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Washington D.C.
17:38 Uhr


Schmerzen. Heftige, pochende Kopfschmerzen waren das Erste, was ich spürte, als ich aus dem komaartigen Schlaf erwachte. Mein Gehirn fühlte sich an, als ob es beständig gegen die Schädeldecke drücken würde, in dem Bestreben, mehr Platz zu finden und erweckte nebenbei den Eindruck, die Nähte zu sprengen, um aus den Öffnungen hervorzuquellen. Ein nicht gerade netter Gedanke, wie ich gleich darauf feststellte, als sich mein Magen unangenehm hob und Richtung Hals wanderte, ich es aber schaffte, ihn durch heftiges Schlucken wieder an Ort zu Stelle zu befördern. In meinem benebelten Zustand bekam ich nur am Rande mit, dass ich auf dem Bauch lag, mein rechter Arm schlaff nach unten hing und sich der Linke weit ausgestreckt von mir befand, sodass ich mich unwillkürlich fragte, ob ich mir das Schultergelenk ausgekugelt hatte. Die Gliedmaße kam mir fremd vor und schien nicht mehr zu meinem Körper zu gehören – ein Körper, der anscheinend nur aus Gummi und nicht aus Muskeln und Knochen bestand, ich schaffte es gerade einmal, einen Finger zu rühren.
In meinem Mund hatte sich ein ekliger Geschmack, den ich nicht definieren konnte, ausgebreitet und war mit Schuld, dass mein Magen beständig revoltierte. Zusätzlich war meine Zunge auf ihre doppelte Größe angewachsen und klebte wie eine pelzige Schlange am Gaumen. Mein Hals war ausgedörrt, hatte die Konsistenz von Sandpapier und ließ sich auch nicht durch mehrmaliges Schlucken befeuchten – überhaupt schienen die Speicheldrüsen ihre Funktion eingestellt zu haben. Ich hatte Durst, gewaltigen Durst und würde nicht jede Bewegung den Schmerz in meinem Kopf verstärken, würde ich sofort aufspringen und so viel aus der Wasserleitung trinken, bis ich platzen würde. Aber in diesem Moment hatte ich nicht einmal die Kraft, meine Augenlider zu heben, geschweige denn ein Bein über den Rand der Matratze, auf der ich lag, zu schwingen. Obwohl ich nichts weiter als schwarze Dunkelheit sah, wusste ich, dass ich mich in einem Schlafzimmer befinden musste. Die Luft war angenehm kühl und die Decke, die über meinem Rücken ausgebreitet war, warm. Es war ein Raum, der mir sofort bekannt vorkam, ungeachtet dessen, dass ich weiterhin meine Augen geschlossen hatte, aber der Geruch war mir mehr als vertraut, allerdings konnte ihn mein gemartertes Gehirn nicht einordnen.
Das Pochen innerhalb meines Schädels nahm zu und mir entschlüpfte unwillkürlich ein leises Stöhnen, das in der Stille des Zimmers verhallte. So als ob der Schmerz ein Startzeichen gewesen wäre, begann mein Magen erneut zu meinem Hals zu wandern und ich musste würgen, aber ich schaffte es erneut, die Übelkeit zu bezwingen.
Ich lag da, unfähig mich zu rühren, fühlte mich richtig mies und hatte keine Ahnung, weshalb. In meiner Erinnerung klaffte ein schwarzes Loch und verschwommene Bilder waren das Einzige, das ich zustande brachte. Gesichter erschienen, aber bevor sie sich manifestieren konnten, verschwanden sie wieder in den Untiefen meines Bewusstseins. Trotzdem wusste ich, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, dass ich mich nicht zufällig in diesem Zustand befand. Ich fühlte mich wie gerädert, so als ob ein tonnenschwerer Lastwagen über mich hinweggebraust wäre und dabei jeden Knochen zu Staub zermalmt hätte.

„Oh Gott", krächzte ich, als mich erneut eine Welle der Übelkeit überrollte und diesmal schaffte ich es beinahe nicht mehr, meinen Mageninhalt nach unten zu bringen. Mit aller Macht zwang ich meinen linken Arm nach oben und massierte mir eine Schläfe, während ich die andere fester in den weichen Polster drückte. Ich öffnete meinen Mund und versuchte so viel frischen Sauerstoff wie möglich in meine Lungen zu saugen. Das grässliche Pochen ließ ein wenig nach und mein Arm fiel wie ein schlaffer Schlauch neben mir auf die Matratze. Weiterhin hielt ich meine Augen geschlossen und versuchte den ekligen Geschmack in meinem Mund zu ignorieren. Ich kannte den derzeitigen Zustand, in dem ich mich befand, nur zu gut, war ich doch öfters in meiner Collegezeit einen gesamten Tag lang im Bett gelegen, nachdem es wieder einmal bei einer der zahlreichen Partys wild hergegangen war. Es waren die typischen Anzeichen eines Katers an denen ich litt, auch wenn ich mich nicht wirklich daran erinnern konnte, einen Alkoholexzess hinter mir zu haben, geschweige denn mit ein paar Freunden durch Bars gezogen zu sein.
