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Glenwood Cemetry
19:18 Uhr


Im Gegensatz zum vorherigen Tag schien ein fast voller Mond vom Himmel, um die Erde mit seinem gespenstisch bleichen Licht zu überschütten. Keine Wolke verbarg sein Antlitz und das von den Sternen, die fröhlich vor sich hinblinkten. Es war ein ruhiger Abend, der Verkehr rauschte normal auf den vom Schnee befreiten Straßen und hinterließ ein beständiges Summen, das jedoch erstarb, kaum dass Gibbs das Gelände des Glenwood Cemetry betreten hatte. Je weiter er zwischen den zahlreichen Grabreihen entlangging, desto stiller wurde es, bis nur noch die Geräusche der Nacht zurückblieben und die Mauern des Friedhofs auch die letzten Geräusche der Autos absorbierten.
Ein sanfter aber eisiger Wind ließ die Äste der blätterlosen Bäume rascheln und Pulverschnee rieselte dem Gesetz der Schwerkraft folgend auf den Boden, um dort kleine Haufen zu bilden. Der Schnee vor den Gräbern war größtenteils platt gedrückt von den vielen Besuchern, die tagsüber nach den Verstorbenen gesehen hatten, um ihnen den neuesten Klatsch und Tratsch der Nachbarschaft zu erzählen oder einfach nur bewegungslos dazustehen und an die glücklichen Zeiten zu denken.
Obwohl es bereits Abend war, war Jethro nicht der einzige Mensch auf dem Gelände, sondern begegnete hin und wieder anderen Leuten, die in Jacken oder Mäntel eingemummt, langsam an ihm vorbeigingen und ihm nur einen flüchtigen Blick zuwarfen. An diesem Ort war es egal wer man war, hier teilte jeder das gleiche Schicksal… jemanden verloren zu haben, den man liebte und zu dem man für ein paar Minuten zurückkehren wollte.
Es war bereits fast ein Jahr her, seit Gibbs das letzte Mal an den Gräbern seiner Schwester und seines Neffen gewesen war. Er fühlte sich deswegen ein wenig schuldig, weil es so lange gedauert hatte, bevor er es endlich geschafft hatte, sich aufzuraffen und hierher zu fahren. In den letzten Monaten hatte er einfach nicht an das Versprechen denken wollen, hatte angefangen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und seit er Tony hatte, war er viel zu glücklich gewesen, um sich Gedanken um die Explosion zu machen. Nicht, dass er diese jemals vergessen hätte, aber es hatte nicht mehr so geschmerzt wie noch vor Jahren und sein junger Freund hatte ihm eher unbewusst gezeigt, was es bedeutete wieder zu leben. Er hatte akzeptiert, dass er das Versprechen vielleicht nie einlösen würde können, hatte sich damit abgefunden, dass der Tod von James und Jamie nie gerächt werden würde - bis Jen ihn am Samstag in ihr Büro geholt und ihn aus seiner heilen Welt gerissen hatte, die er sich mit Tony in den letzten sieben Monaten aufgebaut hatte.

Jethro seufzte leise und bog auf einen schmaleren Weg ein, von dem er wusste, dass er ihn zu seinem Ziel bringen würde. Seine rechte Hand, die den bunten Blumenstrauß hielt, den er kurz vorher in einem Supermarkt gekauft hatte, war bereits ein wenig gefühllos vor Kälte und er wünschte sich, er hätte sich Handschuhe mitgenommen. Es kam ihm noch eisiger als gestern vor – vielleicht lag es aber auch an der Taubheit in seinem Inneren, die sich dort festgesetzt hatte, seit ihn Anthony alleine in der Forensik zurückgelassen hatte.
Als Ducky vor Stunden gegangen war, war er lange im Keller sitzen geblieben, bis der Abend angebrochen und die Sonne komplett hinter dem Horizont verschwunden war. Der Raum hatte sich in Dunkelheit gehüllt und hätte kein Mond durch das Fenster geschienen, hätte er wahrscheinlich nicht einmal seine Hand vor Augen gesehen. Trotzdem hatte er kein Licht angemacht, hatte weiter die Wand vor ihm angestarrt, um sich Gedanken darüber zu machen, was ihm sein Freund gesagt hatte.
