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Die Fahrt nach Norfolk verlief relativ ruhig, die einzige Unterhaltung war die Musik aus dem Autoradio. McGee saß am Steuer, Ziva war hinter ihm und ich hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Die meiste Zeit starrte ich aus dem Fenster und beobachtete mehr oder weniger die vorbeiziehende Winterlandschaft.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange Tim und ich im Verhörraum gesessen und ich durch seine Anwesenheit Trost gesucht hatte. Nicht einmal an Ducky hatte ich mich am Sonntag derart geklammert. Die Angst, einfach in das schwarze Loch zu fallen, war allgegenwärtig gewesen, weshalb ich den Jüngeren nicht mehr losgelassen hatte. Es war auch das erste Mal, dass ich von mir aus nicht in meiner Trauer alleine gelassen werden wollte. Anstelle McGee wegzuschicken, hatte ich es zugelassen, dass er voll mitbekam, dass ich doch nicht so stark war und dass mich Jethros Tod viel mehr mitnahm, als ich meinen Freunden sehen lassen wollte.
Der Gedanke an die Beerdigung war noch immer unerträglich und ich konnte mir weiterhin nicht vorstellen, Gibbs zu begraben – seine Knochen für die Ewigkeit in einen Sarg eingeschlossen. Ich hatte Tim erzählt, weshalb ich mein inneres Gleichgewicht derart verloren hatte und im Verhörraum praktisch zusammengebrochen war. Seine Erwiderung war eine noch festere Umarmung und das Versprechen gewesen, dass er mich an diesem Tag nicht alleine lassen würde. Aber er wusste genauso gut wie ich, dass ich nach der Beerdigung sicher niemanden um mich haben wollte, nicht einmal meine Freunde. Es wäre wahrscheinlich besser, gerade zu so einem Zeitpunkt die Nähe von Menschen zu suchen, aber ich würde mich nicht dazu aufraffen können. Ich musste erst einmal damit klarkommen, dass ich Jethro für immer verloren hatte und ich seine sterblichen Überreste der Erde übergeben würde.
Mein erneuter Zusammenbruch machte mir klar, dass ich, obwohl ich es angenommen hatte, mit der ganzen Sache doch nicht so gut umgehen konnte. Nach meinem Alkoholexzess am Sonntag hatte ich wirklich geglaubt, ich könnte alles einfach überstehen, aber ich hatte mich selbst belogen. Jetzt verstand ich auch die Menschen, die eine über alles geliebte Person verloren hatten und die behaupteten, seit Jahren zu trauern, nie über den Verlust hinweg gekommen zu sein. Irgendwie hatte ich das nie für möglich gehalten, aber mittlerweile konnte ich es mir durchaus vorstellen. So wie es sich momentan anfühlte, würde auch ich lange damit zu kämpfen haben, Jethro für immer verloren zu haben. Und ich bezweifelte, dass ich jemals wieder derart glücklich werden konnte, wie ich es in den letzten sieben Monaten gewesen war.
Trotz teilweise harter und anstrengender Fälle hatten wir jede Menge Zeit miteinander verbracht und ungeachtet dessen, dass manche Morde an unser beider Nerven gezogen hatten, waren selbst die Wochen mit jede Menge Überstunden schön gewesen, was wahrscheinlich auch daran liegen mochte, dass, wenn wir im Hauptquartier übernachtet hatten, sich Jethro und ich in ein Konferenzzimmer zurückgezogen und uns auf das Sofa gekuschelt hatten. Ganz zu schweigen von unseren Ausflügen in die Toilette, deren Tür wir einfach zugesperrt hatten, um für ein paar Minuten ungestört zu sein. Wir hatten immer irgendwie eine Möglichkeit gefunden, uns kurz abzuseilen und alleine zu sein.
