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Ich lag mit dem Rücken auf meiner Couch, starrte seit geraumer Zeit die Decke meines Wohnzimmers an, während im Hintergrund der Fernseher lief. Die Schatten wurden immer länger und langsam machte sich die Dämmerung breit, aber ich machte mir nicht die Mühe, eine Lampe anzuschalten.
Nach dem Gespräch mit Gibbs war ich ziellos herumgefahren und hatte dabei wahrscheinlich ganz Washington durchquert - ohne einen Zwischenstopp einzulegen. Und die ganze Zeit war mir die Unterhaltung mit Jethro durch den Kopf gegangen, seine Worte so klar in meinen Ohren, als ob er mit mir im Wagen gesessen hätte.
Ich konnte nicht anders als daran zu denken, wie es für ihn gewesen sein musste, seinen geliebten Neffen und kurz darauf seine Schwester zu verlieren, die sich von dem Tod ihres einzigen Kindes nicht mehr erholt hatte, obwohl ich mir vorstellen konnte, dass Gibbs alles in seiner Macht stehende getan hatte, um sie aufzumuntern und dabei hatte er sicher seine eigene Trauer in den Hintergrund gedrängt. Es war nicht schwer zu übersehen gewesen, dass diese Trauer noch immer da war, sie war in seinen Augen aufgeblitzt und in diesem kurzen Moment war er verletzlich gewesen, etwas, das ich an ihm bis jetzt noch nie wahrgenommen hatte. All die Jahre über, seit ich ihn kannte, war er der starke Marine gewesen, aber am heutigen Tag hatte er seine Maske mir gegenüber endgültig fallen gelassen, hatte mir gezeigt, was in seinem Inneren wirklich vorging und es war gerade das, was meine Wut auf ihn beinahe verpuffen hatte lassen, als ich meinen Wagen vor meinem Haus zum Stehen gebracht hatte.
Trotzdem war ich weiterhin unsicher, was ich machen sollte. Ich verstand Jethro, warum er das Versprechen einlösen wollte, obwohl seine Schwester bereits tot war und sie es nicht mehr mitbekommen würde, ob Darien sicher hinter Gittern saß. Es ging dabei auch um Gibbs' inneren Frieden, dass er es schlussendlich schaffen konnte, den Mörder seines Neffen zu verhaften und dabei hunderte von Menschenleben retten würde, die wahrscheinlich durch die nächste Bombe sterben würden. Ich war mir sicher, dass er nicht nur Jamie das Versprechen gegeben hatte, sondern auch sich selbst und die Verzweiflung, die ihn am Samstag überrollt hatte, war auch heute greifbar gewesen, als ich ihm gesagt hatte, ich bräuchte noch etwas Zeit.
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass es für Jethro unendlich schwer gewesen sein musste, mich zurückzulassen, mir vorzumachen, er sei bei einem Unfall getötet worden. Er war sich voll bewusst gewesen, was er mir antat und die Tatsache, dass er mir nicht gesagt hatte, was er vor hatte, war der Grund, warum ich weiterhin ein wenig wütend auf ihn war. Dass er mich beschützen hatte wollen, rührte mich zwar, aber ich konnte hervorragend auf mich selbst aufpassen und ich hätte wunderbar einen am Boden zerstörten Freund spielen können. Allerdings hätte es dazu kommen können, dass ich es gar nicht mitbekommen hätte, wäre jemand hinter mir her. Aber ich hätte mir lieber einen Kampf auf Leben und Tod geliefert als die Erfahrung zu machen, wie es war zu glauben, Gibbs für immer verloren zu haben.
Aber wenigstens hatte er seinen Fehler eingesehen, hatte zugegeben, dass es klüger gewesen wäre, mir alles zu sagen, anstatt mir so schrecklich weh zu tun und ich hatte in seinen Augen erkannt, dass es ihm wirklich leid tat. Alleine die Tatsache, dass er auf seine Knie fallen würde, damit ich ihm verzieh, hatte das bewiesen. Er war voller Reue und ich wusste, dass es ihm einen heftigen Stich versetzt hatte, als ich einfach die Forensik verlassen hatte, ohne auf sein Liebesgeständnis zu reagieren. Hätte ihm jemand einen Faustschlag verpasst, wäre die Wirkung nicht einmal halb so schlimm ausgefallen.
Aber es war richtig gewesen, ihn alleine zurückzulassen, um meinen Kopf frei zu bekommen, um mich nicht von seiner Gegenwart beeinflussen zu lassen. Wenn ich ihm verziehen hätte, ohne mich von meiner Wut zu befreien, wäre diese so lange unter der Oberfläche geschwelt, bis sie irgendwann explodiert wäre und das vielleicht bereits bei einem harmlosen Streit – an die folgende Auswirkung wollte ich gar nicht denken.
Trotzdem wusste ich noch immer nicht, welchem Weg ich folgen sollte, ob ich es riskieren sollte, zu Gibbs zurückzukehren, um vielleicht in Zukunft erneut verletzt zu werden. Wäre es nicht sicherer ohne Jethro zu leben - damit mein Herz nicht gebrochen werden konnte – und alles zu beenden, bevor es zu einem Fiasko werden konnte? Aber der Gedanke daran war so schmerzhaft, dass ich es einfach nicht fertig brachte, meine Schlüssel zu schnappen und zu ihm zu fahren, um einen Schlussstrich zu ziehen.