Es stimmte, es war noch nicht alles verloren. Tony hatte nicht die verhängnisvollen Worte gesagt, die ihre Beziehung beenden würden, von daher gab es keinen Grund, jetzt schon seinem Freund hinterher zu trauern. Aber Gibbs hasste es zu warten, er hasste es, sich vorzustellen, was passieren könnte, wenn Anthony seine Entscheidung getroffen hatte, er hasste es, nicht zu wissen, was auf ihn zukam. Und mit jeder Minute, die verstrichen war, war seine Hoffnung gesunken, dass er bereits heute erfahren würde, wie es nun zwischen ihnen weitergehen würde.
Die ganze Warterei hatte nur dazugeführt, dass ein Horrorszenario nach dem anderen vor seinem inneren Auge abgelaufen war, bis er es schließlich in seinem Keller nicht mehr ausgehalten und beschlossen hatte, James Jr. und Jamie wieder einmal einen kleinen Besuch abzustatten. Gibbs glaubte nicht, dass Tony in seiner Abwesenheit bei ihm vorbeischauen würde und er hatte keine Ahnung, ob er nachher wieder in sein Haus zurückkehren würde. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass Darien ihn in seinem Apartment anrufen würde und den Abend mit ihm verbringen wollte. Innerlich hoffte er jedoch, dass es so weit nicht kommen würde. Er war noch nicht bereit, Coolidge gegenüberzutreten, nicht, wenn er nicht wusste, ob er jemanden hatte, zu dem er nach allem heimkehren konnte. Von daher hatte er gehofft, dass sich Tony alles etwas schneller durch den Kopf gehen ließ, damit er endlich wusste, woran er war.
Gleichzeitig wusste Jethro, dass, falls ihre Beziehung nicht mehr zu retten war, er morgen unvorsichtig werden, und ihm alles egal sein würde. Sollte Darien ruhig herausfinden, dass er die ganze Zeit über gelogen hatte. Es würde keinen Unterschied machen, ob er lebend aus dessen Wohnung kommen würde oder nicht. Wenn Anthony ihn verlassen sollte, würde er in dem Moment sterben, wo der junge Mann aus seinem Leben verschwand.

Gibbs seufzte ein zweites Mal und zwang sich, sich nicht den deprimierenden Gedanken zu überlassen. Ducky hatte Recht… seit wann war für ihn das Glas halbleer und nicht halbvoll? Er konnte sich nicht erinnern, jemals so pessimistisch gewesen zu sein, aber nach dem was gestern und auch heute passiert war, konnte er einfach nicht anders. Wahrscheinlich würde er wirklich erst daran glauben, dass alles gut werden würde, wenn der Beweis direkt vor seiner Nase auftauchte.
Seine Schritte knirschten leise auf dem gefrorenen und plattgedrückten Schnee, als er sich zwei Gräbern näherte, die etwas abseits von den anderen standen und von einer Gruppe Trauerweiden abgeschirmt wurden. Seit er den Hauptweg verlassen hatte, war ihm keine Menschenseele mehr begegnet und nur seine Atemwölkchen vermischten sich mit der eisigen Luft. Die Flammen der Kerzen vor den vielen Gräbern flackerten gespenstisch in dem leichten Wind und erhellten ein wenig den Pfad, den er entlangschritt, bis er schließlich sein Ziel erreicht hatte. Beide Grabsteine vor ihm hatten eine Haube aus Pulverschnee und dank des Mondes konnte er die goldene Inschrift lesen, die die Namen und Geburts- und Sterbedaten für alle Ewigkeit zeigte.
Ein schweres Gewicht legte sich auf Gibbs' Brust, als er kurz an die Beerdigungen dachte, an die vielen Menschen, die gekommen waren, um mit ihm gemeinsam zu trauern. Beide Male hatte es geregnet, so als ob der Himmel genauso weinen würde. Seine Welt war damals wieder um ein Stückchen düsterer geworden, er hatte gedacht, nie wieder so richtig lachen oder glücklich sein zu können – bis Tony in Baltimore in sein Leben geplatzt war und ihn beinahe in die Verzweiflung gestürzt hätte, mit seinem ständigen Gerede über Filme und Frauen. Es wunderte ihn noch immer, dass er sich nach über drei Jahren in ihn verliebt hatte, in den Macho, der ihn sooft auf die Palme gebracht hatte und der der Rekordhalter von Kopfnüssen war.