Gibbs hatte vor unserer Beziehung ständig behauptet, Partnerschaften zwischen Kollegen würden nicht funktionieren, aber wir hatten doch das Gegenteil bewiesen. Wir hatten es geschafft, Privates von Beruflichem zu trennen, auch wenn es manchmal schwer gefallen war. Tief in meinem Inneren spürte ich, dass unsere Beziehung für die Ewigkeit geschaffen war, wäre Jethros Wagen nicht in die Luft gesprengt worden.
Ich wünschte, ich hätte die Möglichkeit erhalten, ihn zu fragen, ob er mich heiraten wollte, wünschte, ich könnte in seine Augen blicken, wenn ich ihm den Ehering an den Finger steckte und somit unsere Liebe vor allen besiegelte. Es hätte perfekt werden können, das wusste ich genau aber jetzt würde ich wohl nie heiraten. Früher hätte mich der Gedanke an eine Hochzeit und dauerhafter Bindung abgeschreckt und ich hatte nicht einmal darüber nachdenken wollen. Aber das hatte sich geändert, genauso wie sich mein gesamtes Leben verändert hatte. Und jetzt war ich erneut dazu verdammt, alleine zu sein, anstatt jemanden um mich herum zu haben.

Müde fuhr ich mir mit einer Hand über meine Augen und versuchte mich ein wenig zu entspannen. Ich hatte das Gefühl, auf der Stelle schlafen zu können, aber ich wehrte mich dagegen, einfach aus der Angst heraus, Dinge zu träumen, die mich regelrecht nach dem Aufwachen quälten.
Seit meinem Tränenausbruch fühlte ich mich wie erschlagen, weshalb ich auch McGee aufgetragen hatte zu fahren, obwohl es Ziva anzusehen gewesen war, hinter dem Steuer sitzen zu wollen. Aber da weder Tim noch ich das Bedürfnis verspürten zu sterben, hatte ich dem jungen Agent die Schlüssel zu geworfen. Bei ihm musste ich nicht die Befürchtung haben, dass er plötzlich in den Gegenverkehr auswich oder in den Fordermann krachte, da er übersehen hatte, dass dieser bremste. Außerdem verlor ich bei seinem Fahrstil nicht meinen Mageninhalt, was bei Ziva schon mehr als einmal vorgekommen war. Die Israelin fuhr schlimmer als eine 80-jährige, die nicht einmal über das Lenkrad blicken konnte – die Dienstwagen, die sie verschrottet hatte, waren Beweis genug dafür.
Ich hielt es ihr jedoch zu Gute, dass sie sich nicht beschwert hatte, dass ich McGee den Schlüssel gegeben hatte – vielleicht hatte es auch an meinem desolaten Zustand gelegen. Ein paar handvoll kaltes Wasser auf der Toilette hatten nur geholfen, die Tränenspuren auf meinen Wangen zu vernichten, aber nicht die roten geschwollenen Augen. Sie hatte auch nicht nachgefragt, weshalb Tim und ich so lange verschwunden gewesen waren, sie hatte es auch so gewusst. Aber nichts hatte darauf hingedeutet, dass sie es als Schwäche ansah, dass ich meinen Gefühlen freien Lauf gelassen hatte, sie hatte nur gefragt, ob alles in Ordnung sei, wobei sie mein Nicken mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck zur Kenntnis genommen hatte. Aber es kam ja auch nicht sooft vor, dass ich das ständige Bedürfnis verspürte, in Tränen auszubrechen oder auf etwas einzuschlagen, um den Schmerz ein wenig zu lindern. Ich hatte noch immer keinen Schimmer, wie ich das alles überstehen sollte, ohne daran zu zerbrechen. Noch nie hatte ich mich so hilflos gefühlt und selbst die Tatsache, dass Jethro nicht schuld an dem Unfall gewesen war, linderte das nicht im Geringsten. Was würde passieren, wenn ich seinen Mörder fand? Konnte ich meinen Finger vom Abzug lösen oder würde ich abdrücken? Ich hatte keinen Schimmer, wie es weitergehen sollte, aber jetzt war es erstmals an der Zeit, sich mit Kyle Zeke zu beschäftigen und den Grund, warum er gestern gelogen hatte.
