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Ihren Worten folgte eine Stille, die ich noch nie erlebt hatte. Selbst mein Herzschlag hatte aufgehört, in meinen Ohren zu dröhnen. Das Einzige, was ich so richtig mitbekam, waren meine zitternden Hände, mein keuchender Atem und die Tränen, die mir in die Augen schossen, aber ich war unfähig, sie zurückzuhalten. Eine unglaubliche Leere breitete sich in meinem Inneren aus und schien mich langsam aber sicher aufzufressen. Mein Blickfeld wurde verschwommen, sodass ich fast nichts mehr erkennen konnte und das Schlucken fiel mir auf einmal unendlich schwer. In meiner Kehle bildete sich ein Schluchzen, aber ich drängte es mit aller Macht zurück. Ich würde sicher nicht zusammenbrechen, nicht hier in diesem Büro und schon gar nicht vor den anderen, die mich noch immer musterten und auf eine Reaktion von mir warteten – aber es kam keine. Ich war unfähig, mich zu rühren, meine Muskeln waren wie erstarrt, weshalb mir der Rucksack auch aus meinen Fingern glitt und auf den Boden fiel. Das Einzige, wozu ich fähig war, war den großen Schmerz zu spüren, der mein Herz zusammenkrampfen ließ und mir verdeutlichte, dass ich weiterhin am Leben war, während…
Es tut mir leid, aber Gibbs ist heute Morgen bei einem Unfall ums Leben gekommen. Dieser eine Satz hallte immer und immer wieder in meinem Kopf wider und traf mich jedes Mal härter. Ich fühlte, wie mir mein gesamtes Blut aus dem Gesicht wich und mir schwindelig wurde. Mir wurde schrecklich heiß, nur um gleich darauf vor Kälte zu erschauern – mich hätte es nicht gewundert, wenn vor meinem Mund kleine Atemwölkchen aufgestoben wären. Diese wären ein weiteres Zeichen dafür gewesen, dass ich lebte, während…
Ums Leben gekommen… Unfall… Gibbs… ums Leben gekommen… Wie ein Kaleidoskop wirbelten die Wörter in meinem Gehirn, unfähig, einen ganzen Satz zu bilden. Aber nichtsdestotrotz reichten sie aus, um mir vor Augen zu führen, was geschehen war – auch wenn ich es nicht akzeptieren wollte und konnte. Jethro konnte doch nicht… die drei Buchstaben des Wortes, das sich mir aufdrängte, waren in meinem Kopf, aber ich ließ sie nicht zu, wollte nicht einmal daran denken. So lange ich nicht einen endgültigen Beweis hatte, würde ich sie nicht einmal aussprechen.
Die Tränen, die mir mittlerweile über die Wangen strömten, wischte ich mit einer unwirschen Handbewegung weg, selbst überrascht, dass ich überhaupt zu einer Bewegung fähig war. Meine Finger wurden dadurch nass, weshalb ich sie ganz schnell an meiner Hose abtrocknete, wobei ich das eher unbewusst erledigte, wie ferngesteuert. Ich wünschte mir, ich würde noch immer im Bett liegen, hätte den Anruf nie entgegengenommen und wäre weiterhin im Reich der Träume gefangen. Mit einem Mal kam mir ein Gedanke, der mich nicht mehr losließ. Genau, das musste die Erklärung sein, anders konnte ich mir die ganze Situation nicht vorstellen.
