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Washington D.C.
Zur selben Zeit


Die letzten zwei Stunden waren einfach an mir vorbeigerauscht, ohne dass ich so richtig mitbekommen hatte, dass die Zeit überhaupt verging. Alles war in einen Nebel aus Schmerz, Trauer und Tränen, die ich minutenlang vergossen hatte, gehüllt und hatte die Realität ausgeschlossen. Mein Gehirn war unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen und ich ließ mich einfach von meinen Gefühlen leiten, die in meinem Inneren tobten und alles andere betäubten. Seit Jennys verhängnisvollen Worten kam mir alles so unwirklich vor, auch wenn ich wusste, dass es kein Traum oder sonst eine Wahnvorstellung war. Mittlerweile hatte ich komplett realisiert, dass Gibbs nicht wieder kommen würde, dass ich ihn verloren hatte und mich von nun an wieder alleine durchs Leben schlagen musste - ohne die Person, die ich so sehr liebte und immer lieben würde. Jethro war zwar nicht mehr hier, aber für mich lebte er in meinem Herzen weiter und würde dort immer einen Platz haben. Momentan wusste ich jedoch nicht, wie es weitergehen sollte. Ich hatte meine Zukunftsperspektive verloren und ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich einfach wieder meinen Job erledigen konnte, zu sehr würde mich alles an meinen Freund erinnern, der Fahrstuhl, sein Schreibtisch, die Verhörräume, ja sogar die Mülleimer, in denen er immer seine Kaffeebecher entsorgt hatte. Nichts würde mehr so sein wie vorher und wenn ich ehrlich war, hatte ich Angst davor, was noch auf mich zukommen würde. Ich schaffte es einfach nicht, mir Gedanken über eine Beerdigung oder sonst etwas zu machen. Direktor Sheppard würde zwar dafür sorgen, dass Gibbs' Leiche nach Washington überführt wurde, aber was kam danach? Würde sich der NCIS auch um den Rest kümmern oder blieb das an mir hängen? Schon alleine der Gedanke an eine Trauerfeier war beinahe zu viel für mich und hatte zur Folge, dass ich mich am liebsten wieder zu einem Ball zusammengerollt und mich einfach auf den Boden gelegt hätte, um nichts weiter zu machen, als um meinen Freund zu weinen. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so schrecklich gefühlt, so alleine. Mein Körper schrie förmlich vor psychischem Schmerz und ich hatte das dringende Bedürfnis, mich irgendwo zu verkriechen, um ihn zu betäuben, um einfach alles zu vergessen, was an diesem Morgen geschehen war. Schlafen wäre die beste Lösung gewesen, aber wenn ich auch nur für eine Sekunde die Augen schloss, sah ich Gibbs vor mir, wie er mich anlächelte, wie er mich an einem Tatort herumscheuchte, nur um mir gleich darauf eine saftige Kopfnuss zu verpassen, weil ich wieder einmal McGee geärgert hatte. Ich sah ihn vor mir, wie er mich küsste, mich mit seinen Händen überall streichelte und mir ins Ohr flüsterte, dass er mich liebte. Und dass war der Zeitpunkt, wo sich erneut Tränen bildeten, als mir bewusst wurde, dass er die drei magischen Worte nie wieder zu mir sagen würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es war, ohne Jethro zu leben und in diesem Moment wollte ich das auch gar nicht. Zu sehr war ich damit beschäftigt, den Schmerz in meinem Inneren zu betäuben und an nichts mehr zu denken.
Das war der Grund, weshalb ich es schließlich schaffte, mich vom Boden meines Schlafzimmers aufzurappeln und ins Bad zu stolpern, um mir Ladung um Ladung kalten Wassers ins Gesicht zu spritzen, aber selbst das half nichts, um den Nebel in meinem Gehirn zu lichten. Und als ich in den Spiegel über dem Waschbecken starrte, hatte ich das Gefühl, eine fremde Person würde mir entgegenblicken. Meine Haare waren ein einziges Chaos, meine Wangen waren gerötet und meine sonst so strahlenden, grünen Augen hatten ihren Glanz verloren und wirkten stumpf. Meine Lippen hatten ihre Farbe eingebüßt und waren blutleer. Zusätzlich war mein Hals ausgedörrt und wund, da ich immer wieder Gibbs' Namen geschrien hatte, unfähig, meinen Wunsch, er würde dadurch zu mir zurückkommen, zu unterdrücken.
Das war der Zeitpunkt, an dem sich mein Gehirn verabschiedete und ich nur mehr automatisch funktionierte. Mein Körper reagierte instinktiv, während ich mit meinen Gedanken an irgendwelchen schönen Orten war, wo es keinen Schmerz und keine Trauer gab. Ich zog mich in mein Inneres zurück, während ich aus dem Bad taumelte, hob den Ring, den ich Gibbs geschenkt und von dem ich nicht mitbekommen hatte, dass ich ihn nicht mehr länger in der Hand hielt, vom Boden auf, und steckte ihn mir auf den Ringfinger. Er war mir zwar eine Spur zu groß, aber dennoch würde ich ihn nicht verlieren. Von nun an würde ich ihn tragen und nicht mehr abnehmen, so wie es Jethro mir vor Monaten versprochen hatte.