Obwohl ich hoffte, dass er der Schuldige war, spürte ich tief in meinem Inneren, dass er nur eine Randfigur in einem größeren Spiel war – ein Bauer, den man bedenkenlos opfern konnte. Egal was es mich kosten würde, ich würde denjenigen finden, der die Fäden zog und dann würde es sich zeigen, ob ich es schaffte, den Abzug durchzudrücken.

Der Song aus dem Radio wechselte zum neuesten Wetterbericht, wo es hieß, dass es heute Abend noch mehr Schnee geben sollte und die Gefahr von Glatteis steigen würde. Eine Erwärmung war nicht in Sicht und auch in den nächsten Tagen sollte das Thermometer unter null Grad bleiben. Als wir Washington verlassen hatten, hatte es angefangen zu schneien und je näher wir Norfolk kamen, desto dichter fielen die Flocken vom bleigrauen Himmel. McGee hatte die Scheibenwischer eingeschaltet und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf die Straße.
Von dem Mann, der mich noch vor wenigen Stunden tröstend im Arm gehalten hatte, war keine Spur mehr zu sehen, sondern er hatte sich wieder in Bambino zurückverwandelt. Seine Stirn war gerunzelt und er versuchte, dem Fordermann nicht auf die Stoßstange zu krachen. Ich verspürte eine unglaubliche Dankbarkeit, dass er mich nicht alleine gelassen hatte, sodass ich ihn nicht einmal dafür rügen konnte, dass er den anderen Wagen nicht einfach überholte. Überhaupt schien ich mein Bedürfnis, jemanden aufzuziehen, verloren zu haben. Ich war bereits froh, hin und wieder lächeln zu können, ohne das Gefühl zu haben, dass es aufgesetzt war.
„Danke für alles, McGee", sagte ich schließlich, als wir in die ruhige Wohngegend einbogen, in der das Haus von Kyle Zeke stand. Ich löste meinen Blick von dem Seitenfenster und sah zu meinem Kollegen hinüber, der für kurze Zeit seine Konzentration von der Straße abwandte. Hier war jedoch kein Verkehr mehr, weshalb die Möglichkeit, dass er durch seine Unachtsamkeit einen Unfall bauen konnte, gering war.
„Schon in Ordnung", erwiderte er ungewöhnlich ernst und blickte wieder nach vorne. „Dafür sind Freunde da." Der Satz schwebte zwischen uns im Wageninneren und ich sagte darauf nichts, musste ich auch gar nicht. Wir wussten beide auch so, dass es der vollen Wahrheit entsprach, dass sich im Laufe der Jahre eine tiefe Freundschaft entwickelt hatte, ohne dass wir es so richtig mitbekommen hatten. Als wäre es gestern gewesen, erinnerte ich mich daran, als ich McGee zum ersten Mal gesehen hatte, als man eine von Säure zerfressene Leiche gefunden hatte. Damals hatte er auf mich den Eindruck gemacht, sich gleich übergeben zu müssen, obwohl er eine Maske getragen hatte, um sich vor dem Gestank zu schützen. Tim war so unbeholfen gewesen, hatte nicht wirklich gewusst, was er machen sollte und ich hatte mich einfach über seine Art köstlich amüsiert. Heute jedoch hatte ich das Gefühl, dass wäre Jahrzehnte her. McGee hatte sich zu einem selbstbewussten Agenten gemausert, den ich wirklich respektierte und den ich auch mochte. Dennoch würde ich ihn wohl auch weiterhin Bambino nennen – alte Gewohnheiten legte man eben nicht so schnell wieder ab.

„Nettes Haus", meinte Ziva, als Tim hinter dem schwarzen BMW von Kyle Zeke hielt. Diesmal befand sich der Wagen nicht in der Garage und auf dem Lack hatte sich bereits eine dünne Schneeschicht gebildet. Niemand war auf der Straße zu sehen, keine Kinder, keine Menschen, die einen Spaziergang unternahmen. Das Wetter war dafür viel zu ungemütlich und als ich ausstieg, zog ich unwillkürlich meine Jacke fester um meinen Körper, als mich ein eiskalter Wind traf und mir die Flocken direkt ins Gesicht wehte.