Deswegen lag ich bereits seit über einer Stunde auf meiner Couch, während im Hintergrund MTV lief, um mich mit Musik einzulullen. Ich wusste nicht, warum ich gerade diesen Sender ausgewählt hatte, anstatt einen Film laufen zu lassen, aber die verschiedenen Lieder hatten eine gewisse beruhigende Wirkung auf mich und es war das erste Mal seit Tagen, dass ich mich ein wenig entspannte.
Ich beobachtete die Schatten an der Wohnzimmerdecke, die immer länger wurden und mich langsam in Dunkelheit hüllten, um mir zu sagen, dass der Tag in ein paar Stunden zu Ende sein würde. Dass ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde, machte mir Angst und ich wollte nicht daran denken, was mich am Morgen erwarten würde. Und vor allem, was würde Jethro machen? Würde er zu Darien zurückkehren und so tun, als ob nichts gewesen wäre? Die Frage, die ich mir seit heute Vormittag stellte, kam mir wieder in den Sinn. Wer war dieser Darien überhaupt? Sicher, er war der Kopf einer skrupellosen Verbrecherbande, aber warum war es Jethro derart leicht gefallen, so schnell dort aufgenommen zu werden? Normalerweise würde es Monate dauern, um sich das Vertrauen eines solchen Mannes zu sichern, aber Gibbs wusste ja erst seit Samstag von Darien. Weshalb war es ihm also gelungen…?
Das Klingeln der Türglocke riss mich aus meinen Gedanken und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Gleich darauf schloss ich die Augen, als mir bewusst wurde, wer da vor der Tür stehen, wer mein Besucher sein könnte. Mein Herz fing schneller zu schlagen an und ich war versucht, das Klingeln einfach zu überhören, so zu tun, als ob ich nicht Zuhause sei. Allerdings würde das nicht viel nützen, wie mir gleich darauf einfiel, immerhin stand mein Mustang vor der Garage.
Frustriert fuhr ich mir über das Gesicht und setzte mich langsam auf. Wenn es wirklich Gibbs war, dann konnte ich ihm einfach wieder die Tür vor der Nase zuschlagen. Gleich darauf runzelte ich die Stirn. Wenn es tatsächlich Jethro war, warum kam er dann nicht einfach herein? Die Tür war nicht abgeschlossen und sonst hätte er seinen Schlüssel benutzen können. Oder wollte er, dass ich wusste, dass er hier war, anstatt mir unerwartet gegenüberzustehen? Aber ich wollte ihn nicht sehen – noch nicht. Bevor ich ihm wieder unter die Augen treten konnte, musste ich eine endgültige Entscheidung getroffen haben und das war in diesem Moment noch nicht der Fall.
Erneut klingelte es, weshalb ich schließlich aufstand, in den Vorraum ging und vor der Tür stehen blieb. Meine Hand zitterte ein wenig, als ich sie auf die Klinke legte und noch einmal tief durchatmete, um mich innerlich zu wappnen, gleich in blaue Augen zu blicken, bevor ich die Tür schließlich öffnete. Grenzenlose Erleichterung durchflutete mich, als ich erkannte, wer mein Besucher war und seine Hände gegen die abendliche Kälte tief in seinen Manteltaschen vergraben hatte.
„Anthony, mein Junge, wenn ich dich so ansehe, könnte ich fast glauben, du hattest jemand anderen erwartet", sagte Ducky und trat ein, als ich einen Schritt zur Seite machte, damit ich ihm nicht den Weg versperrte. Er nahm seinen Hut ab, legte ihn auf den Tisch neben der Tür, die ich schloss, um die kalte Luft auszusperren. Ich nahm seinen Mantel, den er mir reichte und hängte ihn in den Schrank. „Nun, das liegt wahrscheinlich daran, dass ich wirklich gedacht habe, es würde jemand anderes vor der Tür stehen", meinte ich ehrlich und ich erkannte sofort, dass er wusste, wen ich meinte.
Ich folgte ihm ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch niederließ, auf der ich noch vor einer Minute gelegen hatte, um die Decke anzustarren. Der Himmel wurde immer schwärzer und da ich mir vorstellen konnte, dass Ducky nicht gerne im Dunkeln saß, schaltete ich das Licht ein, schnappte mir die Fernbedienung und stellte den Fernseher stumm, weshalb die Jungs von Take That aussahen, als ob sie einen Pantomimewettbewerb gewinnen wollten.