Irgendwie schaffte ich es schließlich, mich in mein Auto zu setzen und ohne einen Unfall zu bauen an den Ort zu fahren, der für mich zu einem zweiten zu Hause geworden war: Gibbs' Haus. Das Erste, woran ich mich wieder bewusst erinnerte, war, dass ich die Tür aufschloss und der mir nur allzu vertraute Geruch entgegenkam. Meine Gedanken kehrten wieder in die Gegenwart zurück und ich blieb für fünf lange Minuten einfach im Vorraum stehen, ließ die Umgebung auf mich wirken. Überall konnte ich die Handschrift meines Freundes erkennen, an den Möbeln, an den Tapeten, ja sogar an den vereinzelten Zimmerpflanzen. Obwohl er nicht hier war, so fühlte ich mich ihm näher als bei mir zu Hause. Mir kam alles viel freundlicher vor und nicht abweisend. Ich durchwanderte Raum für Raum, ließ meine Hände über jede Oberfläche fahren, wobei der Schmerz in meinem Inneren noch größer wurde. Aber ich war unfähig, aufzuhören, berührte alles, was Jethro wahrscheinlich angefasst hatte und schließlich landete ich in seinem Keller, mit einem großen Kloß in meinem Hals und mit dem erneuten Bedürfnis, einfach zu weinen.
Die Sonne schien durch die kleinen Fenster und beleuchtete das Boot, das jetzt wohl nie fertig werden würde. An Weihnachten hatte mir Gibbs gesagt, dass er es nach mir benennen wollte, wenn er es schaffte, seine Arbeit daran irgendwann einmal zu beenden. Ich war noch nie so gerührt gewesen wie in diesem Augenblick und in dieser Nacht hatte ich ihm mehr als einmal bewiesen, dass ich ihn liebte und nie von seiner Seite weichen würde. Und jetzt würde nie der schwarze Schriftzug mit den Buchstaben meines Namens auf dem Bug stehen, um allen zu zeigen, dass er das Boot schlussendlich für mich gebaut hatte.
Genauso wie oben fuhr ich im Keller jede Oberfläche mit meinen Fingern nach und nahm den Geruch nach Sägespänen in mich auf, so als ob es mein Lebenselixier wäre. Jedes Werkzeug hatte seinen Platz und nichts lag herum. Obwohl der Raum gut gefüllt war, kam er mir ohne meinen Freund schrecklich leer vor. In den letzten Monaten war ich öfters stundenlang auf den Stufen gesessen und hatte ihm dabei zugesehen, wie er das Holz glatt geschliffen hatte, hatte seine Bewegungen genau beobachtet und mir immer wieder vorgestellt, es wäre mein Körper, den er mit seinen Fingern liebkoste. Das waren die Nächte gewesen, in denen wir es nicht mehr ins Schlafzimmer geschafft und uns einfach mit dem harten Boden begnügt hatten. Ich könnte schwören, den Geruch unserer Leidenschaft weiterhin zu riechen, obwohl er längst verschwunden war.
Die Erinnerungen, die mich überrollten, als ich jede einzelne Bootsrippe mit meinen Fingern entlangfuhr, führten schließlich dazu, dass ich meine Faust mindestens ein halbes Dutzend mal auf die Werkbank krachen ließ, bevor ich in einem weiteren Anflug von Trauer einen Teil des Werkzeuges einfach auf den Boden schleuderte. Die Tränen, die mir über die Wangen strömten, bemerkte ich nicht einmal, aber ich schaffte es, die aufsteigenden Schluchzer hinunterzuschlucken. Ich stützte mich mit meinen Händen auf der Werkbank ab, ließ meinen Kopf hängen und versuchte, das Gleichgewicht wiederzufinden. Aber stattdessen wurde alles nur noch schlimmer und ich spürte förmlich, wie ich kurz davor war, komplett in jenes schwarze Loch zu fallen, aus dem ich wohl nie wieder herauskommen würde. In dem Bestreben, mich selbst zu retten, griff ich einfach nach der Flache Bourbon, die Gibbs ständig im Keller aufbewahrte, öffnete sie und nahm einen großen Schluck, obwohl ich dieses Getränk nicht wirklich ausstehen konnte. Der Alkohol brannte in meiner Kehle und trieb mir zusätzliche Tränen in die Augen. Ein paar Sekunden lang bekam ich keine Luft mehr und hustete, aber die Wärme, die sich von meinem Magen aus ausbreitete, war einfach zu herrlich. Der zweite Schluck war bereits nicht mehr so schlimm und beim Dritten spürte ich das Brennen überhaupt nicht mehr. Selbst meine Geschmacksnerven gewöhnten sich langsam an das Aroma und mein Körper begrüßte es, dass die Kälte aus ihm verdrängt wurde. Noch dazu schaffte es der Alkohol, den Schmerz in meinem Inneren etwas zu lindern, weshalb ich die Flasche nicht mehr wegstellte, sondern sie fest in der Hand hielt und Schluck um Schluck trank, in dem Bestreben, meine Trauer zu dämpfen…