Alles sah gepflegt aus, ein richtig schickes Haus, wüsste ich nicht, wie es im Inneren war. Die Fassade war nur Schein und mich schauderte es, wenn ich daran dachte, mich erneut in dieses stickige Wohnzimmer zu setzen, wo es nach Knoblauch roch und der Teppich Flecken aufwies, deren Herkunft mir schleierhaft war. Dennoch musste ich mich zusammenreißen, um nicht einfach loszustürmen und so lange gegen die Tür zu hämmern, bis Kyle öffnete, um mir sein arrogantes Gesicht zu zeigen.
„Warte erst einmal, bis du drin bis. Dann wirst du es nicht mehr so hübsch finden", sagte McGee, verschloss sorgfältig den Wagen und betrat neben mir und Ziva die Veranda. Der Schaukelstuhl wippte leicht in dem Wind hin und her und verursachte knarzende Geräusche, die ziemlich unheimlich klangen. Überhaupt hatte die Gegend, obwohl es nur schöne Häuser gab – jedenfalls von außen – etwas Unheimliches an sich. Vielleicht lag es auch nur daran, dass heute nicht die Sonne schien und die dunklen Wolken ein wenig auf mein Gemüt drückten. Zwar wurden die Tage jetzt wieder länger, aber es war trotzdem düster, sodass man das Gefühl hatte, dass die Dämmerung hereinbrechen würde.
„Bringen wir es hinter uns", meinte ich, trat an die Tür und klingelte. Im Gegensatz zu gestern wurde uns nicht gleich geöffnet, sondern wir waren sicher eine halbe Minute der Kälte ausgesetzt, ehe schlurfende Schritte zu hören waren, jemand einen Schlüssel umdrehte und gleich darauf ein Paar Augen uns misstrauisch musterte. „Sie schon wieder", brummte er unfreundlich, als er mich und McGee erkannte. Eine Sekunde später blieb sein Blick an Ziva hängen und er vergrößerte den Spalt um mehrere Zentimeter, sodass ich sein faltenreiches Gesicht erkennen konnte. Auch heute waren seine Haare verstrubbelt und sie machten den Eindruck, nicht gewaschen worden zu sein. So weit ich erkennen konnte, trug Zeke eine braune Wollhose und ein weißes Unterhemd, sodass seine Muskeln gut sichtbar waren.
„Wen haben wir denn da?" fragte er in Richtung der Israelin und in seine Augen trat ein begehrliches Funkeln. Seine Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln und mich hätte es nicht gewundert, wenn er zu sabbern angefangen hätte. „Das ist Officer David", stellte ich meine Kollegin vor und hatte Mühe, ihm nicht meine Faust in sein arrogantes Gesicht zu schlagen. Ziva blieb überraschend ruhig und musterte den älteren Mann abschätzend. „Mr. Zeke, wir hätten noch ein paar Fragen", sagte McGee, als ich keine Anstalten machte, zu verraten, weshalb wir hier waren. „Schon wieder?" war seine ruppige Antwort, ohne die junge Frau aus den Augen zu lassen. „Ich wüsste nicht, was es noch zu fragen gibt." „Das lassen Sie mal unsere Sorge sein. Können wir reinkommen?" wollte ich wissen und versuchte, freundlich zu bleiben. Er musste ja nicht unbedingt gleich wissen, dass er für mich der Verdächtige Nummer eins in dem Mord an Gibbs war. Es war immerhin sein gutes Recht, uns die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Wir hatten keinen Durchsuchungsbefehl und einen zu bekommen, nur weil Kyle eine Falschaussage gemacht hatte, war unwahrscheinlich. Außerdem gab es keine Verbindung zwischen ihm und Jethro und sie schienen sich auch nie begegnet zu sein.