Aber bei Gott, er bereute es keine Sekunde lang, dass er diesem Mann sein Herz geschenkt hatte. Sogar das Gequatsche von Filmen ertrug er viel leichter, einfach weil er es liebte, Anthonys Stimme zu hören, um ihn anschließend nach einigen Minuten mit einem Kuss zum Schweigen zu bringen. Er liebte alles an ihm, jeden exquisiten Millimeter, der sein Leben mit so viel Glück erfüllte.

„Hey, ihr beiden", sagte Jethro leise, bückte sich und legte den Strauß, dessen bunte Blumen wie ein Farbklecks auf dem weißen Schnee wirkten, zwischen die beiden Gräber. „Es tut mir leid, dass ich so lange nicht mehr hier war, aber ich hatte in letzter Zeit ziemlich viel zu tun." Er richtete sich wieder auf und blickte traurig auf die Grabsteine hinunter. Dass er auf einmal mit Toten redete, kam ihm in diesem Moment überhaupt nicht lächerlich vor und jetzt verstand er auch ein wenig Ducky, der sich immer mit seinen Patienten unterhielt. Sie konnten zwar nicht antworten, aber es reichte bereits, dass man eine Möglichkeit hatte, sich alles von der Seele zu reden.
„Jetzt ist endlich die Zeit gekommen, wo ich das Versprechen erfüllen kann, Jamie. Es hat lange gedauert, bis es so weit war und ich schwöre dir, ich werde Darien zur Rechenschaft ziehen. Aber ich habe dafür vielen Menschen weh tun müssen und ich hasse mich deswegen", sagte Gibbs leise und steckte seine Hände in die Taschen seines Mantels, um sie ein wenig aufzuwärmen. Sein Blick wurde trauriger, als er an Tony dachte, den er so sehr verletzt und der ihn als Bastard bezeichnet hatte, um anschließend den silbernen Ring einfach auf den Boden fallen zu lassen.
„Ihr fehlt mir so schrecklich und noch vor einem Jahr hätte ich bedenkenlos alles getan, um den Verantwortlichen zur Strecke zu bringen. Aber wieso musste es gerade jetzt passieren? Jetzt, wo ich selbst wieder glücklich gewesen bin? Ich habe endlich den Menschen gefunden, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte und dann taucht Darien auf - und ich habe einen riesigen Fehler begangen. Ich war so dämlich. Anstatt zu schweigen, hätte ich es Tony sagen sollen. Ich habe ihn verletzt und jetzt habe ich die Bescherung. Wieso habe ich mich bloß nur von meinen Gedanken nach Rache treiben lassen, anstatt logisch darüber nachzudenken? Dabei hätte ausgerechnet ich es besser wissen müssen."
Gibbs konnte nichts dagegen tun, dass seine Stimme auf einmal schwächer wurde und sich ein großer Kloß in seinem Hals festsetzte, der ihm das Schlucken fast unmöglich machte „Ich bin mir sicher, würdest du noch am Leben sein, würdest du Tony mögen. Du hattest schon immer eine Schwäche für Männer, die tief in ihrem Inneren noch ein Kind sind und ich kann dir sagen, er ist der größte Kindskopf auf dieser Welt – aber ein überaus liebenswerter. Weißt du, ich hätte damals auf dich hören sollen als du gesagt hast, ich sollte endlich aufhören, mich mit rothaarigen Frauen zu treffen und stattdessen in einer anderen Richtung suchen. Du hattest wie sooft Recht gehabt und jetzt bräuchte ich mehr denn je deinen Rat. Was soll ich denn nur machen? Was soll ich nur machen, falls ich Tony verliere? Ich liebe ihn doch so sehr und… und ich dachte, unsere Liebe wäre stark genug, um das alles zu überstehen. Ich war so naiv und jetzt…"
„Unsere Liebe ist stark genug", unterbrach ihn eine Stimme, die er überall wiedererkennen würde. Sein Herz setzte unwillkürlich einen Schlag aus, nur um gleich darauf mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Für einen kurzen Moment blieb er bewegungslos stehen, hatte Angst, dass er sich die Worte nur eingebildet hatte, dass er sich einfach nur so sehr wünschte, dass Tony hinter ihm war. Gibbs schloss die Augen, zählte bis fünf und öffnete sie wieder. Erst dann drehte er sich um und das Gewicht auf seiner Brust, das ihm seit Minuten das Atmen so schwer machte, zersprang in tausend kleine Teile.
