestern. Beinahe keiner schien mehr darauf zu warten, dass ich vor ihren Augen zusammenbrechen würde, auch wenn die Gefahr weiterhin bestand. Obwohl ich mich momentan unter Kontrolle hatte, wusste ich nicht, wann mich der nächste Heulkrampf überfallen würde. Das letzte Mal, als ich geweint hatte, war gestern in der Pathologie gewesen, aber ich wusste, es würde keine Ausnahme bleiben, dafür liebte ich Jethro viel zu sehr. Würde ich keine Tränen vergießen, würde ich mir Sorgen machen, aber so musste ich damit zurecht kommen, dass ich in den nächsten Tagen hin und wieder einen Moment der Schwäche erleben würde – hoffentlich, wenn ich alleine war.

Ich passierte eine Gruppe Agents, die über irgendeinen Fall diskutierten und dabei fast die gesamte Breite des Ganges blockierten und ging zu meinem Platz. Wie gestern war ich der Erste, der hier war, weder Ziva noch McGee saßen an ihren Tischen. Bei Tim wunderte es mich ein wenig, da er meistens die Pünktlichkeit in Person war – außer er schrieb wieder einmal an einem Roman und vergaß die Zeit – Ziva hingegen kam öfters zu spät und seit ich mit Jethro zusammen war, war immer sie diejenige gewesen, die als Letztes eingetrudelt war. Nun, vielleicht sollte ich mir angewöhnen, ihr in Zukunft für jedes Mal unpünktlich erscheinen eine Kopfnuss zu verpassen. Möglicherweise half es ja und da ich jetzt ihr Boss war, konnte sie mir deswegen nicht den Hals umdrehen – hoffte ich jedenfalls.
Etwas besser gelaunt, ließ ich meinen Rucksack neben meinem Schreibtisch auf den Boden fallen und warf meine Jacke achtlos auf den Stuhl, wo sie so liegen blieb, dass sie jeden Moment auf den Boden fallen konnte. Aber ich kümmerte mich nicht darum, sondern schnappte mir meinen Kaffeebecher und ging zu Gibbs' Platz weiter, der wie am Vortag vollkommen verwaist war. Es war immer noch seltsam, den Tisch anzusehen und keinen grauhaarigen Chefermittler dort sitzen zu sehen, der darauf wartete, dass man ihm Bericht erstattete.
Es kam mir ein wenig falsch vor, mir den Platz einzuverleiben, weshalb ich auch weiterhin an meinem Schreibtisch blieb. Eine leise Stimme in meinem Inneren flüsterte mir, dass ich noch warten sollte, bevor ich endgültig meine Sachen umräumte, aber ich hatte keine Ahnung, warum ich der Stimme folgte, warum ich die ursprüngliche Sitzordnung weiter beibehielt.
Aber ich wollte jetzt nicht darüber nachdenken, sondern umrundete den Tisch, ließ mich auf den Stuhl fallen und trank einen Schluck Kaffee. Normalerweise, wenn ich hier saß, kam sofort Jethro um die Ecke geschossen, so als ob er jedes Mal spüren würde, wenn sich jemand ungefragt auf seinen Sessel gesetzt hatte und verscheuchte mich. Ich erinnerte mich noch genau, als Direktor Shepard einmal hier unten gewesen war und sich Gibbs' Platz unter den Nagel gerissen hatte. Mein Freund hatte damals sofort reagiert und uns in ihr Büro hinaufgeschleppt, um sich selbst hinter Jennys Schreibtisch zu setzen. Alleine bei der Erinnerung daran musste ich lächeln und vor allem bei dem Gedanken daran, welche Fürsorge er mir zu Teil werden hatte lassen, als ich mir bei einem Basketballspiel am Vortag den Knöchel verstaucht hatte.
Um es ein wenig länger auszunutzen, dass er mir Frühstück ans Bett gebracht hatte, hatte ich weiter behauptet, mir würde der Knöchel weh tun, obwohl ich nach zwei Tagen wieder normal hatte gehen können. Mein kleiner Schwindel hatte wunderbar funktioniert, bis ich ohne darüber nachzudenken einem Verdächtigen nachgelaufen war. In der darauffolgenden Nacht hatte ich die Erfahrung gemacht, wie es war, wenn man stundenlang von einem Höhepunkt abgehalten wurde. Nicht einmal meine Dackelblicke oder mein Flehen hatte geholfen. Ich hatte meine Lektion gelernt und seitdem hütete ich mich, ihm ein Wehwehchen oder eine Krankheit vorzuspielen.