„Das ist ein Traum, richtig?" fragte ich mit einer Stimme, die mir selbst fremd war, kraftlos und heiser. „Das… das ist alles nur ein schrecklicher Albtraum und ich werde sicher gleich aufwachen und… und Jethro wird neben mir im Bett liegen, wohlauf." Ich klammerte mich so sehr an diese Theorie, dass ich selbst an sie glaubte, auch wenn mir meine innere Stimme sagte, dass ich vollkommen auf dem Holzweg war. Mit meiner Rechten wischte ich mir unter der Nase entlang, schniefte kurz und brachte ein kleines Lächeln zu Stande. „Ein Traum, nur ein Traum", murmelte ich vor mich hin. „Ich werde bestimmt gleich aufwachen." In dem Versuch, dies zu tun, zwickte ich mir heftig in den Oberarm, aber das Einzige, was ich damit erreichte, war ein kurzer, elektrisierender Schmerz und ich fand mich nicht in meinem weichen Bett wieder, sondern stand weiterhin in dem Großraumbüro, in dem es an diesem Sonntag ruhig zuging. Wieso wachte ich nicht auf? Wieso war ich weiter in dieser Situation gefangen, unfähig, ihr zu entfliehen?
„Tony…" Zivas Stimme durchbrach diese Stille und ließ mich zusammenzucken. Heute wirkte sie nur wie ein Schatten ihrer selbst und in ihren Augen stand Trauer, die ich bei ihr zuvor noch nie gesehen hatte. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass sie auch nur ein Mensch mit Gefühlen war. Die harte Mossad Agentin war verschwunden und hatte einer Frau Platz gemacht, die einen Freund verloren hatte. „Hör zu…" fing sie erneut an, aber ich wich einen Schritt zurück und hob abwehrend meine Hände. „Nein!" schrie ich sie an, meine Stimme war zwar immer noch heiser, aber sie hatte an Kraft zugelegt. „Nicht! Sag nichts! Ihr seid alle nicht echt! Das ist nur ein Traum! Ein verdammter Albtraum!!!" Erneut stiegen mir Tränen in die Augen und der große Kloß in meinem Hals kehrte zurück. Wieso konnte das nicht einfach vorbei gehen? Wieso konnte ich nicht aufwachen? Wieso war ich hier gefangen?
Ich brachte so viel Abstand wie möglich zwischen sie und mich, bis ich mit meinem Rücken gegen das breite Fenster stieß, durch das heller Sonnenschein strömte, der bei meiner Stimmung mehr als unpassend war. Viel besser wäre ein starker Sturm mit Blitz und Donner und jede Menge Regen, aber nicht dieser Sonnenschein. Den schien es nur zu geben, um mich zu verhöhnen, um mir zu zeigen, dass außerhalb dieses Gebäudes die Welt in Ordnung war, wohingegen hier herinnen Chaos herrschte, wenn auch nur in meinem Inneren. Aber das genügte, um mir beinahe den Verstand zu rauben. Ich schaffte es erneut, die Tränen zurückzudrängen, wollte ich doch keinem zeigen, wie sehr mich die Nachricht getroffen hatte. Nein, ich musste stark sein, vor allem, wenn sich wirklich herausstellen sollte, dass alles nur ein Traum war. Immerhin wollte ich nicht heulend aufwachen. Was würde Gibbs dann von mir denken?
Langsam beruhigte ich mich wieder und mein Atem wurde regelmäßiger, ging nicht mehr in keuchenden Stößen wie noch vor ein paar Sekunden. Mein Sichtfeld war wurde klarer und erst jetzt registrierte ich so richtig die Kühle der Fensterscheibe, an der ich mit meinem Rücken lehnte und versuchte, daran ein wenig Halt zu finden. Die Stille, die sich nach meinen Worten ausgebreitet hatte, dröhnte lauter in meinen Ohren als mein eigener Herzschlag und drückte mir aufs Gemüt, aber ich machte keine Anstalten, sie zu durchbrechen.
Ich ließ ich meinen Blick über meine Freunde schweifen, die mich allesamt musterten – sogar Palmer hatte aufgehört, seine Schuhe anzustarren und hatte seinen Kopf gehoben. Abby hatte es geschafft, sich aus ihrer eigenen Welt zu befreien. Seit Kates Tod hatte ich sie nicht mehr weinen sehen – es war ein Anblick, den ich nie wieder vergessen würde. Genauso wie damals waren ihre Augen rot und das Make-up, das sie heute aufgetragen hatte, war durch die Tränen bereits zerstört und der Mascara hatte schwarze Spuren auf ihrem sonst makellosen Gesicht hinterlassen. Ihr Körper bebte noch immer und sie hatte ihre Arme um ihre Brust geschlungen, so als ob sie sich vor etwas schützen wollte.