Unter einer der Trauerweiden stand Anthony, die Hände in seinen Jackentaschen vergraben und ein liebevolles Lächeln auf den Lippen, das in ihm eine Welle der Zärtlichkeit aufstiegen ließ. Er war sich auf einmal sicher, dass er sich die Worte nicht eingebildet hatte, dass Tony wirklich gesagt hatte, dass ihre Liebe stark genug sei und mit einem Mal war die ganze Angst, die ihn seit dem Vormittag fest im Griff hatte, verpufft. Unbändige Freude gepaart mit Unglauben, dass er seinen Freund wahrscheinlich nicht verlieren würde, überrollte ihn und er ließ es zu, dass Tränen in seine Augen stiegen – Tränen des grenzenlosen Glücks.

Ich stand unter der Trauerweide, deren hängende Äste meine Schultern berührten und blickte zu Jethro, der nur wenige Meter vor mir stand und mich mit einem ungläubigen Ausdruck in seinen Augen ansah. Die Atemwölkchen verließen in kurzen Abständen seinen Mund und die Spannung wich förmlich aus seinem Körper, machte grenzenloser Erleichterung Platz, die sich auf seinem Gesicht abzeichnete. Seine Wangen waren gerötet, aber ich war mir sicher, dass das nicht nur von der Kälte herrührte. Der Wind hatte seine Haare ein wenig zerzaust und er hatte seine Hände in den Taschen seines Mantels vergraben. Ihn so vor mir zu sehen, an den Gräbern seiner Schwester und seines Neffen bestätigte mir nur, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, dass ich dem richtigen Weg gefolgt war. Ich hatte den Schmerz und die Wut hinter mir gelassen und spürte nur noch grenzenlose Liebe für diesen Mann. Ich hatte keine Ahnung, wie ich auch nur eine Sekunde lang darüber nachdenken hatte können, ihn zu verlassen, das Beste, was mir je passiert war, wegzuschicken.
Fünf lange Tage hatte ich gedacht, Gibbs für immer verloren zu haben und hatte mir ständig gewünscht, dass er zu mir zurückkehren würde, dass ich ihn wieder in den Armen halten konnte, wo ich mich jedes Mal so sicher gefühlt hatte. Ich hatte ihn einmal verloren, ein zweites Mal würde mir das nicht passieren. Egal was geschah, ich würde ihn nicht wieder gehen lassen, gemeinsam würden wir die Sache mit Darien überstehen. Dieser hatte Jethro schon einmal geliebte Menschen genommen, ein weiteres Mal würde ihm das nicht gelingen.

Ich musste zugeben, dass mich erneut Angst überfallen hatte zu spät zu kommen, als ich bei Jethros Haus angekommen war und kein Licht vorgefunden hatte, hinter keinem der Fenster. Ich hatte jeden Raum durchsucht, sogar den Bootskeller und mit jedem leeren Zimmer war meine Panik, dass ich meine Entscheidung nicht rechtzeitig getroffen hatte, größer geworden. Es war der einzige Ort gewesen, von dem ich mir sicher gewesen war, dass er sich dort aufhalten würde – bis ich auf die Idee gekommen war, Ducky anzurufen. Der Pathologe hatte schon immer ein Gespür dafür gehabt, wo sich Gibbs befand. Während ich ihm alles erklärte, hatte ich im Hintergrund seine Mutter gehört, die ihm befohlen hatte, ihr endlich ein Glas Scotch zu bringen und dem Klopfen nach zu urteilen, hatte sie dabei ständig mit ihrem Stock auf den Boden geschlagen. Aber Ducky hatte sich nicht davon ablenken lassen und ich hatte seiner Stimme die Erleichterung anhören können, als ich ihm gesagt hatte, dass ich zu Jethro zurückkehren würde. Meine anfängliche Panik, dass vielleicht doch alles zu spät war, verflog so schnell wie sie gekommen war, als mir der ältere Mann verraten hatte, dass ich am Glenwood Cemetry nachsehen sollte, wo James Jr. und Jamie begraben waren. Die Möglichkeit, dass Gibbs seine Familie trotz der Kälte besuchte, war seiner Meinung nach groß und ich hatte auf seinen Instinkt vertraut – und war nicht enttäuscht worden.
