- Text Size +
Die weitere Durchsuchung der kleinen Wohnung hatte nichts zu Tage ans Tageslicht befördert, das uns geholfen hätte, einen Hinweis auf den Mörder zu finden. Es gab nicht einmal ein Anzeichen dafür, dass Wilder in festen Händen gewesen war. Keine Bilder, keine Telefonnummer, keine Liebesbriefe oder sonstige Nachrichten, die darauf hingedeutet hätten, wer sein Freund gewesen war. Genauso wenig fanden wir einen Anhaltspunkt auf den Swingerclub, in den er anscheinend so gerne gegangen war. Die einzigen Dinge, das es in dieser Wohnung gab, waren Schmutz, Unordnung und Schimmel in den Ecken.
Und als ich einen kurzen Blick in das Bad geworfen hatte, war ich froh gewesen, dass nicht ich die Aufgabe erhalten hatte, dort drinnen nach Spuren zu suchen. Der braune Fliesenboden war noch das Netteste von dem winzigen Raum, in den ein Waschbecken, eine Dusche und eine Toilette gezwängt worden waren. Keine der Armaturen hatte so ausgesehen, als ob sie je mit einem Putzmittel in Kontakt gekommen wäre. Ziva hatte die ganze Zeit über einen vor Ekel verzogenen Mund zur Schau gestellt, aber ich hatte mich gehütet, zu grinsen oder eine Bemerkung von mir zu geben, da ich nicht gerade scharf auf eine Kopfnuss gewesen war. Außerdem schien Gibbs noch immer ein wenig sauer darüber gewesen zu sein, dass wir auf Edwards getroffen waren, sodass ich ihn nicht noch mehr hatte reizen wollen. Außerdem wollte ich nicht riskieren, dass er mir nicht erlaubte, den Donut zu essen, auf den ich mich schon freute - es ging doch nichts über Schokolade, um die Gehirnzellen anzuregen.
Ducky hatte, während er gemeinsam mit Palmer den Toten in dem Leichensack verstaut hatte, die Geschichte von seinem Kondom sammelnden Freund weitererzählt und dabei nicht wirklich mitbekommen, dass ihm niemand so richtig zugehört hatte. Ich hatte die Tatortskizze gezeichnet und versucht, mich nicht von der roten Rose ablenken zu lassen, die mich viel zu sehr an diejenige erinnerte, die mir Jethro an diesem Morgen geschenkt hatte. Dieser hatte sich in der Zwischenzeit gemeinsam mit McGee mit den Nachbarn unterhalten und wie nicht anders zu erwarten gewesen, hatte niemand etwas gesehen oder gehört. Das Pärchen, das links neben Wilders Apartment wohnte, hatte sich lautstark miteinander beschäftigt und nichts anderes wahrgenommen außer einander. Und sein rechter Nachbar war erst irgendwann in der Nacht stockbetrunken nach Hause gekommen â€" er hatte sich nicht einmal mehr daran erinnert, wie er es in sein Bett geschafft hatte.
Wir hatten schließlich sämtlichen Müll eingesammelt, in der Hoffnung, darin eine Spur zu entdecken, die uns zu dem Mörder des Petty Officers führen würde â€" Abby würde sich nachher sicher freuen, wenn sie erfahren würde, wie viel sie untersuchen musste. Mord aus Liebe… konnte man wirklich einen Menschen töten, den man über alles liebte? Sicher, Zurückweisung tat weh, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, Jethro umzubringen, hätte er mich vor über zwei Jahren abgewiesen, als ich ihm meine Liebe gestanden hatte. Was war nur in dem Täter vorgegangen, dass er es bevorzugt hatte, Wilder das Leben zu nehmen, anstatt um ihn zu kämpfen? Und noch dazu hatte er ihn buchstäblich abgeschlachtet, so als ob eine große Wut dahinter gesteckt hätte. Wut wegen der Zurückweisung? Oder war der Grund womöglich doch ein ganz anderer? Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieser Fall doch nicht so einfach werden würde, wie wir zuerst angenommen hatten. Warum hatte der Mörder überhaupt eine Rose und diese kurze Nachricht zurückgelassen?