Ducky hatte weiterhin eine Hand auf ihrer Schulter und fuhr sich mit seiner freien immer wieder durch die Haare, die dadurch außer Form gerieten. In seinen Augen stand grenzenlose Trauer – die Trauer, seinen besten Freund verloren zu haben, aber diese war nichts im Gegensatz zu meiner, die sich langsam aber sicher in mir ausbreitete, um mir erneut den Boden unter meinen Füßen wegzuziehen. Aber noch ließ ich sie nicht zu, war es doch ein Eingeständnis dafür, dass Jennys Worte wahr waren. handelte. Aber neben der Trauer in seinen Augen konnte ich keine Spur von Mitleid erkennen, sondern Sorge - Sorge darum, wie ich die Nachricht aufnahm und Sorge darüber, ob ich vielleicht zusammenbrechen würde.
McGee hatte aufgehört, seine Hände zu betrachten und begegnete meinem Blick. Wenn ich ehrlich war, hatte ich ihn noch nie weinen sehen, nicht einmal, als Kate gestorben war, und jetzt, als er es tat, musste ich feststellen, dass er dadurch nicht annähernd schwach wirkte. In den Jahren, seit ich ihn kannte, hatte er sich zu einem ausgezeichneten Agenten gemausert und war immer selbstsicherer geworden, was sicher auch Gibbs' Verdienst gewesen war. Dieser war genauso sein Mentor wie er meiner war und der Verlust traf ihn ziemlich hart, auch wenn ich es weiterhin nicht akzeptieren wollte, was Jenny gesagt hatte. Ihre Worte kamen mir so unnatürlich vor, als wären sie nicht echt, und es war gerade dieser Strohhalm, an den ich mich klammerte.
Ziva stand noch immer am selben Fleck und wirkte zum ersten Mal, seit ich sie kannte, unsicher. Es war auch nicht wirklich verwunderlich, war es ja nicht abzusehen, wie ich reagieren würde, falls sie wieder einen Versuch starten würde, etwas zu sagen. In ihren Augen konnte ich Mitleid erkennen und es war gerade das, was ich in diesem Moment nicht wollte. Ich brauchte und wollte kein Mitleid, das würde sie sicher bald bemerken und wenn sie es nicht von selbst herausfand, würde ich es ihr einfach direkt erzählen.
Die Einzige, die ein wenig gefasst wirkte, war Direktor Sheppard. Sie schien genauso betroffen wie alle anderen, aber da war etwas in ihrem Blick, das ich nicht einordnen konnte und das mir Unbehagen bereitete. Gleich darauf verschwand der Eindruck allerdings wieder und ich schob alles auf meine Nerven, die in dieser Minute nicht gerade die besten waren, hatte ich doch soeben erfahren, dass der Mann, den ich über alles liebte… Nein, ich würde auch jetzt noch nicht daran denken, nicht, solange die Möglichkeit bestand, dass es wirklich nur ein Irrtum war oder sich das Ganze als Scherz herausstellte.
Die Sekunden verstrichen, ohne dass irgendetwas passierte oder sich die Situation änderte. Schließlich räusperte ich mich und versuchte meine Stimme gefasst klingen zu lassen, was mir aber nicht einmal annähernd gelang. „Also ehrlich. Ich hätte es euch beinahe abgekauft", sagte ich schließlich ungewöhnlich schwach und schluckte den Kloß hinunter, der sich schon wieder in meiner Kehle bildete. Meine Freunde warfen sich kurze, betretene Blicke zu und schienen sich stumm auszumachen, wer wohl der Erste sein würde, der etwas auf meine Aussage erwiderte. Die Wahl fiel auf McGee, der darüber nicht sehr glücklich war, jedenfalls zog er nervös an dem Kragen seines Hemdes und versuchte mir nicht direkt in die Augen zu sehen.
