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Die Schatten in Gibbs' Bootskeller wurden länger, als die blasse Wintersonne ihren höchsten Punkt erreichte und sich wieder langsam gegen den Horizont neigte. Es war Nachmittag, nur ein paar Stunden nach seinem Gespräch mit Tony in der Forensik, dennoch kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er gehofft, dass danach alles gut werden würde, dass ihn Anthony in die Arme schließen und ihn zum Zeichen, dass er ihm verziehen hatte, küssen würde. Er hatte es nicht für möglich gehalten, sich so sehr nach nur einem einzelnen Kuss zu sehnen, er wollte die weichen Lippen wieder spüren, wollte wissen, wie es war, wieder zu leben.
Jethro war richtig erleichtert gewesen, als sich Tony so bereitwillig auf den Tisch gesetzt hatte, um ihm zuzuhören, um sich endlich die Erklärung geben zu lassen, die er bereits gestern gerne von sich gegeben hätte. Nach dem Fiasko des vorherigen Abends hatte es eigentlich nicht mehr schlimmer kommen können, er hatte in seiner sonst nie vorhandenen Naivität geglaubt, dass nach dem tiefen Fall endlich ein Aufstieg erfolgte – aber nichts dergleichen war geschehen.
Sicher, Tony hatte ihm ruhig zugehört und Gibbs hatte gesehen, wie sehr es seinem jungen Freund zugesetzt hatte zu erfahren, was Jethros Schwester und seinem Neffen zugestoßen war. Keine Spur von Mitleid war in den grünen Augen aufgeblitzt, sondern nur Verständnis – es war gerade das gewesen, was ihn wieder aufgebaut hatte. Bis Anthony gesagt hatte, dass es zu spät war, um alles rückgängig zu machen. Er hatte bereits da gemerkt, dass seine Träume von einem versöhnenden Kuss zerstört worden waren.
Und dann die Bemerkung über Regel Nummer 12… in diesem Moment hatte er gedacht, in ein Loch zu fallen, als er die Bedeutung hinter den Worten verstanden hatte. Liebe zwischen Kollegen… war er vielleicht dazu verdammt, dass das nie funktionierte? Bereits bei Jen hatte sich herausgestellt, dass eine Affäre zwischen Mitarbeitern nicht gut gehen konnte, auch wenn es sich zu dem damaligen Zeitpunkt richtig angefühlt hatte. Und genauso war es jetzt mit Tony. Gibbs hatte gedacht, sie könnten es auf die Reihe bekommen, Berufliches von Privatem zu trennen, die Arbeit hinter sich lassen, wenn sie über die Schwelle des Hauses traten – sei es Anthonys oder sein eigenes. Es hatte alles wunderbar geklappt, bis am Samstag, wo es unvermeidlich gewesen war, dass sich die Sachen nicht mehr trennen hatten lassen.
An diesem Tag hatte er wirklich Mist gebaut, wie er selbst zugegeben hatte. Er hätte nicht auf Jen hören sollen, indem er zugestimmt hatte, niemandem zu sagen, was er vorhatte, sondern sich von seinem Instinkt leiten lassen. Vieles wäre ihm erspart geblieben und er würde jetzt nicht alleine in seinem Bootskeller sitzen, während Tony irgendwo anders war und vielleicht darüber nachdachte, die Beziehung endgültig zu beenden.
Jethro hatte gedacht, ihm zu sagen, dass er ihn liebte, würde ihn zum Umkehren bewegen und erneut war Hoffnung in ihm aufgestiegen, als Anthony tatsächlich stehen geblieben war, nur für ein paar Sekunden, um anschließend einfach aus der Forensik zu gehen – ohne ein Wort zu sagen. In diesem Moment hätte er sämtliche Gerätschaften in Abbys Labor demolieren, hatte seiner Wut, versagt zu haben, freien Lauf lassen wollen, aber die Tatsache, dass er anschließend wirklich tot wäre, hatte ihn davon abgehalten.