Irgendwann hatte ich das Zeitgefühl komplett verloren – würde ich keine Uhr tragen, würde ich nicht einmal wissen, dass es kurz nach Mittag wäre. Die Sonne beleuchtete den Keller mittlerweile taghell, würde aber bald wieder weiterwandern, sodass die Dämmrigkeit zurückkehren würde. Es war ruhig hier unten, nichts war zu hören, nicht einmal ein Auto, das eventuell vorbeifuhr. Das Einzige, was ich wahrnahm, waren mein Herzschlag, mein unregelmäßiger Atem und die feinen Schweißtropfen, die sich auf meiner Stirn gebildet hatten. War mir vor kurzem noch innerlich kalt gewesen, so glühte ich inzwischen regelrecht. Ich hatte meine Jacke ausgezogen, sie auf dem Boden unter dem Boot ausgebreitet und mich darauf gesetzt, wobei mein Rücken an einer der Holzrippen lehnte. Mein Körper fühlte sich schwerelos an, meine Muskeln waren entspannt und in meinem Kopf brummte es, so als ob sich eine Horde Wespen eingenistet hätte. Die Umgebung hatte angefangen, sich beängstigend zu drehen und wenn ich mich bewegte, schwankte der Boden und vermittelte mir den Eindruck, mich auf einem Schiff zu befinden, das in einen Sturm geraten war. Meine Zunge klebte förmlich an meinem Gaumen und in meinem Mund hatte sich der Geschmack von Bourbon ausgebreitet. Die Flasche hielt ich weiterhin in meiner Hand, umklammerte sie wie einen Rettungsring. In den letzten 45 Minuten hatte ich sie um die Hälfte geleert und dass machte sich nun mehr als bemerkbar. Der Alkohol hatte den Schmerz in meinem Inneren tatsächlich gedämpft und die Welt kam mir auf einmal wieder viel fröhlicher vor. Meine Augen brannten zwar weiterhin und meine Wangen waren gerötet, aber das hatte nichts mehr mit den Tränen zu tun, die ich vergossen hatte. Stattdessen fühlte ich mich unglaublich leicht und auf meinem Gesicht prangte ein dämliches Grinsen. Seit geraumer Zeit hatte ich das dringende Bedürfnis, ohne ersichtlichen Grund loszulachen und selbst die Staubflocken, die in den Sonnenstrahlen tanzten, kamen mir lustig vor, obwohl an ihnen eigentlich nichts Komisches war, da sie mich eher zum Niesen brachten, aber selbst das fand ich witzig. Und dann hatte ich hin und wieder das Problem, das sich eine der Bootsrippen plötzlich verdoppelte, um nach ein paar Sekunden wieder eins zu werden, nur um sich gleich darauf zu verdreifachen. Und da ich nicht zum ersten Mal in so einem Zustand war, hatte ich keinen Zweifel daran, dass ich stockbetrunken war – und das zu Mittag, was ich noch nie geschafft hatte. Aber heute durfte ich ja eine Ausnahme machen, hatte ich doch erfahren, dass Gibbs bei einem einfachen Autounfall ums Leben gekommen war, um mich hier alleine zu lassen. Hatte ich vor Stunden noch bei dem Gedanken an ihn Tränen in den Augen gehabt, so wurde das Grinsen in meinem Gesicht breiter, obwohl mir überhaupt nicht danach war. Aber durch den Alkohol wurde alles einfacher und ich ertrug den Verlust leichter, auch wenn eine Stimme weit hinten in meinem Gehirn flüsterte, dass das keine Lösung war. Momentan jedoch ignorierte ich sie, hob erneut die Flasche und führte sie mit Problemen zu meinem Mund – irgendwie schien meine Hand die Zielgenauigkeit verloren zu haben. Nach drei Versuchen schaffte ich es schließlich und trank einen weiteren Schluck des Bourbons, der meinen Magen ein wenig revoltieren ließ, was mir aber herzlich egal war. Viel wichtiger waren das warme Gefühl und die Trägheit meiner Gedanken, wodurch verhindert wurde, dass ich allzu oft an Jennys Worte dachte, die mein bisheriges Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatten.
„Kein Wunder, dass du das immer getrunken hast", sagte ich in die Stille hinein und wischte mir den Mund ab. Die Worte kamen undeutlich über meine Lippen und ich schaffte es beinahe nicht, meine Zunge zu bewegen – sie war in den letzten Minuten anscheinend auf das Doppelte angewachsen. „Das Zeug haut einen glatt um." Ich prostete mit der Flasche Richtung Himmel, nur um gleich darauf erneut einen Schluck zu nehmen, wobei die Hälfte auf meinem Hemd landete, da ich erneut Schwierigkeiten hatte, die Flüssigkeit in meinen Mund zu bekommen. „Verdammt!" rief ich und obwohl es mir nichts ausmachte, dass ich mich bekleckert hatte, machte es mich dennoch wütend. Gott, ich war wirklich betrunken und selbst in dem benebelten Zustand wusste ich, dass ich das spätestens in ein paar Stunden bereuen würde. Aber zurzeit war das schwerelose Gefühl einfach zu herrlich, um sich Gedanken über den Kater zu machen, der mich sicher heimsuchen würde.
Ich lehnte meinen Kopf gegen das Holz hinter mir und versuchte das Drehen zu ignorieren, das ich durch die Bewegung ausgelöst hatte. Mein Magen wanderte gefährlich nahe Richtung Hals, aber ich schluckte ein paar Mal, wodurch er wieder in seine Ausgangsposition zurückkehrte. Es wäre nicht gerade nett von mir, mich hier zu übergeben, würde ich doch den ganzen Boden versauen und ich wusste doch, wie heilig Gibbs der Keller war. So wie ich ihn kannte, würde er mir sogar noch eine Kopfnuss deswegen verpassen, auch wenn er nicht mehr am Leben war.