„Du glaubst, wir machen Scherze darüber?" meinte er schließlich und zu meiner Verwunderung konnte ich Ärger in seiner Stimme erkennen, der sich ebenfalls auf seinem Gesicht abzuzeichnen begann. „Glaubst du wirklich, wir würden über Gibbs' Tod einen Scherz machen?! Für wie makaber hältst du uns eigentlich?!" Ich war nicht der Einzige, der ihn ungläubig anstarrte, war es doch das erste Mal, dass er derart aus der Haut fuhr – und ich konnte es ihm nicht einmal verdenken. „Ich…" begann ich, nicht wissend, was ich sagen sollte. Meine Hände presste ich an das Glas des Fensters, das langsam meine Körperwärme annahm, aber mein Verstand wollte noch immer nicht verarbeiten, was doch so offensichtlich war. „Vielleicht ist es die Rache dafür, dass ich euch öfters veräppelt habe", wagte ich erneut einen Versuch, einen ganzen Satz zu Stande zu bringen. „Jethro ist nicht… Ihm geht es bestimmt gut und er wartet zu Hause auf mich. Ich weiß es. Ich weiß es einfach." Ich wurde immer leiser und blickte zu Boden, in der Hoffnung, die anderen würden die Tränen nicht sehen, die sich erneut in meinen Augen bildeten. Seit wann war ich denn so eine Heulsuse? Ich blinzelte heftig und nach ein paar Sekunden traute ich mich wieder, meinen Kopf zu heben. Noch immer starrten sie mich wie ein Ausstellungsstück im Museum an und ich wünschte, sie würden einfach verschwinden, würden mich alleine lassen.
„Ich glaube, wir alle wollen, dass das nur ein Scherz ist", meldete sich schließlich Abby zu Wort, entgegen ihrer sonstigen Angewohnheit ziemlich traurig. Eine Strähne ihres Haares hatte sich aus einem der Rattenschwänze gelöst und umspielte ihre tränennasse Wange. „Ist es aber nicht, Tony. Es ist kein Scherz. Also hör auf zu glauben, dass wir dir so etwas antun würden. Mein silberhaariger Fuchs ist tot. Kannst du dir das vorstellen? Ein simpler Autounfall? Er wird nie wieder zurückkommen. Nie wieder." Erneut strömten Tränen über ihre bleichen Wangen und sie vergrub ihr Gesicht in Duckys Hemd, der ihr begütigend eine Hand auf den Kopf legte und sie tätschelte.
„Autounfall?" fragte ich atemlos und konnte nicht glauben, was ich da soeben gehört hatte. Gibbs fuhr zwar jedes Mal so, als ob der Teufel hinter ihm her wäre, aber bis jetzt hatte er noch nie einen Kratzer an seinem Wagen abbekommen. Und ausgerechnet ein Verkehrsunfall sollte ihm das Leben gekostet haben?
„Ja, ein Autounfall", sagte Ziva und war sichtlich erleichtert, dass ich sie nicht wieder anschrie. „Er kam in Norfolk auf Grund schlechter Straßenverhältnisse von der Fahrbahn ab und krachte gegen einen Baum. Der Wagen… der Wagen ging sofort in Flammen auf. Er hatte keine Chance." Jetzt war es an ihr, heftig zu blinzeln und sie drehte sich von allen weg, um nicht zu zeigen, dass sie in diesem Moment nicht mehr die starke Agentin war, sondern jemand, der einen Verlust erlitten hatte.