Er hatte der Tür den Rücken zugekehrt, hatte nicht sehen wollen, wie sein Freund im Fahrstuhl verschwand, um alles auf die Reihe zu bekommen, was er in nur wenigen Minuten erfahren hatte. Gibbs konnte es Tony nicht einmal verübeln, dass er derzeit nicht wusste, was er machen oder glauben sollte. Dieser war unbestreitbar von einem Gefühlschaos in das nächste gestürzt: grenzenloses Glück noch am Samstag, gefolgt von tiefer Trauer und unendlichem Schmerz, abgelöst von kurzer Freude und schließlich unbändige Wut. Und schließlich hatte er den Grund erfahren, warum er so leiden hatte müssen und der Schmerz, der weiterhin in den grünen Augen allgegenwärtig war, hätte ihn beinahe dazu gebracht, seinen Freund ganz fest in die Arme zu schließen, um ihm tausend Mal zu sagen, wie leid es ihm tat.

Nachdem Anthony gegangen war, hatte er sich schrecklich alleine gefühlt, ungeachtet der Tatsache, dass nicht einmal eine Minute später Abby, gefolgt von McGee und Ziva, hereingekommen war, um ihn fest zu umarmen und ihm zu sagen, wie leid ihr die ganze Sache täte. Gegen seine Gewohnheit dürfte sich Ducky in seinen Erzählungen relativ kurz gefasst haben und er war ihm deswegen ein wenig dankbar. Die kurze Ablenkung, die ihm die junge Goth gegeben hatte, hatte ihn davor bewahrt, sich gehen zu lassen und die Hoffnung vollends aufzugeben.
Noch dazu hatte sich kurz darauf McGee für seinen Ausbruch entschuldigt und beschämt zu Boden geblickt, obwohl ihm weiterhin anzusehen gewesen war, dass er es nicht richtig fand, was Gibbs getan hatte. Nur die Zuversicht Abbys, die gemeint hatte, Tony bräuchte bloß ein wenig Zeit, um sich alles durch den Kopf gehen zu lassen, hatte sich nicht wirklich auf ihn übertragen. Wenn die Beziehung tatsächlich vor dem Aus stand, war er auch noch selbst schuld.
Anthony bedeutete ihm mehr als alles andere auf dieser Welt und er hatte keine Ahnung, wie er es überleben sollte, wenn er ihn auch noch verlieren sollte. Jethro hatte es irgendwie geschafft, mit dem Tod von Shannon und Kelly zurecht zu kommen, hatte schweren Herzens akzeptiert, dass ein paar Jahre später James Jr. und Jamie von ihm gegangen waren und wäre daran fast zerbrochen, hätte ihn Ducky nicht immer wieder vor dem Fall in das schwarze Loch bewahrt. Und in dieses würde er unweigerlich stürzen, sollte Tony mit den Worten, dass er einen Schlussstrich ziehen würde, zu ihm kommen. Diesmal würde ihn noch so viel Arbeit nicht vor dem Untergang retten. Es schmerzte bereits jetzt schrecklich nur daran zu denken, dass alles vorbei sein könnte, sieben Monate des reinsten Glücks einfach weggeworfen, durch seine eigene Dummheit. Würde die Beziehung untergehen, würde er mit untergehen – so wie ein Kapitän mit seinem sinkenden Schiff.

Und jetzt war hier, in seinem Bootskeller, nachdem er noch Jenny gesagt hatte, dass er morgen erfahren würde, wo die nächste Bombe platziert werden sollte. Die Gelegenheit, noch einmal mit ihm in Abbys Labor sprechen zu können, hatte sie sich nicht nehmen lassen, um ihm die Leviten zu lesen, weil er Tony von ihrer früheren Affäre erzählt hatte. Ihre Tirade hatte er emotionslos über sich ergehen lassen, um sie anschließend einfach stehen zu lassen und das Hauptquartier zu verlassen, das Gebäude, in dem er sich in den letzten Jahren heimisch gefühlt hatte, das jetzt aber nur mehr aus Beton und Ziegeln zu bestehen und seine Freundlichkeit verloren zu haben schien.
Gibbs war direkt zu seinem Haus gefahren, in dem Bewusstsein, dass es durchaus gefährlich werden könnte, wenn Darien ihm immer noch nachschnüffelte, aber momentan war ihm das egal – alles war ihm egal. Was spielte es noch für eine Rolle, wenn sein alter Freund irgendwann dahinter kommen sollte, dass er ein falsches Spiel spielte? Wichtig war nur noch die Tatsache, dass er es versaut hatte und dabei war, Anthony zu verlieren.