Bilder von einem sonnigen Tag stiegen in meinem Gehirn auf, viel weißer Schnee, eine Nachricht auf dem Küchentisch, Augen voller Trauer, Stimmen, die Worte zu mir sagten, die jedoch keinen Sinn für mich ergaben, sie kamen mir verschwommen und unwirklich vor. Ein Keller, mal hell, dann wieder düster, ein Boot, halb vollendet, Werkzeug, das verstreut auf dem Boden herumlag, eine Flasche Bourbon, die eine gewisse Anziehungskraft auf mich ausübte.
Ein weiteres Stöhnen kam über meine trockenen Lippen und ich grub meinen Kopf tiefer in den Polster, wollte, dass die Bilder verschwanden, aber sie blieben hartnäckig bestehen. Noch mehr Gesichter tauchten aus der Dunkelheit auf, ihre Mienen voller Traurigkeit und Mitleid, Stimmen, die deutlicher wurden, Worte, die mir unglaublichen Schmerz bereiteten – einen seelischen Schmerz, der mir die Luft zum Atmen raubte. Ein Name, der in meinem Gehirn widerhallte, blaue Augen, die mich voller Liebe musterten, blaue Augen, die durch stumpfe, leere ersetzt wurden. Eine Flasche Bourbon, die ich nicht hergeben wollte, Ducky, der mich in die Arme nahm und festhielt, Tränen, die wie ein nicht enden wollender Strom über meine Wangen gelaufen waren.

Schmerz, Trauer, Verlust, ein Name – ein Name, der für mich Leben bedeutete. Und mit einem Mal war alles wieder da, jedes noch so kleine Detail, jede noch so schreckliche Grausamkeit. Mein Herz krampfte sich zusammen und ich riss meine Augen auf, nahm aber meine Umgebung nicht wahr. „Jethro!!!" rief ich mit rauer Stimme, fuhr hoch bis ich auf der Matratze kniete und die Decke von meinem Rücken rutschte. Eine Sekunde später schrie ich auf, als ein heftiger Schmerz in meinem Kopf explodierte und sich alles anfing, um mich zu drehen. Unwillkürlich griff ich mir mit meinen Händen an meine Schläfen und drückte kräftig zu, in dem Bestreben, das Pochen zu lindern. Übelkeit überrollte mich mit Wucht, ließ mich heftig würgen und als letzten Ausweg, um die Matratze nicht zu versauen, beugte mich über den Bettrand und fand vor meiner Nase prompt einen Eimer, von dem ich keine Ahnung hatte, wie er hierher gekommen war. Entgegen meiner Erwartung kam aus meinem lädierten Magen nichts hoch, sah man von dem grauenhaften Geschmack ab, der sich in meinem Mund ausbreitete und schlimmer war als alter, schimmeliger Käse. Mehr trockenes Würgen war die Folge, der Boden unter mir schwankte gefährlich und ich schloss gequält meine Augen, holte tief Luft, zwang mich, ruhig zu atmen. Meine Eingeweide entspannten sich ein wenig, das Pochen innerhalb meiner Schädeldecke ließ nach und erst jetzt registrierte ich die Kälte so richtig, die im Schlafzimmer herrschte. Auf meinem Körper breitete sich rasend schnell eine Gänsehaut aus und ließ mich zittern, weshalb ich mich vorsichtig aufrichtete und als ich endlich saß, wagte ich es, meine Augen zu öffnen. Diesmal explodierte mein Gehirn nicht und die Umgebung fuhr auch nicht Achterbahn.
Langsam sah ich mich um, erkannte Gibbs' Schlafzimmer, in dem wir viele Nächte gemeinsam verbracht hatten, sei es, dass wir nur geredet oder uns geliebt hatten. Jemand hatte die Lampe auf dem Nachttisch eingeschaltet und diese verbreitete ein angenehmes, gedämpftes Licht, wodurch es nicht zu hell war. Draußen war es bereits dunkel, Sterne blinkten vom Himmel, wurden nur hin und wieder von dünnen Wolkenschleiern verdeckt. Es war ruhig, ja beinahe friedlich. Die einzigen Geräusche waren das Rauschen des Blutes in meinen Ohren, mein Herzschlag und mein beständiges Atmen. Und jetzt konnte ich auch den Geruch, der mir vorher so bekannt vorgekommen war, identifizieren – Sägespäne. Egal in welchem Teil von Jethros Haus man sich befand, es roch überall ein wenig nach Sägespänen, am meisten mochte ich diesen Duft jedoch auf seiner Haut und in seinen Haaren. Ich liebte es, an ihm zu schnuppern, die Essenz in mir aufzunehmen und gleichzeitig seinen Körper mit federleichten Küssen zu bedecken.
Gleich darauf wurde mir mit voller Wucht bewusst, dass ich das nie wieder tun würde können, dass ich nie wieder die Möglichkeit erhalten würde, ihn zu liebkosen, an seinen Haaren zu riechen oder einfach nur in seinen Armen zu liegen, um seine Nähe und Wärme zu genießen.