Autounfall… krachte gegen einen Baum… Flammen… keine Chance… Norfolk… Die Worte hallten in meinen Ohren wider und ließen meine Knie weich werden. Sie begannen unter meinem Gewicht nachzugeben und ich konnte mich nur noch mühsam aufrecht halten. Flammen… keine Chance… Norfolk… Norfolk… Abrupt richtete ich mich wieder auf und Aufregung machte sich in meinem Inneren breit. „Das muss eine Verwechslung sein!" schrie ich, trat von dem Fenster weg und blieb neben meinem Schreibtisch stehen. „Jethro war nicht in Norfolk. Er wollte etwas fürs Frühstück besorgen. Was sollte er denn in Norfolk machen? Das ist eine Verwechslung. Ich wusste doch, dass es ihm gut geht!" ‚Aber weshalb nimmt er dann nicht die Anrufe auf seinem Handy entgegen? Wieso hat er es abgeschaltet?' meldete sich sofort meine innere Stimme zu Wort und dämpfte meine Euphorie.
„So leid es mir auch tut", erwiderte Direktor Sheppard vorsichtig und fuhr sich mit beiden Händen durch ihre kurzen Haare. „Aber es ist keine Verwechslung. Es gab einen Augenzeugen, der sich das Nummernschild gemerkt hat, da ihn Jethro kurz vorher rasant überholt hat. Gleich darauf ist er…" Sie brach ab, da sie es anscheinend nicht übers Herz brachte, auszusprechen, was ich noch immer nicht wahrhaben wollte. Ungläubig schüttelte ich den Kopf und krallte eine Hand um die Kante meines Tisches. „Was wollte er denn in Norfolk?!" schrie ich erneut los, unfähig, ruhig zu bleiben. „Verdammt, was wollte Jethro in Norfolk?!" „Wir hatten gehofft, das von Ihnen zu erfahren", antwortete Jenny und war sichtlich nicht erfreut darüber, dass ich hier einfach herumbrüllte. Ich fühlte mich, als ob mir erneut der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Wieso war Gibbs nach Norfolk gefahren? Wieso hatte er mich nicht geweckt, um mir das zu sagen? Weshalb hatte er eine Nachricht hinterlassen, in der er behauptet hatte, etwas fürs Frühstück zu holen? Oder hatte er vielleicht unterwegs einen Anruf bekommen, der ihn nach Norfolk geführt hatte? Aber wieso hatte er mir nicht Bescheid gegeben? Von den vielen Fragen schwirrte mir der Kopf und ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass ich keine Antworten erhalten würde.
„Wir wissen nicht, was Gibbs in Norfolk wollte", mischte sich wieder McGee ein. „Von daher haben wir gehofft, dass du vielleicht…" „Was?! Das ich vielleicht wüsste, was er dort zu suchen hatte?! Aber ich muss dich enttäuschen, Bambino! Er hat mir nichts gesagt! Rein gar nichts!" „Hör auf, Tony. Du brauchst doch nicht gleich so aus der Haut zu fahren." „Ach ja?! Es ist ja nicht dein Freund, der..." „Nein, aber mein Boss und Mentor! Du bist nicht der Einzige, den dieser Verlust trifft!" Tim funkelte mich derart wütend an, dass ich bereits Angst hatte, er würde aufspringen und mir an den Kragen gehen. Wenn ich ehrlich war, würde ich das jetzt bevorzugen. Dann hätte ich ein Ventil, wie ich den unglaublichen Schmerz, der sich in meinem Inneren ausbreitete, ein wenig lindern konnte. Je länger ich hier war, desto mehr wurde mir klar, dass das kein Albtraum war, sondern die pure Realität und ich hatte das dringende Bedürfnis, auf irgendetwas einzuschlagen, wollte alles rauslassen, was sich in diesem Moment in mir anstaute. Aber mich verließ die Kraft und ich lehnte mich schwer gegen meinen Schreibtisch. Diesmal blinzelte ich die Tränen nicht weg, die mir schon wieder in die Augen stiegen, sondern ließ sie zu. Ein Schluchzer bahnte sich einen Weg an die Oberfläche, aber ich schaffte es noch rechtzeitig ihn hinunterzuschlucken. Ich wollte hier nicht zusammenbrechen, nicht vor den anderen. Gegen meinen Willen begann ich am ganzen Körper zu zittern und ich spürte, wie ich langsam die Kontrolle verlor.