„Wenn es unbedingt sein muss", murmelte Zeke in seinen nicht vorhandenen Bart und öffnete die Tür so weit, dass die stickige Luft im Inneren nach außen drang und mich beinahe einen Schritt zurücktreten ließ. Zusätzlich kam mir eine Geruchswolke gebratener Zwiebel und Fleisch entgegen, weshalb sich mein Magen zusammenzog. Ziva rümpfte ihre Nase und selbst McGee hatte es nicht mehr eilig, in das Haus zu kommen. So als ob ich ein Mienenfeld betreten würde, ging ich in den kleinen Vorraum und hatte prompt das Gefühl, in einen Backofen gelandet zu sein. Es war noch heißer als gestern und ich zog mir sofort meine Jacke aus, bevor ich anfangen konnte, zu schwitzen. Der Geruch nach fettigem Essen wurde stärker und mein Magen begann zu revoltieren, aber ich wartete geduldig, bis meine Kollegen sich ebenfalls im Haus befanden und Kyle die Tür hinter uns schloss.
Mürrisch vor sich hin murmelnd, ging er – gefolgt von uns – ins Wohnzimmer, ließ sich auf einen der Sessel fallen und zog den Teller mit seinem Essen zu sich heran. Auf ihm häuften sich kleine Fleischsstücke und eine Soße, die anscheinend nur aus Zwiebeln und Wasser bestand. Ohne uns etwas anzubieten oder uns aufzufordern sich zu setzen, schnappte er sich eine Gabel und schaufelte sich ungeniert das Fleisch in den Mund. Ich schluckte hart, während ich mich so weit wie möglich von ihm entfernt auf die Couch niederließ, gefolgt von Ziva und McGee, die sich zu mir dazuquetschten. Wie gestern ließ Tim seinen Mantel an, die Israelin hingegen zog ihren aus und legte ihn sorgfältig über die Lehne.
Kyles Blick blieb an ihren Brüsten hängen und er fuhr sich mit der Zunge über seine Lippen. Ziva schien das nicht zu bemerken oder es ließ sie kalt, dass sie von diesem Typ praktisch mit den Augen ausgezogen wurde. Allerdings konnte ich mir vorstellen, dass sie ihm eine Abreibung verpassen würde, sobald wir gingen.
„Also, was kann ich heute für euch tun?" fragte er mit vollem Mund, aber ich ließ mich nicht von seiner falschen Freundlichkeit beirren. „Geht es wieder um diesen Kerl von gestern? Tschuldigung, ich meine Agent Gibbs", fügte er hinzu, als er meinen steinernen Gesichtsausdruck bemerkte. „Ich dachte, da wären wir durch. Es war ein Unfall." „Weshalb sind Sie sich da so sicher?" wollte McGee wissen und zückte seinen kleinen Notizblock. Zeke blickte ihn verwirrt an und runzelte die Stirn – die volle Gabel verharrte mitten in der Luft auf dem Weg zu seinem Mund.
„Was wollen Sie damit sagen?" fragte Kyle und sein hämischer Tonfall schwankte ein wenig. „Wir wollen damit sagen", antwortete Ziva und betonte jedes Wort einzeln, so als ob sie einen schwerhörigen Menschen vor sich hätte, „dass der Unfall kein Unfall gewesen ist." Überrascht riss unser Gegenüber seine Augen auf, ließ die Gabel sinken und stellte den Teller auf dem Tisch ab, so als ob ihm der gesamte Appetit vergangen wäre. „Das ist ein Scherz, oder?" wandte er sich an mich und zog seine Brauen zusammen, sodass eine Falte zwischen seinen Augen erschien. Er klang atemlos und seine gehässige Art war vollkommen verschwunden.