„Oh Gott, Jethro", murmelte ich, als mich die furchtbare Erkenntnis erneut überrollte, ich Jennys verhängnisvolle Worte hörte, mit denen mein bisheriges Leben einfach in sich zusammengefallen war. Der Schmerz in meinem Inneren übertraf denjenigen in meinem Kopf um ein Vielfaches und ich krampfte meine Finger um die Bettdecke, suchte daran Halt. Tränen schossen mir in die Augen, aber ich blinzelte sie weg, wollte nicht schon wieder zu weinen anfangen, so wie ich es an diesem Tag sooft getan hatte, ohne dass es mir Linderung verschafft hätte. Diesmal würde ich stark bleiben, würde mich nicht dem schwarzen Abgrund nähern, vor dem mich Ducky gerettet hatte, indem er mir den Alkohohl weggenommen und mich fest umarmt hatte. Auch wenn ich das dringende Bedürfnis hatte, mich zu einem Ball zusammenzurollen und mich zu verkriechen, blieb ich aufrecht sitzen und ließ die vertraute Umgebung auf mich wirken. Ich wurde etwas ruhiger, dafür kamen aber die physischen Schmerzen zurück. Das Pochen in meinem Kopf steigerte sich und mein trockener Hals wurde noch trockener. Ich konnte nicht fassen, dass ich wirklich so viel von dem Bourbon getrunken hatte, dass ich jetzt diesen Kater hatte, zumal ich das Getränk überhaupt nicht mochte, hatte ich doch jedes Mal das Gefühl, es würde meine Speiseröhre verätzen. Aber diesmal war mir das anscheinend egal gewesen, ich hatte nur mein Leid betäuben und die reale Welt von mir fern halten wollen – und nun bekam ich die Rechnung serviert. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, wann ich das letzte Mal derart über die Stränge geschlagen hatte. Seit Jethro und ich ein Paar waren, hatte ich nie das Bedürfnis verspürt, mich zu betrinken, nicht einmal, wenn wir uns gestritten hatten. Und jetzt? Jetzt war ich wieder alleine und ich hatte keine Ahnung, ob ich jemals wieder glücklich werden konnte. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es so schrecklich wehtat, eine geliebte Person zu verlieren, aber es zerriss mich von innen heraus.
„Lass dich nicht gehen, lass dich nicht gehen", murmelte ich, sprach mir selbst Mut zu und zwang mich, regelmäßig zu atmen. Auch wenn mein Kopf weiterhin explodieren wollte, fühlte ich mich ein wenig besser, aber von meinem Normalzustand war ich Meilen entfernt, dort wer wusste schon, ob ich diesen jemals wieder erreichen würde.
Ein kalter Luftzug ließ mich erschauern und erst in diesem Moment registrierte ich, dass das Fenster gekippt war und die Vorhänge davor leicht flatterten. Noch immer war kein Geräusch zu hören, auch nicht von unten, obwohl mir mein Instinkt sagte, dass Ducky weiterhin in dem Haus war, da er mich in so einem Zustand nie alleine lassen würde. Jetzt konnte ich mir erklären, warum neben dem Bett ein Eimer stand und die kleine Nachttischlampe brannte. So wie ich ihn kannte, hatte er in regelmäßigen Abständen nach mir gesehen, um sicher zu gehen, dass mir nichts fehlte. Obwohl er Pathologe war, konnte er mindestens genauso gut mit lebenden Patienten umgehen. Ich rechnete es ihm hoch an, dass er sich um mich kümmerte und seine eigene Trauer hintan stellte. Jethro und er waren jahrelang Freunde gewesen, bereits bevor ich zum NCIS gekommen war und ihn musste der Verlust stark mitnehmen. Dennoch sorgte er sich lieber um mich als um sich selbst und ich hatte keine Ahnung, ob ich diese Schuld je ausgleichen würde können.

„Du hast echt was gut bei mir", flüsterte ich und warf einen kurzen Blick auf die leere Betthälfte neben mir. Alles war unberührt und wartete nur auf eine Person, die sich hineinlegen konnte, aber diese Person würde nicht mehr wiederkommen. Ein heftiger Stich durchfuhr meinen Körper, weshalb ich ganz schnell woanders hinsah. Allerdings war diese abrupte Bewegung keine gute Idee. Das Schlafzimmer begann erneut sich wie ein Propeller um mich zu drehen, mein Gehirn drückte mehr denn je gegen meine Schädeldecke und mein Magen zog sich zusammen, aber diesmal musste ich wenigstens nicht würgen. Ich konnte froh sein, dass ich seit gestern Abend nichts mehr gegessen hatte, sonst würde ich seit geraumer Zeit über dem Eimer hängen und alles von mir geben, was ich zu mir genommen hatte. Und in naher Zukunft würde ich auch nichts essen können, jedenfalls kam es mir so vor. Ich hatte keine Ahnung, ob ich je wieder Hunger bekommen würde oder ob ich je wieder lachen konnte. Nichts schien mehr wichtig zu sein und ich hätte auch kein Problem damit, wenn die Welt untergehen würde. Was machte das schon für einen Unterschied? Meine Welt war heute zerbrochen und die Trümmer, in denen sie lag, würde ich nie wieder zusammenbauen können.