Ich hatte ihn tatsächlich auf dem Friedhof gefunden, wo er, alleine und vollkommen verlassen wirkend vor den beiden Gräbern gestanden und auf diese hinunter gesehen hatte, während er gleichzeitig leise vor sich hingesprochen hatte. Dank der Stille, die auf dem Gelände herrschte, hatte ich alles wunderbar verstehen können. Ich hatte mich unter eine der Trauerweiden gestellt und ihm zugehört, hatte ihn nicht unterbrechen wollen. Mit jedem Wort, das er von sich gegeben hatte, war mir bewusst geworden, dass Ducky Recht gehabt hatte. Ich war Jethros Rettung gewesen und hätte ich mich wirklich für die andere Richtung entschieden, wäre er innerlich gestorben. Ich schuldete dem Pathologen immens viel. Es war offensichtlich, warum er zu mir gekommen war und mir das alles erzählt hatte – um mir den Kopf zu waschen. Und ich war ihm unendlich dankbar dafür, dass er mir die Augen geöffnet hatte. Ohne ihn würde ich wahrscheinlich noch immer auf meiner Couch liegen und die Decke des Wohnzimmers anstarren, ohne eine Lösung zu finden. Mit allem Geld der Welt könnte ich nicht die Schuld begleichen, die ich bei ihm hatte, aber ich wusste, dass ich zu Gibbs zurückkehrte, war für ihn das größte Geschenk, das ich ihm machen konnte.

„Unsere Liebe ist stark genug", wiederholte ich meine Worte, trat unter dem Baum hervor und ging langsam auf ihn zu. Je näher ich ihm kam, desto schneller schlug mein Herz, desto sicherer war ich mir, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Er bewegte sich immer noch nicht, blickte mich einfach nur an und ich sah, dass er heftig schluckte, dass ein sichtbares Zittern durch seinen Körper lief. Der Schnee knirschte unter meinen Schuhen, aber ich nahm es nicht wahr, genauso wenig wie die Kälte oder den Wind, der mir die Haare zerzauste. Ich konzentrierte mich vollkommen auf Jethro und als ich vor ihm stehen blieb, trennten uns nur ein paar Zentimeter. Waren gestern noch Welten zwischen uns gelegen, so waren diese geschrumpft und ich spürte förmlich die Wärme, die von seinem Körper ausging. Sein Atem strich angenehm über meine Haut und die Liebe, die ich in diesem Moment empfand, ließ mich beinahe in die Knie gehen.
„Tony", flüsterte er mit heiserer Stimme und erst jetzt bemerkte ich, dass seine blauen Augen feucht waren. Ich löste meine rechte Hand aus meiner Jackentasche und legte sie auf seine linke Wange - und mit einem Mal schien die Welt still zu stehen. Tränen lösten sich aus seinen Augen, liefen nach unten und er umfasste meine Hand mit der seinen, drückte fest meine Finger. „Ich bin hier, Jethro", erwiderte ich genauso leise.
Ich hatte ihn noch nie weinen sehen und es versetzte mir einen kleinen Stich ins Herz, auch wenn ich mir sicher war, dass es Tränen der Erleichterung waren, Tränen des Glücks, dass er mich nicht verloren hatte, dass ich weiterhin bei ihm bleiben würde. Sachte strich ich mit meinem Daumen über seine Wangen, wischte die Tränen weg, so wie er es gestern bei mir gemacht hatte und lächelte ihn liebevoll an. Gott, wie hatte ich ihn vermisst, wie hatte ich es vermisst, ihn zu berühren, ihn zu streicheln, ihm zu zeigen, dass ich ihn über alles liebte.

„Es tut mir so leid, Tony", sagte er und schmiegte seine Wange fester an meine Handfläche. „Es tut mir so schrecklich leid." „Ich weiß", erwiderte ich, holte die andere Hand aus meiner Jackentasche und strich ihm die Haare aus der Stirn, blickte ihm dabei aber ständig in die Augen, in denen noch immer Tränen glitzerten. „Du hattest gestern recht. Ich bin ein Bastard. Wenn es nicht so wäre, hätte ich dir das nie angetan." „Ja, aber du bist mein Bastard, Jethro." Für die Dauer eines Herzschlages sah er mich verdutzt an, ehe seine Mundwinkel leicht zuckten und sich seine Lippen gleich darauf zu einem Lächeln verzogen, das mich mit größter Freude erfüllte.