Ich setzte mich auf einen Stuhl gegenüber dem Pathologen, legte die Fernbedienung auf den Tisch zurück und wartete darauf, dass Ducky mir erzählte, warum er hier war. „Wie geht es dir?" fragte er, ließ sich in die Polster sinken und schlug seine Beine übereinander. Ich zuckte die Schultern, seufzte aber gleich darauf. „Besser, jetzt wo ich weiß, warum Jethro das alles gemacht hat. Es tut nicht mehr so weh und ich bin nicht mehr wütend auf ihn, das heißt, nicht mehr so stark wie noch gestern oder heute Vormittag. Trotzdem habe ich noch immer Probleme, die ganze Sache auf die Reihe zu bekommen. Ich denke bereits seit Stunden darüber nach wie es weitergehen soll, aber ich komme auf keine Lösung." „Denkst du ernsthaft darüber nach, eure Beziehung zu beenden?" wollte Ducky wissen und musterte mich eingehend. Ich seufzte erneut. „Ja, das tue ich, aber ich schaffe es nicht, den entscheidenden Schritt zu machen. Genauso wenig schaffe ich es jedoch, zu Jethro zurückzukehren. Ich stehe vor einer Weggabelung, wo der Wegweiser fehlt, der mir anzeigt, welche die richtige Richtung ist."
Ducky kratzte sich am Kopf und beugte sich ein wenig nach vorne, wobei sein Blick sanfter wurde. „So gerne ich es auch würde, die Richtung kann ich dir nicht zeigen, aber vielleicht kann ich dir ein wenig helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. Jethro hat dir also von Jamie und ihrem Sohn erzählt?" Ich nickte und sah erneut die Trauer vor mir, die in seinen sonst so strahlenden blauen Augen aufgeblitzt war. „Ich war damals dabei, Tony. Die ganze Zeit nach der Explosion hat er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass James noch lebt, aber…" Ducky seufzte und wirkte auf einmal traurig. „Er war ein aufgeweckter Junge und klug für sein Alter. Jamie ist an seinem Tod zerbrochen und Gibbs beinahe ebenfalls. Er war am Boden zerstört, als er erfahren hat, dass sein Neffe ums Leben gekommen ist und zehn Monate später auch Jamie. Mich hätte es nicht gewundert, wenn er sich seine Dienstwaffe in den Mund gesteckt und abgedrückt hätte."
Seine Worte erschreckten mich zutiefst und ich versteifte mich unwillkürlich, als sich dieses Bild vor meinen Augen aufbaute. „Das Einzige, was ihn am Leben gehalten hat, war das Versprechen, das er Jamie gegeben hat, um es irgendwann einzulösen", fuhr er fort und ließ sich wieder zurücksinken. „Und jetzt ist wohl der Zeitpunkt gekommen. Aber es geht nicht nur um den Einsatz. Weißt du, es hat mich heute sehr verwundert zu hören, dass Darien noch lebt und noch dazu verantwortlich für James' Tod ist. Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, was in Jethro vorgegangen ist, als er das erfahren hat. Immerhin waren die beiden vor Jahren die besten Freunde."
Überrascht weiteten sich meine Augen und ich setzte mich gerade auf, als ich Duckys Worte vernahm. „Was?" fragte ich ungläubig und etwas außer Atem. Mein Gegenüber runzelte verwirrt die Stirn. „Hat dir Jethro das nicht gesagt?" Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir durch meine Haare. „Nein, das hat er nicht. Aber ich habe auch nicht gefragt und es hat sich keine Möglichkeit ergeben, dass… Darien und er waren wirklich einmal die besten Freunde?" Jetzt wurde mir auch klar, warum mein Freund innerhalb so kurzer Zeit in die Organisation aufgenommen worden war.
„Ja, das waren sie. Sie haben gemeinsam in Desert Storm gekämpft und auch danach waren sie unzertrennlich. Darien war ein netter Mann, aber irgendwann hat er sich komplett verändert und er hat mir sogar ein wenig Angst eingeflößt, wenn ich ihn gesehen habe. Mich wundert es nicht, dass er die Seiten gewechselt hat, aber auf diese Weise? Wir haben gedacht, er sei vor sechs Jahren gestorben, aber das war wohl ein großer Irrtum. Und zu erfahren, dass sein ehemaliger bester Freund dafür verantwortlich war, dass James gestorben ist und sich Jamie das Leben genommen hat, muss Jethro den Boden unter den Füßen weggezogen haben. Ich verstehe jetzt mehr denn je, warum er den Auftrag angenommen hat, was aber nicht heißt, dass ich es gut finde, wie er die Sache angepackt hat."