„Tony?" fragte Ziva vorsichtig und trat vor mich. „Es ist kein Traum, oder?" Meine Stimme war so schrecklich schwach und ich konnte nichts gegen den Schmerz tun, der mich von innen zu zerreißen drohte. „Nein, ist es nicht", antwortete sie mitfühlend, steckte ihre rechte Hand in eine Hosentasche und brachte sie gleich darauf wieder zum Vorschein. „Agent Cassidy war vor einer halben Stunde hier." „Paula?" wollte ich leise wissen und sah die Frau vor mir, mit der ich eine kurze Affäre gehabt hatte. „Ja. Nachdem man herausgefunden hatte, wem der Wagen gehörte, war sie eine der Ersten gewesen, die am Unfallort angekommen war. Das Auto war zum größten Teil ausgebrannt und nachdem man die sterblichen Ü…" Sie brach ab und suchte fieberhaft nach anderen Worten. „Jedenfalls hat sie das im Inneren gefunden." Ziva öffnete ihre Hand und brachte einen silbernen Ring zum Vorschein, der im Licht der Sonne leicht glänzte. „Agent Cassidy dachte, du würdest ihn vielleicht haben wollen." Mit zitternden Fingern nahm ich den Ring aus ihrer Hand und auf einmal waren meine Wangen nass. „Oh Gott, Jethro", keuchte ich, als ich den kleinen Gegenstand langsam drehte, bis die Gravur auf der Innenseite sichtbar wurde. In Liebe, Tony stand dort - es war der Ring, den ich Gibbs zu seinem Geburtstag geschenkt hatte. Ich wusste noch genau, dass er sich ein wenig darüber lustig gemacht hatte, dass er wie ein Ehering aussah. Er hatte mir an diesem Abend versprochen, ihn nie abzunehmen, egal was passierte. Und jetzt? Jetzt war er tot und würde ihn nie wieder tragen, würde nie wieder sagen, dass er mich liebte, würde nie wieder neben mir im Bett liegen, würde nie wieder…
Plötzlich fiel mir das Atmen unglaublich schwer, die Wände schienen unbarmherzig näher zu rücken und irgendwie fing alles an, sich um mich zu drehen. Ich ballte meine Hand zur Faust, sodass sich der Ring schmerzhaft in meine Hand bohrte, aber nicht einmal das half, dass ich die Kontrolle über mich zurückerlangte.
„Ich muss hier raus", sagte ich und taumelte zur Seite. „Tony, du kannst doch nicht…" begann Ziva, aber ich stieß sie zur Seite, als sie mir in den Weg trat. „Lass mich! Ich muss hier raus!" In meiner Hast, dem Büro zu entfliehen, wäre ich beinahe gestolpert. Ich bückte mich, schnappte mir meinen Rucksack und lief zum Treppenhaus, da mich die Kabine des Fahrstuhles in diesem Moment nur einengen würde. „Tony!" Erneut schrie Ziva, aber ich ignorierte sie und stieß die Tür auf. Stufe für Stufe rannte ich hinunter - genauso wie ich dem Großraumbüro entfloh, wollte ich dem Schmerz in meinem Inneren entfliehen. Aber dieser blieb, ließ meine Eingeweide in Flammen aufgehen und drückte mir unbarmherzig auf die Brust. Den Ring weiterhin in meiner Faust haltend, brachte ich immer mehr Abstand zwischen mich, die dritte Etage und die Menschen, die mir gerade die Botschaft übermittelt hatten, von der ich gehofft hatte, sie nie zu erhalten. Gibbs war tot – ich hatte den Mann, den ich über alles liebte, für immer verloren.