Nur mit Mühe widerstand ich dem Drang, meinen Kopf zu schütteln, um die Bilder loszuwerden, aber ich hielt mich zurück, wollte ich doch eine erneute Schmerzenswelle nicht herausfordern. Obwohl ich mich am liebsten unter der warmen Decke verkrochen und einfach weitergeschlafen hätte, um an nichts mehr denken zu müssen, wusste ich, dass ich trotz meines angeschlagenen Zustandes kein Auge zumachen würde, zu groß war die Angst, ständig Gibbs vor mir zu sehen oder von ihm zu träumen. Vor Stunden hatte der Alkohol geholfen, dass ich in einen komaähnlichen Schlaf versunken war, aber diesmal würde das nicht funktionieren, da war ich mir sicher. Deshalb schlug ich endlich beherzt die Decke zur Seite und schwang vorsichtig meine Beine über den Rand des Bettes, um keinen neuerlichen Schwindelanfall heraufzubeschwören. Erst jetzt registrierte ich, dass ich noch immer meine Jeans trug, meine Schuhe und mein Hemd jedoch fehlten. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es geschafft hatte, besagte Stücke auszuziehen oder ob ich es überhaupt selbst erledigt hatte, aber ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt, auf die Füße zu kommen und nicht gleich wieder umzufallen.

Für ein paar Sekunden hielt ich inne, holte tief Luft und stemmte mich schließlich in die Höhe. Obwohl ich langsam aufstand und dabei einige Kraftreserven – von denen ich momentan nicht viel hatte – verbrauchte, schwankte das Schlafzimmer bedrohlich vor meinen Augen. Ich taumelte einen Schritt zur Seite und stützte mich mit einer Hand am Nachttisch ab, um zu verhindern, dass ich hinfiel. Dabei hätte ich beinahe den Wecker zu Boden geschleudert, aber er blieb kurz am Rand stehen, bevor er der Schwerkraft folgend auf der Erde landete. Dabei fiel mein Blick auf die roten Leuchtziffern, die 17:48 Uhr zeigten. Etwas verwirrt runzelte ich die Stirn, hatte ich doch das Gefühl, ich hätte mindestens zwölf Stunden geschlafen, dabei waren es nicht einmal sechs. Mir war mein Zeitgefühl komplett abhanden gekommen und ich wünschte mir, es wäre viel später, aber so hatte ich eine Nacht vor mir, in der ich sicher nicht schlafen würde können, egal wie sehr mir der Kater zu schaffen machte.
Ich ließ den Wecker einfach liegen, machte nicht einmal den Versuch ihn aufzuheben, sondern richtete mich kerzengerade auf und wartete, bis der Raum zu schwanken aufhörte. Als ich mir halbwegs sicher war, dass ich nicht hinfallen würde, drehte ich mich um und strebte unsicheren Schrittes auf die angelehnte Tür zu. Diese schien sich allerdings immer weiter von mir zu entfernen, anstatt näher zu kommen und als ich sie endlich erreichte, hatte ich das Gefühl, es wären Stunden vergangen. Ich zog sie komplett auf, taumelte auf den Gang hinaus und wurde von der gegenüberliegenden Wand gestoppt. In diesem Moment kam ich mir wie ein alter Mann vor, der sich nur mit Mühe auf den Füßen halten konnte. Genauso wie im Schlafzimmer war es hier ruhig, kein einziges Geräusch war zu hören, auch nicht von unten, obwohl ich die Anwesenheit von Ducky regelrecht spüren konnte.
Mit den Händen tastete ich mich den düsteren Flur entlang. Das einzige Licht kam aus dem Schlafzimmer, erhellte aber nur einen kleinen Abschnitt des Ganges. Aber dennoch erreichte ich ohne Probleme die Tür, die ich gesucht hatte, drückte mit einigen Schwierigkeiten die Klinke hinunter und stieß sie auf. Es war zwar dunkel im Bad, aber nach ein paar Sekunden fand ich den Lichtschalter, der die Deckenlampe aufflackern ließ und die den Raum aus der Finsternis holte. Beige Fliesen und weiße Wände verströmten eine warme Atmosphäre. Gegenüber der Tür befanden sich unter einem großen Spiegel zwei Waschbecken, die sauber glänzten. Rechts stand eine Badewanne, in der Gibbs und ich uns mehr als einmal nach einem langen Tag entspannt hatten. Linkerhand war eine Dusche mit einer Glastür, durch die man den Benutzer wunderbar beobachten konnte. Eine Toilette und ein Schrank, in dem Handtücher und andere Sachen verstaut waren, vervollständigten das Bild.
Neben dem linken Waschbecken lagen Gibbs' Rasierer, seine Zahnbürste und Pasta, sein Aftershave, das ich so gerne mochte und noch andere kleine Dinge, die er am morgens verwendete, die er aber jetzt nicht mehr brauchen würde. Jedoch wusste ich nicht, ob ich es jemals übers Herz bringen würde, diese Dinge des alltäglichen Lebens zu entsorgen. Es kam mir schon falsch vor, wenn ich nur daran dachte, irgendetwas wegzuschmeißen, was Jethro gehörte. Ich würde alles an seinem Platz lassen, würde nichts verrücken oder verstecken. Ein großer Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich die kleinen Gegenstände von meinem Platz an der Tür aus betrachtete. Alles wirkte wie immer, nichts schien verändert, aber dennoch war die Atmosphäre anders.
