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In diesem Moment blieb die Zeit buchstäblich stehen und wären da nicht die Leiche und der penetrante Gestank nach schalem Bier und einem billigem Aftershave, hätte ich wahrscheinlich sogar vergessen, dass ich mich an einem Tatort befand. Dieser war trostlos, ein schäbiges Ein-Zimmer-Apartment, das dringend einer Renovierung bedurfte. Die schleimig grüne Tapete war von Wasserflecken übersät und löste sich an den Ecken von der Wand. Der Teppich war ausgetreten, schmutzig und anscheinend nie gereinigt worden. Die Möbel waren allesamt zerkratzt und bunt zusammengewürfelt â€" kein Einrichtungsgegenstand passte zu dem anderen. Das einzig Moderne schienen der Kühlschrank, dessen Tür mit Bildern von nackten Frauen zugeklebt war, und der Fernseher zu sein, der eingeschaltet war.
Das Fenster war verdreckt und ließ fast kein Tageslicht in die Wohnung. Ansonsten gab es noch eine Tür, die einen Spalt offen stand und in ein Bad führte, von dem ich nur einen braunen Fliesenboden erkennen konnte. Wie Ziva vorhin so treffend gesagt hatte, würde man hier nicht freiwillig wohnen wollen.
Ich blickte weiterhin etwas geschockt zu Edwards, dem unsere Ankunft nicht entgangen war. Für meinen Geschmack hob er viel zu schnell seinen Kopf und seine hellblauen Augen leuchteten prompt auf, als er mich erkannte â€" meine Hoffnung, mich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen zu können, war dahin.
Wie bei einem Kleinkind an Weihnachten verzogen sich seine Lippen zu einem strahlenden Lächeln und ein freudiger Ausdruck trat auf sein Gesicht. Seine Haut war noch braun gebrannter als zu dem Zeitpunkt, als ich ihn vor über zwei Jahren das letzte Mal gesehen hatte. Die blonden Haare waren ein wenig länger und streiften den Kragen seiner schwarzen Lederjacke, unter der ein weißes Hemd sichtbar war, das wie angegossen saß und deutlich die gut entwickelten Muskeln betonte. In den Ohren trug er noch immer die Diamantstecker, die an ihm alles andere als lächerlich wirkten. Er hatte sich kein bisschen verändert und ich erkannte sofort, dass die zwei Jahre nicht ausgereicht hatten, damit er nicht mehr scharf auf mich war â€" der beinahe lüsterne Ausdruck in seinen Augen verriet ihn.

„Tony“, sagte Jack erfreut und wollte bereits auf mich zugehen, hielt aber plötzlich inne, sein Lächeln gefror ihm auf den Lippen, während sein Blick links an mir vorbeiging. Ich musste nicht einmal neben mich sehen, um zu erkennen, woher der plötzliche Sinneswandel kam â€" ich spürte Gibbs’ Anspannung als wäre es meine eigene. Aus den Augenwinkeln erkannte ich den harten Gesichtsausdruck und er hatte seine Kiefer so fest aufeinander gepresst, dass es mich wunderte, dass man das Knirschen seiner Zähne nicht hörte. Jethros Hände waren zu Fäusten geballt und ich war froh, dass er den Kaffee schon ausgetrunken hatte â€" den Becher hätte er unweigerlich zerquetscht.
Er fixierte Edwards mit funkelnden Augen und wenn Blicke töten könnten, würde es zwei Leichen in diesem Raum geben und nicht nur eine. Von jeher hatte Gibbs den Detective nicht ausstehen können, was wohl daran lag, dass dieser mich anscheinend ständig in Gedanken auszog. Die Drohung vor Jahren, dass er sein Testament verfassen könnte, würde er mich nicht in Ruhe lassen, schien er nicht mehr ernst zu nehmen â€" oder er hatte sie schlichtweg vergessen. Trotzdem schien er zu merken, dass er den Bogen wohl nicht zu sehr überspannen sollte, nicht, wenn Jethro in so einem Gemütszustand war. Ich konnte seine Eifersucht fühlen und irgendwie war ich von seiner Reaktion geschmeichelt, war es doch ein weiterer Beweis, dass ich sein Ein und Alles war.