Bei der Erinnerung daran musste ich unweigerlich grinsen und ich trank schnell einen großen Schluck Kaffee, um mich von dem Prickeln abzulenken, das in mir aufstieg. Mit einem Seufzen stellte ich den halbleeren Becher auf dem Tisch ab und konzentrierte mich darauf, weshalb ich überhaupt auf diesem Stuhl saß. Vielleicht fand ich hier irgendwo einen Hinweis, weshalb Jethro nach Norfolk gefahren war. Wenn es etwas mit der Arbeit zu tun hatte, dann bestand die Chance, dass er sich Notizen gemacht hatte, außer er hatte sich Samstagnacht spontan entschlossen, loszufahren. Wie ich es hasste, nicht zu wissen, was sich vor meiner Nase abspielte und irgendein Gefühl sagte mir, dass die Direktorin genau wusste, was los war. Aber ich konnte es nicht beweisen und würde ich sie darauf anreden, würde sie wahrscheinlich alles abstreiten und möglicherweise denken, der Verlust setzte mir doch mehr zu.
Ich fing an, die Ablagenfächer der Akten zu durchsuchen, aber nichts, kein Papierfetzen, der darauf hinwies, was überhaupt los war. Nur Akten von alten Fällen, die überarbeitet werden mussten und die sicher auf meinem Schreibtisch gelandet wären, wäre Gibbs nicht tödlich verunglückt. Als nächstes nahm ich mir die Schreibtischschubladen vor, wobei ich den Computer wohlweislich ausließ. Jethro hatte nicht wirklich mit diesem umgehen können, abgesehen von Mails schreiben und abrufen und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er irgendwo eine geheime Datei aufbewahrte.
Ich zog die unterste Schublade auf, fand aber nichts außer einem Stapel leeres Papier und einen kaputten Locher. Die nächsten beiden Laden enthielten genauso wenig Interessantes, nur Bleistifte, Büroklammern, verschiedenfarbige Leuchtstifte, einige Kugelschreiber, Radiergummi und drei Schokoriegel, die so aussahen, als ob sie von dem großen Vorrat stammten, den ich mir in meinem Haus hielt. Dass Jethro sich bedient hatte, hatte ich gar nicht gewusst, aber es überraschte mich keineswegs, nachdem ich herausgefunden hatte, dass er ganz gerne etwas Süßes aß – vor allem von meinem Körper.
Um nicht schon wieder von den Gedanken der Vergangenheit überrollt zu werden, öffnete ich die oberste Schublade und stutzte. Ich musste erst einmal mehrmals blinzeln, bis sich auf meinem Gesicht ein erfreutes Grinsen ausbreitete. Mein Herz schlug unverhofft schneller und ich ignorierte die Sachen, die vor meiner Nase lagen, und nahm das Bild heraus, das zuoberst lag. Es zeigte Gibbs und mich zusammen in einer großen Hängematte liegend. Ich hatte meinen Kopf auf seiner Brust gebettet, während er seine Finger in meinen Haaren vergraben hatte. Der Himmel hatte eine rote Färbung und ich wusste genau, wer dieses Foto gemacht hatte: Abby. Es war im Sommer entstanden, an meinem Geburtstag, wo ich alle zu einem netten Grillabend eingeladen hatte. Die Forensikerin hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, ihre Digitalkamera mitzunehmen. Dass sie Jethro das Bild gegeben hatte, hatte ich nicht gewusst und umso mehr freute es mich, es hier zu finden, in dem Bewusstsein, dass es mein Freund jedes Mal sah, wenn er die Lade aufmachte.

„Schönes Foto", sagte jemand neben mir und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Als ich den Kopf hob, erkannte ich McGee und neben ihm Ziva, beide starrten neugierig auf das Bild in meiner Hand. „Ich habe nicht einmal gewusst, dass es Jethro hat", erwiderte ich, anstatt Tim dafür zu rügen, dass er mich erschreckt hatte. Zu meiner größten Überraschung trug er heute statt dem obligatorischen Anzug nur ein T-Shirt und eine blaue Jeans, was ihn gleich um einiges jünger wirken ließ, gleichzeitig sah er erwachsener aus.