Mit trübem Blick sah er sich in seinem Bootskeller um und die Vertrautheit des Ortes legte sich ein wenig wie Balsam auf seine Seele, die seit Stunden eine einzige klaffende Wunde war. Alles war normal, nichts hatte sich in seiner Abwesenheit verändert, abgesehen von ein paar Werkzeugen, die nicht an ihrem Platz waren und in einem kleinen Durcheinander auf der Werkbank lagen. Aber er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zu ordnen, sondern sich an sein Boot gelehnt, die Augen geschlossen und sich einfach treiben lassen. Jethro hatte sich einfach seinen Gedanken überlassen, hatte es zugelassen, dass die glücklichen Erinnerungen aus seinem Unterbewusstsein auftauchten und er für kurze Momente vergaß, in welchem Schlamassel er steckte.
Irgendwann war er auf den Boden gesunken, hatte Tonys Foto aus seiner Brieftasche geholt und hatte das Gesicht betrachtet, das er so sehr liebte. An diesem Tag war nichts von dem breiten Lächeln zu sehen gewesen, geschweige denn das glückliche Funkeln in den grünen Augen. Eine Erinnerung nach der anderen hatte ihn überrollt, bis er erneut beinahe angefangen hätte, Tränen zu vergießen, so wie er es gestern im Park getan hatte. Obwohl er wusste, dass weinen keine Schwäche war, hatte er doch das Bild wieder verstaut und starrte seitdem auf die Wand seines Kellers, in der Hoffnung, in den Ritzen eine Lösung zu finden, die ihm den Weg zurück zu Tonys Herz weisen würde.

Gibbs war gerade dabei, den Weg einer großen Spinne zu verfolgen, die an der Mauer nach oben krabbelte, als er hörte, wie die Kellertür geöffnet wurde und gleich darauf Schritte auf der Treppe erklangen. Er musste nicht aufsehen, um zu erkennen, wer ihn besuchen kam – er wusste es instinktiv, bemerkte es an den Schritten, die Stufe für Stufe zu ihm herunterkamen.
„Bist du hier, um mir zu sagen, dass ich es versaut habe? Ich kann dir versichern, das weiß ich auch so", sagte er schließlich und behielt das Insekt im Auge, das gerade versuchte, in eine der Ritzen zu verschwinden, es aber nicht schaffte, da ihr Körper zu fett war. Für ein paar Sekunden herrschte Stille, schließlich setzte sich sein Besucher wieder in Bewegung und ging zur Werkbank, um dort seinen Hut abzulegen, gefolgt von dem hellbraunen Mantel, der seinen Platz auf dem einzigen Stuhl im Keller fand.
„Nun, Jethro, ich bin nicht hier, um dir zu sagen, dass du es versaut hast und ich werde dir auch nicht die Leviten lesen. Ich denke, das hat Tony bereits übernommen", erwiderte Ducky und erntete ein Schnauben. Der Pathologe lehnte sich an die Werkbank und blickte auf seinen Freund hinunter, der vollkommen verloren wirkte und wahrscheinlich eher unbewusst den silbernen Ring an seinem Finger hin und her drehte. Er hatte zuvor noch gar nicht bemerkt, dass er ihn wieder zurück hatte, was bedeutete, Anthony musste ihn ihm gegeben haben. ‚Wohl eher hingeworfen', fügte er in Gedanken hinzu und seufzte leise. Es war eine Qual, den beiden zuzusehen, wie sie sich gegenseitig Schmerzen bereiteten und um einander herumschlichen, anstatt einen Schritt nach vorne zu machen. Sicher, er verstand Tony durchaus, dass er verletzt war und dass er ein wenig Abstand brauchte, dennoch… Er konnte sehen, dass es beiden weh tat, getrennt zu sein, dass sie eigentlich einander brauchten, um diese Sache zu überstehen. In den letzten Tagen war so viel passiert und er hatte mitbekommen, wie der junge Halbitaliener gelitten hatte, wie die Wunden in seinem Inneren immer größer geworden waren und die Heilung für diese konnte er im Prinzip nur in den Armen seines Freundes finden.