Trotzdem wünschte ich mir, er würde es mir auf eine andere Art und Weise zeigen, aber noch mehr wünschte ich mir, Jack wäre nicht hier â€" oder noch besser, ich wäre ihm nie begegnet. Anscheinend gehörte er zu der Kategorie Mann, der ein Nein nicht akzeptierte. Aber er würde schon noch merken, dass er bei mir nicht den Hauch einer Chance hatte.
Ich umfasste mit einer Hand Gibbs’ Unterarm und signalisierte ihm damit, dass alles in Ordnung war und er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Das kurze Knurren, das gleich darauf seinen Mund verließ, wertete ich als Zeichen, dass er verstanden hatte. Widerwillig löste er seine aufeinander gepressten Kiefer und betrat schließlich das Apartment.
„Agent Gibbs“, sagte Jack ein wenig unsicher und versuchte mit einem leichten Lächeln, ihn versöhnlicher zu stimmen. „Detective Edwards“, erwiderte er mürrisch und bedeutete uns mit einem Schlenker seiner Hand, dass wir ihm gefälligst folgen sollten. Ziva und McGee quetschten sich mit einem wissenden Grinsen an mir vorbei, während ich nach wie vor unter der Tür stehen blieb, da ich dem Polizisten nicht allzu nahe kommen wollte â€" seine Augen klebten ohnehin schon wieder auf mir.
Er holte seine Hände aus den Taschen seiner engen Jeans und steckte sie stattdessen in seine Lederjacke. „Welcher Zufall, dass wir uns hier treffen, oder? Sie sehen gut aus, Tony“, sagte er und das Lächeln kam mir auf einmal schleimig vor. Ich konnte Zivas leises Kichern hören, bemerkte McGees Versuche, ein Grinsen zu unterdrücken und erkannte, dass sich Jethro ziemlich bemühte, dem Detective nicht auf der Stelle den Hals umzudrehen. „Agent DiNozzo“, erwiderte ich patzig und signalisierte ihm damit, dass ich es nicht mochte, wenn er mich bei meinem Vornamen nannte, „und ich glaube nicht an Zufälle. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich muss meine Arbeit erledigen.“
Der lüsterne Ausdruck in seinen Augen verschwand ein wenig und er verzog mürrisch seine Lippen. „Schlechter Tag?“ fragte er und sah mir zu, wie ich den Raum betrat, den Rucksack auf den Boden fallen ließ und mich so stellte, dass er keinen Blick auf mein Hinterteil werfen konnte, als ich mich bückte und den Skizzenblock hervorholte. „Der Tag hat prima angefangen“, antwortete Gibbs an meiner Stelle und kniff seine Augen zusammen. „Bis wir bemerkt haben, welche Gestalten in dieser Gegend herumlaufen.“ Wenn Edwards erkannte, dass diese Aussage auf ihn zutraf, so ließ er es sich nicht anmerken â€" sein Lächeln blieb freundlich.

„McGee, sichere eventuelle Spuren, Ziva, Fotos und Tony, mach endlich die Skizze, anstatt den Block anzustarren“, befahl Jethro und funkelte uns einen nach dem anderen an. „Verstanden“, kam es von der Israelin. „Schon dabei“, meinte Tim und ich warf noch ein „wird gemacht, Boss“ hinterher. Aber gleich darauf hätte ich mir auf die Zunge beißen können, als es in Jacks Augen hoffnungsvoll aufblitzte. Die Tatsache, dass ich Gibbs gerade Boss genannt hatte, ließ ihn anscheinend glauben, wir wären nicht mehr zusammen. Ich schluckte, als sein Grinsen wieder anzüglich wurde und er mich von oben bis unten musterte.