„Ich kann mich an diesen Abend erinnern", meinte Ziva und grinste. „Euch beide hat man da nicht mehr rausbekommen. Vielleicht hätte Abby dir die Hängematte nicht schenken sollen." Ich liebte diese Hängematte und sie war viel nützlicher als das Messer, das mir die Israelin geschenkt hatte und mit dem man locker jemandem eine Gliedmaße abtrennen konnte. Um mir nicht versehentlich einen Finger abzuschneiden, hatte ich es sicherheitshalber in einem Schrank in der Abstellkammer verstaut.
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich an die unendlich langen Küsse dachte, die Gibbs und ich in dieser Hängematte ausgetauscht hatten, nachdem die anderen gegangen waren. In dieser Nacht war ich so glücklich wie noch nie zuvor gewesen, auch wenn wir nichts weiter gemacht hatten als zu kuscheln und die Nähe des anderen zu genießen.
„Tony?" fragte McGee vorsichtig und ich blickte auf, merkte erst jetzt, dass meine Augen feucht geworden waren. Aber anstatt mich beschämt wegzudrehen, strich ich sanft über das Foto in meinen Händen, bevor ich es in die Schublade zurücklegte und sie schloss. Ich seufzte und blinzelte die Tränen weg, bevor sie mehr werden konnten und warf meinen beiden Kollegen ein kleines Lächeln zu. „Mir geht es gut, keine Sorge", sagte ich und erntete skeptische Blicke seitens Tim. „Bist du dir sicher?" „Ja, ich bin mir sicher, Bambino." „Nun, ich muss Tony Recht geben. Immerhin sieht er schon viel besser aus", schlug sich Ziva auf meine Seite. „Das liegt wohl daran, dass ich ganze sechs Stunden durchgeschlafen habe", erwiderte ich und nahm mir den Becher mit dem mittlerweile lauwarmen Kaffee, trotzdem trank ich ihn aus.
„Es ist zum Verrückt werden", meinte ich nach ein paar Sekunden und entsorgte das leere Behältnis im Mülleimer. „Ich finde einfach keinen Hinweis darauf, was Jethro nach Norfolk getrieben hat." „Wir werden schon dahinter kommen, Tony", meinte McGee und schenkte mir einen aufmunternden Blick. „Und wenn eine Falle dahinter gesteckt hat, dann werden wir das aufdecken." „Genau", stimmte Ziva zu. „Ich werde gleich die restlichen Personen durchgehen, die Gibbs je verhaftet hat und die mittlerweile entlassen worden sind. Bis jetzt hat sich nichts ergeben, aber wenn ich etwas finde, bist du der Erste, der es erfährt." Ich nickte den beiden dankbar zu und wollte bereits aufstehen, als mein Handy klingelte, weshalb ich es aus meiner Hosentasche fischte. Kaum hatte ich den Anruf angenommen, schallte mir laute Musik aus dem Hintergrund entgegen. Ich wusste sofort, wer dran war, obwohl ich nicht auf das Display gesehen hatte.
„Abbs, was gibt es?" fragte ich laut genug, damit sie mich auch verstehen konnte. „Du bist wirklich schon wie Gibbsman. Hast du noch nie etwas von einer freundlichen Begrüßung gehört?" beschwerte sie sich und ich konnte nicht anders als zu grinsen. „Aber weil du es bist, will ich mal nicht böse sein. Ich glaube, ich habe etwas an Gibbs' Wagen gefunden. Kommt am besten nach unten." Aufregung machte sich in mir breit, weswegen ich prompt vergaß, mich zu verabschieden, bevor ich auflegte.
„Abby hat was für uns", sagte ich ohne Umschweife und stand auf. Mit diesen Worten verschwand auch der letzte Zweifel in mir, dass es vielleicht doch ein Unfall gewesen war. Wäre dies der Fall, hätte die Forensikerin nichts gefunden, da war ich mir sicher.

Fortsetzung folgt...
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