Dieser Gedanke brachte mich tatsächlich zum Lachen, wodurch das Brummen in meinem Kopf stärker wurde, aber gleich darauf mündete das Lachen in einen Schluchzer. „Wieso hast du mich alleine gelassen?!" schrie ich in die Stille hinein und wunderte mich selbst, dass ich fähig war, verständliche Worte zu Stande zu bringen. „Wieso tust du mir das an?! Ich liebe dich doch! Ich liebe dich doch." Meine Stimme wurde leiser und ich starrte betrübt die Staubflocken an, bevor ich erneut einen Schluck nahm und somit die aufsteigenden Tränen niederkämpfte. „Ich vermisse dich so schrecklich", flüsterte ich und je mehr ich redete, desto mehr trank ich von dem Bourbon. Mittlerweile hatte ich Mühe, die Flasche überhaupt noch in den Fingern zu halten, aber ich klammerte mich weiterhin daran, so als ob es mein Untergang wäre, wenn ich sie loslassen würde.
Die Umgebung drehte sich unbarmherzig und deshalb begnügte ich mich damit, die Wand mir gegenüber anzustarren, während ich versuchte, meinen Magen, der erneut protestierte, unter Kontrolle zu bringen. Vielleicht war es ganz gut, dass ich seit gestern Abend nichts mehr gegessen hatte, allerdings wäre ich dann nicht so sehr betrunken. Wenn ich ehrlich war, konnte ich mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal derart volllaufen hatte lassen – irgendwann bevor Gibbs und ich ein Paar geworden waren und ich noch hinter jeder hübschen Frau her gewesen war.
Nur am Rande bekam ich mit, wie oben die Tür aufging und Schritte auf der Treppe erklangen. Ich starrte weiter die gegenüberliegende Wand an und mich interessierte es nicht, wer mich besuchen kam, mir war es egal, wenn es sogar ein Einbrecher war, solange er mir nicht die Flasche Bourbon wegnahm. Diese würde ich, wenn es nötig wäre, mit Händen und Füßen verteidigen.
Die Schritte kamen immer näher und wurden dementsprechend lauter. Gleich darauf hörte ich das Atmen der Person, als sie das Boot umrundete und mir eine Sekunde später mein Blickfeld verstellte – jetzt starrte ich Beine in einer dunkelblauen Hose an, die ich nicht annähernd so aufregend wie die Wand fand. „Wusste ich doch, dass ich dich hier finden würde", sagte eine männliche Stimme, die mir mehr als bekannt vorkam, weshalb ich mich entschloss, doch noch den Kopf zu heben. Ich registrierte den braunen Mantel, der offenstand und ein dunkelblaues Jackett und eine schief sitzende Fliege enthüllte, bevor mein Blick gütigen Augen begegnete, die mich voller Sorge musterten. „Hey, Ducky", begrüßte ich den älteren Mann, der außerhalb des Bootes stand und nun seinen Hut abnahm, um ihn auf die Werkbank zu legen und dabei das kleine Chaos, das ich angerichtet hatte, registrierte. „Was führt dich denn zu mir?" fügte ich ein wenig lallend hinzu und beobachtete, wie er sich herunterbeugte und mich durch zwei Bootsrippen ansah. Er bemerkte sofort, dass ich betrunken war und die Tatsache, dass ich die Flasche, deren Inhalt um mehr als die Hälfte geschrumpft war, weiterhin umklammerte.
„Ich wollte nachsehen, wie es dir geht", antwortete er schließlich und seine Stimme war ungewohnt heiser, als ob ich nicht der Einzige gewesen war, der geweint hatte. „Mir geht es bestens", meinte ich und setzte zum Beweis ein breites Grinsen auf, das der Situation eigentlich nicht angemessen war. „Ich habe mich noch nie so schwerelos gefühlt. Willst du auch was?" wollte ich mit schwerer Zunge wissen, mich plötzlich wieder auf meine guten Manieren besinnend. Etwas schwerfällig hob ich die Flasche, auch wenn ich nicht teilen wollte, aber es zeigte doch von einer guten Erziehung, wenn ich meinem Gast einen Schluck zum Trinken anbot.
Ducky schüttelte den Kopf und während er sich bückte, um zu mir zu kommen, sagte er: „Nein, ich will nichts und du hast auch eindeutig mehr als genug, Tony." „Ach komm schon, Duck. Sei kein Spielverderber. Der Bourbon ist echt klasse und ist ein gutes Mittel gegen Trauer. Er hilft mir wunderbar, mit dem Verlust fertig zu werden." Meine Stimme klang vorwurfsvoll und mein Grinsen hatte sich verflüchtigt, als er sich neben mich stellte. Mit dem Wissen, dass er mir mein Lebenselixier wegnehmen wollte – das sah ich in seinen Augen – drückte ich die Flasche an meine Brust und beschützte sie wie eine Mutter ihr Baby. Ich wusste, dass ich mich kindisch aufführte, aber ich konnte nicht anders.