Jetzt, wo ich vor ihm stand, hatte sich mein Herzschlag wieder beruhigt und es fühlte sich einfach richtig an, dass ich bei ihm war. „Es wird alles gut werden", sagte ich leise und trat noch näher an ihn heran, ließ meine linke Hand zu seinem Nacken wandern, wo ich leicht seine Haut streichelte. „Ich verzeihe dir, Jethro. Ich verzeihe dir." Seine Hand umklammerte bei meinen Worten noch fester meine Finger und ich übte etwas Druck in seinem Nacken aus, zog seinen Kopf nahe zu mir heran, um endlich das zu tun, wonach ich mich seit Tagen sehnte.
„Tony", flüsterte er, bevor ich seinen Mund mit meinem verschloss, meine Lippen zärtlich auf seine legte und ihn ganz nahe an mich zog. Ein Stromstoß durchfuhr meinen Körper, als mir bewusst wurde, dass ich ihn küsste, dass ich ihn wieder in meinen Armen hielt, etwas, von dem ich gedacht hatte, es nie wieder tun zu können. Es war alles so vertraut und dennoch irgendwie neu.
Gibbs ließ meine Hand los und schlag seine Arme um meine Taille, sorgte dafür, dass sich sein Körper gegen meinen presste. Ich ließ meine Hand hingegen auf seiner Wange ruhen, streichelte diese weiter, während ich anfing, seine Lippen mit meiner Zunge zu reizen. Sie waren noch genauso weich wie ich sie in Erinnerung hatte und als er sie bereitwillig öffnete, entschlüpfte mir unwillkürlich ein leises Stöhnen, als sein vertrauter Geschmack meine Sinne überflutete. Ich legte all die Verzweiflung und Sehnsucht, die ich in den letzten Tagen verspürt hatte, in diesen Kuss, drückte mich noch fester an ihn.
Ich konnte es nicht glauben, dass wir wieder vereint waren, dass ich ihn wieder spüren, dass ich seinen ureigenen Geschmack kosten durfte. Mir war es sogar egal, dass wir uns mitten auf einem Friedhof befanden, alles was zählte waren Jethro, ich und unsere Lippen, die sich zu einem Versöhnungskuss verschlossen hatten.
Ich ließ meine Zunge zärtlich mit seiner spielen, während sich seine Hände unter meine Jacke schoben und sich warm auf mein Kreuz legten. Wie oft hatte ich in den letzten Tagen von so einem Kuss geträumt? Wie oft hatte ich mir vorgestellt, wie es sein würde, ihn zu liebkosen, ihn in meinen Armen zu halten? Obwohl es sich ein wenig unwirklich anfühlte, so war ich mir vollauf bewusst, dass es kein Traum war, dass es die Wirklichkeit war, dass wir endlich wieder zusammen waren.

Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, als wir uns voneinander lösten und ich in blaue Augen sah, die mich mit so viel Liebe anfunkelten, dass meine Knie butterweich wurden. Die Tränen waren vollends verschwunden, hatten reinstem Glück Platz gemacht und ich verzog meine Lippen zu einem Lächeln, als Jethro seine Hände noch ein Stück nach oben wandern ließ.
„Ich habe dich so vermisst", flüsterte er und im Gegensatz zu gestern, wo mich die Worte mit einer Eiseskälte überzogen hatten, riefen sie diesmal ein herrlich warmes Gefühl hervor. Ich ließ seine Wange los, legte meine beiden Arme um seinen Nacken und berührte spielerisch seine Nasenspitze mit meiner. „Ich liebe dich, Jethro", sagte ich und beobachtete mit Freude, wie sich seine Lippen zu einem strahlenden Lächeln verzogen, jenes Lächeln, das er nur für mich reserviert hatte und das mich jedes Mal beinahe dahin schmelzen ließ. „Ich liebe dich auch, Tony", erwiderte er und für ein paar Sekunden war nur unser beider Atem zu hören, während wir uns einfach ansahen und der Wind um uns herum stärker wurde, die Äste der Bäume lauter rascheln ließ. Und schließlich war es Gibbs, der sich nach vorne beugte, seine Lippen auf meine legte und wir in einem weiteren Kuss versanken, umgeben von zahlreichen Grabsteinen, von Dutzenden Kerzen und einem Mond, der unsere Wiedervereinigung mit seinem bleichen Licht begleitete.

Fortsetzung folgt...
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