Ich saß da, mit kerzengeradem Rücken und starrte Ducky mit großen Augen an. Darien und Gibbs… beste Freunde, wovon sich der eine als Verbrecher entpuppte. Wie musste sich Jethro am Samstag gefühlt haben, als er erfahren hatte, dass ein ehemaliger Freund schuld daran war, dass er seinen Neffen und seine Schwester verloren hatte. Ich bewunderte, dass er diesem Mann nicht gleich den Hals umgedreht hatte, als er ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Wie schaffte er es bloß, Darien gegenüberzutreten und so zu tun, als wäre alles in Ordnung? Was musste er in den letzten Tagen durchgemacht haben? Und mit einem Mal war ich mir sicher, dass ich nicht der Einzige gewesen war, der so unendlich gelitten hatte.
„Oh Mann", brachte ich schließlich hervor und ließ mich schwer gegen die Lehne des Sessels sinken. „Ich hatte ja keine Ahnung." Ducky beugte sich wieder nach vorne und blickte mich durchdringend, aber sanft, an. „Weißt du, Tony, Jethro hat viel durchgemacht und als er Jamie und James verloren hat, dachte ich, ich würde ihn nie wieder aufbauen können. Er war unausstehlich, hat jeden angebrummt und kein einziger Agent hat es lange ausgehalten mit ihm zu arbeiten. Es war fast unmöglich, ihn von dem schwarzen Loch fernzuhalten, das auch dich am Sonntag beinahe verschlungen hat. Aber weißt du, was dann geschehen ist?" Ich schüttelte den Kopf und blickte ihn neugierig an.
„Das Schicksal hat ihn nach Baltimore geführt, wo er auf einen Detective gestoßen ist, der ihn mit seiner kindischen Art ständig auf die Palme gebracht hat." Ich musste unwillkürlich grinsen, als ich seine Worte vernahm und dachte einen kurzen Moment an die erste Begegnung, dachte daran, als ich das erste Mal in diese blauen Augen gesehen hatte, die mich von Anfang an nicht mehr losgelassen hatten.
„Jethro hat dich zum NCIS geholt, weil er das Potenzial eines großartigen Agenten in dir gesehen hat und vor allem, weil er wieder jemanden gehabt hat, den er erziehen konnte. Du warst wie ein Kind in dem Körper eines erwachsenen Mannes, Tony. Er hat sich deiner angenommen und es war eine Freude zu sehen, als Gibbs wieder angefangen hat zu leben, als er eine neue Aufgabe gefunden hat." „Und schließlich ist Liebe daraus geworden", fügte ich hinzu und das Lächeln auf meinen Lippen wurde wärmer.