Normalerweise hielt ich mich gerne in diesem Raum auf, aber heute hatte für mich er alle Freundlichkeit verloren. Trotzdem betrat ich ihn schließlich ganz, zog mich ohne Umschweife aus, wobei ich nicht so schnell wie sonst war, da mir zwischendurch erneut schwindelig wurde, warf die Kleidung achtlos zu Boden, stellte mich unter die Dusche und ließ kaltes Wasser auf meinen Körper prasseln. Durch den abrupten Kälteschock zuckte ich zusammen, wurde aber dadurch aus meinem erschöpften Zustand gerissen. Zwar blieben die pochenden Kopfschmerzen bestehen, aber ich fühlte mich langsam wieder wie ein Mensch. Meine Arme und Beine waren nicht länger aus Gummi und etwas Kraft kehrte zurück, wodurch ich nicht mehr befürchten musste, dass meine Knie unter meinem Gewicht nachgaben.
Ich stützte meine Hände an den Fliesen ab, ließ meinen Kopf nach unten hängen, konzentrierte mich auf das kalte Wasser, das die Müdigkeit aus meinem Körper vertrieb und schaffte es für kurze Zeit, alle Gedanken und Schmerzen auszuschalten und mich einfach treiben zu lassen.

Zehn Minuten später stand ich vor dem Spiegel, ein Handtuch um die Hüfte gewickelt und betrachtete mich eingehend, wobei mir ein fremder Mann entgegenstarrte. Unter meinen Augen, die jeglichen Glanz verloren hatten, hatten sich dunkle Schatten, mein Gesicht war so weiß wie der Schnee, die Lippen waren blutleer und meine Haarte standen wie die Stachel eines Igels in jede erdenkliche Richtung ab. Wassertropfen bahnten sich einen Weg über meinen Körper und wurden schussendlich von dem Handtuch aufgesogen. Obwohl das Bad geheizt war, fror ich beinahe erbärmlich, aber anstatt mich anzuziehen, rührte ich mich weiterhin nicht vom Fleck, sondern starrte einfach in den Spiegel.
Ich hatte seit langem nicht mehr so fertig ausgesehen, wie ein Geist mit bleicher Haut und zu wenig Blut im Körper. Frauen hatten es in diesem Zustand viel leichter, sie brauchten nur eine Ladung Make-up auf ihre Wangen auftragen und alles mit ein wenig Rouge und Lippenstift vervollständigen – schon waren sie wieder menschentauglich. Oft schafften sie mit Schminke wahre Wunder, wohingegen Männer darauf nicht zurückgreifen konnten, außer wir hatten das Bedürfnis, ausgelacht zu werden. Aber momentan war es mir egal wie ich aussah, würde ich vor morgen Früh ohnehin nicht in die Öffentlichkeit gehen und selbst wenn ich am nächsten Tag weiterhin den Endruck einer Leiche erwecken sollte, war mir das auch nicht wichtig – sollten sich die anderen ruhig darüber amüsieren, an mir würde es wie ein Gummiball abprallen. Ich würde viel zu sehr damit beschäftigt sein, den Schmerz in meinem Inneren unter Kontrolle zu bringen. Mir war bewusst, dass ich mich nicht verkriechen durfte, denn dadurch würde der schwarze Abgrund wieder näher kommen und mich irgendwann unwiderruflich verschlingen. Ich war mir sicher, dass Gibbs nicht gewollt hätte, dass ich mich so gehen ließ. Er hätte verlangt, dass ich mein Leben weiterlebte und glücklich werden sollte, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Glück – ein Wort, das für mich jede Bedeutung verloren hatte.

Mühsam riss ich den Blick vom Spiegel los und zwang mich in die Realität zurück. Es war sinnlos darüber nachzudenken, was in der Zukunft sein würde, jetzt zählte erst einmal, dass ich diese grässlichen Kopfschmerzen los wurde. Durch die Dusche waren sie zwar eine Spur erträglicher geworden, aber dennoch blieb das Pochen beständig. Wenigstens hatten die Schwindelanfälle aufgehört, sodass ich mich halbwegs sicher bewegen konnte, ohne Angst haben zu müssen, die Umgebung würde vor meinen Augen verschwimmen und sich gnadenlos drehen.
Langsam und noch immer ein wenig träge, griff ich nach meiner Zahnbürste und Pasta, um endlich den grauenhaften Geschmack in meinem Mund loszuwerden. Ich putzte gründlich die Zähne – und ließ dabei die Zunge nicht aus – um anschließend aus der Wasserleitung Schluck um Schluck zu trinken. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, mir ein Glas zu besorgen, sondern wollte nur den größten Durst stellen, der unersättlich zu sein schien. Das kühle Nass war Balsam für meinen trockenen Hals, welcher nicht länger aus Sandpapier bestand. Als ich das Gefühl hatte, gleich zu platzen, richtete ich mich wieder auf und hoffte, dass mein Magen die Unmengen an Flüssigkeit vertragen würde. Ich wartete eine Minute und als meine Eingeweide nicht protestierten, entspannte ich mich ein wenig. Obwohl ich weiterhin Durst hatte, widerstand ich dem Drang, meinen Kopf erneut unter die Wasserleitung zu halten und zu trinken. Zu viel auf einmal war auch nicht gerade sinnvoll, zumal ich nicht das Bedürfnis verspürte, dass mich Welle um Welle der Übelkeit überrollte und ich doch noch die Toilette benutzen musste. Ich hielt mich zurück und warf stattdessen einen letzten Blick in den Spiegel, nur um festzustellen, dass ich weiterhin wie jemand aussah, der an einer schlimmen Krankheit litt. Aus einem Impuls heraus zeigte ich mir selbst die Zunge, drehte mich um und verließ das Bad. Es war noch immer düster im Flur, aber diesmal schaffte ich es ohne mich an der Wand abzustützen ins Schlafzimmer. Ohne das zerwühlte Bett zu beachten ging ich auf den Schrank zu, öffnete ihn und nahm das erstbeste Kleidungsstück, das ich erreichte, heraus – ein einfaches, schwarzes Kapuzensweatshirt, das ich normalerweise immer zum Joggen trug. Ich zog es mir über den Kopf, entfernte das Handtuch von meiner Hüfte und warf es achtlos zu Boden, anschließend schlüpfte ich in Boxershorts und bequeme Jeans. Mit meinen Händen fuhr ich mir noch durch die nassen Haare und hoffte, dass ich sie ein wenig in Form brachte, anstatt die Frisur zu verschlimmern.