Ducky hatte die beiden Sturköpfe schon einmal dazu gebracht, sich einzugestehen, dass es Liebe war, die sie für einander empfanden und sie in die richtige Richtung geschubst und jetzt würde er es wieder tun. Eher würde die Hölle zufrieren, als dass er zusehen würde, wie sich die beiden die Beziehung ruinierten, die sie so glücklich gemacht hatte.

Gibbs schüttelte leicht den Kopf, erhob sich ein wenig schwerfällig, nachdem er so lange auf dem Boden gesessen hatte und ging zu Ducky, um an ihm vorbei zu greifen und die Bourbonflasche aus dem Regal zu nehmen, die er immer dort aufbewahrte. Allerdings schraubte er nicht den Verschluss ab, um einen Schluck zu nehmen, so wie er es vorgehabt hatte, sondern betrachtete die bernsteinfarbene Flüssigkeit stirnrunzelnd. Komisch, so weit er sich erinnern konnte, war doch viel mehr in der Flasche gewesen, als er das letzte Mal hier gewesen war.
„Was ist denn damit passiert?" fragte er und wandte sich an Ducky, in dessen Augen ein wissender Ausdruck getreten war. „Wieso fehlt mehr als die Hälfte? Die Flasche war doch fast voll, als ich… nun ja, als ich gegangen bin." Er wollte die Worte, dass er seinen Tod vorgetäuscht hatte, nicht aussprechen. Der Pathologe räusperte sich ein wenig und blickte zum Boot, wo er am Sonntag Tony gefunden hatte, stockbetrunken und außer sich vor Trauer.
„Ich fürchte, der gute Anthony hat die Nachricht deines angeblichen Todes nicht sonderlich gut aufgenommen." Gibbs starrte seinen Freund für eine Sekunde fassungslos an, als er die Bedeutung hinter dem Satz erfasste. „Tony hat das getan?" fragte er nach, nicht sicher, ob er es richtig verstanden hatte. „Aber er mag doch gar keinen Bourbon." „In diesem Falle hat er wohl eine Ausnahme gemacht. Es hat mich große Mühe gekostet, ihn nach oben zu schaffen. Der Junge ist geschwankt, als ob er auf einem Schiff in Seenot gewesen wäre. Und er hat nicht einmal mehr gewusst, was er daherredet. Ich wollte eigentlich nie wissen, wie euer…" Ducky brach ab und wich verlegen Gibbs' Blick aus, der ihn förmlich zu durchbohren schien. „Wie unser was?" fragte dieser nach und stellte die Flasche wieder ins Regal zurück. Zu wissen, dass sich Tony mit seinem Bourbon betrunken hatte, hatte das Verlangen nach Alkohol zum Erlöschen gebracht.
„Wie euer Liebesleben aussieht", gestand der Pathologe, da er wusste, dass Jethro nicht locker lassen würde. Zu seiner Überraschung stahl sich ein Lächeln auf dessen Lippen und erhellte für kurze Zeit seine trübsinnige Miene. „Ziemlich abwechslungsreich", sagte Gibbs mehr zu sich selbst als zu seinem jahrelangen Freund und dachte unwillkürlich an den Abend zurück, an dem er Tony ans Bett gefesselt hatte, um ihn anschließend mit Eiswürfeln zu quälen. Und anschließend Honeydust… den Geschmack nach Honig hatte er bis heute nicht vergessen, geschweige denn, wie es sich auf Anthonys Haut angefühlt hatte.
„Das sind noch mehr Informationen, die ich nie haben wollte", erwiderte Ducky, freute sich aber innerlich, als er bemerkte, wie das Funkeln in die blauen Augen zurückkehrte und ein liebevoller Ausdruck auf Gibbs' Gesicht erschien. Er wollte nicht daran denken, welche Bilder wohl gerade im Gehirn seines Gegenübers entstanden waren, weshalb er sich auf den Stuhl setzte und geduldig abwartete, bis Jethro wieder in die Gegenwart zurückkehrte.