„Und schließlich ist Liebe daraus geworden", wiederholte Ducky und verschränkte seine Hände in seinem Schoß. „Du hast ihm praktisch das Leben gerettet, Tony. Du hast Jethro so unendlich glücklich gemacht und es war die reinste Freude zu sehen, wie er auf einmal sooft gelächelt hat, seine Augen vor Glück gefunkelt haben und er einem Menschen so viel Liebe schenkte. Ich weiß, dass er dich verletzt hat, indem er dir nichts von dem Auftrag erzählt hat, dass er dich bewusst so sehr hat leiden lassen, aber du solltest wissen, dass er es vielleicht nicht überleben würde, falls du wirklich vorhast, eure Beziehung zu beenden. Dich zu verlieren wäre wahrscheinlich sein endgültiger Untergang und nicht einmal ich würde es mehr schaffen, ihn zu retten. Aber egal wofür du dich entscheidest, ich werde es nicht verurteilen."
Ducky stand auf und automatisch wollte ich es ihm gleich tun, aber er winkte ab. „Lass nur, ich finde alleine den Weg hinaus. Ich lasse dich jetzt alleine, damit du dir in Ruhe ein wenig den Kopf darüber zerbrechen kannst, was ich gesagt habe. Ich wünsche dir viel Glück und bin mir sicher, du wirst die richtige Richtung einschlagen." Ich nickte nur abwesend und blickte Ducky nicht einmal nach, als er in den Vorraum ging, wo er sich anzog. Kurz darauf hörte ich die Tür aufgehen, nur um gleich darauf wieder leise ins Schloss zu fallen.
Ich saß da und starrte auf den Fernseher, ohne so richtig mitzubekommen, wer da stumm ein Lied zum Besten gab. Die Worte des Pathologen machten mich nachdenklich und erschreckten mich zugleich. Dass ich es gewesen war, der Gibbs praktisch das Leben gerettet hatte, war mir gar nicht in den Sinn gekommen. Was würde mit ihm passieren, wenn ich die Beziehung beenden würde? Würde er wirklich innerlich sterben, so wie es Ducky gemeint hatte? Alleine der Gedanke daran ließ mich beinahe aufschreien und ich fuhr mir verzweifelt durch die Haare, nur um gleich darauf nach der Fernbedienung zu greifen, um den Ton wieder anzuschalten. Leise und beruhigend kam die Musik aus den Boxen und ich seufzte. Was für ein Tag, was für ein Chaos, aber langsam kristallisierte sich ein Wegweiser heraus, auch wenn ich noch nicht sehen konnte, in welche Richtung er deutete.
Einem inneren Impuls folgend, legte ich die Fernbedienung zur Seite, stand auf und ging zur Kommode hinüber, wo ich die oberste Schublade aufzog und das Bild herausnahm, das ich heute Morgen beinahe entzwei gerissen hätte. Aber diesmal verhöhnte mich Gibbs' Lächeln nicht, das er auf diesem Foto auf den Lippen hatte. Ohne wirklich darüber nachzudenken, ging ich zur Couch zurück, ließ mich darauf fallen und legte das Bild auf den Tisch, während im Hintergrund Celine Dion ein Lied anstimmte, das ich vorher noch nie gehört hatte, dessen ruhige Melodie aber eine entspannte Wirkung auf mich hatte.