„Hätten Sie nicht Lust, heute Abend etwas mit mir trinken zu gehen? Immerhin haben wir uns lange nicht mehr gesehen“, sagte Edwards und machte einen kleinen Schritt auf mich zu. Ich widerstand knapp dem Drang, ihm meinen Bleistift in die Eingeweide zu rammen und versuchte, so freundlich wie möglich zu bleiben. „Nein, danke. Ich habe heute schon etwas anderes vor“, erwiderte ich und sah zu Gibbs, der seine Arme vor der Brust verschränkt hatte und finster vor sich hinblickte.
„Gibt es etwas Wichtigeres als etwas mit mir trinken zu gehen?“ „Wie wäre es mit einem Hochzeitstag?“ mischte sich Jethro ein, kam an meine Seite und schlang besitzergreifend einen Arm um meine Taille. Mit einem Mal war es mucksmäuschenstill, nur das Klicken der Kamera war zu hören und ich hatte den Verdacht, dass Ziva den verdatterten Gesichtsausdruck Edwards soeben geknipst hatte, um ihn für die Nachwelt festzuhalten. Sein Unterkiefer klappte nach unten und er sah zwischen Gibbs und mir hin und her, versuchte dabei anscheinend zu begreifen, was er gehört hatte.
„Hochzeitstag?“ brachte er schließlich hervor und ich konnte nicht widerstehen, mich kurz mit der linken Hand an der Wange zu kratzen, sodass er den Ehering sehen konnte. „Aber, Sie haben doch… Sie haben ihn Boss genannt.“ „Alte Angewohnheiten lassen sich schlecht ablegen“, meinte ich grinsend und hätte ich meine andere Hand freigehabt, hätte ich meinerseits Gibbs einen Arm um die Taille geschlungen. „Solange du ihn nicht im Bett Boss nennst, ist das doch in Ordnung, Tony“, kam es von McGee, der die Spurensicherung komplett vergessen hatte und sich köstlich amüsierte. „Wenn ich es mir recht überlege, würde das sicher Spaß machen.“ Ich ließ den Satz im Raum stehen. „Bitte, verschon uns mit den Details aus eurem Liebesleben. Das interessiert keinen“, sagte Ziva und schüttelte den Kopf. „Außer Abby“, erwiderte Jethro, drückte mir einen Kuss auf die Wange und ließ mich schlussendlich wieder los.
Jacks Enttäuschung, dass er doch keine Chancen hatte, war greifbar und er fühlte sich sichtlich unwohl. Ich spürte, wie sich Jethro endlich entspannte, weil er merkte, dass der Detective deutlich auf verlorenem Posten stand. Außerdem war das jetzt unser Fall, was bedeutete, Edwards würde sicher gleich das Feld räumen, immerhin hatte er hier nichts mehr zu suchen. Und ich hoffte, dass ich ihn diesmal mehr als nur zwei Jahre nicht sehen würde â€" am besten nie wieder.

„Haben Sie nicht anderweitig etwas zu tun?“ fragte Gibbs brummend und stellte sich bedrohlich dicht vor den Detective hin. Edwards holte seine Hände aus den Taschen seiner Jacke, wobei er in seiner rechten einen Kaugummi hielt, den er auspackte und ihn sich in den Mund schob, um energisch darauf herumzukauen. „Sie haben hier nichts mehr zu suchen“, fuhr er fort und machte noch einen kleinen Schritt vorwärts. „Das ist ab sofort unser Tatort, zu dem nur Berechtigte Zutritt haben und Sie gehören definitiv nicht dazu.“ Ein Klicken ertönte, als Ziva erneut ein Foto schoss, zweifelsohne um es nachher Abby zu zeigen.
