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Author's Chapter Notes:
Ein Tag im Dezember: Tony wird ermordet; ein anderer Tag im Dezember: Gibbs erfährt von seinem Tod.... 7 Tage im Dezember, eine Reise durch Schmerz, Traurigkeit und Hoffnung
Disclaimer: Mir gehört nichts und ich will CBS auch nichts streitig machen (außer vielleicht Tony...*g*)


Prolog: Regen im Gesicht


Es ist still in jener Nacht. Ungewöhnlich für die rege Stadt, die zwar nicht New York ist und daher auch nicht ewig wach. Oder auch nicht die Stadt der Engel, in der die Wellen des Pazifiks, die immerwährend an den Strand branden, vom Lärm der Autos, Bars und Polizeisirenen verschluckt werden.

Aber es ist immerhin die große Hauptstadt eines großen, mächtigen Landes und man möchte meinen, das auch hier nie Ruhe einkehrt. Nicht auf der prächtigen National Mall, wo Abraham Lincoln gottgleich über seine Kinder wacht, erleuchtet von Neonscheinwerfern, die er im Leben nie gesehen hat und die seinen Tempel und seinen Thron und sein gütiges Antlitz in hellem Licht strahlen lassen, auf das ihn die sehen, denen er ein Land und ihre Freiheit geschenkt hat.

Aber auch in den anderen Teilen Washingtons, die nicht im Glanz der heiligen Stätten ruhen, kann es eigentlich unmöglich still sein. Der ewigwährende Verkehr einer Millionenstadt, die Bundesbehörden, die alle Stunden im Dienste der Bürger und des Staates stehen sollen. Die Menschen.
Die Menschen, die arbeiten und schlafen, die singen und lachen und reden, die Sex haben und sich streiten, die einsam sind und die, die es nicht sind. Junge Menschen und alte Menschen und Söhne und Töchter, Zwillinge und Einzelkinder, Großeltern und Tanten, Polizisten und Präsidenten, Klempner, Computerexperten, Krankenschwestern und Taxifahrer. So viele Menschen, die leben. Einfach nur leben. In Washington, im Dezember.

Und trotzdem ist es heute nacht ruhig. Oder zumindest hier, in einer dunklen, leeren Gasse, gar nicht so weit von Jefferson und Washington und Lincoln entfernt wie man meinen möchte, wenn man die Häuserwände entlang geht. Nur gerade so ist das helle Licht des heiligen Zentrums dieser Nation nicht mehr zu sehen, nur gerade so.

Und dennoch stehen hier verrostete Müllcontainer, deren Aufschriften schon lange verblasst sind und an den Wänden existieren Flecken, von denen man nicht wissen will, wie sie entstanden sind. Man kann es sich leicht denken.
Die Bars und Nachtclubs, die jeden Monat einen anderen Besitzer, einen anderen Namen zu haben scheinen, verändern sich nur äußerlich. Innen bleiben sie dieselben. Die selben abgewetzten Plüschsofas, die wackligen Barhocker, die klebrigen Glasränder auf den Tresen. Auch die Kundschaft bleibt die gleiche. Es sind die, die es nicht geschafft haben; die, die das Licht der Großen nicht ertragen, sie sich nicht zum Vorbild genommen haben oder an ihnen gescheitert sind. Die Menschen, die im Schatten stehen, im Schatten des Lebens, gerade so nicht im Licht.

Heute jedoch dringt kein betrunkenes Gelächter und keine laute Musik in diese Gasse, in die all die Hintertüren hinausgehen, durch die schon so viele Verlierer gegangen sind. Vielleicht weil es regnet und weil es kalt ist. Das leise Prasseln des Regens ist das einzige Geräusch, denn die Kälte selbst macht keinen Laut.

Tap, tap, tap. So geht es schon seit Stunden. Eigentlich seit es dunkel geworden ist, vor einer halben Ewigkeit. Dabei ist es erst zwei Uhr und der Morgen ist noch fern. Tap, tap, tap. So wird es auch weitergehen, wenn der winterliche Nebel über dem ehemaligen Sumpf aufzieht und die pulsierende Hauptstadt mit einer dichten Decke überzieht, durch die das fahle Winterlicht kaum dringen kann. Auch dann, in ein paar Stunden, wird die lecke Dachrinne noch da sein, die rostigen Abfallcontainer und die verdreckte, verstopfte Rinne, durch die der Regen zum Kanal geleitet werden soll.

Man kann aber auch davon ausgehen, dass dann auch etwas anderes noch da sein wird, weil es vermutlich noch einige Stunden länger, oder sogar Tage – was man nicht hoffen möchte – dauern wird, bis irgendjemand darauf aufmerksam werden wird. Nicht, weil es nicht auffallen würde, sondern einfach nur, weil so wenige hier untertags vorbei kommen. Wahrscheinlich wird er nachts gefunden werden, und dann werden viele Telefon läuten und viele Leute werden aus dem Schlaf geschreckt; oder vielleicht haben die, die auf das Klingeln warten, auch schon lange nicht mehr geschlafen.

Fast muss man sich fragen, wie er hierher kommt, ins Dunkel, in den Regen, in die Nacht. Der tote Körper eines jungen Mannes.
Er liegt auf dem Rücken, ein Bein angewinkelt, die Arme ausgebreitet. Er trägt teure Kleidung, soweit man das noch erkennen kann, und seine Augen starren blicklos in die sternenlose Nacht. Das Regenwasser sammelt sich schon seit Stunden in ihnen und immer wieder laufen Tropfen seine Wangen hinunter. Er weint im Tod, werden sich später die denken, die ihn finden und viel später wird das ein Gedanke sein, der seine Freunde nie mehr verlässt.