A mountain of stone, a door of steel
Can't stand in my way, I'd go on
Brutal machines, unbending laws
Can't slow me down, I'd go on


Ich saß da und blickte auf das Foto, blickte auf den Mann, den ich über alles liebte und dessen Schicksal mir nicht mehr aus dem Kopf ging, seit mir Ducky von Darien erzählt hatte, seit ich erfahren hatte, dass er praktisch von seinem besten Freund verraten worden war. Jethro und ich kannten uns jetzt seit mehr als vier Jahren und in dieser Zeit hatten wir so viel durchgemacht, sei es in der Arbeit oder auch privat. Aber egal wie schwer es gewesen war, gemeinsam hatten wir alles geschafft und seit wir ein Paar waren, war mir kein Hindernis zu hoch, keine Aufgabe unlösbar gewesen. Egal was passiert war oder noch passieren würde, es gab nichts, was mich daran hindern könnte, Gibbs weiterhin zu lieben – nur, würde diese Liebe reichen, um ihm endgültig zu verzeihen?

I've learned how to deal and when to fight
I know what's real, I know what's right
I'm not afraid, a wounded dove
I can be tender in a world so tough


Jethro hat mir so viel beigebracht, war mein Mentor, mein Freund, mein Gelieber und mein Lebenspartner und in all der Zeit, seit ich ihn kannte, hatte ich gelernt, wann ich um etwas kämpfen musste. Als ich ihn gestern im Park in den Armen gehalten hatte, als mir klar geworden war, dass er wirklich lebte, hatte ich innerlich verspürt, dass es nicht so einfach war, wie es auf den ersten Moment erschienen war, dass vor mir ein Kampf liegen würde, dessen Ausgang ich noch immer nicht kannte.
Ich hatte Angst, dass ich die falsche Entscheidung treffen, dass ich den Kampf schlussendlich verlieren würde, um mich selbst in den Abgrund zu reißen – und Gibbs. Andererseits löste sich die Angst wieder in Nichts auf, wenn ich daran dachte, wie es war, sicher und geborgen in seinen Armen zu liegen, in dem Wissen, dass wir zusammen alles schaffen konnten, egal wie schwer es werden würde. Die Welt war hart und ungerecht und ich war wahrscheinlich nicht immer stark genug, aber ich würde es sein - an Jethros Seite.

I'm sure I could face the bitter cold
But life without you, I don't know


Auf meinen Lippen bildete sich ein Lächeln, als ich weiterhin das Bild betrachtete, das vor mir auf dem Tisch lag, betrachtete die funkelnden blauen Augen, das Gesicht, das ich so sehr liebte und nach dem ich mich in den letzten Tagen so sehr gesehnt hatte, dass es einem körperlichen Schmerz gleichkam. Ich war mir sicher, dass ich auch alleine die Schwierigkeiten, die meinen zukünftigen Weg begleiten würden, meistern konnte, dass ich es vielleicht schaffen würde, ohne Gibbs weiterzumachen… aber ein Leben ohne ihn? Ich hatte keine Ahnung, wie das funktionieren sollte.