„Sie können mich nicht hinausschmeißen, immerhin war ich als Erster hier“, erwiderte Jack und reckte sein Kinn. „Der Tote ist jedoch ein Marine und fällt somit in unseren Zuständigkeitsbereich, falls Ihnen dieses Wort etwas sagt.“ Interessiert beobachtete ich die beiden Männer, wobei ich mir sicher war, dass es bei der Meinungsverschiedenheit nicht nur um den Fall ging. „Und da heißt es immer, du fühlst dich wie in einem Kindergarten, wenn ich mich mit Ziva streite. Jetzt ist es einmal umgekehrt“, sagte ich grinsend und war froh, weit genug von Gibbs entfernt zu stehen, sodass er mir keine Kopfnuss verpassen konnte.
„Gut gebrüllt, Tiger“, meinte die Israelin und schoss noch ein Foto. „Es heißt Löwe“, korrigierte ich sie automatisch, was sie mit einem Naserümpfen quittierte. „Und ich schicke euch gleich persönlich in den Kindergarten, wenn ihr nicht sofort…“ Aber Gibbs kam nicht mehr dazu, den Satz zu vollenden, als Duckys Stimme vom Flur erklang und ihn unterbrach.
„Du meine Güte, hier stinkt es ja noch schlimmer als in der öffentlichen Toilette, in der ich vor kurzem war.“ „Sie waren auf einer öffentlichen Toilette, Doktor?“ fragte Jimmy neugierig, während ihre Schritte immer näher kamen. „Nun, es war ein Fehler den Kartoffelauflauf von Mutter zu essen. Der hat besser als jedes Abführmittel gewirkt. Falls Sie also jemals an Verstopfung leiden sollten, Mister Palmer, dann kommen Sie zum Essen vorbei.“ Ein „ähm ja“ war alles, was Ducky als Antwort erhielt, der sich daran aber nicht zu stören schien. „Wissen Sie, das erinnert mich an meinen Großonkel Troy, er hatte eine richtige Phobie gegen öffentliche Toiletten und… oh“, unterbrach er sich auf einmal, als er die Wohnung erreicht hatte und die Szene erblickte, die sich vor ihm bot.
„Was gibt es denn, Doktor? Ach, du grüne Neune“, fügte Palmer hinzu, als er erkannte, warum Ducky aufgehört hatte, von seinem Großonkel zu erzählen. Selbst der Autopsiegremlin hatte vor Jahren mitbekommen, dass Gibbs nicht sonderlich gut auf Edwards zu sprechen gewesen war und wie sich die beiden Männer gegenüberstanden, ließ keinen Zweifel offen, dass es diesmal nicht anders war.

„Wie ich sehe, sind wir noch zur rechten Zeit gekommen“, sagte der Pathologe und betrat das schäbige Apartment, dicht gefolgt von Jimmy, dessen Kopf ein wenig rot war, da er die gesamte Ausrüstung mit sich schleppte.
Mittlerweile kam ich mir ein wenig wie eine Sardine in der Büchse vor. Mit jeder Person, die dieses Apartment betrat, wurde der Platz immer knapper und ich war richtiggehend froh, nicht an Klaustrophobie zu leiden. „Detective Edwards“, fügte er mit einem höflichen Nicken hinzu, der erleichtert aufatmete, als Gibbs einen Schritt zurücktrat. „Der Detective wollte gerade gehen“, erwiderte er und wirkte auf einmal noch grummeliger. In diesem Moment war er so sexy, dass ich den Drang unterdrücken musste, mir die Hose zurecht zu ziehen, die ein wenig eng wurde.
Stattdessen beobachtete ich mit einer gewissen Befriedigung, dass sich Jack in sein Schicksal fügte, als er erkannte, dass er nicht länger hier bleiben konnte. Erleichterung machte sich in mir breit, als er seine Schultern straffte, mit lässigen Schritten zur Tür ging und dabei Palmer beinahe anrempelte, der gerade noch schnell genug Platz machte. Gleich darauf schrie er schmerzhaft auf, als ihm ein Koffer auf den rechten Fuß fiel.