Das Grün seiner Augen ist schon trüb geworden. Der Tod greift schnell nach seinen Opfern und kennzeichnet sie als die seinen. Der ewige Wettstreit. Diesmal hat der Sensenmann gewonnen und das Leben hat verloren und ein junger Mann musste dafür bezahlen. Die schwarze Kapuze wurde ihm schnell übergestreift und der eisige Atem umklammerte sein Herz nur für Sekunden. Ein schneller Tod, der das Leben kaum spüren ließ, dass es zu Ende war. Vor allem aber ein sinnloser Tod und ein unwürdiger. Ein junger Mann liegt in einer verlassenen Gasse. Wie Abfall. Niemand kümmert sich (obwohl sich einige um ihn Sorgen machen. Woanders). Selbst sein Mörder hat ihn einfach liegengelassen. So wie er gefallen ist. Einfach weggeworfen. Ein Leben, das zu Ende ist. Ein Schuss. Ein kurzer Schmerz, brennend, stechend. Ein letzter Atemzug. Ein letzter Gedanke. Keiner kennt ihn. Verloren in der Ewigkeit. In der Stille, in der Nacht.


Der Regen übertönt die Schritte des Mörders, als er geht. Langsam und gelassen. Ruhig. Er macht sich keine Sorgen, hat keine Gewissensbisse. Er wird heute Nacht gut schlafen können. Für ihn liegt da hinter ihm eine leere Hülle in der Abwasserrinne, ein Körper ohne etwas Menschliches an sich. Er wird keinen Gedanken mehr an den Mann verschwenden. Nicht jetzt, nicht morgen, nie. Er glaubt nicht an Christus und an das Jüngste Gericht, also erwartet er keine Strafe. Nur ein Toter. Jeden Tag sterben so viele. Das ist nur einer.
Und so verschwindet der Mann in der Nacht. Der Regen übertönt seine Schritte – es hätte sie sowieso niemand gehört – und spült alle Spuren weg. Er wird nie gefunden werden. Sterben wird er als alter Mann, nicht glücklich, aber alt. Sein Leben siegt fünfundsiebzig Jahre gegen den Tod. Und als der Tod endlich kommt, muss er ihn im Schlaf entführen. Gerecht? Nein. Er hat nie wieder an den Toten in der Gasse gedacht. Das geraubte Leben ist ihm egal. Der junge Mann ist ihm egal. Nur als er vier Tage später eine kurze Notiz über ihn in der Zeitung liest, denkt er, dass er seine Brieftasche hätte mitnehmen können. Hätte das Geld brauchen können.

So aber bleibt sie liegen. Im Regen, im Dunkel, in der Nacht. Geld ist darin, Fotos, ein Ausweis. Ein Name, ein Leben. Das Licht in den einst grünen Augen, das jetzt verblasst ist. Erloschen und ausgegangen. Tot. Es regnet weiter. Tap, tap, tap. Eine Hand treibt leblos in der Rinne, die Kleidung ist vollgesogen, das dunkle Haar klebt an der Stirn. Seine Haut ist schon weiß, alle Wärme verloren. Bald werden sie Leichenflecken überziehen und ein Gerichtsmediziner bestimmt nüchtern den Zeitpunkt seines Todes.
Hier liegt ein Leben. Einst war es ein Mensch mit Hoffnungen, Träumen, Ängsten. Jetzt starren nur noch die toten Augen in den Himmel. Es vergehen noch Stunden, bis sie ihm geschlossen werden.


Dann weinen andere. Die, die ihn vermissen und die ihr ganzes Leben lang einen Stich im Herzen spüren, wenn sie seinen leeren Platz sehen (obwohl irgendwann dort ein anderer sitzen wird, wird er für sie immer auf eine schreckliche Weise leer bleiben) und wenn sie an ihn denken. Ihn, der so sinnlos gestorben ist, in dessen Augen sich Dunkel, Nacht und Regen sammelten.

Jetzt schläft er in Orpheus' ewigen Armen in der kalten, dunklen Erde und wird nie mehr aufwachen. Seine Lider sind nun geschlossen, aber er kann nicht mehr träumen, und niemand, der an jenem kalten Dezembertag in jener Gasse gestanden ist und später an einem eisigen Morgen an seinem Grab, glaubt in diesem Moment wirklich in einen Gott, der gerecht im Himmel herrscht. Zu früh geholt und zu grausam. Die Blumen, die Kränze, der Stein sind stumme Zeugen der Trauer. Die Tränen der Lebenden, die so sehr seinen Tränen aus Regen ähneln, auch. Oft wird hier jemand stehen, der ihn vermisst, der das Leben seit jenem Morgen nicht mehr begreift, und der mit ihm reden möchte. Sie wollen wissen, warum. Warum war er dort und warum ist er tot? Warum? Keiner weiß es. Aber meistens wollen sie eigentlich nur seine Stimme hören, die jetzt nur noch als Windhauch in den Ästen der Weidenbäume zu vernehmen ist. Die kalte Erde gibt ihn nicht mehr frei.

Manchmal jedoch meinen sie, ihn von weitem in einer Menschenmenge zu erkennen und in den ersten Wochen erschrickt zumindest einer von ihnen und will auf ihn zulaufen, aber mit der Zeit gewöhnen sie sich daran und es wird zu einem Teil ihres Lebens. Er begleitet sie. Ein Geist, ein Schatten, eine Erinnerung.
Seine Augen, die in den seltsamsten Momenten auf ihnen ruhen. Ein Mensch, liegengelassen, weggeworfen. Ein Freund, der mehr verdient hat als in einer Gasse zu enden. Ermordet. Tot. Ungesühnt. Allein. Ein einsamer Tod fernab von allem Licht.



TBC
Würd mich unheimlich über Feedback freuen! Ist meine erste Story hier...
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