The winds of the heart can blow me down
But I get right up and I stand my ground


Ich wusste, dass er mich liebte und ich liebte ihn. War das nicht genug? Reichte das nicht aus, um einfach zu ihm zurückzukehren, alles zu vergessen, was in den letzten Tagen passiert war? Jethro hielt mein Herz in seinen Händen und ich wusste, er könnte es in kleine Teile zerbrechen, die man nicht mehr reparieren konnte. Er könnte mich auch in Zukunft wieder verletzen… andererseits, würde uns diese Sache nicht noch enger zusammenschweißen? Wir hatten beide wertvolle Erfahrungen gemacht, die sich auf unser Leben auswirkten. Nach einem Fall kam immer ein Aufstieg… ich war weit gefallen und ich musste nur aufstehen und den Abhang wieder hinaufklettern, wo mich die helle Sonne des Glücks willkommen heißen würde.

I've tasted fear, my share of pain
The wasted tears of love in vain
I've held you tight, pushed you away
Now with all my might I beg you to stay


Ich hatte erfahren, wie es war, zu leiden, Angst zu haben, ja sogar Panik, als ich nicht gewusst hatte, wie ich reagieren würde, falls ich Gibbs wieder unter die Augen treten musste. Ich hatte gelernt wie es war, einen geliebten Menschen zu verlieren und gleichzeitig auch die Freude, ihn wieder zurück zu haben.
Liebe… sie konnte so unendlich weh tun und ich hatte wegen Jethro so viele Tränen vergossen, hatte um ihn getrauert, hatte gedacht, ihn für immer verloren zu haben. Es waren eigentlich verschwendete Tränen – hätte er mir doch nur gesagt, was er vorhatte. Er hatte mir das bewusst angetan und trotzdem verpuffte die Wut in meinem Inneren immer mehr.
Gestern hatte ich Gibbs fest in meinen Armen gehalten, hatte seinen Hals mit Küssen überhäuft, als mich grenzenlose Freude überrollt hatte, dass er noch lebte, dass er wieder bei mir war und ich ihn nicht wirklich in einem Sarg unter jeder Meng Erde begraben hatte. Und doch hatte ich ihn nach nur wenigen Minuten wieder von mir gestoßen, hatte ihn angebrüllt, hatte ihn als Bastard bezeichnet, hatte ihm damit wehgetan, so wie er mir wehgetan hatte.
Dennoch… jetzt wo ich hier saß, vor mir das Bild von Jethro, spürte ich regelrecht, wie ich anfing ihm zu verzeihen, sah den Wegweiser förmlich vor mir, der mir die richtige Richtung zeigte. Nur, war es zu spät? Konnte es sein, dass ich mit meiner heutigen Reaktion bereits alles kaputt gemacht hatte? Ja, ich hatte ihn von mir gestoßen, gestern und heute und erst jetzt wurde mir bewusst, was ich Gibbs und auch mir damit angetan hatte. Innerlich betete ich darum, dass ich keinen Fehler gemacht hatte, dass er bleiben würde und müsste ich ihn dafür anflehen, mit all meinem Willen, so würde ich es tun.