„Das ist kein Scherz", versicherte ich ihm und beugte mich nach vorne, versuchte ihn mit meinem Blick zu durchbohren, so wie es Jethro immer mit mir gemacht hatte, wenn ich etwas angestellt hatte. „Es war Mord?" Er klang noch geschockter und auf seiner Stirn erschienen Schweißperlen, als er sich in den abgesessenen Sessel zurücklehnte. „Das… ich weiß nicht, was… es tut mir leid", stotterte er vor sich hin und starrte auf seine Finger.
„Wissen Sie, was mich am meisten irritiert?" fragte ich und rutschte an die Sofakante. Meine Stimme hatte einen gefährlichen Klang angenommen, der selbst mir neu war und von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass ich ihn besaß. „Wieso Sie nicht mitbekommen haben, dass der Wagen meines Freundes in die Luft gesprengt worden ist. Das heißt, zuerst der hintere rechte Reifen und dann hat eine zweite Sprengladung das Benzin entzündet." Eine gewisse Befriedigung durchfuhr mich, als Kyle weiß im Gesicht wurde und noch mehr Schweiß auf seiner Stirn erschien. Entweder war er so geschockt, weil ein Mord direkt vor seiner Nase stattgefunden hatte oder aber er war schuldig und er fühlte sich ertappt.

„Da war… da war eine Rauchwolke", sagte er schließlich, nachdem sich das Schweigen unangenehm in die Länge zog und nur das ferne Ticken einer Uhr zu hören war. „Aber ich dachte, sie würde von den Bremsen stammen. Ich wusste nicht…" Er brach ab und sah mich beinahe verzweifelt an. McGee neben mir schrieb eifrig mit und Ziva rührte sich nicht einmal einen Millimeter, schien zu einer Statue erstarrt zu sein. „Und wieso haben Sie das nicht bereits gestern gesagt?" fragte ich und musste die Wut unterdrücken, die auf einmal in meinem Inneren aufkeimte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und konnte nur mit Mühe verhindern, dass ich sie auf den Tisch vor mir krachen ließ.
„Und Sie haben doch sicher einen Knall gehört, oder?! Wenn etwas in die Luft gesprengt wird, dann macht das jede Menge Lärm! Wieso haben Sie uns gestern angelogen?!" Ich wurde lauter und konnte nichts dagegen machen. Der Mann, der Jethro als letztes lebend gesehen hatte, schien nicht besonders daran gelegen zu sein, zu kooperieren.
„Ich habe Sie nicht angelogen", erwiderte er ärgerlich und funkelte mich aus seinen braunen Augen geringschätzend an. „Ich dachte nur, es wäre nicht wichtig. Und ich habe nichts gehört, keinen Kracher. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich während dem Autofahren immer laut Musik höre. Und seit wann ist das ein Verbrechen?!" „Aber es ist ein Verbrechen, einen anderen Menschen zu ermorden. Noch dazu einen Bundesagenten", entfuhr es mir unwillkürlich, woraufhin Kyles Gesicht innerhalb des Bruchteils einer Sekunde rot anlief und seine Hände sich so fest zu Fäusten ballten, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Wollen Sie etwa andeuten, ich hätte diesen Agenten ermordet?!" „Sonst hätte ich das wohl kaum gesagt", meinte ich ungerührt. Ich wünschte mir, ich könnte endlich von hier verschwinden, endlich wieder frische Luft atmen. Aber wenn Kyle wirklich schuldig war, dann wollte ich das wissen. „Ich fasse es nicht! Sie kommen hierher und beschuldigen mich eines Mordes! Wieso hätte ich diesen Kerl umbringen sollen?! Ich bin ihm vorher noch nie begegnet, verdammt noch mal! So etwas lasse ich mir nicht gefallen!" Er sprang auf, stützte seine Arme auf dem Tisch ab und beugte sich so weit nach vorne, dass ich seinen nach Zwiebel stinkenden Atem riechen konnte.