„Vielleicht sehen wir uns ja einmal wieder“, sagte Edwards und zwinkerte mir zu. Das Grinsen war auf seine Lippen zurückgekehrt, jetzt, wo genügend Abstand zwischen ihm und Gibbs war. ‚Nur in deinen Träumen’, dachte ich und schenkte ihm als Antwort einen Blick aus zusammengekniffenen Augen. Mein Schweigen quittierte er mit einem Schulterzucken, tippte sich an die Stirn, so als ob er einen Hut aufhätte und verließ schließlich das Apartment. „Wurde aber auch Zeit“, meinte ich erleichtert und entspannte mich ein wenig. „Au!“ rief ich gleich darauf, als mir Jethro unerwartet eine kräftige Kopfnuss verpasste. „Wofür war denn das?“ „Für deine Bemerkung über den Kindergarten. Und das nächste Mal zieh gefälligst nicht so eine enge Jeans an.“ „Aber ich dachte, du magst diese Jeans“, erwiderte ich leicht schmollend. „Ja, aber nicht, wenn dich deswegen jeder anstarrt. Vor allem nicht dieser Detective.“
„Ich wusste gar nicht, dass du so eifersüchtig sein kannst“, mischte sich Ducky ein, richtete sich seinen Hut und bedeutete seinem Assistenten, dass er die Koffer niederstellen konnte, was dieser mit einem befreiten Schnaufen tat. „Bin ich normalerweise auch nicht“, erwiderte sein langjähriger Freund und fuhr sich durch die Haare. „Aber es gibt Ausnahmen“, sagte ich und rieb mir über die noch immer schmerzende Stelle an meinem Kopf. „Du konntest Edwards noch nie ausstehen, Jethro.“ „Ich werde ihn auch nie ausstehen können. Und jetzt macht euch endlich an die Arbeit. Wir sind hier an einem Tatort und nicht in irgendeiner billigen Seifenopfer. Tony, ich will die Skizze in 20 Minuten haben und keine Sekunde später“, fügte er an mich gewandt hinzu und ich schluckte unwillkürlich.
„Verstanden“, nuschelte ich und trat näher an die Leiche heran, um sie endlich genauer ansehen zu können. Aber bevor ich den Bleistift auf das Papier aufsetzen konnte, hielt ich inne. Meine Augen weiteten sich unwillkürlich und ich ließ den Block sinken, starrte stattdessen den toten Mann an, von dem ich gedacht hatte, ihn nie wiederzusehen. Die schwarzen Haare waren zerzaust, der Eyeliner, der noch gestern seine dunklen Augen betont hatte, war verschmiert und hatte schmutzige Spuren auf seinen blassen Wangen hinterlassen. Zahlreiche Stichwunden zierten den Oberkörper des Toten, unter dem sich eine große Blutlache gebildet hatte, die bereits eine hässliche braune Farbe angenommen hatte und von dem Teppich aufgesogen worden war. Auf seinem Gesicht zeichneten sich die Schmerzen ab, die er im Augenblick des Todes verspürt haben musste und die sich für alle Ewigkeit in seine Züge eingegraben hatten. Eine langstielige rote Rose lag auf der nackten Brust und bildete einen starken Kontrast zu der blassen Haut des Mannes.
Aber es war nicht das, was mich schockierte, sondern die Tatsache, dass dieser Mann noch gestern versucht hatte, Gibbs und mich in einen Swingerclub zu schleppen. Und jetzt befand er sich tot zu meinen Füßen, buchstäblich abgeschlachtet. „Alles in Ordnung?“ fragte Ziva neben mir, die damit begonnen hatte, alles zu fotografieren, während McGee gelbe Plastiknummern neben jedem Gegenstand aufstellte. „Ich kenne diesen Mann. Das heißt, ich kenne ihn nicht wirklich, ich habe ihn nur einmal gesehen. Gestern“, fügte ich hinzu und blickte zu Gibbs, der dabei war, sich Latexhandschuhe überzuziehen.