I'm sure I could face the bitter cold
But life without you, I don't know


Entschlossen nahm ich das Bild in meine Hand und fuhr zärtlich die vertrauten Züge nach, blickte in die Augen, die ich so sehr liebte, betrachtete den Mann, der für mich Leben bedeutete. Ich hatte heute bemerkt, kaum dass ich das Labor betreten hatte, dass er den Ring trug, den ich gestern im Park fallen gelassen hatte und er passte wie eh und je auf seinen Finger, zeugte davon, wie stark wir miteinander verbunden waren. Es war ein Zeichen meiner grenzenlosen Liebe zu Gibbs und es kam mir richtig vor, dass der Ring seinen Besitzer wieder zurückhatte, dass er dort war, wo er hingehörte.
Ich hatte in den letzten Tagen gelernt wie es war, alleine zu sein, alleine den Hindernissen, die sich einem in den Weg stellten, zu begegnen und sie zu meistern und ich wusste, ich könnte es wieder schaffen. Aber ein Leben ohne Jethro? Ich hatte keine Ahnung, wie das funktionieren sollte.

I know what I want, I know what I need
But there's just one thing I must believe
Deep in the night by a dying flame
You will be there when I call your name


Und auf einmal wusste ich, was ich wollte, was ich brauchte. Mein Herz begann schneller zu schlagen, als sich vor meinem inneren Auge der Wegweiser endgültig verfestigte und mir zeigte, welche Richtung ich einschlagen sollte – eine Richtung, die in Zukunft sicher weiterhin holprig sein würde, aber von der ich wusste, dass sie die Richtige war.
In meinem Inneren breitete sich eine wohlige Wärme aus und seit Tagen war es das erste Mal, dass ich mich unglaublich wohl fühlte, wieder mit der Welt in Einklang war. Mein Lächeln wurde ungeheuer liebevoll und ich strich zärtlich über Jethros Gesicht, so als ob ich seine Wangen liebkosen würde.
Es würde bereits fortgeschrittener Abend sein, wenn ich zu ihm kommen würde, aber das war egal. Er war mein Licht, der mir den Weg erhellte und ich wusste, er würde bei mir sein, wenn ich ihn rief, seinen Namen sagte, mit all der Liebe, die ich für ihn empfand. Die Angst, dass es vielleicht zu spät sein könnte, war wie weggeblasen und ich spürte, dass alles gut werden würde, dass wir die Sache gemeinsam schaffen würden.



I'm sure I could face the bitter cold
But life without you, I don't know


Mich hielt nichts mehr auf meiner Couch, weshalb ich aufstand und zum Kamin eilte, wo ich das Bild sachte auf den Sims legte, ihm den ursprünglichen Platz zurückgab. Ich fühlte mich befreit, es gab kein Gewicht mehr, das mir das Atmen erschwerte, keine Wut, die mir die Sicht auf die Dinge verwehrte, keinen Schmerz, der mir sooft die Tränen in die Augen getrieben hatte.
Ich drehte mich um, schnappte mir automatisch die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus, unterbrach damit Celine Dion am Ende ihres Liedes und wunderbare Ruhe kehrte ein. Achtlos warf ich die Fernbedienung auf das Sofa, eilte in den Vorraum, zog meine Jacke an und schnappte mir die Autoschlüssel.
Es war bereits dunkel draußen, als ich zu meinem Wagen lief. Am Himmel funkelten tausende von Sternen und ein bleicher Mond schickte sein Licht zur Erde. Es war eisig kalt, aber ich spürte es nicht, spürte nur die Wärme, die von meinem Herzen ausströmte und meinen gesamten Körper überzog.

Ich hatte in den letzten Tagen gelernt wie es war, alleine zu sein, alleine den Hindernissen, die sich einem in den Weg stellten, zu begegnen und sie zu meistern und ich wusste, ich könnte es wieder schaffen. Aber ein Leben ohne Jethro? Ich hatte keine Ahnung, wie das funktionieren sollte. Deshalb würde ich auch dorthin zurückkehren wo mein Platz war, wo ich sicher war, wo ich mich geborgen fühlte – ich würde in seine Arme zurückkehren.

Fortsetzung folgt...
Chapter End Notes:
Dieser Teil enthält eine Songfic. Das Lied heißt "I don't know" von Celine Dion. Wer es hören möchte: es gibt auf Youtube ein Video ;-)
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