Mit einem lauten Seufzer ließ ich mich auf meinen Stuhl im Großraumbüro fallen, verstaute meine Waffe in der obersten Schublade des Schreibtisches und schnappte mir sofort die Tüte mit dem Donut, die mir Jethro vorhin beinahe aus der Hand gerissen hatte. Dieser war momentan nicht hier, da er sich einen frischen Kaffee besorgte, weswegen ich ohne zu zögern die Zeit nutzte, um meinen Zuckerlevel im Blut ein wenig anzuheben. Wer wusste schon, ob nicht doch wieder etwas dazwischen kommen würde und ich den Donut deshalb nicht essen konnte. Zwar hatte Jethro befohlen, dass wir uns sofort an die Arbeit machen und so viel wie möglich über den Toten herausfinden sollten, aber die paar Minuten, die es mich kostete, die Süßigkeit zu verspeisen, würde ich mir nehmen.
Ich öffnete die Tüte und sog genüsslich den Duft ein, der mir entgegenströmte und meinen Magen unwillkürlich knurren ließ. „Ich dachte, du hattest vorhin ein überaus nettes Frühstück?“ fragte McGee neben mir, der sich ebenfalls auf seinen Sessel fallen ließ und die Beine von sich streckte. Im Gegensatz zu Ziva und mir hatte er die gesamten Beweismittel zu Abby geschleppt, während wir gemütlich die Ausrüstung in das Lager zurückgebracht hatten. Und der Gesichtsausdruck, den er zur Schau getragen hatte, als er aus dem Aufzug gekommen war, hatte mehr als tausend Worte gesagt â€" die junge Goth war nicht erfreut gewesen, jede Menge Müll untersuchen zu müssen.
„Wir hatten auch ein überaus nettes Frühstück“, antwortete ich schließlich, biss genüsslich in den Donut und seufzte zufrieden, als sich herrlicher Schokoladengeschmack in meinem Mund ausbreitete. „Mit jeder Menge Gebäck, Marmelade und Kaffee.“ „Und trotzdem verdrückst du jetzt so einen riesigen Donut?“ fragte Ziva kopfschüttelnd. Ich kaute grinsend und nickte dabei bekräftigend. „Was soll ich sagen? In manchen Dingen bin ich einfach unersättlich“, meinte ich, als ich hinuntergeschluckt hatte. Gleich darauf verschwand ein weiteres Stück der Süßigkeit in meinem Mund.
„Aber wundere dich bloß nicht, wenn du eines Morgens mit einem runden Bauch aufwachst“, kam es von Tim, der mich mit erhobenen Augenbrauchen anblickte. „Das wird nicht passieren, Bambino. Dafür verbrenne ich viel zu viele Kalorien.“ „Ah ja“, kam es synchron von meinen beiden Kollegen, die schon wieder grinsten. „Und diese Kalorienverbrennung“, begann Ziva und beugte sich weit nach vorne, „muss ja sehr spaßig sein. Stehst du neuerdings auf SM, Tony?“ Die Frage traf mich vollkommen unvorbereitet und ich verschluckte mich beinahe an dem Bissen, den ich gerade im Mund hatte.
„Wie kommst du darauf?“ stieß ich ein wenig keuchend aus und versuchte nicht an dem Stück Donut zu ersticken, das sich gerade meine Speiseröhre hinunterzwängte. Selbst McGee war von dem plötzlichen Themenwechsel überrascht und vergaß, auf der Tastatur herumzutippen und blickte neugierig zu uns herüber. „Nun ja“, erwiderte sie hämisch und beugte sich noch mehr nach vorne, sodass sie mit ihrem Oberkörper auf ihrem Tisch lag. Ihre Augen schweiften zu der Hand, in der ich den Donut hielt und unwillkürlich folgte ich ihrem Blick â€" und hatte auf einmal das Gefühl, meine Wangen würden in Flammen aufgehen.