„Tony!" schrie Ziva, aber es war zu spät. Er ignorierte sie, lief einfach auf das Treppenhaus zu und verschwand innerhalb einer Sekunde aus ihrem Blickfeld. Aus einem Impuls heraus wollte sie ihm folgen, wurde aber von einer Stimme aufgehalten, die in den letzten Minuten kein einziges Wort gesagt hatte. „Lass ihn", meinte Ducky ruhig und löste sich aus Abbys Umklammerung. Die Stelle seines Hemdes, in die sie ihr Gesicht vergraben hatte, war von ihren Tränen feucht, aber es störte ihn keineswegs. Es war gut, dass sie die Trauer hinausließ, würde es doch alles ein wenig einfacher machen, auch wenn es bestimmt viel Zeit in Anspruch nehmen würde, bis die Wunden zu heilen begannen.
Der Pathologe selbst war in seinem Inneren hohl wie ein leeres Schneckenhaus. Die Nachricht, dass Gibbs bei einem Unfall ums Leben gekommen war, hatte ihn hart getroffen und er hatte wie Tony versucht, zuerst alles herunterzuspielen, wollte es nicht glauben. Aber schließlich hatte er es doch verstanden und ließ den Schmerz zu, der jeden von ihnen ergriffen hatte. Ducky war sich jedoch bewusst, dass ihre Trauer nichts im Vergleich zu der war, die Anthony durchleben musste, hatte er doch seinen Lebenspartner verloren und er hatte das Gefühl, dass der Jüngere bald in ein schwarzes Loch fallen würde, würde ihn niemand auffangen. Aber vorher brauchte er ein wenig Zeit um zu akzeptieren, was er vor ein paar Minuten erfahren hatte und das alleine würde schon schwer genug werden.
„Wir können ihn doch nicht einfach so gehen lassen", sagte Ziva mit ungewohnter Sorge in ihrer Stimme. Sie konnte nicht verstehen, weshalb Ducky sie aufgehalten hatte. Hatte er denn nicht mitbekommen, dass Tony total durch den Wind war? Hatte er denn nicht gemerkt, dass dieser kurz davor war, zusammenzubrechen? Sie hatte die Panik in seinen tränenverschleierten Augen gesehen und irgendwie hatte sie Angst, dass sich ihr Freund etwas antun könnte, um schließlich wieder bei Gibbs zu sein.
„Doch, das können wir", meldete sich Abby zu Wort und schluckte tapfer den Schluchzer hinunter, der sich erneut in ihrer Kehle bildete. „Was würdest du machen, wenn du gerade erfahren hast, dass die Person, die du über alles liebst, gestorben ist?" Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und fuhr liebevoll mit der Hand über den Schreibtisch, an dem normalerweise Gibbs saß und der jetzt für immer leer bleiben würde, außer Tony würde sich entscheiden, diesen Platz einzunehmen. Aber so weit zu denken, war in diesem Moment nicht richtig. Wie konnte sie nur? Sein gesamtes Leben war gerade über ihm zusammengestürzt und sie machte sich Sorgen darüber, ob Anthony irgendwann einmal Jethros Platz einnehmen würde. Ein hysterisches Lachen bahnte sich einen Weg an die Oberfläche, aber genauso wie den Schluchzer schluckte sie es hinunter. Alles war auf einmal anders. Die Nachricht, dass Gibbs tot war, hatte sie mit einer enormen Wucht umgehauen und es kam ihr wie ein schreckliches Déjà-vu vor. Die betroffenen Gesichter, die Tränen und die Trauer. All das war schon einmal dagewesen – als Kate erschossen worden war. Und jetzt hatte sie erneut einen Freund verloren, den Mann, der für sie immer wie ein Vater gewesen war und der auf sie aufgepasst hatte.
„Ich schätze, ich würde erst einmal alleine sein und keinen sehen wollen", antwortete Ziva schließlich auf die Frage und ließ sich gegen ihren Schreibtisch sinken. Abby hatte Recht. Tony brauchte Zeit für sich. Sie würde in so einer Situation auch keine Menschenseele um sich haben wollen, war es bereits jetzt schwer genug, sich nicht einfach irgendwo zu verkriechen. Trotzdem, irgendjemand musste sich doch um ihn kümmern.