Ohne mir die Mühe zu machen, mir Schuhe anzuziehen, durchquerte ich barfuß den Raum, trat erneut auf den Gang hinaus und strebte der Treppe entgegen. Von unten drang mehr Licht herauf, verdrängte die Dämmrigkeit und ließ mich Einzelheiten erkennen. Stufe für Stufe stieg ich nach unten, eine Hand sicherheitshalber auf dem Geländer, damit ich nicht das Gleichgewicht verlor, falls mich erneut ein Schwindelanfall überkommen sollte.

Ich kam heil unten an, war nicht einmal gestolpert oder sonst falsch aufgetreten und folglich hatte ich mir auch nichts gebrochen. Im Erdgeschoss war alles viel heller und wirkte sogar auf mich ein wenig freundlicher als die erste Etage, es gab keine dunklen Ecken oder Dämmrigkeit, die einem aufs Gemüt drückte. Auch hier unten hatte sich nichts verändert, alles stand an seinem Platz, die große, gemütliche grüne Couch, die dazupassenden Sessel und der Tisch waren so sauber wie eh und je. Der einzige Einrichtungsgegenstand, der nicht von Gibbs ausgesucht worden war, war der Fernseher. Wenn es nach ihm ging, hätte er weiterhin nur den einen im Keller, wo er sich beim Bootbauen berieseln ließ, aber ich hatte so lange auf ihn eingeredet, bis er mir erlaubt hatte, einen zu kaufen und ihn im Wohnzimmer aufzustellen. Da ich in diesem Haus genauso viel Zeit wie in meinem eigenen verbrachte, wollte ich den Fernseher nicht missen und nach einigen Tagen hatte sich Jethro daran gewöhnt. Wir hatten Stunden aneinandergekuschelt verbracht und sich alte aber auch neue Filme angesehen und manchmal anschließend darüber diskutiert. Ab jetzt musste ich wohl oder übel wieder alleine auf dem Sofa sitzen, ohne starke Arme, die mich festhielten und mir ein Gefühl der Geborgenheit vermittelten.
Um nicht länger in den schönen Erinnerungen – die in diesem Moment jedoch schmerzhaft waren – zu schwelgen, durchquerte ich mit großen Schritten das Wohnzimmer und strebte auf die Küche zu. Die Tür war halb geöffnet und ich konnte leises Rascheln hören, so als ob jemand eine Zeitung oder eine andere Zeitschrift umblättern würde. Und da fiel mir wieder ein, dass Ducky ja hier war, um auf mich aufzupassen. Durch die Bilder, die in meinem Kopf aufgestiegen waren, als ich den Fernseher betrachtet hatte, hatte ich das komplett vergessen und geglaubt, alleine in dem Haus zu sein. Ich wusste, er hatte mich ins Bett gesteckt, aber ob ich etwas zu ihm gesagt hatte, davon hatte ich keine Ahnung mehr. In meinem Gehirn waren weiterhin kleine Löcher, durch die die vergangenen Stunden sickerten und die es mir unmöglich machten, mich zu erinnern, worüber wir gesprochen hatten. Ich konnte nur hoffen, dass ich in meinem betrunkenen Zustand nichts Dämliches von mir gegeben hatte. Sollte ich ihn fragen oder lieber schweigen? Wollte ich es überhaupt wissen, wenn ich in ein Fettnäpfchen getreten war?

Mit diesen Fragen beschäftigt, betrat ich die Küche und fand Ducky am Tisch sitzend vor. Vor ihm lag eine Zeitung und er schien einen Artikel intensiv zu lesen. Neben ihm stand eine Tasse, aus der es dampfte und deren Inhalt wahrscheinlich Tee war, von dem ich keine Ahnung, woher er ihn hatte. Soweit ich wusste, bewahrte Gibbs nirgendwo einen auf. Außerdem hatte ich ständig den Eindruck gehabt, er wäre allergisch gegen dieses Getränk, jedenfalls machte er nie Anstalten, auch nur einen Schluck zu probieren. Und da ich zum Frühstück ebenfalls lieber Kaffee zu mir nahm, hatte ich noch nie Tee gebraucht, wenn ich bei Jethro geschlafen hatte. Vielleicht hatte der Pathologe immer ein paar Beutel in seiner Tasche, nur für den Notfall.