Geduldig ließ sich der Pathologe neben mir auf den Boden sinken und drehte sich so, dass er mich direkt anblicken konnte. „Der Alkohol hilft dir nicht wirklich mit dem Verlust fertig zu werden", sagte er schließlich leise und legte mir tröstend eine Hand auf meinen linken Oberarm. „Er dämpft zwar den Schmerz, aber nicht für immer. Dieser wird zurückkommen, wenn du wieder nüchtern bist." „Na, dann werde ich dafür sorgen, dass ich nicht nüchtern werde", meinte ich im Brustton der Überzeugung und rückte von ihm weg, sodass seine Hand von meinem Arm glitt. Ducky sah mich verständnisvoll an und es wunderte mich aufs Neue, dass er so nachsichtig sein konnte. Immerhin machte ich es ihm nicht leicht, schon gar nicht in meinem derzeitigen Zustand, wo ich etwas sagen konnte, was ich nachher bereuen würde. Aber ich schaffte es nicht, auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen, weshalb ich einfach meinen Mund arbeiten ließ, anstatt mein Gehirn.
„Jethro würde nicht wollen, dass du dich so gehen lässt." Seine Stimme war leiser geworden und Trauer schwang in ihr mit und ich erkannte, dass es für ihn ebenfalls schwer war, mit dem Verlust fertig zu werden. „Jethro ist tot, Duck!" schrie ich ihn dennoch an und trotz des Alkohols kam der Schmerz wieder zurück. „Woher willst du wissen, was er will und was nicht?! Es ist doch egal, wenn ich mich hier besinnungslos betrinke! Er wird es nicht erfahren!" Ich wusste, dass meine Worte verletzend waren, aber ich konnte nicht anders. Zudem war meine Zunge in diesem Moment ziemlich locker und bildeten gegen meinen Willen Worte, die ich im nüchternen Zustand nie von mir geben würde.
„Nein, es ist nicht egal, wenn du dich hier besinnungslos betrinkst", erwiderte Ducky ruhig, weiterhin die Geduld in Person. „Es gibt Leute, die dich brauchen, Tony, und die du brauchst. Wir werden nicht zulassen, dass du in ein schwarzes Loch fällst. Wir sind für dich da und können dir helfen. Die nächsten Tagen und Wochen werden sicher hart werden, aber wir werden das gemeinsam durchstehen. Du wirst sehen, mit der Zeit wird es leichter werden, auch wenn du momentan noch das Gefühl hast, dass dich der Schmerz und die Trauer von innen heraus auffressen." Die Worte berührten mich auf eine seltsame Art und Weise und ich spürte erneut den Kloß, der in meinen Hals aufstieg und mir das Atmen schwer machte. Er hatte Recht, aber trotzdem wollte ich nicht nüchtern werden, hatte ich doch Angst, wirklich in das besagte schwarze Loch zu fallen.
„Komm schon, Tony. Gib mir die Flasche", fügte Ducky hinzu und riss mich aus meiner Lethargie. Vehement schüttelte ich meinen Kopf und drückte sie noch fester an meinen Körper. „Nein, das werde ich nicht. Sie gehört mir. Außerdem braucht sie Jethro doch nicht mehr. Was macht es schon, wenn ich sie austrinke?" Meine Stimme wurde wieder träger und ich rutschte erneut ein Stück von dem Älteren weg. Durch die abrupte Bewegung begann erneut sich alles um mich zu drehen und Duckys Gesicht verdoppelte sich, bevor er wieder zu einer Person wurde. „Mein Flasche", fügte ich in dem Bestreben, ihm meinen Standpunkt klar zu machen, hinzu, aber ihn schien das nicht sonderlich zu interessieren.
Auf einmal war seine gütige Miene verschwunden und hatte Entschlossenheit Platz gemacht. So Ernst hatte ich ihn noch nie gesehen und ich schluckte unwillkürlich. „Anthony DiNozzo, du gibst mir jetzt sofort diese Flasche", befahl er mit einem scharfen Ton in der Stimme, den ich vorher noch nie bei ihm wahrgenommen hatte. Die Tatsache, dass er meinen vollen Namen verwendete, ließ meine Alarmglocken schrillen und als er aufstand, um gebückt zu mir herüberzukommen, kauerte ich mich wie ein kleines Kind zusammen, das Angst vor dem bösen Stiefvater hatte. „Nein", startete ich einen erneuten Versuch, aber als er sich vor mich hinkniete und ich den unendlich traurigen Ausdruck in seinen sonst so gütigen Augen sah, verließ mich all meine Kraft. Diese Chance nützte er sofort und ohne mich dagegen zu wehren, lockerte er meinen Griff um die Flasche und nahm sie mir schließlich aus der Hand. Automatisch wollte ich danach fassen, aber er stellte sie außer Reichweite auf den Boden und als ich hinkrabbeln wollte, hielt er mich mit überraschender Kraft an den Schultern fest. „Lass mich!" schrie ich Ducky an und begann mich gegen ihn zu wehren, aber obwohl er viel kleiner als ich war, schaffte ich es nicht, ihn von mir wegzustoßen. Stattdessen umschlang er meinen Oberkörper mit seinen Armen und hielt mich einfach nur fest. „Es ist in Ordnung, Tony", flüsterte er. „Ich bin hier. Ich lass dich nicht alleine." Und auf einmal waren sie wieder da – die Tränen. Trotz meines benebelten Zustandes brach erneut alles aus mir heraus, ich krallte meine Finger in sein Jackett und zerknitterte es dadurch. „Er fehlt mir so", schluchzte ich und ließ es zu, dass Ducky mir tröstend auf den Rücken klopfte. „Er fehlt mir so schrecklich." „Mir auch, mir auch", flüsterte er und obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste ich, dass ich nicht der Einzige war, der weinte. Ich fand in seiner Umarmung endlich den Trost, den ich im Alkohol gesucht hatte, der aber im Prinzip alles nur noch viel schlimmer gemacht hatte.