„Und du hast ihn auch gesehen“, sagte ich zu ihm, als er bei meinen Worten seinen Kopf hob. Er runzelte seine Stirn und trat neben mich, um den Toten genauer zu mustern. „Das gibt es doch nicht“, erwiderte er und hob seine Augenbrauen. „Wollt ihr uns nicht einweihen?“ wollte Ducky wissen, der mit dem Leberthermometer in der Hand zu uns kam. Ich blickte zu Jethro und spürte, wie meine Wangen warm wurden, als mir klar wurde, dass wir wohl oder übel erzählen mussten, wo wir gestern gewesen waren.
„Also, es ist so, dass… wir waren…“ Hilfesuchend sah ich zu Gibbs, der über meine leichte Verlegenheit nur den Kopf schüttelte und leicht lächelte. „So peinlich berührt kenne ich dich gar nicht, Tony“, meinte er und mir wurde prompt noch heißer. „Wo seid ihr also gewesen?“ fragte McGee neugierig. „Wir waren in einem Sexshop, um unseren Vorrat an Gleitgel aufzustocken“, nuschelte ich schnell und erhielt auf meine Worte einen offenen Mund von Palmer, ein Kichern von Ziva und zwei Paar erhobene Brauen von Tim und Ducky.
„Ihr ward in einem Sexshop?“ Überrascht sah McGee von einem zum anderen und konnte anscheinend nicht glauben, was er soeben gehört hatte. „Hast du ein Problem damit?“ kam es mürrisch von Gibbs und durch den funkelnden Blick aus seinen Augen schüttelte der Jüngere vehement seinen Kopf. „Nein, Boss. Es ist nur, dass… ihr ward wirklich in einem Sexshop?“ „Tja, Bambino, jetzt kennst du unser kleines schmutziges Geheimnis“, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen und die Belustigung siegte über meine anfängliche Verlegenheit.

„Ich finde, das ist etwas ganz normales“, meinte Ducky, kniete sich neben der Leiche nieder und steckte ohne zu zögern das Thermometer in die Leber des Toten. „Ein Freund von mir geht jetzt noch in Sexshops und das, obwohl er schon über sechzig ist. Ich muss schon sagen, er hat eine wirklich ausgesprochen gute Auswahl an Filmen für Erwachsene, ganz zu schweigen von seiner Kondomsammlung. Ich denke, mittlerweile hat er fast alle Farben und Geschmacksrichtungen beisammen.“ „Du kennst jemanden, der Kondome sammelt?“ fragte Ziva ungläubig. „Nun, meine Liebe, das ist genauso ein Hobby wie Briefmarken sammeln. Erst letztens hat Harry…“ Das Piepsen des Thermometers unterbrach den Pathologen in seiner Ausführung und mit einem widerlichen Geräusch zog er das Instrument aus der Leber.
„Hmmm… ich schätze, der Tod ist zwischen 22 und 23 Uhr gestern Abend eingetreten. Die Messerstiche müssen ziemlich schmerzhaft gewesen sein. Es würde mich wirklich wundern, wenn das niemand mitbekommen hätte.“ „Ziva, du kümmerst dich nachher um die Nachbarn“, befahl Gibbs und sein Blick ließ keine Widerrede zu, weshalb es die Israelin auch gar nicht versuchte.
„Vielleicht hat es ja etwas mit dem Swingerclub zutun. Es könnte sein, dass Wilders Freund doch nicht so glücklich darüber ist, dass er ständig die Partner tauschen wollte“, sagte ich stirnrunzelnd. Jethro blickte nachdenklich auf den Toten hinunter, der von Ducky eingehend untersucht wurde. „Wie kommst du jetzt auf einen Swingerclub?“ fragte McGee, der vorsichtig ein blutverschmiertes Messer vom Boden aufhob â€" offensichtlich die Mordwaffe. Es war ein Schnappmesser, das man ohne Probleme über das Internet kaufen konnte.