Kaum hatte ich einen Fuß in die Küche gesetzt hob er sofort den Kopf und erkannte mich innerhalb des Bruchteils einer Sekunde. Er sah ein wenig müde aus, wirkte aber bei weitem nicht so erschöpft wie ich, außerdem hatte er keine halbe Flasche Bourbon getrunken, die sich mehr als unangenehm bemerkbar machte. „Anthony", begrüßte er mich freundlich und musterte mich besorgt, wohingegen ich bei der Erwähnung meines vollen Namens meine Lippen schürzte. Jedes Mal, wenn ich so angesprochen wurde, nahm ich an, dass ich etwas angestellt hatte. Wollte er mir jetzt die Leviten lesen, weil ich mich vor Stunden derart gehen hatte lassen?
„Wie fühlst du dich?" fragte er entgegen meinen Erwartungen, schlug die Zeitung zu und ließ mich weiterhin nicht aus den Augen. „Als hätte mich jemand mit Genuss durch den Fleischwolf gedreht", antwortete ich mit weiterhin leicht kratziger Stimme. „Das wundert mich keineswegs, bei der Menge, die du getrunken hast. Hast du…?" „Nein, habe ich nicht", unterbrach ich ihn, da ich genau wusste, was er wissen wollte. „Nicht, dass es mein Magen nicht versucht hätte, aber es ist nichts darin, was ich von mir geben hätte können." Ich zuckte mit den Schultern und beobachtete Ducky, wie er die Tasse nahm und einen Schluck trank.
„Willst du auch einen Tee?" fragte er, als er meinen Blick bemerkte. „Nein, danke", erwiderte ich und strebte auf einen Schrank zu, von dem ich wusste, dass er ein paar Medikamente enthielt. „Das Einzige, was ich will, ist ein Aspirin und dazu mindestens einen Liter Wasser. Ich schwöre dir, mein Gehirn ist viel zu groß für meinen Kopf und ich fühle mich, als ob ich seit Tagen am Verdursten wäre." Zielsicher fand ich die Packung, nach der ich gesucht hatte, nahm mir ein Glas, füllte es mit Wasser und warf eine Tablette hinein. Während ich darauf wartete, dass sie sich auflöste, setzte ich mich gegenüber von Ducky an den Tisch, wobei ich mich selbst im Fenster betrachten konnte, das dank des hellen Lichtes in der Küche wie ein Spiegel war. Meine Wangen waren nicht mehr ganz so blass, aber dennoch meilenweit von ihrem Normalzustand entfernt.
„Wie fühlst du dich?" wiederholte der Pathologe seine vorherige Frage und nahm einen weiteren Schluck Tee. Verwirrt runzelte ich die Stirn, da er meine Antwort bereits kannte, aber dann verstand ich, worauf er wirklich hinauswollte. Ich starrte in das Wasser vor meiner Nase und verfolgte, wie sich das Aspirin sprudelnd auflöste, sodass ich endlich etwas davon trinken konnte. „Es tut schrecklich weh", antworte ich schließlich, als ich die Hälfte des Glases geleert hatte und blickte Ducky an, der geduldig darauf gewartet hatte, dass ich mich dazu durchrang, etwas zu sagen. Meine Augen wurden erneut feucht, weshalb ich mir ganz schnell mit dem Handrücken darüber fuhr, ehe sich die Tränen verselbstständigen konnten. „Der Schmerz in meinem Inneren ist größer als der in meinem Kopf und für mich ist auf einmal der Sinn meines Lebens verschwunden. Ich habe keine Ahnung, wie meine Zukunft aussehen soll. Ohne Jethro", fügte ich eine Sekunde später hinzu, leerte das Glas komplett und obwohl ich noch viel mehr Wasser vertragen könnte, blieb ich sitzen, da ich die Befürchtung hatte, meine Knie würden einfach unter mir nachgeben. Hatte ich mir vor kurzem geschworen, stark zu sein, so wollte ich mich erneut verkriechen und alleine sein. Aber das war das Blödeste, was ich machen konnte und ich wusste, Ducky würde nicht eher gehen, bis er sicher war, dass ich halbwegs mit mir selbst zu Recht kam.

„Ich will dich nicht belügen", sagte er vorsichtig und stellte die Tasse mit einem leisen Geräusch auf dem Tisch ab. „Es wird ein harter Weg werden und auch wenn du es mir jetzt vielleicht nicht glaubst, aber es wird besser werden. Je mehr Zeit vergeht, desto leichter wirst du mit dem Schmerz umgehen können. Ich weiß, dass es sich momentan so anfühlt, als würdest du von innen heraus zerrissen, aber das ist nur normal. Ich würde mir eher Sorgen machen, wenn es nicht so wäre." Ducky streckte seinen Arm aus und legte seine rechte Hand auf meine. „Du bist nicht alleine, Tony und das weißt du. Es gibt Menschen, die dir helfen wollen und es auch werden. Vielleicht klingt es ein wenig kitschig, aber zusammen werden wir das schon schaffen." Für ein paar Sekunden breitete sich Schweigen aus und ich hörte nur meinen eigenen Herzschlag. Ich holte tief Luft und nickte leicht, wobei mein Kopf diesmal nicht zu explodieren schien – das Aspirin entfaltete langsam seine Wirkung. „Du hast Recht", erwiderte ich schließlich und seufzte. „Irgendwie muss das Leben weitergehen und die Welt hört sich nicht zu drehen auf, nur weil… weil…" Ich brachte die Worte nicht über die Lippen, aber es war auch so klar, was ich sagen wollte. Der Pathologe tätschelte mir beruhigend meine Hand, zog seine eigene dann aber zurück, legte sie um die Tasse legte und den Tee austrank.