Ich wusste nicht, wie lange wir so dagesessen waren und uns gegenseitig Halt gegeben hatten, bis nur mehr trockene Schluchzer aus meinem Hals kamen und ich nicht mehr das Gefühl hatte, in ein schwarzes Loch zu fallen. Allerdings hatte das zur Folge, dass ich den Alkohol stärker denn je spürte. Alles begann sich gnadenlos um mich herum zu drehen, in meinem Kopf brummte es beängstigend und mein Magen revoltierte schon wieder – zog sich zusammen und entspannte sich, nur um sich gleich darauf erneut zusammenzuziehen. Ein gequälter Laut kam über meine Lippen und ich schloss meine Augen, damit mir nicht so schwindelig war. Ducky löste sich aus der Umarmung, wodurch ich beinahe umgekippt wäre. Mein Gleichgewichtssinn war mir abhanden gekommen und ehe ich schmerzhaft auf dem Boden landete, fing er mich auf. „Wow", sagte ich mit schwerer Zunge und das dämliche Grinsen kehrte auf mein Gesicht zurück. „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so betrunken war", nuschelte ich und versuchte mit meiner ganzen Willenskraft meinen Magen zu beruhigen. Der Pathologe blickte mich nachsichtig aus geröteten Augen an und legte mir erneut einen Arm um meine Schultern. „Es wird Zeit, dass ich dich hier herausbringe", sagte er und zog mich vorsichtig und mit erstaunlich viel Kraft auf die Füße. Aber dennoch schwankte der Boden beträchtlich und ich musste mich an dem Boot abstützen, um nicht zur Seite zu taumeln. „Wie in einem schnellen Karussell", kicherte ich und als ich zu Ducky sah, prustete ich beinahe los. „Ich habe gar nicht gewusst, dass es dich zwei Mal gibt", fügte ich leicht lallend hinzu, als sich sein Gesicht verdoppelte und vor meinen Augen verschwamm. „Wie viel von dem Bourbon hast du überhaupt getrunken?" wollte er wissen und führte mich vorsichtig unter dem Boot hervor, sodass er sich schließlich ganz aufrichten konnte. „Keine Ahnung", gab ich zu und versuchte mich zu erinnern. „Etwa die Hälfte der Flasche. Oder war es doch mehr? Jedenfalls hat er eingeschlagen wie eine Bombe. Gott, ist mir schlecht." Ich schluckte krampfhaft und schaffte es erneut, meinen Mageninhalt nach unten zu zwingen.
„Es ist kein Wunder, dass dir derart übel ist, Tony", meinte Ducky gütig und schleppte mich mühsam die Kellertreppe nach oben. Ich klammerte mich an dem Geländer fest, da die Stufen auf einmal mehr als uneben waren und ich kaum meine Füße heben konnte. Seit wann war ich denn so schwerfällig?
„Weißt du, das erinnert mich an eine Geschichte aus dem Jahr 1987. Damals hatte ich einen Freund, der fast jeden Abend eine Flasche Whiskey getrunken hat."
Seine Worte drangen nur undeutlich an mein Gehör und ich war zudem damit beschäftigt, Stufe für Stufe zu bewältigen und nicht auf meine Nase zu fallen, obwohl ich gestützt wurde. Die Umgebung drehte sich immer schneller um mich und ich hatte das Gefühl, ich würde zu Boden krachen, obwohl ich weiterhin aufrecht stand.
„Jedenfalls hat mein Freund einmal so viel konsumiert, dass er sich nicht einmal mehr an seinen Namen erinnern konnte", fuhr Ducky fort, als wir das Erdgeschoss und somit den sonnendurchfluteten Vorraum erreicht hatten. Die hellen Strahlen taten mir in den Augen weh, sodass ich sie zusammenkniff und gequält aufstöhnte. Ich stolperte weiter und während mich der Pathologe zu der Treppe führte, die in die erste Etage führte, erzählte er weiter. „Ihn musste ich nach diesem Abend genauso abstützen und er hätte mich den ganzen Weg zu seinem Schlafzimmer mehr als einmal beinahe umgerissen und dabei war er viel kleiner als du." Als ich die nächsten Stufen, die mir noch unebener erschienen, erklomm, konnte ich mich nur dadurch, dass ich mich auf Duckys beruhigende Worte konzentrierte, noch mit Mühe auf den Beinen halten.
„Er hat es mir nicht gerade leicht gemacht, aber irgendwann habe ich es schließlich geschafft, ihn ins Bett zu bekommen, nur um mitzuerleben, wie er sich gleich darauf übergeben und die ganze Matratze versaut hat." Ich schluckte und versuchte mir das nicht bildlich vorzustellen – es war schon schlimm genug, dass ich kurz davor stand, meinen eigenen Mageninhalt zu verlieren.