Ich setzte mich kerzengerade auf, ließ das Gebäck auf die Tüte fallen und zerrte blitzschnell den Hemdsärmel nach unten, der kurz zuvor nach oben gerutscht war und das rote Mal enthüllt hatte, von dem ich gehofft hatte, dass es niemand sah. „Das ist nichts“, sagte ich eine Spur heiser und räusperte mich. „Also, das hätte ich von dir nie gedacht, Tony“, kam es von McGee, dessen Mundwinkel verräterisch zuckten. Ich schenkte ihm meinen gefährlichsten Blick, der ihn schnell hinter seinen Bildschirm verbannte â€" nichtsdestotrotz verfolgte er neugierig, was neben ihm vorging.
„Ich stehe nicht auf SM“, verteidigte ich mich und versuchte meine Gesichtsfarbe unter Kontrolle zu bringen. „Das ist eine allergische Reaktion.“ „Worauf? Auf Handschellen?“ fragte Ziva und kicherte gleich darauf. „Du hattest auch schon einmal bessere Ausreden“, fügte sie hinzu. „Ich bitte dich Tony, ich erkenne die Male von Handschellen, wenn ich sie sehe und diese rote Linie auf deinem Handgelenk sieht verdächtig danach aus.“ Ich zerrte erneut an dem Ärmel und versuchte dem Drang zu widerstehen, meine Arme unter dem Schreibtisch zu verstecken. „Warst du gestern unartig, weil dich Gibbs ans Bett gefesselt hat?“ „Wie kommst du darauf, dass es das Bett war, an das…“ Ich brach ab und biss mir auf die Unterlippe, als ich erkannte, dass ich bereits zu viel verraten hatte.
„Also doch“, sagte sie gut gelaunt, „ich wusste, dass ich Recht habe.“ „Ähm, Ziva“, meinte McGee auf einmal zögernd, weshalb ich aufblickte und Gibbs entdeckte, der neben dem Platz der Israelin stand, die noch immer mich fixierte. In seiner rechten Hand hielt er den obligatorischen Kaffeebecher, schien aber nicht daran interessiert zu sein, einen Schluck zu trinken. Aus den Augenwinkeln warf er mir einen vielsagenden Blick zu und ich zog unwillkürlich den Kopf zwischen den Schultern ein.
„Mach nur so weiter und ich werde dich gleich an den Tisch ketten und dafür sorgen, dass du vor Morgen hier nicht mehr wegkommst, Officer David“, grollte Jethro neben ihr und ich hatte das seltene Vergnügen mitzubekommen, wie Ziva zusammenzuckte und ihr das Grinsen gefror. „Das wäre sicher lustig“, sagte ich viel besser gelaunt. „Tschuldigung, Boss“, murmelte ich gleich darauf, als ich in den Genuss eines seiner gefährlich funkelnden Blicke kam. Ich schnappte mir schnell den Donut und biss ein großes Stück ab, das verhinderte, dass ich noch etwas von mir geben konnte.
Ziva hob in einer abwehrenden Geste ihre Hände und zog es schließlich vor, ihre Aufmerksamkeit dem Computer zuzuwenden. Sichtlich zufrieden mit ihrer Reaktion, trank Gibbs einen Schluck, löste sich von seinem derzeitigen Platz und kam auf mich zu, um vor mir stehen zu bleiben. Der Ausdruck in seinen blauen Augen war so durchdringend, dass der Donut auf dem Weg zu meinem Mund in der Luft verharrte und ich nichts anderes tun konnte, als meinen Ehemann anzusehen. Er beugte sich zu mir herunter und ehe ich reagieren konnte, schnappte er sich meine rechte Hand, mit der ich die Süßigkeit hielt â€" unwillkürlich glaubte ich, er wollte sie mir wegnehmen, aber nichts dergleichen geschah.