„Jemand hat sich dazu entschlossen, Ihren Freund ins Jenseits zu befördern und nur weil ich das Pech hatte, zur gleichen Zeit dort zu sein, glauben Sie, ich wäre es gewesen! Sie suchen doch nur einen Schuldigen, damit Sie endlich wieder ruhig schlafen können! Ihr Bundesagenten seid doch alle gleich! Ich weiß genau, warum ich euch nicht ausstehen kann, vor allem, wenn sich herausstellt, dass sie schwul sind! Wahrscheinlich ist die Welt ohne…"
Hätte mich McGee nicht aufgehalten, wäre meine Faust mitten auf Kyles Nase gelandet und hätte sie gebrochen. Bis jetzt hatte es mir nie etwas ausgemacht, wenn ich auf Leute gestoßen war, die ein Problem mit Homosexuellen hatten, aber das er auch noch wagte zu sagen, die Welt wäre ohne Jethro besser dran, brachte das Fass zum Überlaufen.
Ziva erhob sich und stellte sich zwischen mir und dem tobenden Zeke, aber nicht einmal ihre Anwesenheit schien ihn zu beruhigen. Ich begann, mich gegen McGees Griff zu wehren, aber er ließ nicht locker. „Ich denke, es ist besser wenn wir gehen", sagte Ziva zu uns, ohne uns anzublicken. „Komm schon, Tony", meinte Tim leise, schnappte sich meine Jacke und drückte sie mir in die Hand, während er mich am Oberarm packte und mich von Kyle wegführte.
„Wenn Sie noch einmal hierher kommen wollen, dann gefälligst mit einem Durchsuchungsbefehl! Ich lass mir doch keinen Mord anhängen!" schrie er uns zu und ich hatte wirklich Mühe, nicht zurückzustürmen und ihn einfach niederzuschlagen. Die Israelin eilte an uns vorbei und öffnete die Tür, während McGee aufpasste, dass ich keinen Blödsinn anstellte. „Er weiß etwas", sagte ich wütend, als wir die Veranda erreicht hatten und Ziva die Tür so laut ins Schloss warf, dass die Fensterscheiben klirrten. „Dieser Mistkerl verschweigt etwas." „Aber das können wir nicht beweisen", meinte sie und öffnete die Beifahrertür, sodass mich Tim ohne Probleme ins Auto verfrachten konnte, ehe ich es mir anders überlegen konnte und Zeke doch noch die Wahrheit herausprügelte – oder ihm Schmerzen zufügte, weil er sich erdreistet hatte zu sagen, die Welt wäre ohne Jethro besser dran.
Ich war so wütend, dass ich mehrere Versuche brauchte, bis ich es geschafft hatte, mich anzuschnallen und um mich ein wenig abzureagieren, schlug ich einfach auf die Tür ein. „Hör auf, Tony, du tust dir noch weh", sagte McGee und versuchte sich meine Hände zu schnappen. Ich ließ mich in den Sitz zurücksinken und atmete tief durch. „Er wollte dich nur zur Raison bringen", erklang Zivas Stimme hinter mir und sie legte mir eine Hand auf meine Schulter. „Und das ist ihm wunderbar gelungen", erwiderte ich zynisch, aber etwas ruhiger. „Aber trotzdem… zu hören, dass jemand behauptet, die Welt wäre ohne… das hat mir einfach einen Stich ins Herz versetzt." Ich schüttelte meinen Kopf und schloss die Augen, blendete die Welt um mich herum aus. Die schönen Häuser, den Schnee und den grauen Himmel.
McGee startete den Motor, wendete vorsichtig und beschleunigte schließlich. Ziva ließ ihre Hand von meiner Schulter gleiten und ließ sich nach hinten sinken. „Ich will, dass jemand diesen Mistkerl beschattet. 24 Stunden am Tag", sagte ich leise und ohne dass ich es befehlen musste, griff die Israelin nach ihrem Handy und leitete alles in die Wege. Wenn Kyle Zeke wirklich etwas mit dem Mord zu tun hatte, dann würden wir das herausfinden. Irgendwann würde er vielleicht einen Fehler machen und wenn es so weit war, dann gnade ihm Gott.

Fortsetzung folgt...
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