Als wir endlich das Schlafzimmer erreicht hatten, war Ducky merklich außer Atem und ich merkte, dass ich mich schwer auf ihn stützte, um nicht zu stolpern. Er führte mich zu dem großen Bett und ließ mich los, sodass ich schwankend vor ihm stand. Eine Sekunde später machte er sich daran, mir mein Hemd aufzuknöpfen, dessen Stoff teilweise von dem Bourbon durchtränkt war. Erneut bildete sich auf meinem Gesicht ein Grinsen und ich blickte ihm direkt in die Augen. „Also, Jethro lässt sich immer mehr Zeit, wenn er das macht", sagte ich eine Spur undeutlich, aber dennoch verstand er es hervorragend. „Außer gestern. Da ist er förmlich über mich hergefallen. So ungeduldig und leidenschaftlich habe ich ihn selten erlebt." Ducky hielt kurz in seinen Bewegungen inne und sah mich mit erhobenen Augenbrauen an. „Tony, es ist besser wenn du…" „Was? Wenn ich den Mund halte? Aber ich rede doch so gerne. Vor allem über Jethro. Ich kann dir sagen, gestern war es unglaublich. Er hat mich so verzweifelt geliebt, so als ob er gewusst hätte, dass er bald sterben würde. Ich schwöre dir, wir hatten den besten Sex überhaupt." Ducky hob seine Hände und wollte mich damit dazu bringen, ruhig zu sein. Aber der Alkohol lockerte meine Zunge immer mehr und ich wusste selbst nicht einmal, was ich von mir gab. „Meinst du, er hat gewusst, dass er sterben würde?" fragte ich schließlich, als er fortfuhr, mein Hemd aufzuknöpfen, mir es schließlich auszog und es auf einen Stuhl legte.
„Das kann ich mir nicht vorstellen", antwortete er, kam wieder zu mir zurück und hob die Bettdecke empor. „Niemand weiß, wann seine Zeit gekommen ist und ich bin mir sicher, Jethro hat es ebenfalls nicht gewusst." Ich setzte mich auf die Matratze und wie von selbst kickte ich meine Schuhe von den Füßen. Mein Körper hatte erneut auf Autopilot umgeschaltet, während in meinem Gehirn der Nebel immer dichter wurde. Obwohl ich mich nicht hinlegen oder schlafen wollte, krabbelte ich dennoch unter die Decke und versuchte das schwankende Schlafzimmer zu ignorieren. Ich drehte mich auf den Rücken, wodurch es besser wurde und ich nicht mehr das Gefühl hatte, Achterbahn zu fahren.
Nur am Rande bekam ich mit, wie Ducky den Raum verließ, kurz darauf wieder zurückkam und neben mir mit einem leisen Geräusch einen Eimer abstellte.
„Nur zur Sicherheit", sagte er leise und legte mir eine Hand auf meine nackte Schulter. „Und jetzt versuch etwas zu schlafen, Tony. Du hast das bitter nötig." „Aber ich will nicht", murmelte ich wie ein störrisches Kleinkind, schloss aber trotzdem meine Augen. Irgendwie waren meine Lider auf einmal bleischwer und Mattigkeit breitete sich in meinem Körper aus. „Ich werde hierbleiben und auf dich aufpassen", hörte ich ihn noch sagen, seine Stimme unendlich weit entfernt. Ich gab ein kurzes Brummen von mir, um ihm zu zeigen, dass ich ihn verstanden hatte und driftete immer weiter in die undurchdringliche Schwärze, wobei der viele Alkohol in meinem Blut schließlich den Rest erledigte und ich in einen tiefen Schlaf fiel.

Erleichterung durchströmte Ducky, als Tony anfing, gleichmäßig zu atmen und endlich einschlief. Er löste seine Hand von der Schulter, weshalb der junge Mann leise grummelte, sich auf den Bauch drehte und seinen Kopf tief in den Polster vergrub. ‚Gut', dachte er und fuhr sich durch seine Haare. Das ersparte es ihm, ihn selbst umzudrehen. Er hätte ihn sicher nicht auf dem Rücken liegen gelassen, zu groß war die Gefahr, dass er sich im Schlaf übergab und daran erstickte.
Der Pathologe war ein wenig geschockt gewesen, als er Anthony derart betrunken in Gibbs' Keller gefunden hatte. Er hatte zwar gewusst, dass ihn der Verlust hart getroffen hatte, aber dass er den Schmerz gleich mit Bourbon ertränkte, damit hätte er nicht gerechnet, zumal er dieses Zeug normalerweise nicht mochte. Aber am heutigen Tag war nichts mehr normal, hatte sich doch für alle das Leben schlagartig verändert, vor allem für den jungen Mann, der jetzt vor ihm lag und schlief. Er hatte Tony noch nie so gesehen, total am Boden zerstört und die Gleichgültigkeit in Person. Die Trauer in seinen Augen war unbeschreiblich gewesen und er konnte nur erahnen, wie sich der andere fühlte. Es würde ein harter Kampf werden, annähernd den lebenslustigen DiNozzo wieder zurückzubekommen. Sein gesamter Humor schien verschwunden zu sein, genauso wie das sonst so lebendige Funkeln in seinen Augen.