„Wo hast du den überhaupt her?" fragte ich, froh darüber, über etwas anderes als Gibbs sprechen zu können. Es reichte bereits, dass ich nicht aufhören konnte, an ihn zu denken. Ducky schenkte mir ein kleines Lächeln, das ein wenig traurig wirkte. „Ich habe immer einen Vorrat in meiner Tasche. Man weiß nie, wann man das Verlangen auf einen Tee verspürt. Bist du dir sicher, dass du keinen willst?" Ich nickte, obwohl ich mir überhaupt nicht sicher war. Vielleicht wäre es gar keine so schlechte Idee einen zu trinken, aber vorerst wollte ich bei einfachem Wasser bleiben.

Der Ältere stand auf, stellte die leere Tasse in die Spüle und fragte. „Soll ich heute Nacht hier bleiben?" Ich drehte mich um, blickte ihn an und wollte bereits verneinen, als sich mein Kopf anders entschied und aus einem Schütteln ein Nicken wurde. Es war wahrscheinlich gut, wenn ich in dieser Nacht, die garantiert lange werden würde, nicht alleine war und mich die Stille wahnsinnig machen konnte. „Dann werde ich kurz bei mir zu Hause vorbeifahren, meine Mutter bei den Nachbarn unterbringen und ein paar Sachen einpacken. Kann ich dich für etwa eine Stunde alleine lassen?" „Klar. Kein Problem. Und keine Angst, ich werde meine Finger von jedem alkoholischen Getränk lassen. Davon hatte ich wirklich genug." „Verständlich", erwiderte er und nickte. „Ich werde auf dem Weg hierher bei einem Imbiss anhalten und…" „Das ist nett gemeint, Ducky", unterbrach ihn in und schluckte. „Aber ich will nichts essen, schon alleine bei dem Gedanken daran wird mir übel." Ich wusste sofort, was er dachte. Es war offensichtlich, dass seine Sorgen um mich größer wurden, immerhin schlug ich sonst nie ein Gratisessen aus. „Vielleicht morgen, auch wenn ich das Gefühl habe, dass ich lange Zeit keinen Appetit mehr haben werde. Aber heute bringe ich sicher nichts hinunter." „In Ordnung", gab er nach, obwohl er nicht mit meiner Entscheidung einverstanden war. Aber er konnte mich schlecht zwingen, etwas zu essen, wenn ich nicht wollte.
Ich atmete erleichtert auf und beobachtete, wie er zur Tür ging. „Ducky?" „Ja?" Er drehte sich noch einmal um und blickte mich neugierig an. „Danke. Danke für alles." Auf seinen Lippen breitete sich ein kleines Lächeln aus und er nickte. „Gern geschehen. Ich bin in etwa einer Stunde wieder zurück." „Okay", erwiderte ich leise und sah zu, wie er im Wohnzimmer verschwand und wartete, bis ich hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel.

Stille umfing mich und ich wollte bereits aufstehen, um mir noch Wasser zu holen und mich dann einfach vor den Fernseher lümmeln, als sich unverhofft meine Nackenhärchen aufstellten. Mein Herz fing schneller zu schlagen an und ich hob abrupt meinen Kopf, der dagegen protestierte und mich für die Bewegung mit einem schmerzhaften Pochen bestrafte, aber ich ignorierte es. Ich sah durch das Fenster, konnte aber nichts erkennen, da sich die Küche weiterhin in dem Glas spiegelte. Irgendjemand war da draußen, das spürte ich instinktiv. Ich kniff meine Augen zusammen, versuchte mehr Details zu erfassen, blickte aber nur in mein eigenes Gesicht. Die Sekunden verstrichen und als ich mich entschied, das Licht abzuschalten, um besser in den Garten hinaussehen zu können, verschwand auf ein einmal das Gefühl, beobachtet zu werden. Plötzlich war wieder alles wie immer und obwohl ich meine Reaktion gerne auf meine überstrapazierten Nerven geschoben hätte, sagte mir mein Bauch, dass da jemand gewesen war. Aber wer? Vielleicht Ducky, der ein letztes Mal sicher sein wollte, dass es mir soweit gut ging oder doch ein Fremder? War ein Einbrecher dabei, auszuspionieren, ob es sich lohnte, hier einzudringen?
„Anthony, du wirst noch paranoid", flüsterte ich und schüttelte meinen Kopf. Dennoch… irgendetwas war faul und damit meinte ich nicht nur das Gefühl, beobachtet worden zu sein. Und auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob Gibbs' Unfall wirklich nur ein Unfall gewesen war. Die Sache stank bis zum Himmel und ich schwor mir, ich würde nicht eher Ruhe geben, bis ich die gesamte Wahrheit erfahren hatte, koste es, was es wolle.

Fortsetzung folgt...
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