Der Griff war fest, aber nicht fest genug, dass er mir wehtat und ich hätte mich mit einem Ruck befreien können, aber irgendwie wollte ich das gar nicht. „Das nächste Mal“, flüsterte er so leise, sodass nur ich es verstehen konnte, „ziehe ich ein Hemd an, bei dem die Ärmel nicht hoch rutschen“, vollendete ich seinen Satz, weswegen er eine Augenbraue hob. „Nein, Tony, ich meinte damit, dass wir das nächste Mal etwas verwenden, das keine so offensichtlichen Spuren hinterlässt.“ Bei den Worten strich sein Atem warm über meine Wange und die Aussicht, dass er vorhatte, mich irgendwann erneut ans Bett zu fesseln, brachte mein Blut in Wallung.
Ich vergaß vollkommen den Donut in meinen Fingern und verlor mich in dem Blau seiner Augen, in dem es begehrlich funkelte. In meinem Hals bildete sich ein großer Kloß und würden wir uns nicht im Großraumbüro befinden, würde ich ihn sofort zu mir herunterziehen und ihn so lange küssen, bis uns beiden die Luft wegblieb. Aber Direktor Shepard hatte überall Augen und Ohren und sie würde davon erfahren, was hieß, sie würde uns innerhalb von wenigen Minuten die Hölle heiß machen.
Ich schluckte hart und räusperte mich, um meinen Hals freizubekommen und schenkte Jethro ein Lächeln, von dem ich wusste, dass es ihn butterweich werden ließ. „Das heißt wohl, wir werden Darlene demnächst erneut einen Besuch abstatten“, flüsterte ich genauso leise. „Sieht so aus“, erwiderte er, verstärkte kurz den Druck um mein Handgelenk, ehe er mich losließ und sich aufrichtete. Sowohl Ziva als auch McGee hatten uns die ganze Zeit über neugierig beobachtet, hatten aber von unserem kurzen Gespräch nichts mitbekommen. „Und jetzt iss endlich deinen Donut, Tony und mach dich an die Arbeit“, grollte Gibbs gleich darauf â€" verschwunden war der liebevolle Ehemann, den er mir gegenüber so oft an den Tag legte. „Ich will alles über den Petty Officer wissen, selbst wenn er nur jemanden falsch angesehen hat. Und das ganze bis gestern.“
Grinsend beobachtete ich, wie er Kaffee trinkend zu seinem Platz ging und sich auf dem Stuhl niederließ. „Was für ein Stimmungsumschwung“, murmelte McGee und begann, auf seiner Tastatur herumzuklopfen. Ziva murrte etwas, das wie „hätte auch nicht gedacht, dass er an einem Hochzeitstag durchgehend gut gelaunt wäre“ klang und verzog sich hinter ihrem Bildschirm. „Ich finde schon, dass Jethro gut gelaunt ist“, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen und erhielt einen mörderischen Blick ihrerseits. „Wie hältst du es nur die ganze Zeit mit ihm aus?“ fragte sie leise und ich zuckte lediglich mit den Schultern. „Tja“, meinte ich und stopfte mir ein großes Stück des Donuts in den Mund. „Das liegt wohl daran, dass es ohne ihn noch viel schlimmer ist“, fuhr ich kauend fort und wandte mich endlich meinem Computer zu. „Glaub mir, Ziva, wenn du einmal den Menschen fürs Leben gefunden hast, wirst du das verstehen.“
Mit diesen Worten vertilgte ich den Rest des Gebäcks und rief die Akte des toten Petty Officers auf. Es wurde wirklich Zeit, sich mit dem Fall zu beschäftigen. Immerhin galt es einen Mörder zu finden, der es bevorzugte, jemanden umzubringen, anstatt um ihn zu kämpfen. Mord aus Liebe… es gab schon verrückte Menschen auf dieser Welt.

Fortsetzung folgt...
You must login (register) to review.