„Nigel Wilder hat uns gestern gefragt, ob wir nicht Lust hätten, mit ihm einmal in einen Swingerclub zu gehen“, antwortete Gibbs an meiner Stelle und der Ton in seiner Stimme ließ deutlich erkennen, was er noch immer von diesem Vorschlag hielt. „Und ihr habt abgelehnt?“ wollte Ziva wissen und schoss weitere Fotos. „Natürlich haben wir abgelehnt“, erwiderte ich empört und fing endlich mit der Tatortskizze an.
„Ein Freund, der es nicht mehr vertragen hat, dass sein Partner ständig in einen Swingerclub geht. Eifersucht ist ein starkes Mordmotiv“, fuhr die Israelin fort, so als ob sie meinen Einwurf nicht bemerkt hätte. „Oder Zurückweisung“, meinte Ducky und hob einen Zettel empor, der in der Mitte gefaltet gewesen war. „Den hier habe ich in der Boxershorts des jungen Mannes gefunden. Und es scheint, als ob jemand nicht das bekommen hat, was er gewollt hat.“ Gibbs nahm das Blatt Papier entgegen und runzelte die Stirn.
„Es gibt nichts, das mehr schmerzt als Zurückweisung. Die Blüte einer Rose ist vergänglich wie das Leben, nichts hält ewig â€" außer meine Liebe zu dir“, las er vor und reichte den Zettel schließlich McGee, der ihn sofort eintütete. „Deswegen auch die Rose“, sagte Ducky und erhob sich. „Ein Mord aus Liebe. Jemand wollte den Petty Officer, aber da er ihn nicht bekommen hat, hat er ihn umgebracht.“ „Wenn ich dich nicht haben kann, dann soll es keiner“, murmelte Ziva und ließ ihre Kamera sinken. „Vielleicht hat es wirklich etwas mit dem Swingerclub zu tun“, sagte McGee und verstaute den Beweismittelbeutel in seinem Rucksack. „Wilder hat zu jemandem nein gesagt und dieser hat das nicht sonderlich gut aufgenommen.“
„Gut, dass ihr gestern in diesem Sexshop gewesen seid, sonst hätten wir überhaupt keinen Ansatzpunkt“, meinte die Israelin und zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Wie oft geht ihr da überhaupt hin?“ fragte sie gleich darauf und grinste. „Und ich dachte, dich interessiert unser Liebesleben nicht“, antwortete ich, ohne vom Block aufzusehen. „Tut es auch nicht, aber ich finde es faszinierend, dass ihr…“ „Soweit ich es mitbekommen habe, hast du noch nicht alles fotografiert, Officer David“, unterbrach sie Gibbs ruppig. „Und jemand muss das Bad noch auf Spuren untersuchen.“ „Das Bad?“ kam es angeekelt von Ziva, die einen flüchtigen Blick zu der angelehnten Tür warf. „Kann das nicht McGee…“ „Nein, kann er nicht. McGee wird sich statt dir um die Nachbarn kümmern.“
Ich beugte mich tiefer über den Block, um mein Grinsen zu verbergen. Ziva lernte es wohl nie, wann es besser war, den Mund zu halten. So unerfreulich die Ankunft am Tatort auch verlaufen war, ging es nun eindeutig wieder bergauf. Edwards war weg, meine Kollegin musste ein ekliges Bad untersuchen und ich konnte bald meinen Donut essen. Außerdem schien es sich um einen Routinefall zu handeln â€" falls man je von Routine sprechen konnte, wenn jemand mit einem Messer buchstäblich abgeschlachtet worden war. Mord wegen Zurückweisung â€" keiner von uns ahnte, was wirklich dahinter steckte…

Fortsetzung folgt...
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