Ducky war sich nur allzu bewusst, dass Anthony kurz davor gewesen war, in ein schwarzes Loch zu fallen und er war froh, dass er sich entschieden hatte, so bald nach ihm zu sehen. Ursprünglich hatte er vorgehabt, noch zu warten, aber eine innere Stimme hatte ihm gesagt, dass er sich besser auf den Weg machen sollte – zu Recht, wie sich herausgestellt hatte. Aus einem ihm unverständlichen Grund war er sofort zu Gibbs' Haus gefahren, so als ob er gespürt hatte, dass er den jungen Mann dort finden würde. Der Anblick des Kellers hatte ihm selbst einen heftigen Stich versetzt und ihm bewusst gemacht, dass sein Freund nie wieder an seinem Boot weiterbauen würde, aber er hatte es geschafft, seine Trauer in den Hintergrund zu drängen, als er Tony entdeckt hatte, alleine und stockbetrunken. Den Alkohol hatte er bereits auf der Treppe riechen können und er hatte gewusst, dass es nicht leicht werden würde, ihm die Flasche wegzunehmen. Aber er hatte es dennoch irgendwie geschafft und schließlich Trost in Anthonys Armen gesucht, als dieser zusammengebrochen war und sich an ihn wie an einen Rettungsring geklammert hatte. Seit Jennys Nachricht hatte er selbst unter Schock gestanden, der schlussendlich verschwunden war. Zwar schmerzte es ihn weiterhin, dass er Jethro verloren hatte, aber er konnte ein wenig besser damit umgehen. Außerdem brauchte ihn Anthony, der für seinen Boss mehr empfunden hatte, als sich Ducky jemals vorstellen konnte jetzt dringender. Sein Glück war wie eine Seifenblase zerplatzt und hatte sich in einen Albtraum verwandelt.
Der Pathologe blickte auf Tony hinunter, der ihm sein Gesicht zuwandte und leise anfing zu schnarchen. Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg über seine rechte Wange und wurde schließlich von dem Polster aufgesogen. Sein Herz krampfte sich zusammen, als er ihn so sah und in dem Versuch, ihn ein wenig zu trösten, legte er eine Hand auf den entblößten Rücken und streichelte ihn beruhigend. Sein Schützling seufzte leise und murmelte etwas Unverständliches, bevor er ruhiger wurde und weiterschnarchte.
Ducky nahm die Decke und breitete sie über DiNozzos Oberkörper aus, um zu verhindern, dass er fror. Dieser kuschelte sich automatisch tiefer hinein und grunzte zufrieden. Der Ältere konnte einfach nicht anders, als bei dem Anblick zu lächeln.
„Es wird alles wieder gut werden", flüsterte er und drückte kurz die Schulter des schlafenden Mannes. Er hatte keine Ahnung, weshalb er das sagte, aber tief in seinem Inneren wusste er seltsamerweise, dass diese Worte der Wahrheit entsprachen. „Wir alle werden dir helfen. Du musst das nicht alleine durchstehen."
Ein paar Sekunden später ließ er ihn los und stellte den Eimer noch näher an das Bett heran, nur für den Fall, dass ihn Anthony brauchte. Zwar war er nicht wirklich blass, aber bei der Menge Alkohol, den er konsumiert hatte, konnte man nie vorsichtig genug sein. Ein letztes Mal blickte er ihn noch an, bevor er sich umdrehte und das Schlafzimmer leise verließ. Die Tür ließ er sicherheitshalber offen, damit er hören konnte, falls etwas nicht stimmen sollte. Ducky beschloss so lange hier zu bleiben, bis es Tony wieder etwas besser ging. Außerdem wollte er ihn in diesem Zustand nicht alleine lassen. Zwar glaubte er nicht, dass sich dieser etwas antun würde, aber er wusste, dass Anthony nur allzu leicht in das schwarze Loch hineinfallen konnte, obwohl er zurzeit weit von dem Abgrund entfernt war. Aber dennoch machte sich der Pathologe Sorgen, immerhin hatte der Jüngere soeben seine große Liebe verloren und daran würde er lange zu knabbern haben. Ducky war schon froh, wenn Anthony irgendwann in den nächsten Tagen wieder einmal lachen konnte – ohne Hilfe von Alkohol. Genauso hoffte er, dass er sich, wenn er aufwachte, nicht mehr daran erinnern konnte, was er vor ein paar Minuten gesagt hatte. Er selbst würde es wohl nie vergessen, aber Tony wäre es sicher peinlich, wenn ihm bewusst wurde, dass er intime Details über sein Liebesleben ausgeplaudert hatte. Aber ein Satz ließ ihm keine Ruhe mehr. Hatte Gibbs wirklich gewusst, dass er sterben würde, wenn er gestern verzweifelt gewesen war, so wie es sein Freund behauptet hatte? Oder war es nur, weil sie endlich diesen komplizierten Fall gelöst hatten? Sein Instinkt sagte ihm, dass irgendetwas faul an der ganzen Geschichte war, zumal Jethro nach Norfolk gefahren war, ohne jemandem etwas davon zu sagen. Was hatte ihn nur dorthin verschlagen? Er hoffte, vor allem für Anthony, dass sie irgendwann die Antwort auf diese Frage finden würden.

Fortsetzung folgt...
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