Seufzend schüttelte dieser den Kopf und lehnte sich wieder gegen sein Boot. „Ich schätze, du bist wegen Darien hier, oder, Duck?" fragte er und fuhr sich durch seine Haare. „Es hat mich überrascht, seinen Namen zu hören, vor allem, weil ich angenommen habe, dass er tot ist." „Da warst du nicht der Einzige." „Und er ist wirklich verantwortlich dafür, dass James Jr. bei der Explosion umgekommen ist? Und indirekt auch Jamie?" Gibbs nickte nur und ließ sich wieder auf den Boden gleiten. „Ich schwöre dir, als ich ihn am Sonntag das erste Mal nach so vielen Jahren wieder gesehen habe, hätte ich ihm am liebsten den Hals umgedreht. Stattdessen habe ich gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Die letzten Tage… es war die Hölle, Duck. Die ganze Zeit habe ich gewusst, was ich euch allen antue, besonders Tony und… ich könnte mich für meine Dummheit selbst in den Hintern treten. Ich hätte es ihm sagen sollen, anstatt zu schweigen. Und jetzt habe ich den Salat."
„Das will ich nicht abstreiten, dass du einen Fehler begangen hast, indem du den Auftrag einfach so angenommen hast, Jethro. Aber ich weiß, wie wichtig dir das Versprechen war und noch immer ist und wie ich Darien kenne, hat er sicher deine ganze Geschichte überprüft, nicht wahr?" „Ja, das hat er und ich hatte einfach Angst, dass er darauf kommen könnte und Tony schließlich etwas antut. So skrupellos wie er geworden ist." „Dennoch hast du dich entschieden, die Wahrheit zu sagen?" „Das Wissen, was ich alles anrichte, wie sehr Tony wegen mir leidet, ist mir zu viel geworden. Es hat mich beeinflusst und selbst Darien hat gemerkt, dass etwas nicht mit mir stimmt. Ich hätte irgendeinen Fehler gemacht und das konnte ich nicht verantworten. Außerdem finde ich es nicht richtig, dass jemand anderes unter meinen Namen begraben wurde." Gibbs blickte zu seinem Freund, der ruhig in dem Sessel saß und ihn ansah. Von allen brachte Ducky am meisten Verständnis auf, hatte er doch miterlebt, wie es ihm nach James' Tod ergangen war – und auch nach Jamies.
„Ein Obdachloser", beantwortete er die unausgesprochene Frage, die im Keller herumschwebte. „Einer der vielen, die in diesem Winter erfroren sind. Und ja, der Pathologe in Norfolk war eingeweiht, genauso wie der Forensiker. Ich fühle mich so schuldig, was ich gemacht habe. Ich war so naiv zu glauben, dass, wenn Tony die Wahrheit erfährt, er mir verzeiht, aber stattdessen hat er mich stehen lassen."
Ducky seufzte leise und beugte sich ein wenig vor, sodass er Gibbs besser fixieren konnte. „Nun, der Junge ist verletzt worden. Er braucht ein wenig Zeit, um alles auf die Reihe zu bekommen. Ich bin mir sicher, es wird sich alles zum Guten wenden." „Deinen Optimismus will ich haben, Duck. Aber ich glaube nicht wirklich daran. Er hat mich gestern als Bastard bezeichnet. Mir macht es normalerweise nichts aus, mit den übelsten Schimpfnamen bedacht zu werden, aber es ist von Tony gekommen und… Gott, es hätte mir beinahe das Herz gebrochen." Unwillkürlich ballte er seine Hände zu Fäusten und hätte am liebsten auf dem Boden eingeschlagen. „Er war so wütend und ehrlich gesagt, mich würde es nicht wundern, wenn er einen Schlussstrich ziehen würde."
Verbittert hob er seine linke Hand und zeigte Ducky den silbernen Ring. „Den hat er mir praktisch vor die Nase geworfen. Und da habe ich zum ersten Mal erkannt, dass zwischen uns eine Kluft entstanden ist, die wir vielleicht nie wieder überbrücken können. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Ich weiß nicht, was ich tun soll, falls ich Tony verliere."