„Ich werde nachher nach ihm sehen", sagte Ducky, so als ob er ihre Gedanken erraten hätte. „Aber was ist, wenn…?" McGee brach ab, wollte die Worte nicht zu Ende sagen, die ihm durch den Kopf gingen. Seit er Tony kannte, hatte er ihn noch nie so erlebt. Er hatte förmlich gespürt, wie in dem anderen etwas zerbrochen war und sein Schmerz war richtiggehend greifbar gewesen. Mittlerweile tat es ihm leid, dass er ihn so angebrüllt hatte, hatte es Anthony doch hart getroffen, dass ihm Gibbs nicht gesagt hatte, dass er nach Norfolk gefahren war. Und er hatte ihm auch noch vorgehalten, er solle nicht gleich aus der Haut fahren. Wie hatte er nur so taktlos sein können? Und was war, wenn sich seine Befürchtung bestätigen sollte? Was war, wenn sein Kollege etwas Unüberlegtes machte? Dann würde er sich nie entschuldigen können.
„Anthony wird sich nichts antun", antwortete Ducky ruhig, auch wenn er sich nicht so fühlte. Er konnte gut nachvollziehen, dass sich alle Sorgen um ihren Freund machten. „Dafür ist er viel zu vernünftig", bestätigte Abby und strich sich die Haarsträhne, die sich aus einem ihrer Rattenschwänze gelöst hatte, hinters Ohr. „Auch wenn er gerade einen großen Verlust erlitten hat", fügte sie hinzu und starrte wieder auf die Tischplatte.
Erneutes Schweigen breitete sich aus und jeder versuchte zu verarbeiten, dass wohl nie wieder alles so wie früher sein würde, nicht, wenn ein wichtiges Mitglied des Teams fehlte und ein riesiges Loch hinterließ. Und dieses Loch würde wohl niemand auffüllen können.
„Geht nach Hause", durchbrach schließlich Jenny das Schweigen, da sie es nicht ertragen konnte, alle so niedergeschlagen zu sehen. „Ich werde mich darum kümmern, dass Gibbs' Lei…" Sie räusperte sich und genauso wie Ziva vorher, suchte sie nach anderen Worten. „Ich werde dafür sorgen, dass er nach Washington überstellt wird, nachdem das Labor in Norfolk seine DNA eindeutig zugeordnet hat. Aber das ist nur eine Formalität. Es besteht kein Zweifel, dass… Wie auch immer. Geht nach Hause." Obwohl sie wusste, dass es nicht nett war, ließ sie die anderen einfach stehen und eilte die Stufen zu ihrem Büro hoch. Sie musste jetzt unbedingt alleine sein.
Aber niemand kam ihrem Befehl nach. Weder Abby, noch Ducky, Palmer, McGee oder Ziva rührten sich vom Fleck. Sie blieben, wo sie waren und versuchten sich alleine durch ihre gegenseitige Anwesenheit zu trösten, versuchten zu begreifen, dass Gibbs nie wieder das Büro betreten würde, um sie herumzuscheuchen oder um Kopfnüsse zu verteilen. Von nun an würde alles anders sein und keiner hatte eine Ahnung, wie es weitergehen sollte, nicht ohne den Mann, der das Team zusammengehalten hatte und der für jeden eine Stütze gewesen war. Keiner wusste, wie die Zukunft aussehen würde, aber egal was kommen mochte, es gab jemanden, der ihre Unterstützung nun mehr als alles andere gebrauchen konnte. Jeder einzelne schwor sich, nicht zuzulassen, dass Tony in ein tiefes Loch fiel, aus dem er womöglich nie wieder herauskommen würde. Zusammenhalten hieß jetzt die oberste Devise – alles Weitere würde sich dann ergeben.

Fortsetzung folgt...
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