Ihn so verzweifelt zu sehen, versetzte Ducky einen schmerzhaften Stich. Gibbs wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte, er bereute es und war dabei, eine Beziehung zu verlieren, die ihm alles bedeutete. Der Pathologe erkannte sofort, dass, wenn Anthony sich für ein Leben ohne Jethro entscheiden sollte, dieser in ein schwarzes Loch fallen würde – in das Loch, das seit James' und Jamies Tod allgegenwärtig war und jetzt wieder größer wurde, um ihn zu verschlingen. Aber noch mehr erkannte er, dass Gibbs morgen in der Gegenwart von Darien garantiert etwas Unüberlegtes machen, das seine Tarnung gefährden würde. Im Moment war er kein Bundesagent mehr, sondern ein Mann, der Angst hatte, seine große Liebe für immer zu verlieren. Und diese Angst würde sich auf alles auswirken. Er würde morgen nicht logisch denken können und Darien war klug genug, um alles zu durchschauen – und skrupellos genug, seinen alten Freund ohne mit der Wimper zu zucken einfach zu erschießen, wenn er bemerkte, dass er hinters Licht geführt worden war. Die einzige Möglichkeit, dass wirklich alles gut ausgehen würde, war, dass Tony zu Gibbs zurückkehrte, dass er ihm verzieh und sie in dieser Nacht beisammen waren, um gegenseitig ihre Wunden zu versorgen.

„Tony liebt dich, Jethro", sagte Ducky schließlich und beugte sich noch weiter vor. „Wenn es nicht so wäre, hätte er dich längst in die Wüste geschickt, anstatt sich alles durch den Kopf gehen zu lassen. Aber du musst auch seinen Standpunkt verstehen. Er ist in den letzten Tagen buchstäblich durch die Hölle gegangen, nur um gestern zu erfahren, dass du deinen Tod wegen einem Undercoverauftrag vorgetäuscht hast. Er kommt sich verraten vor und es tut ihm umso mehr weh, weil er dich noch immer liebt und das abgöttisch. Aber er wird zu dir zurückkommen, davon bin ich überzeugt." „Nur wann, Duck? Tony ist mein Leben und wie soll ich morgen Darien unter die Augen treten mit dem Wissen, dass ich es wahrscheinlich verbockt habe und mich nichts als ein leeres Haus erwartet, wenn ich zurückkomme?"
Der Pathologe stand auf, nahm seinen Mantel und schlüpfte hinein. „So schwer das auch für dich sein mag, ich bin doch ein wenig überrascht, dass für dich auf einmal das Glas halbleer anstatt halbvoll ist. Wo ist der starke Marine abgeblieben, als den ich dich kenne, der sich nie unterkriegen lässt? Hör auf, dich selbst verrückt zu machen. Was geschehen ist, ist geschehen und es bringt nichts, etwas nachzutrauern, das noch gar nicht verloren ist. Und wenn ich dir sage, dass alles gut werden wird, kannst du auch darauf vertrauen."
Die Worte kamen lauter aus seinem Mund als beabsichtigt, aber sie erzielten ihre Wirkung. Auf Gibbs' Gesicht erschien ein nachdenklicher Ausdruck und die Verzweiflung trat ein wenig in den Hintergrund. Ducky nahm seinen Hut und setzte ihn auf. Es war an der Zeit, Jethro alleine zu lassen, damit er sich den Kopf über das eben Gesagte zerbrechen konnte, um hoffentlich wieder nach vorne sehen zu können. Er hingegen würde einen zweiten Hausbesuch machen. Es wäre doch gelacht, wenn er die größten Sturköpfe der Welt nicht wieder zusammenbringen konnte.
„Du hast Recht", sagte der Jüngere schließlich und sah seinen Freund dankbar an. „Aber es fällt mir so schwer, daran zu glauben, dass alles wieder gut wird." „Ich schätze, du wirst erst daran glauben, wenn der Beweis vor deiner Nase steht. Und bis dieser kommt, darfst du eben nicht den Kopf hängen lassen. Nun denn, ich werde dich alleine lassen. Ich glaube, du wirst sicher ein wenig für dich sein wollen."
„Danke, Duck", sagte Jethro und verfolgte mit seinen Augen, wie der Pathologe die Treppe langsam nach oben ging und sich noch einmal umdrehte. „Gern geschehen." Er warf dem Ermittler ein aufmunterndes Lächeln zu, ehe er durch die Tür verschwand, eine etwas drückende Stille und einen nachdenklichen Gibbs hinterlassend, um dem nächsten Sturkopf eine kleine Gehirnwäsche zu verpassen.

Fortsetzung folgt...
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